Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Venezuela

Berichtszeitraum: 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016

Amtliche Bezeichnung: Bolivarische Republik Venezuela
STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN: Nicolás Maduro Moros

Die Regierung rief den wirtschaftlichen Notstand, der mehrfach verlängert wurde, sowie den Ausnahmezustand aus. Die Mehrzahl der Personen, die mutmaßlich die Verantwortung für die während der Proteste im Jahr 2014 verübten völkerrechtlichen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen tragen, war noch nicht vor Gericht gestellt worden. In den Gefängnissen herrschten weiterhin Überbelegung und Gewalt. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt standen beim Zugang zur Justiz vor hohen Hürden. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten waren häufig Angriffen und Einschüchterungsversuchen sowie Verleumdungskampagnen ausgesetzt. Politische Gegner und Regierungskritiker wurden weiterhin inhaftiert. Berichten zufolge wandten Polizei und Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt an.

HINTERGRUND

Am 15. Januar 2016 verhängte Präsident Maduro den wirtschaftlichen Notstand, der das ganze Jahr über galt, außerdem verfügte er am 13. Mai einen landesweiten Ausnahmezustand. Damit wurden auch Bestimmungen eingeführt, die zur Einschränkung der Aktivitäten von Zivilgesellschaft und NGOs führen könnten. So wurden die Behörden ermächtigt, Verträge von venezolanischen Organisationen bzw. juristischen Personen mit Unternehmen oder Institutionen mit Sitz im Ausland zu überprüfen.

Die Behörden legten keinen Bericht über die Ergebnisse der Umsetzung des im Jahr 2015 beschlossenen Nationalen Menschenrechtsplans (Plan Nacional de Derechos Humanos) vor.

Die meisten der vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erlassenen Urteile und Anordnungen, die Venezuela betrafen, waren bis Ende 2016 noch nicht umgesetzt worden.

Die Nahrungs- und Arzneimittelknappheit verschärfte sich dramatisch und zog Proteste im ganzen Land nach sich. Im Juli 2016 verkündete die Regierung eine neue, vorübergehende obligatorische Arbeitsregelung, wonach Beschäftigte in öffentlichen und privaten Betrieben in staatliche Nahrungsmittelbetriebe versetzt werden können, was Zwangsarbeit gleichkommt.

Im Oktober 2016 erklärte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, dass mehrere UN-Sonderberichterstatter Schwierigkeiten gehabt hätten, das Land zu besuchen, da ihnen die Regierung nicht die benötigten Genehmigungen erteilt habe.

Im November 2016 wurde die Lage der Menschenrechte in Venezuela zum zweiten Mal im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) durch den UN-Menschenrechtsrat begutachtet.

Die zeitliche Befristung der Arbeitsverträge von 60 % der Richter gab Anlass zu der Befürchtung, dass sie sich durch politischen Druck beeinflussen lassen könnten. Gegen Zivilpersonen wurden Verfahren vor Militärgerichten durchgeführt, was gegen internationale Menschenrechtsstandards verstößt. Polizeikräfte weigerten sich, gerichtlichen Anordnungen zur Freilassung von Häftlingen nachzukommen.

Die Befugnisse der von der Opposition dominierten Nationalversammlung wurden durch Beschlüsse des Obersten Gerichtshofs stark eingeschränkt, was die Möglichkeiten der Abgeordneten, indigene Gemeinschaften zu vertreten, beeinträchtigte. Das Gericht annullierte auch eine Erklärung des Parlaments zur Nichtdiskriminierung von Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Ebenso hob der Oberste Gerichtshof eine Vereinbarung auf, die festschrieb, dass den von zwischenstaatlichen Organisationen getroffenen Entscheidungen nachzukommen sei.

STRAFLOSIGKEIT

Der Rückzug des Landes aus der Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2013 führte auch weiterhin dazu, dass Opfern von Menschenrechtsverletzungen und ihren Angehörigen der Zugang zu Recht, Wahrheit und Wiedergutmachung versperrt blieb.

Im Dezember 2016 wurden zwei Behördenvertreter der Ermordung von Bassil Da Costa und Geraldine Moreno bei Protesten im Jahr 2014 für schuldig befunden. Dennoch gab es kaum Fortschritte, um auch diejenigen vor Gericht zu stellen, die für die Tötung von 41 weiteren Personen – darunter Sicherheitskräfte – sowie für Folter und anderweitige Misshandlungen von Demonstrierenden während der Proteste verantwortlich waren. Unter den Tatverdächtigen befanden sich auch Angehörige der Sicherheitskräfte. Den vom Generalstaatsanwalt (Fiscal General) während des UPR-Verfahrens erteilten Informationen zufolge waren neun Behördenvertreter wegen verschiedener Straftaten schuldig gesprochen worden. Gegen 18 weitere werde noch ermittelt; allerdings seien im Vorjahr 298 Ermittlungen eingeleitet worden. Die einzige von der Generalstaatsanwaltschaft veröffentlichte offizielle Angabe betraf jedoch die Verurteilung eines Mannes wegen der im Jahr 2014 in der Stadt Los Teques im Bundesstaat Miranda begangenen Tötung von Adriana Urquiola Pérez.

Im Januar 2016 legte die Staatsanwaltschaft dem Parlament einen Bericht vor, der aufzeigte, dass im Jahr 2015 über 11000 Anzeigen wegen völkerrechtlicher Verbrechen und Verletzungen von Menschenrechten eingingen. Gleichzeitig wurden lediglich 77 Gerichtsverfahren eingeleitet. Wegen der Tötung von acht Mitgliedern der Familie Barrios und der Bedrohung und Einschüchterung weiterer Angehöriger dieser Familie im Bundesstaat Aragua seit 1998 ist bisher niemand vor Gericht gestellt worden. Alcedo Mora Márquez, Mitarbeiter des Regierungssekretariats im Bundesstaat Mérida und Gemeindesprecher in dieser Region, wird seit Februar 2015 vermisst. Vor seinem “Verschwinden” hatte er in mehreren Fällen Anzeige wegen des Fehlverhaltens lokaler Staatsbediensteter erstattet.

Seit März 2016 wurden 28 informelle Goldgräber im Bundesstaat Bolívar vermisst. Im Oktober legte die Staatsanwaltschaft einen Bericht vor, in dem sie mitteilte, dass sie die Leichname der Bergarbeiter gefunden und die Verantwortlichen für ihr Verschwindenlassen ermittelt habe. Zwölf Personen wurden wegen Mordes, Raubüberfalls und “Freiheitsberaubung” angeklagt.

EXZESSIVE GEWALTANWENDUNG

Berichten zufolge wandten die Sicherheitskräfte weiterhin unverhältnismäßige Gewalt an, insbesondere bei der Niederschlagung von Protesten gegen die Nahrungs- und Arzneimittelknappheit. Im Juni 2016 wurde Jenny Ortiz Gómez durch mehrere Kopfschüsse getötet, als Polizisten Operationen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durchführten. Der mutmaßliche Täter wurde wegen vorsätzlicher Tötung und missbräuchlichen Schusswaffeneinsatzes angeklagt.

Laut Angaben der Venezolanischen Beobachtungsstelle für soziale Konflikte (Observatorio Venezolano de Conflictividad Social) fanden im Verlauf des Jahres 2016 etwa 590 Proteste pro Monat statt. Die meisten davon standen im Zusammenhang mit Forderungen nach wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, insbesondere dem Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung und Wohnraum.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Menschenrechtsverteidiger wurden weiterhin von den staatlichen Medien und hochrangigen Regierungsbeamten attackiert und eingeschüchtert.

Im April 2016 wurde Humberto Prado Sifontes, Direktor der Venezolanischen Beobachtungsstelle für die Gefängnisse (Observatorio Venezolano de Prisiones – OVP), ein weiteres Mal Opfer von Drohungen und Verunglimpfungen, nachdem seine E-Mail-Kommunikation und seine Konten in den sozialen Medien gehackt worden waren. Zuvor war ein Interview mit ihm veröffentlicht worden, in dem er über die Krise und die Gewalt im venezolanischen Strafvollzugssystem berichtet hatte.

Im Mai 2016 schossen Polizisten mit einem Luftgewehr auf Rigoberto Lobo Puentes und trafen ihn an Kopf und Rücken, als er während eines Protests im Bundesstaat Mérida Verletzten helfen wollte. Rigoberto Lobo Puentes ist Mitarbeiter der Beobachtungsstelle für Menschenrechte der Universität der Anden (Observatorio de Derechos Humanos de la Universidad de los Andes). Die Polizisten schossen auch dann noch auf ihn, als er schon in seinen Wagen gestiegen war.

Im Juni 2016 wurde das Fahrzeug, in dem die Rechtsanwältin Raquel Sánchez und ihr Kollege Oscar Alfredo Ríos von der NGO Foro Penal Venezolano unterwegs waren, im Bundesstaat Táchira von einer Gruppe Vermummter angegriffen. Sie schlugen auf die Windschutzscheibe und die Seitenfenster des Fahrzeugs ein und brachten Raquel Sánchez, als sie aus dem Wagen stieg, durch Schläge auf ihren Kopf schwere Verletzungen bei.

HAFTBEDINGUNGEN

Die Gefängnisse waren weiterhin stark überbelegt. Trotz der Ankündigung, neue Haftanstalten einzurichten, verschlechterten sich die Haftbedingungen – auch hinsichtlich der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Gesundheitsleistungen. Die Existenz von Waffen in den Gefängnissen stellte weiterhin ein Problem dar, das die Behörden nicht in den Griff bekamen. Angaben der OVP zufolge überstieg die Anzahl der Häftlinge die Unterbringungskapazitäten der Gefängnisse im ersten Halbjahr 2016 um 190 %. Lokale NGOs machten auch auf die kritische Situation in den Untersuchungsgefängnissen aufmerksam.

Im März 2016 wurden in der Strafanstalt Centro Penitenciario Fénix im Bundesstaat Lara 57 Personen verletzt. Unter ihnen befanden sich vier Gefangene, ein Aufseher und der Gefängnisdirektor.

Im August 2016 wurden während eines Aufstands im Gefängnis Centro Penitenciario Aragua sieben Personen durch Granaten getötet und mehrere weitere verletzt.

Im Oktober 2016 wurden mehrere Gefangene aus der Strafvollzugsanstalt Penitenciaría General de Venezuela in andere Hafteinrichtungen verlegt, nachdem eine wochenlange Konfrontation zwischen Insassen und der Armee-Einheit Guardia Nacional Bolivariana (GNB) stattgefunden hatte. Die GNB soll bei den Auseinandersetzungen mit exzessiver Gewalt vorgegangen sein.

Die Ombudsstelle machte einen Vorschlag, um die Überbelegung in den Untersuchungsgefängnissen zu reduzieren. Der von der Ombudsstelle dem Parlament vorgelegte Jahresbericht bezifferte die Anzahl der in Polizeieinrichtungen einsitzenden Untersuchungshäftlinge auf 22759. Diese Zahl überstieg die vorhandenen Kapazitäten und führte zur Verbreitung von Krankheiten und zu Gewaltausbrüchen.

WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN UND INHAFTIERUNGEN

Ende 2016 stand der Anwalt Marcelo Crovato noch immer unter Hausarrest. Er war im April 2014 ohne Anklageerhebung inhaftiert worden, weil er Personen verteidigt hatte, deren Häuser bei Protestveranstaltungen von den Behörden durchsucht worden waren. 2015 hatte man ihn unter Hausarrest gestellt.

Entscheidungen der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen waren bis zum Jahresende 2016 von den Behörden noch nicht umgesetzt worden. Dazu gehörten Entscheidungen in den Fällen der beiden bekannten Regierungskritiker Daniel Ceballos und Antonio Ledezma.

Im Juni 2016 wurden Francisco Márquez und Gabriel San Miguel, die die Oppositionspartei Voluntad Popular (Wille des Volkes) unterstützten, festgenommen. Sie befanden sich auf dem Weg von der Hauptstadt Caracas in den Bundesstaat Portuguesa, um dort bei der Organisation von Wahlaktivitäten zu helfen. Im August wurde Gabriel San Miguel auf freien Fuß gesetzt, nachdem sich die spanische Regierung für ihn eingesetzt hatte. Francisco Márquez kam im Oktober frei.

Emilio Baduel Cafarelli und Alexander Tirado Lara wurden dreimal in als gefährlich geltende Haftanstalten verlegt, weshalb Befürchtungen laut wurden, dass ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit gefährdet sein könnten. Sie waren wegen Aufwiegelung, Störung der öffentlichen Ordnung durch den Einsatz von Sprengkörpern und Verabredung zu einer Straftat während der Proteste des Jahres 2014 verurteilt worden.

Die Oppositionsmitglieder Coromoto Rodríguez, Yon Goicoechea, Alejandro Puglia und José Vicente García wurden nacheinander im Mai, August, September und Oktober 2016 unter Umständen in Haft genommen, die als willkürlich bezeichnet werden können. Coromoto Rodríguez und Alejandro Puglia wurden im Oktober 2016 freigelassen.

Im September 2016 wurden Andrés Moreno Febres-Cordero, Marco Trejo, James Mathison und César Cuellar festgenommen und vor ein Militärgericht gestellt, obwohl sie Zivilpersonen sind. Sie hatten an der Produktion eines regierungskritischen Videos für die politische Partei Primero Justicia (Gerechtigkeit zuerst) mitgewirkt. Im November 2016 kamen Marco Trejo und Andrés Moreno Febres-Cordero wieder frei.

GEWALTLOSE POLITISCHE GEFANGENE

Politischen Gegnern der Regierung drohte weiterhin die Inhaftierung. Im August 2016 wies ein Berufungsgericht die Rechtsmittel ab, die der gewaltlose politische Gefangene Leopoldo López gegen seine Gefängnisstrafe eingelegt hatte. Das Gericht berücksichtigte dabei weder die Tatsache, dass keine glaubwürdigen Beweise für die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte vorlagen, noch die vor seiner Verurteilung von Behördenvertretern abgegebenen öffentlichen Erklärungen, die sein Recht auf ein faires Verfahren in schwerwiegender Weise untergraben hatten. Er war zu einer Gefängnisstrafe von 13 Jahren und neun Monaten verurteilt worden.

Angaben der NGO Foro Penal Venezolano zufolge saßen weiterhin mehr als 100 Personen aus politischen Gründen im Gefängnis.

Im November 2016 wurde der LGBTI-Aktivist und gewaltlose politische Gefangene Rosmit Mantilla aus dem Gefängnis entlassen. Er befand sich seit 2014 in Haft. Ende 2016 lagen keine Informationen über die Umstände und Bedingungen seiner Freilassung vor.

POLIZEI UND SICHERHEITSKRÄFTE

Im Jahr 2016 wurden keine aktuellen offiziellen Daten über Tötungsdelikte veröffentlicht. Die Venezolanische Beobachtungsstelle für Gewalt (Observatorio Venezolano de Violencia) meldete jedoch, dass Venezuela die zweithöchste Tötungsrate in der Region aufwies.

Im Januar 2016 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass Ermittlungen im Fall der Tötung von 245 Menschen bei bewaffneten Zusammenstößen mit Sicherheitskräften eingeleitet worden seien. Die Tötungen erfolgten während der “Operation zur Befreiung und zum Schutz des Volkes” (Operación de Liberación y Protección del Pueblo), die im Juli 2015 von der Regierung mit dem Ziel der Eindämmung der hohen Kriminalitätsrate eingeleitet worden war. Die hohe Anzahl ziviler Opfer legte die Vermutung nahe, dass die Sicherheitskräfte dabei exzessive Gewalt angewandt oder außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt hatten.

Am 15. Oktober 2016 wurden in der Region Barlovento im Bundesstaat Miranda bei einem Einsatz der Sicherheitskräfte im Rahmen der Operación de Liberación y Protección del Pueblo zwölf junge Leute willkürlich festgenommen. Am 28. November fand man ihre Leichen in zwei verschiedenen Massengräbern. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft wurden 18 Angehörige der Streitkräfte wegen mutmaßlicher Beteiligung an dem Massaker festgenommen.

Der UN-Menschenrechtsausschuss äußerte Bedenken angesichts von Berichten über Übergriffe von Militärkräften auf Angehörige indigener Gemeinschaften, die in Guajira im Bundesstaat Zulia an der Grenze zu Kolumbien leben.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Die Behörden gingen weiterhin gezielt gegen regierungskritische Medien und Journalisten vor.

Im März 2016 wurde David Natera Febres, Direktor der Regionalzeitung Correo del Caroní, zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und mit einer Geldstrafe belegt, weil er Berichte über Korruption veröffentlicht hatte. Bis zum Jahresende war das Urteil noch nicht vollstreckt worden.

Im Juni 2016 wurden 17 Journalisten und Medienschaffende angegriffen, die über Proteste gegen die Nahrungsmittelknappheit in Caracas berichteten. Dabei wurde auch ihre Ausrüstung gestohlen. Die bei der Staatsanwaltschaft erstattete Anzeige führte zu keinem Ergebnis.

GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN

Die Umsetzung der im Jahr 2007 erlassenen gesetzlichen Bestimmungen, die geschlechtsspezifische Gewalt als Straftat definiert hatten, verlief aufgrund von Ressourcenmangel weiterhin nur schleppend. Bis zum Jahresende 2016 waren noch immer keine Zufluchtsorte für schutzsuchende Opfer eingerichtet worden.

Statistiken der Staatsanwaltschaft zeigten, dass im Jahr 2015 insgesamt 121168 Anzeigen wegen geschlechtsspezifischer Gewalt eingegangen waren. In 19816 Fällen wurden strafrechtliche Verfahren eingeleitet. Zivilrechtliche Schutzmaßnahmen wie einstweilige Verfügungen wurden in weniger als 50 % der Fälle angeordnet. Laut Angaben von Frauenrechtsorganisationen kam es in 96 % der Fälle, die vor Gericht verhandelt wurden, nicht zu einer Verurteilung.

RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANSGESCHLECHTLICHEN UND INTERSEXUELLEN

Im Mai 2016 beschloss die Nationalversammlung, den 17. Mai zum “Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie” zu erklären.

Im August 2016 vereinbarten das Ministerium für Inneres und Justiz und die Staatsanwaltschaft, dass Transgeschlechtliche auf den Fotografien ihrer Personaldokumente ihre Geschlechtsidentität frei ausdrücken können. Es gab jedoch keine Fortschritte beim Erlass gesetzlicher Bestimmungen zur Garantie gleicher Rechte für Transgeschlechtliche, einschließlich der Möglichkeit einer Person, ihren Namen, ihr Geschlecht und andere Details in offiziellen Dokumenten so anzupassen, dass sie ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Auch wurden keine Bestimmungen auf den Weg gebracht, die Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit als eigenständigen Straftatbestand definierten.

SEXUELLE UND REPRODUKTIVE RECHTE

Der Zugang zu Verhütungsmitteln, auch zur Notfallverhütung, war wegen der Arzneimittelknappheit zunehmend eingeschränkt. Mit Ausnahme von Fällen, in denen das Leben der Frau oder des Mädchens gefährdet war, galten Schwangerschaftsabbrüche weiterhin als Straftat.

Laut eines Berichts des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) lag die Müttersterblichkeitsrate in Venezuela bei 95 Todesfällen pro 100000 Lebendgeburten, was deutlich höher war als der für die Region Lateinamerika berechnete Durchschnitt von 68 verstorbenen Müttern pro 100000 Lebendgeburten. Laut UNFPA-Bericht wandten 70 % der verheirateten oder in festen Partnerschaften lebenden venezolanischen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren eine Methode der Schwangerschaftsverhütung an, 64 % entschieden sich dabei für eine moderne Methode. Die entsprechenden Durchschnittswerte für die Region Lateinamerika/Karibik beliefen sich auf 73 % bzw. 67 %.

RECHTE INDIGENER BEVÖLKERUNGSGRUPPEN

Die gesetzlichen Vorschriften zur Sicherstellung und Regelung der Konsultation indigener Bevölkerungsgruppen in Angelegenheiten, die ihre Lebensgrundlage betrafen, wurden nicht eingehalten. Berichten zufolge wurden Menschenrechtsverteidiger strafrechtlich verfolgt, die sich für die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen und den Schutz ihrer Umwelt einsetzten. Es gab Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen, die die im Südosten Venezuelas, im sogenannten Arco Minero (Minenbogen), durchgeführten Mega-Bergbauprojekte auf das Land und die Umwelt indigener Gemeinschaften haben könnten. Die Regierung erteilte ihre Zustimmung zur Durchführung dieser Vorhaben, ohne dass die Rechte der in diesem Gebiet ansässigen indigenen Gemeinschaften auf Konsultation und freie, vorherige und informierte Zustimmung respektiert wurden.

RECHT AUF GESUNDHEIT – NAHRUNGS- UND ARZNEIMITTELKNAPPHEIT

Die wirtschaftliche und soziale Krise des Landes verschärfte sich 2016 noch weiter. Offizielle Statistiken fehlten, doch gab es Daten privater und unabhängiger Institutionen wie der NGO Centro de Documentación y Análisis para los Trabajadores, die eine Teuerungsrate für Nahrungsmittel zwischen November 2015 und Oktober 2016 von 552 % errechnete. Somit war es für die Bevölkerung äußerst schwierig, Nahrungsmittel zu kaufen, selbst wenn sie angeboten wurden. Nach Angaben der Venezolanischen Beobachtungsstelle für Gesundheit (Observatorio Venezolano de Salud) mussten 12,1 % der Bevölkerung mit zwei Mahlzeiten oder weniger pro Tag auskommen. Die NGO Fundación Bengoa para la Alimentación y Nutrición schätzte, dass 25 % der Kinder unterernährt waren.

Studien über die Lebensbedingungen, die von drei großen Universitäten durchgeführt wurden, gaben den Anteil der von Einkommensarmut betroffenen venezolanischen Haushalte im Jahr 2015 mit 73 % an. Demgegenüber gab das Nationale Institut für Statistik offiziell einen Prozentsatz von 33,1 % an.

Die Weigerung der Regierung, internationale Hilfe zur Bewältigung der humanitären Krise und zur Lieferung von Arzneimitteln zu erlauben, verschärfte die schon kritische Gesundheitssituation noch weiter. Der schlechte Zustand, in dem sich die öffentlichen Gesundheitsdienste befanden, führte zu einem Anstieg der Infektionen mit vermeidbaren und behandelbaren Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose. NGOs wie die Coalición de Organizaciones por el Derecho a la Salud y la Vida und Berufsverbände des Gesundheitssektors schätzten, dass 75 % der benötigten hochpreisigen Arzneimittel und 90 % der lebensnotwendigen Arzneimittel nicht zur Verfügung standen.

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