Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Central African Republic

Berichtszeitraum: 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016

Amtliche Bezeichnung: Zentralafrikanische Republik
STAATSOBERHAUPT: Faustin-Archange Touadéra (löste im März 2016 Catherine Samba-Panza im Amt ab)
STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN: Simplice Sarandji (löste im April 2016 Mahamat Kamoun im Amt ab)

Der sowohl zwischen bewaffneten Gruppen und Milizen als auch innerhalb dieser Gruppierungen sowie zwischen diesen und internationalen Friedenstruppen ausgetragene Konflikt wütete 2016 weiter und war von gravierenden Verstößen gegen die Menschenrechte einschließlich Verbrechen im Sinne des Völkerrechts begleitet. Nach wie vor wurden keine Maßnahmen ergriffen, um Personen strafrechtlich zu verfolgen, die verdächtigt wurden, Verstöße und Verbrechen nach dem Völkerrecht begangen zu haben. Innerhalb des Landes waren immer noch mehr als 434000 Menschen auf der Flucht und lebten unter harten Bedingungen. Mindestens 2,3 Mio. Menschen waren auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es gingen weiterhin Berichte ein, in denen Angehörigen der internationalen Friedenstruppen sexualisierte Gewalt vorgeworfen wurde.

HINTERGRUND

Nach einer Phase relativer Ruhe nahmen die Kämpfe zwischen den bewaffneten Gruppierungen und die Angriffe auf die Zivilbevölkerung ab Juni 2016 wieder zu. Der Konflikt, der 2013 durch den Sturz des damaligen Präsidenten François Bozizé ausgelöst worden war, hat bereits Tausende Tote gefordert. Bewaffnete Gruppen, vorwiegend Ex-Séléka- und _Anti-Balaka-_Gruppen, kontrollierten nach wie vor weite Teile des Landes, wobei ihnen der leichte Zugriff auf Kleinwaffen in die Hände spielte.

Es fanden Wahlen zur Ablösung der Übergangsregierung statt. Die neue Regierung wurde am 11. April 2016 gebildet.

Im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik (MINUSCA) waren rund 12870 uniformierte Einsatzkräfte in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) stationiert. Das Mandat der Mission wurde bis zum 15. November 2017 verlängert. Nachdem kritisiert worden war, dass die MINUSCA nicht in der Lage sei, auf Angriffe zu reagieren, wurde die Truppenstärke erhöht. Angesichts der Größe der ZAR und der starken Präsenz bewaffneter Gruppierungen und Milizen gelang es der MINUSCA dennoch nur in begrenztem Umfang, die Zivilbevölkerung vor Gewalt zu schützen. Im Oktober 2016 wurden die französischen Einheiten der Opération Sangaris fast vollständig abgezogen.

Ebenfalls im Oktober trat die ZAR vorbehaltlos einer Reihe von Übereinkommen bei: dem UN-Übereinkommen gegen Folter und dem dazugehörenden Fakultativprotokoll; dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen; dem Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und dem Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die staatlichen Stellen der ZAR erkannten die Zuständigkeit der einschlägigen Vertragsorgane allerdings nicht an.

Am 17. November 2016 wurde in Brüssel eine große Geberkonferenz abgehalten. Die Regierung der ZAR stellte ihren Nationalen Aktionsplan für Erholung und Friedenskonsolidierung 2017–2021 vor und bat um 105 Mio. US-Dollar, um über einen Zeitraum von fünf Jahren Maßnahmen zur Stärkung des nationalen Justizsystems und der Operationalisierung des Sondergerichts (Cour Pénale Spéciale) umsetzen zu können.

VERSTÖßE BEWAFFNETER GRUPPEN UND VÖLKERRECHTLICHE VERBRECHEN

Bewaffnete Gruppierungen und Milizen verübten Menschenrechtsverstöße wie rechtswidrige Tötungen, Folter und andere Misshandlungen, Entführungen, sexuelle Übergriffe, Plünderungen und Eigentumszerstörungen sowie Angriffe auf Mitarbeiter und Einrichtungen humanitärer Hilfsorganisationen. In einigen Fällen handelte es sich bei diesen Verstößen um völkerrechtliche Verbrechen. Nach Angaben der UN kam es zu mehr als 300 sicherheitsrelevanten Angriffen auf Hilfsorganisationen, und mindestens fünf Mitarbeiter humanitärer Einrichtungen wurden getötet. Laut internationalen NGOs starben infolge der Gewalt mehr als 500 Zivilpersonen.

Die Bewegungsfreiheit von Muslimen, die in Enklaven über die ZAR verteilt lebten, war wegen der Angst vor Übergriffen durch Anti-Balaka-Gruppen und ihre Verbündeten weiterhin eingeschränkt.

Am 3. September 2016 wurden bei einem Zusammenstoß zwischen Ex-Séléka-Kämpfern, der örtlichen Bevölkerung und _Anti-Balaka-_Gruppen nahe der Stadt Dekoa (Präfektur Kémo) zwei Zivilpersonen getötet. Die Ex-Séléka-Kämpfer waren drei Wochen zuvor aus dem Gewahrsam der MINUSCA entkommen. Diese hatte elf Ex-Séléka-Mitglieder festgenommen, die prominenten Kommandanten der bewaffneten Gruppe Geleitschutz gaben. Zwei Kommandanten, Abdoulaye Hissène und Haroun Gaye, konnten sich ebenfalls der MINUSCA entziehen.

Am 10. September kamen bei Kämpfen zwischen Anti-Balaka- und Ex-Séléka-Gruppen bei Kouango (Präfektur Ouaka) im Süden der ZAR 19 Zivilpersonen ums Leben. Schätzungsweise 3500 Menschen wurden vertrieben, und 13 Ortschaften wurden niedergebrannt.

Am 16. September wurden in der Ortschaft Ndomete bei Kaga-Bandoro (Präfektur Nana-Grébizi) im Norden des Landes sechs Zivilpersonen von Ex-Séléka-Mitgliedern getötet. Auslöser für die Tötungen waren Spannungen zwischen Ex-Séléka-Kämpfern und _Anti-Balaka-_Milizen.

Vom 4. bis 8. Oktober 2016 wurden in der Hauptstadt Bangui bei Vergeltungsangriffen mindestens elf Zivilpersonen getötet und 14 verletzt. Grund für die Angriffe war die Ermordung eines ehemaligen Armeeobersts durch Angehörige einer Miliz, die ihren Stützpunkt im muslimischen Stadtteil PK5 hatte.

Mindestens 37 Zivilpersonen wurden getötet, 60 verletzt und über 20000 Menschen vertrieben, als Ex-Séléka-Kämpfer am 12. Oktober 2016 als Vergeltung für die Tötung eines Ex-Séléka-Mitglieds ein Lager für Binnenvertriebene in Kaga-Bandoro angriffen und niederbrannten.

Bei einem Angriff mutmaßlicher _Ex-Séléka-_Kämpfer auf ein Lager für Binnenvertriebene in Ngakobo (Präfektur Ouaka) verloren am 15. Oktober elf Zivilpersonen ihr Leben.

Am 24. Oktober kam es in Bangui bei einem von Zivilpersonen angeführten Protest gegen die MINUSCA zu vier Toten und neun Verletzten. Bewaffnete hatten sich unter die Demonstrierenden gemischt.

Bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen Ex-Séléka- und _Anti-Balaka-_Gruppen starben am 27. Oktober in den Ortschaften Mbriki und Belima bei Bambari (Präfektur Ouaka) 15 Personen.

Ende November 2016 kam es in Bria, der Hauptstadt der Präfektur Haute-Kotto, zu Kämpfen zwischen rivalisierenden _Ex-Séléka-_Gruppierungen. Dabei wurden mindestens 14 Zivilpersonen getötet und 75 verletzt.

Auch der Südosten der ZAR war von Gewalt betroffen. Hier war u. a. die bewaffnete Gruppe Lord’s Resistance Army (LRA) aktiv. Nach Angaben internationaler NGOs wurden 2016 von der LRA 497 Menschen entführt und 103 Angriffe durchgeführt, bei denen mindestens 18 Zivilpersonen ums Leben kamen.

MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN DURCH UN-FRIEDENSTRUPPEN

Zivilpersonen berichteten nach wie vor über sexuellen Missbrauch durch Angehörige internationaler Friedenstruppen. Nachdem ein unabhängiges Gremium im Dezember 2015 seinen Bericht vorgestellt und die Sonderkoordinatorin zur Verbesserung der Reaktion der Vereinten Nationen auf sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch im April 2016 den UN-Friedenstruppen einen Besuch abgestattet hatte, führte die MINUSCA Maßnahmen ein, die eine bessere Kontrolle, Berichterstattung und strafrechtliche Verfolgung in Verbindung mit solchen Straftaten bewirken sollen.

Länder, die Blauhelmsoldaten für die ZAR abstellten und deren Soldaten sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde, unternahmen einige Schritte, um Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, doch eine strafrechtliche Verfolgung fand nur in seltenen Fällen statt. Im April 2016 begann vor einem Militärgericht in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) der Prozess gegen drei kongolesische Blauhelmsoldaten, denen sexueller Missbrauch in der ZAR vorgeworfen wurde.

FLÜCHTLINGE UND BINNENVERTRIEBENE

Nach wie vor waren in der ZAR mehr als 434000 Menschen Flüchtlinge im eigenen Land. Sie lebten unter erbärmlichen Bedingungen in behelfsmäßigen Lagern, wo es keine Versorgung mit Nahrung, Wasser, angemessenen sanitären Einrichtungen und keine medizinische Grundversorgung gab. Die spontane Rückkehr einer kleinen Zahl von Binnenvertriebenen führte in einigen Fällen – vor allem im Südwesten der ZAR – zu Spannungen in den betroffenen Gemeinschaften. Nach der erneuten Zunahme der Gewalt ab Juni 2016 kehrten kaum noch Menschen in ihre Heimat zurück.

STRAFLOSIGKEIT

Gegen Angehörige bewaffneter Gruppen, von Milizen und der Sicherheitskräfte, die verdächtigt wurden, Menschenrechtsverstöße und völkerrechtliche Verbrechen begangen zu haben, wurden weder wirksame Ermittlungen eingeleitet, noch mussten sie sich vor Gericht verantworten. Einige dieser Verdächtigen waren offenbar in die anhaltende Waffengewalt sowie in Menschenrechtsverstöße und völkerrechtliche Verbrechen verwickelt. In manchen Fällen handelte es sich bei diesen Personen um Befehlshaber. Einer von ihnen war der bekannte Ex-Séléka-Kommandant Haroun Gaye, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde und gegen den die UN Sanktionen verhängt hatten. Er hatte zugegeben, die Entführung von sechs Polizisten am 16. Juni 2016 in Bangui organisiert zu haben. Auch der berüchtigte _Anti-Balaka-_Kommandant Alfred Yekatom (“Colonel Rambo”), der seit Anfang 2016 als gewählter Abgeordneter in der Nationalversammlung saß und ebenfalls auf der Sanktionsliste der UN stand, gehörte zu diesem Personenkreis.

Die MINUSCA nahm im Rahmen ihrer dringlichen vorläufigen Maßnahmen 194 Einzelpersonen fest, darunter am 13. August 2016 den prominenten Ex-Séléka-Kommandanten Hahmed Tidjani.

Die Bemühungen, Täter strafrechtlich zu verfolgen, wurden durch das schwache Justizsystem der ZAR behindert. Insbesondere außerhalb von Bangui gab es nach wie vor nur eingeschränkten Zugang zu Justizeinrichtungen, deren Funktionsweise zudem häufig mangelhaft war. In Gebieten, die unter der Kontrolle bewaffneter Gruppen standen, wurde die Rechtsprechung von bewaffneten Gruppen und/oder traditionellen Autoritäten gehandhabt. Dies war z. B. in der Stadt Ndélé, der Hauptstadt der Präfektur Bamingui-Bangoran, der Fall.

Den Justizbehörden fehlte es an Kapazitäten, um Untersuchungen und Strafverfahren gegen Strafverdächtige einzuleiten; dies galt auch bei besonders schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen. In den wenigen Fällen, in denen es zu Prozessen gegen Personen kam, die verdächtigt wurden, Menschenrechtsverstöße begangen zu haben, wurden die Angeklagten freigesprochen oder wegen geringfügigerer Straftaten verurteilt. Wegen der Zeit, die sie bereits im Gefängnis verbracht hatten, wurden sie sofort auf freien Fuß gesetzt. Zeugen und Betroffene wollten aus Angst vor Repressalien nicht aussagen.

INTERNATIONALE STRAFVERFOLGUNG

Hinsichtlich der Operationalisierung des Sondergerichts, das mit Richtern aus der ZAR und dem Ausland besetzt werden soll, waren kaum Fortschritte zu verzeichnen. Vor dem Gericht sollen sich Personen verantworten, denen gravierende Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtliche Verbrechen zur Last gelegt werden, die seit 2003 in der ZAR verübt wurden.

Im Rahmen der ZAR-II-Situation setzte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) seine Ermittlungen zu Verbrechen im Sinne des Völkerrechts fort, die ab 2012 in der ZAR begangen wurden. Jeweils ein vom IStGH eingesetztes Team untersuchte die Verbrechen der Ex-Séléka und der Anti-Balaka sowie ihrer Verbündeten. Am 21. Juni 2016 wurde Jean-Pierre Bemba Gombo aus der DR Kongo vom IStGH in seiner Eigenschaft als militärischer Kommandant schuldig gesprochen. Der IStGH fällte den Schuldspruch auf der Grundlage seiner Ermittlungen im Rahmen der ZAR-I-Situation, bei der es um die strafrechtliche Aufarbeitung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ging, die in der ZAR seit dem 1. Juli 2002 begangen worden waren. Bemba Gombo wurde wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter die von seiner Miliz begangenen Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen, zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.

HAFTBEDINGUNGEN

Die Zustände in den Gefängnissen waren weiterhin schlecht und die Sicherheit dort mangelhaft. Nur acht der 38 offiziellen Hafteinrichtungen des Landes waren funktionsfähig.

Im September 2016 schlugen Gefängnisaufseher im Ngaragba-Gefängnis in Bangui 21 Häftlinge brutal zusammen. Dies führte zu einem Ausbruchsversuch, der von den Aufsehern mit Tränengas vereitelt wurde. Die Behörden leiteten bald darauf eine Untersuchung der Vorfälle ein.

BODENSCHÄTZE

Der Kimberley-Prozess, eine globale Initiative, die den internationalen Handel mit Konfliktdiamanten unterbinden soll, hatte der ZAR bereits im Mai 2013 den Export von Diamanten untersagt. Der Handel ging jedoch trotz des Verbots weiter, und bewaffnete Gruppen, die an Menschenrechtsverstößen beteiligt waren, profitierten davon. Im Juli 2015 erlaubte der Kimberley-Prozess die Wiederaufnahme der Diamantenexporte aus “regelkonformen Gebieten”. 2016 waren Berbérati, Boda, Carnot und Nola – alle im Südwesten der ZAR – als “regelkonforme Gebiete” eingestuft.

RECHT AUF EINEN ANGEMESSENEN LEBENSSTANDARD

Nach Angaben der UN benötigten von den 4,8 Mio. Einwohnern der ZAR 2,3 Mio. Menschen humanitäre Hilfe, und 2,5 Mio. Menschen litten nach wie vor unter einer unsicheren Ernährungslage. Der Konflikt hatte zur Folge, dass die Haushaltseinkommen sanken, die Lebensmittelpreise jedoch stiegen. Nach dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems wurden die medizinische Grundversorgung und die Versorgung mit Arzneimitteln fast ausschließlich durch humanitäre Hilfsorganisationen geleistet. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung hatte Zugang zu einer wirksamen Gesundheitsversorgung, und es gab praktisch keine psychosozialen Betreuungsdienste. Nach Angaben der UN hatte nur etwa ein Drittel der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser und angemessenen sanitären Einrichtungen.

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