Anfragebeantwortung zu Ägypten: Bedeutung der Genitalverstümmelung in der ägyptischen Gesellschaft, Verbreitung, Alter bei Durchführung; Vorkommen in der Provinz Scharqiya, Zwang/Druck vonseiten der Großfamilie oder lokaler Gemeinschaften auf die Eltern eines Mädchens (7 Jahre alt); Schutz vor Genitalverstümmelung durch staatliche Behörden, insbesondere bei Bedrohung durch Familienangehörige, strafrechtliche Verfolgung [a-10482]

22. März 2018

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Vorkommen weiblicher Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) in der ägyptischen Gesellschaft, Verbreitung, Alter bei Durchführung

Viele der in dieser Anfragebeantwortung angeführten Quellen beziehen sich bezüglich Zahlen und Statistiken auf ein im Jahr 2016 vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) veröffentlichtes Profil mit Grafiken zur Verbreitung und Art der Genitalverstümmelung in Ägypten. Dieses Profil wiederum basiert auf Daten aus zwei vom Ministerium für Gesundheit und Bevölkerung mit Unterstützung verschiedener UN-Organisationen sowie der US-Entwicklungsbehörde USAID herausgegebenen Berichte, zum einen dem im Jahr 2015 veröffentlichten Egyptian Health Issues Survey (EHIS)[1] und zum anderen dem Demographic and Health Survey von 2014.[2] Auf der Website des Ministeriums für Gesundheit und Bevölkerung konnten keine aktuelleren Erhebungen zur Prävalenz von Genitalverstümmelung in Ägypten gefunden werden.

 

Das UNICEF-Profil zeigt eine relativ gleichmäßige Verteilung der Praxis der Genitalverstümmelung über die verschiedenen Provinzen: Mit Ausnahme der beiden Grenzprovinzen des Sinai im Osten und der Provinz Matruh im Nordwesten wird die Beschneidungsrate bei Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren mit über 80 Prozent angegeben. In ärmlichen und ländlichen Gebieten sei die Rate höher und liege bei über 90 Prozent. (UNICEF, Februar 2016)

 

Was das Alter der Beschneidung anlange, so seien zehn Prozent der betroffenen Mädchen im Alter ab der Geburt bis zu vier Jahren, 61 Prozent im Alter von fünf bis zehn Jahren, und 29 Prozent im Alter von elf bis 14 Jahren der Praxis unterzogen worden (UNICEF, Februar 2016).

Ein BBC-Artikel verweist auf Angaben von AktivistInnen, die sich gegen FGM einsetzen, denen zufolge das typische Alter für die Beschneidung von Mädchen zwischen neun und 13 Jahren liege. Es gebe jedoch auch Opfer von Beschneidungen, die lediglich sechs Jahre alt seien. (BBC, 29. Juli 2016)

 

In den letzten Jahren sei ein Rückgang der Praxis bei der heranwachsenden Generation verzeichnet worden (UNICEF, Februar 2016; Freedom House, Januar 2018). So seien auf Basis von Daten aus dem Jahr 2015 in der Altersgruppe 45 bis 49 Jahre noch 97 Prozent der Frauen beschnitten, in der jüngsten Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren liege der Anteil bei siebzig Prozent (UNICEF, Februar 2016). Im Vergleich dazu habe in derselben Altersgruppe (15 bis 19 Jahre) basierend auf Daten aus dem Jahr 2008 der Anteil noch bei 81 Prozent gelegen (USDOS, 3. März 2017). Das Nationale Programm für die Bekämpfung von FGM der ägyptischen Regierung habe laut Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch angegeben, dass in der Altersgruppe von 15 bis 17 Jahren die Beschneidungsrate von 74 Prozent im Jahr 2005 auf 55 Prozent im Jahr 2015 zurückgegangen sei (HRW, 18. Januar 2018).

 

Ein Großteil der Eingriffe (78 Prozent) werde von medizinischem Personal vollzogen, der Rest von traditionellen BeschneiderInnen (UNICEF, Februar 2016). Eine Reportage des Nachrichtenmagazins Spiegel zitiert einen Imam, der sich in der Provinz Bani Suwaif gegen die Praxis einsetze. Laut dessen Aussagen habe sich die Praxis sogar weiterverbreitet, weil die Eltern den durch medizinisches Personal vorgenommenen Eingriff für hygienischer und sicherer halten würden (Spiegel Online, 28. Dezember 2017).

Vorkommen von FGM in der Provinz Scharqiya, Zwang/Druck vonseiten der Großfamilie oder lokaler Gemeinschaften auf die Eltern eines Mädchens (7 Jahre alt)

Es konnten nur wenige Informationen speziell zum Vorkommen weiblicher Genitalverstümmelung in der Provinz Scharqiya gefunden werden. Die folgenden Quellen enthalten daher auch allgemeine Informationen zur gesellschaftlichen Bedeutung von FGM und zu sozialem Druck auf Eltern, eine Beschneidung ihrer Tochter zu veranlassen.

 

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Die weibliche Genitalverstümmelung habe eine lange Tradition in Ägypten, deren Ursprung nicht genau bekannt sei (Goethe-Institut, November 2017). Sie werde im ganzen Land, in muslimischen sowie christlichen Gemeinschaften durchgeführt und auf jungen Frauen laste ein starker sozialer und patriarchalischer Druck, sich dem Eingriff zu unterziehen, um später heiraten zu können (DFAT, 19. Mai 2017, S. 21). Die höchsten religiösen Autoritäten in Ägypten hätten im Juni 2016 und bereits in einer früheren Erklärung von 2007 die Genitalverstümmelung als nicht islamische Praxis bezeichnet und deren Abschaffung gefordert (DFAT, 19. Mai 2017, S. 21). Bereits 2006 habe der Großmufti und Professor für Rechtswissenschaft an der Al-Azhar-Universität, Ägyptens wichtigster islamischer Institution, die Genitalverstümmelung als eine Praxis verurteilt, die nicht mit den Werten des Islam vereinbar sei (Zeit Online, 25. November 2013). Auch die ägyptischen Kirchenautoritäten hätten sich in mehreren Kundmachungen gegen die Praxis ausgesprochen (Akhbar Al Youm, 2. Februar 2018).

 

Ein Artikel der Wochenzeitung Die Zeit berichtet, dass in bildungsfernen und ländlichen Bevölkerungsschichten insbesondere Großmütter auf die Durchführung der Praxis beharren würden, damit das Mädchen körperlich und moralisch rein gehalten werde und sich sittsam verhalte (Zeit Online, 27. Oktober 2014). Der Spiegel berichtet, dass die Zustimmung für FGM in der Bevölkerung weiterhin noch recht hoch sei und dabei die Praxis oft von der Mutter an die Tochter weitergegeben werde. Studien zufolge steige die Wahrscheinlichkeit der Beschneidung für ein Mädchen, wenn dessen Mutter ebenfalls beschnitten sei (Spiegel Online, 28. Dezember 2017).

 

Im Dezember 2016 veröffentlicht das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo einen ausführlichen Bericht zur weiblichen Genitalverstümmelung in Ägypten. Im Bericht bezieht sich Landinfo auf soziologische Studien aus den Jahren 2013 und 2014, die sich unter anderem damit befassen, wer innerhalb der Familie die Entscheidung zu einem FGM-Eingriff bei den jungen Mädchen fällt. Einer Studie aus 2013 zufolge seien Männer der Auffassung, dass die Entscheidung zu einem Eingriff in der Verantwortung der Frauen der Familie, zumeist bei den Müttern und manchmal bei den Großmüttern, liege. In der jüngeren Generation würden sich aber auch zunehmend die Väter an der Entscheidung beteiligen. Eine Studie von 2014 habe 410 Mütter mit jungen Töchtern über die Entscheidung zu FGM befragt. In vielen Fällen würden Mütter den Rat von Familienmitgliedern einholen, hätten jedoch bezüglich der endgültigen Entscheidung das letzte Wort. Etwa die Hälfte der Befragten habe angegeben, dass ihnen die Meinung ihres Ehemannes wichtig sei. 32 Prozent hätten den Rat der eigenen Mutter, der Großmutter des Mädchens, eingeholt. 13 Prozent hätten auf die Meinungen sowohl des Ehemannes als auch der Großmutter gehört. Die Studie habe aber auch ergeben, dass Mütter die endgültige Entscheidung fällen, sich aber oft stark auf den Rat von Ärzten stützen würden. Eine weitere Quelle habe laut Landinfo ebenfalls angegeben, dass sich Mütter bei ihrer Entscheidung auf die Meinungen von Medizinern und älteren Frauen stützen würden. (Landinfo, 19. Dezember 2016, S. 27-28)

 

Was die Entscheidungsmöglichkeiten angehe, so schreibt Landinfo, dass die Eltern der Kinder normalerweise das letzte Wort bei wichtigen Entscheidungen hätten, auch wenn sie selbst noch relativ jung seien. Obwohl man von ihnen erwarte, auf Familienmitglieder mit mehr Lebenserfahrung zu hören, würden sie auch als Personen anerkannt, die bereits Kinder bekommen hätten und mit einem Handlungsspielraum ausgestattet seien. Daher erwarte man von ihnen, Entscheidungen für sich selbst und die Kinder in eigener Verantwortung zu treffen. Die Intervention vonseiten der Großeltern, Tanten oder Onkel sei gesellschaftlich nur begrenzt akzeptiert. Es sei gesellschaftlich nicht akzeptiert, den Eltern der Kinder mit Gewalt zu drohen oder Gewalt anzuwenden, wenn angenommen werde, dass sie in der Erziehung ihrer Kinder falsche Entscheidungen treffen würden. Landinfo habe keine Quellen mit Beispielen gefunden, in denen Eltern, die sich gegen eine Beschneidung ihrer Tochter gewehrt hätten, Opfer von Drohungen oder Gewalt geworden seien. Es sei jedoch auch nicht unüblich, dass Eltern manchmal großem Druck vonseiten der Verwandten ausgesetzt seien, indem diese damit drohen würden, bei anderen Angelegenheiten Unterstützung und Hilfe zu unterlassen. In einer Gesellschaft, in der die Familie in Krisensituationen sehr wichtig sei, handle es sich hierbei um schwerwiegende Drohungen. Manchmal würden Eltern auch entgegen den Einstellungen ihrer Familie und Freunde handeln, ohne es offen zu sagen. Laut dem ägyptischen Nationalen Bevölkerungsrat gebe es anekdotische Berichte, in denen Eltern, die eine Beschneidung ihrer Töchter offen ablehnen würden, negativen Reaktionen ausgesetzt seien, es könne jedoch nicht gesagt werden, wie verbreitet diese Reaktionen seien. (Landinfo, 19. Dezember 2016, S. 28-29)

 

Der deutsche Auslandsrundfunksender Deutsche Welle (DW) erwähnt in einem Artikel vom Februar 2015, dass es in Ägypten unterschiedliche Auffassungen darüber gebe, ob eine Beschneidung von Frauen notwendig sei. Eine Lehrerin aus der Provinz Scharqiya habe berichtet, dass sie kürzlich ihre Tochter einem solchen Eingriff unterzogen habe. Man habe sich daran gewöhnt, so die Lehrerin, Mädchen in einem gewissen Alter zu beschneiden, um deren sexuelle Lust einzuschränken. Sie habe einen Arzt aufgesucht, da Ärztinnen sich vor einer Strafe fürchten würden. Eingriffe würden in der Nacht durchgeführt. Sie habe vorher viel in religiösen Büchern gelesen und betrachte die Beschneidung von Frauen als religiöse Pflicht. Eine Frau aus der Provinz Minya, die als Putzkraft arbeite, habe erzählt, dass sie ihre Tochter trotz Druck vonseiten ihrer Familie nicht habe beschneiden lassen, da sie um Zukunft der Tochter besorgt gewesen sei. Sie habe selbst damals als Mädchen schlimme Erfahrungen gemacht und habe infolge des Eingriffes in Lebensgefahr geschwebt. Ein Bauer aus der Provinz Scharqiya habe sich darüber erbost gezeigt, dass seine Frau zwei Monate zuvor die Tochter einer Beschneidung unterzogen habe. Er sei überzeugt, dass die Familien in seinem Dorf alle die Beschneidung der Mädchen durchführen würden, er könne dies aber nicht verstehen, da sich diese Praxis auf das sexuelle Leben des Mädchens auswirke. (DW, 6. Februar 2015)

 

Die Nachrichtenwebsite Dot Msr berichtet im Februar 2016 über einen Dorfvorsteher eines Ortes nahe der Stadt Minya al-Qamh in der Provinz Scharqiya, der gesagt habe, dass die Praxis der Beschneidung von Frauen trotz der Tatsache, dass sie strafbar sei, weiterhin durchgeführt werde. Beschneiderinnen, sogenannte „Dajat“ hätten traditionell die Beschneidungen durchgeführt. Seit der Kriminalisierung des Eingriffs würden Beschneidungen im Geheimen von Ärzten oder auch von den Dajat durchgeführt. Laut dem Dorfvorsteher sei die Beschneidung von Frauen ein altes Phänomen, das nicht einfach aufhören werde. Frauen seien es gewohnt, ihre Töchter beschneiden zu lassen. Die Beschneiderinnen in seinem Ort seien „kompetent“ und es sei noch bei keinem Mädchen zu Komplikationen gekommen. Der Vertreter des Gesundheitsministeriums in der Provinz Scharqiya habe angegeben, dass seit seinem Amtsantritt im April 2015 keine Anzeigen wegen weiblicher Genitalverstümmelung bei ihm eingegangen seien. (Dot Msr, 6. Februar 2016)

 

Auf dem Blog des ägyptischen Fernsehmoderators Wael al Ibrashi findet sich ein Videoausschnitt seiner Sendung Al Aschira Masa’an auf dem Fernsehsender Dream TV vom August 2016. Im Videoausschnitt wird berichtet, dass trotz der Tatsache, dass weibliche Genitalverstümmelung ein Straftatbestand sei, es in Ägypten immer noch Regionen gebe, in denen FGM praktiziert werde. Im Dorf Dschuhaina Faqous in der Provinz Scharqiya seien viele Mädchen dem Eingriff unterzogen worden. Im Video werden Personen aus dem Ort auf der Straße zu diesem Thema befragt. Mehrere Frauen geben an, dass sie für die Beschneidung seien, da es sich dabei um eine religiöse Vorschrift handle. Laut einer Frau führe eine nicht erfolgte Beschneidung zu Schikanen und Beleidigungen auf der Straße. Eine andere Frau spricht von der langen Tradition dieses Eingriffs und dass ihre Mutter und ihre Großeltern diese Praxis befürworten würden. Ein Mann gibt an, seine Töchter aufgrund religiöser Vorschriften dem Eingriff unterzogen zu haben. Eine weitere Frau erzählt ebenfalls, dass es sich bei der Beschneidung um eine religiöse Vorschrift handle, ihre Vorfahren ebenfalls so gehandelt hätten und daher ihre Töchter mit 15 und 20 Jahren FGM unterzogen worden seien. Eine weitere Befragte gibt an, dass die Beschneidung von Frauen dazu führe, dass sich das Mädchen in der Öffentlichkeit bewege, ohne nach Männern Ausschau zu halten oder auf deren Annäherungsversuche zu reagieren. Ein Mädchen gibt an, zwei Jahre zuvor von einem Arzt beschnitten worden zu sein. (Wael Ibrashi, August 2016)

 

Die ägyptische Online-Nachrichtenwebsite Sot al-Umma berichtet im Juni 2017 über die Verbreitung von FGM in der Provinz Scharqiya. Ein Mitglied des Nationalen Frauenrates in der Provinz Scharqiya, Ayida Atiya, habe angegeben, dass laut der letzten im Rahmen des Demographic and Health Survey erhobenen Statistik von 2014 in der Provinz Scharqiya 92 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren von FGM betroffen seien. Bei Mädchen unter 17 Jahren liege die Beschneidungsrate bei 60 Prozent und es werde erwartet, dass infolge der Bewusstseinsschaffung über die gesundheitlichen Folgen des Eingriffs die Rate bei der nächsten Umfrage des Demographic and Health Survey, der für das Jahr 2018 angesetzt sei, deutlich geringer ausfallen werde. Laut Atiya sei die weibliche Genitalverstümmelung eher auf dem Land als in den Städten und eher in Oberägypten als an den Küsten verbreitet. Der Nationale Frauenrat habe in der Provinz Scharqiya bewusstseinsschaffende Kampagnen durchgeführt, bei denen man in den Dörfern von Haus zu Haus gegangen sei, um vor den Gefahren von FGM zu warnen. Solche Kampagnen werde man in Zukunft noch verstärken. Weibliche Genitalverstümmelungen würden heute zumeist von Ärzten und Krankenschwestern und nicht mehr von den traditionellen Dorfhebammen beziehungsweise Beschneiderinnen (Dajat) durchgeführt. (Sot al-Umma, 28. Juni 2017)

Schutz vor Genitalverstümmelung durch staatliche Behörden, insbesondere bei Bedrohung durch Familienangehörige, strafrechtliche Verfolgung

Seit 2008 sei die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung gesetzeswidrig (DFAT, 19. Mai 2017; The Guardian, 1. September 2016). Im September 2016 sei der Straftatbestand FGM von einem geringeren Vergehen zu einem Straftatbestand verschärft worden (USDOS, 3. März 2017, Section 6; Al Masry Al Youm, 14. Juni 2017). Seither gelte eine Gefängnisstrafe von fünf bis sieben Jahren für Personen, die die Praxis durchführen, beziehungsweise bis zu 15 Jahren, wenn der Eingriff zum Tod der Betroffenen oder zu einer „permanenten Missbildung“ führe (USDOS, 3. März 2017, Section 6; HRW, 12. Januar 2017). Personen, die Mädchen zu einem solchen Eingriff begleiten würden, würden nach der Gesetzesänderung mit einer Haftstrafe von einem bis zu drei Jahren bestraft (USDOS, 3. März 2017, Section 6; HRW, 12. Januar 2017; AI, 22. Februar 2017). Menschenrechtsorganisationen hätten die Novellierung des Gesetzes jedoch dahingehend kritisiert, dass sie Ausnahmen in Fällen „medizinischer Notwendigkeit“ ermögliche (USDOS, 3. März 2017, Section 6). Die ägyptische Nichtregierungsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) bemängelt in der Hinsicht den Artikel 61 des Strafgesetzbuches, der die Strafe für FGM aussetzt, wenn die weibliche Genitalverstümmelung als nötiger Eingriff zur Verhinderung von körperlichem Schaden oder zum Schutz der jeweiligen Person durchgeführt worden sei. Dieser Artikel, so EIPR, ermögliche Durchführern der Praxis die Straffreiheit, indem argumentiert werde, dass die Beschneidung erfolgt sei, um das Leben des Mädchens zu retten, beziehungsweise der Eingriff medizinisch notwendig gewesen sei (EIPR, 15. Oktober 2016).

 

Mehrere Quellen berichten, dass das Strafgesetz bezüglich FGM nur unzulänglich umgesetzt werde (Freedom House, Januar 2018; DFAT, 19. Mai 2017; HRW, 12. Januar 2017; USDOS, 3. März 2017, Section 6). Freedom House spricht von mangelnder Umsetzung, gesellschaftlichem Widerstand, missbräuchlicher Handhabung durch die Polizei und einem Mangel an adäquatem Zeugenschutz als Faktoren, die Opfer davon abhalten würden, Verstöße wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und Beschneidungen von Frauen zur Anzeige zu bringen (Freedom House, Januar 2018). FGM sei ein besonderer Straftatbestand, da er in gegenseitigem Einverständnis zwischen der Familie und der Person, die den Eingriff durchführe, erfolge, was eine Anzeige und Strafverfolgung erschwere (Al Masry Al Youm, 14. Juni 2017). Oft komme es lediglich dann zu einer Strafverfolgung, wenn Mädchen an den Folgen des Eingriffs sterben würden (DFAT, 19. Mai 2017; The Guardian, 1. September 2016). Im Januar 2017 berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), dass es seit der ersten Aufnahme ins Strafgesetzbuch 2008 zu einer Verurteilung in einem Fall weiblicher Genitalverstümmelung gekommen sei (HRW, 12. Januar 2017). Im Mai 2017 habe eine ägyptische Zeitung berichtet, dass seit der Verschärfung des Gesetzes im August 2016 in drei Fällen von FGM ermittelt und diese Fälle an die Strafverfolgungsbehörden übergeben worden seien (HRW, 18. Januar 2018). Das ägyptische Nachrichtenportal Akhbar Al Youm berichtet von drei im Zeitraum 2008 bis zur Gesetzesverschärfung 2016 an Gerichte verwiesene Fälle weiblicher Genitalverstümmelung. Seit der Gesetzesverschärfung seien 2016 bis 2017 sechs Fälle im Zusammenhang mit FGM gerichtlich verhandelt worden (Akhbar Al Youm, 2. Februar 2018). Laut der ägyptischen Nichtregierungsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) sehe das Gesetz gegen weibliche Genitalverstümmelung keine für die Umsetzung des Gesetzes notwendige Mechanismen vor. Auch die novellierte Fassung von 2016 enthalte keine Maßnahmen, die Anzeigen von FGM erleichtern würden. Strengere Strafen für Familienmitglieder würden im Gegenteil dazu führen, dass FGM selbst in Fällen, wo es zu Komplikationen oder sogar zum Tod beim Eingriff komme, weniger zur Anzeige gebracht werde. Die Leiter medizinischer Einrichtungen und Krankenhäuser würden sich nicht strafbar machen, wenn sie von Eingriffen dieser Art in ihren Einrichtungen gewusst und sie trotzdem nicht zur Anzeige gebracht hätten. (EIPR, 15. Oktober 2016)

Im Januar 2015 sei es zum ersten Mal zu einer Verurteilung eines Arztes gekommen, der einen FGM-Eingriff vorgenommen habe, im Zuge dessen ein 13-jähriges Mädchen verstorben sei (BBC, 29. Juli 2016; The Guardian, 1. September 2016). Der Arzt sei jedoch einer Festnahme entkommen und habe Berichten zufolge weiterhin seinen Beruf ausgeübt (USDOS, 3. März 2017, Section 6). Erst eine national und international geführte Kampagne habe ihn dazu bewegt, sich der Festnahme zu fügen (BBC, 29. Juli 2016). Nach drei Monaten Haft sei der Arzt jedoch wieder entlassen worden, nachdem er mit der Familie des Mädchens verhandelt habe (The Guardian, 1. September 2016). Laut einem ägyptischen Richter schiebe das Gesetz der Möglichkeit privater Mediation keinen Riegel vor. Familien, die ein Mädchen zu einem FGM-Eingriff begleiten würden, würden dies nicht öffentlich machen, da sie selbst mit einer Haftstrafe belegt werden könnten (The Guardian, 1. September 2016). Im Mai 2016 sei ein 17-jähriges Mädchen nach einem in einer Privatklinik in Suez vorgenommenen FGM-Eingriff gestorben, woraufhin vier Personen angeklagt worden seien (AI, 22. Februar 2017; USDOS, 3. März 2017, Section 6). Unter den wegen Körperverletzung mit Todesfolge und weiblicher Genitalverstümmelung angeklagten Personen sei die Mutter des Mädchens sowie medizinisches Personal gewesen (AI, 22. Februar 2017). Im Dezember 2016 habe das Strafgericht von Suez den Arzt, der den Eingriff durchgeführt habe, zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und einer Geldstrafe von 50.000 Ägyptischen Pfund (etwa 2.294 Euro, Anm. ACCORD) verurteilt (USDOS, 3. März 2017, Section 6). Die Mutter und zwei weitere Angeklagte seien zu einer einjährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 5.000 Ägyptischen Pfund (etwa 231 Euro, Anm. ACCORD) verurteilt worden (USDOS, 3. März 2017, Section 6).

 

Mehreren Quellen zufolge gebe es verschiedene Kampagnen und Programme, bei denen staatliche Gremien und Organisationen der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung von FGM zusammenarbeiten würden. Seit 2003 gebe es das „Nationale Programm gegen FGM“, eine gemeinsame Initiative des Nationalen Rates für die Bevölkerung und des Ministeriums für Gesundheit und Bevölkerung, das sich seither dafür einsetze, die Problematik FGM auf die Agenda der Regierung zu setzen (Akhbar Al Youm, 2. Februar 2018). Der Nationale Frauenrat versuche die Praxis auf dem Land zu bekämpfen, indem AktivistInnen von Tür zu Tür gehen und Aufklärungsunterricht in den Schulen abhalten würden (Spiegel Online, 28. Dezember 2017).

 

Das Nationale Programm gegen FGM setze sich dafür ein, dass der medizinische Sektor stärker überwacht werde, da dort die Ärzte seien, die die Straftat FGM begehen würden. Eine Gruppe von Professoren an medizinischen Fakultäten habe die Initiative „Ärzte gegen FGM“ gegründet, die einen Lehrplan zur Bekämpfung von FGM entwickelt habe (Al Masry Al Youm, 14. Juni 2017; Wizarat as-Sihha wa-s-Sukkan, 6. Februar 2018). Dieser Lehrplan, der an fünf Fakultäten für Frauen und Geburtsmedizin im Landimplementiert worden sei, solle Ärzte darauf vorbereiten, Familien davon abzuraten, die Praxis durchzuführen (Al Masry Al Youm, 14. Juni 2017). In den Gesundheitszentren, in die Mütter zur Impfung ihrer Kinder kommen würden, würden Karten ausgegeben, auf denen FGM als Straftatbestand dargestellt und mögliche Folgen eines Eingriffes erklärt würden (Al-Ahram, ohne Datum a).

 

Sowohl das Dar al-Iftah (höchste Institution für islamische Rechtsfragen in Ägypten, Anm. ACCORD) als auch die Führung der koptischen Kirche in Ägypten hätten sich in mehreren Stellungnahmen gegen FGM ausgesprochen und die Praxis auch religiös für illegitim erklärt (Wizarat as-Sihha wa-s-Sukkan, 6. Februar 2018; Al Masry Al Youm, 14. Juni 2017). Die koptisch-orthodoxe Kirche habe beispielsweise 2017 eine Sensibilisierungskampagne durchgeführt, bei der Warnschilder gegen FGM an Taufkirchen angebracht und die Problematik bei Informationsveranstaltungen thematisiert worden sei (Der Standard, 27. Juli 2017).

 

In Zusammenarbeit mit mehreren Medienorganisationen habe das Nationale Programm gegen FGM im Jahr 2017 die Kampagne „Kifaya Khitan al-Banat“ (Genug der Beschneidung von Frauen) durchgeführt, innerhalb derer Videos, Dokumentarfilme und Berichte zur Bewusstseinsschhaffung über FGM von Fernsehen, Radio und Zeitungen verbreitet worden seien (Akhbar Al Youm, 2. Februar 2018; Al Masry Al Youm, 14. Juni 2017). Auch in den sozialen Medien sei die Kampagne aufgegriffen worden (Wizarat as-Sihha wa-s-Sukkan, 6. Februar 2018). Laut dem Spiegel seien solche Fernsehkampagnen Umfragen zufolge besonders erfolgreich, jedoch gebe es auf der anderen Seite auch TV-Formate, in denen sich muslimische Kleriker für die Beschneidung von Frauen einsetzen würden (Spiegel Online, 28. Dezember 2017). Die in staatlichem Besitz befindliche ägyptische Zeitung Al-Ahram unterhält ein eigenes Internetportal zur Kampagne „Kifaya khitan al-banat“ (Genug der Beschneidung von Frauen), das verschiedene Aufklärungsmaterialien zur Problematik enthält. Hier werden auch zwei Hotlines angegeben (Hotline Kindernotruf: 16000 und Hotline für Familienberatung: 16021), die man wählen könne, um weibliche Genitalverstümmelung anzuzeigen (Al Ahram, ohne Datum b). Auch der Spiegel erwähnt die Hotline des Kindernotruf, bei der man anrufen könne, um die Behörden über einen bereits erfolgten oder drohenden Eingriff der weiblichen Genitalverstümmelung zu informieren. Bei einem Anruf solle dann die Polizei vorbeikommen und kontrollieren. Laut einem Mitglied des Nationalen Frauenrates werde diese Hotline aber meist nur im Falle von Komplikationen, die beim Eingriff auftreten könnten, genutzt (Spiegel Online, 28. Dezember 2017).

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 22. März 2018)

 

 

[1] Die gesamte Studie vom 2015 (Egyptian Health Issues Survey, EHIS) findet sich unter folgendem Link: https://dhsprogram.com/pubs/pdf/FR313/FR313.pdf

[2] Die gesamte Studie von 2014 (Demographic and Health Survey, DHS) findet sich unter folgendem Link  https://dhsprogram.com/pubs/pdf/FR302/FR302.pdf