Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Azerbaijan

Berichtszeitraum: 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016

Amtliche Bezeichnung: Republik Aserbaidschan
STAATSOBERHAUPT: Ilham Aliyew
STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN: Artur Rasizade

Einige gewaltlose politische Gefangene wurden freigelassen, aber mindestens 14 blieben weiterhin in Haft. Nur wenige der Menschenrechtsorganisationen, die ihre Aktivitäten in den vergangenen Jahren einstellen mussten, konnten die Arbeit 2016 wieder aufnehmen. Die Repressalien gegen unabhängige Journalisten und Aktivisten dauerten an. Internationalen Menschenrechtsbeobachtern wurde die Einreise verweigert. Immer wieder trafen Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen und über die willkürliche Festnahme von Regierungskritikern ein.

HINTERGRUND

Aserbaidschans vom Erdöl abhängige Wirtschaft litt stark unter den fallenden Ölpreisen und dem Wertverlust der Landeswährung Manat um etwa die Hälfte. Der Anstieg der Lebensmittelpreise wurde nicht durch entsprechende Lohnsteigerungen kompensiert. Ab Anfang Januar 2016 kam es im ganzen Land immer wieder zu spontanen, zumeist friedlichen Protesten gegen die Abwertung des Manat und die daraus resultierenden Preiserhöhungen. Polizei und Sicherheitskräfte gingen scharf gegen die Protestierenden vor. Am 18. Januar 2016 erhöhte Präsident Ilham Aliyew per Erlass die Mindestpension und die Gehälter aller Staatsbediensteten um 10 %, was aber nicht ausreichte, um den Rückgang des Lebensstandards auszugleichen.

Im April 2016 eskalierte die Gewalt im andauernden Konflikt zwischen Aser-baidschan und der von Armenien unterstützten umstrittenen Region Bergkarabach. Bei viertägigen Kämpfen kamen auf beiden Seiten Zivilpersonen und Soldaten zu Tode; die aserbaidschanischen Truppen konnten geringe Gebietsgewinne verzeichnen.

Im September 2016 wurde in einem Referendum ein Vorschlag für Verfas-sungsänderungen angenommen, die dem Präsidenten größere Befugnisse einräumen. Seine Amtszeit wurde verlängert, und er kann jetzt vorgezogene Präsidentschaftswahlen anberaumen und das Parlament auflösen.

Im November 2016 billigte der Rat der Europäischen Union ein neues Mandat für Verhandlungen mit Aserbaidschan über eine “umfassende” Vereinbarung, die das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) von 1996 ablösen soll, den bisherigen Rahmen für die bilateralen Beziehungen zwischen Aserbaidschan und der EU. Der mit dem PKA geschaffene politische Dialog war in den vergangenen Jahren angesichts der zunehmend schlechteren Menschenrechtslage auf Eis gelegt worden.

GEWALTLOSE POLITISCHE GEFANGENE

Regierungskritiker wurden 2016 nach wie vor festgenommen und inhaftiert. Im Frühjahr kamen einige prominente Gefangene frei, die in politisch motivierten Gerichtsverfahren zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Darunter befanden sich auch mindestens zwölf gewaltlose politische Gefangene. Keiner der Betroffenen wurde von der Anklage freigesprochen. Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen stellte nach einem Besuch in Aserbaidschan im Mai fest, dass auch 2016 wieder “Menschenrechtsverteidiger, Journalisten sowie politische und religiöse Führungspersonen willkürlich inhaftiert” wurden.

Die meisten freigelassenen gewaltlosen politischen Gefangenen durften ihre Tätigkeit nicht fortsetzen; gegen einige von ihnen wie die Journalistin Khadija Ismayilova und den Menschenrechtsanwalt Intigam Aliyev wurde ein Ausreise-verbot verhängt.

Die in den Jahren 2014 und 2015 gegen eine Gruppe von bekannten NGOs eröffneten Strafverfahren, die als Vorwand für die Festnahme mehrerer Aktivisten wegen Steuerhinterziehung und Betrug gedient hatten, waren Ende 2016 noch nicht abgeschlossen.

Am 10. Mai 2016 wurden die beiden Studenten Giyas Ibrahimov und Bayram Mammadov, die ein politisches Graffiti auf eine Statue des ehemaligen Präsidenten Heydar Aliyew gesprüht hatten, wegen angeblichen Drogenbesitzes in Haft genommen. Am 25. Oktober bzw. 8. Dezember erhielten sie zehnjährige Freiheitsstrafen.

Am 18. November wies der Oberste Gerichtshof das Rechtsmittel des gewaltlosen politischen Gefangenen Ilgar Mammadov zurück und bestätigte die gegen ihn verhängte Gefängnisstrafe von sieben Jahren, ungeachtet der Feststellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass bei Mammadovs Festnahme keine Beweise gegen ihn vorgelegen hatten, und trotz der wiederholten Forderung des Ministerausschusses des Europarats nach seiner Freilassung.

Ende 2016 befanden sich noch mindestens 14 gewaltlose politische Gefangene in Haft. Nach Schätzungen örtlicher Menschenrechtsverteidiger waren mehr als 100 Personen auf der Grundlage politisch motivierter Anklagen weiterhin inhaftiert.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Alle führenden Medien standen weiterhin unter staatlicher Kontrolle. Unabhängige Medienkanäle wurden nach wie vor von den Behörden unter Druck gesetzt. Unabhängige Journalisten mussten auch 2016 mit Einschüchterungsversuchen, Drohungen, Drangsalierungen und Übergriffen rechnen, wenn sie in ihren Berichten Kritik an den Behörden äußerten.

Am 20. April 2016 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den in aserbaidschanischer Sprache sendenden Online-Sender Meydan TV unter dem Vorwurf des illegalen Unternehmertums, des Machtmissbrauchs und der großangelegten Steuerhinterziehung. Auch gegen 15 Journalisten des Senders, die zum Teil aus dem Ausland berichteten, wurde ermittelt. Gegen die in Aserbaidschan tätigen Journalisten von Meydan TV wurden Reisebeschränkungen verhängt, so dass sie das Land nicht verlassen konnten. Die Untersuchungen dauerten Ende 2016 noch an.

Im November 2016 wurden die beiden Journalisten Afgan Sadykhov und Teymur Kerimov, die zu gesellschaftlichen Problemen recherchierten, festgenommen und wegen Körperverletzung unter Anklage gestellt. Zuvor waren die beiden Männer von Unbekannten attackiert worden.

Zamin Gadji, ein Journalist der Oppositionszeitung Yeni Musavat, wurde am 28. November 2016 in Baku zur Polizei einbestellt und dort bedroht. Zuvor hatte er in einem Facebook-Post die Regierung kritisiert, weil zu mehreren aufsehenerregenden Mordfällen keine Ermittlungen durchgeführt wurden.

Am 29. November verabschiedete das Parlament Änderungen des Strafge-setzbuchs, mit denen Online-Beleidigungen gegen die Ehre und Würde des Präsidenten unter Strafe gestellt wurden. Das Strafmaß reichte von Geldbußen bis zu drei Jahren Haft.

RECHT AUF VEREINIGUNGSFREIHEIT

Von den führenden aserbaidschanischen Menschenrechts-NGOs, deren Ver-mögenswerte eingefroren und deren Mitglieder u. a. durch Strafverfolgungs-maßnahmen drangsaliert wurden, konnten 2016 nur wenige ihre Arbeit wieder aufnehmen. Mehrere leitende Mitarbeiter dieser Organisationen wurden aufgrund haltloser Anklagen schuldig gesprochen und blieben weiter in Haft, andere mussten aus Angst vor Verfolgung ins Exil gehen.

Anfang 2016 gab die Regierung die Bankkonten von acht NGOs wieder frei. Die NGOs waren an der Initiative für Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor (Extractive Industries Transparency Initiative – EITI) beteiligt, einer internationalen Gruppe, die sich für ein transparentes und rechenschaftspflichtiges Rohstoffmanagement einsetzt. Die Entscheidung zur Entsperrung der Konten erfolgte, nachdem die EITI im Jahr 2015 die Mitgliedschaft des Landes wegen des scharfen Vorgehens der Regierung gegen die Zivilgesellschaft auf Kandidaten-Status herabgestuft hatte.

RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Auch 2016 unterdrückte die Polizei friedliche Proteste und löste Demonstrationen unter unverhältnismäßiger Gewaltanwendung auf.

Im Januar 2016 setzte die Polizei bei landesweiten Demonstrationen in mindestens zwei Fällen exzessive Gewalt ein, um eine friedliche Menschenmenge aufzulösen, und nahm Dutzende von friedlich Protestierenden fest. Im ganzen Land wurden zahlreiche politische Aktivisten als mutmaßliche Organisatoren der Proteste von den Strafverfolgungsbehörden zur Vernehmung vorgeladen und in Haft genommen.

Durch die im September 2016 per Referendum angenommene Verfassungsänderung wurden die Befugnisse der Regierung zur Einschränkung des Rechts auf friedliche Versammlung erweitert. Die neuen Bestimmungen schränkten die Eigentumsrechte ein und ermöglichten auch eine Beschneidung der Versammlungsfreiheit in Fällen, die gegen die “öffentliche Moral” verstoßen.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Auch 2016 wurden Angehörige der Strafverfolgungsbehörden für den Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen nicht zur Verantwortung gezogen.

Menschenrechtsverteidiger berichteten von der Folterung und Misshandlung mehrerer Mitglieder der Bewegung für die Einheit der Muslime (Muslim Unity Movement), die 2015 bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften in dem Ort Nardaran festgenommen worden waren. Den Aktivisten dieser Bewegung wurde vorgeworfen, sie würden versuchen, die Verfassungsordnung zu ändern und eine organisierte bewaffnete Gruppe zu bilden.

Die Aktivisten Bayram Mammadov und Giyas Ibrahimov berichteten, dass sie während der Haft gefoltert und misshandelt worden seien. Mitglieder der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen besuchten die beiden jungen Männer in der Haft und bestätigten, dass ihre Angaben den festzustellenden Verletzungen entsprachen. Die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe wurden weder im Ermittlungsverfahren noch vor Gericht berücksichtigt. Auch der Aktivist Elgiz Gahraman berichtete seinem Anwalt von Folterungen nach seiner Festnahme am 12. August 2016. Man habe ihn zwei Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und ihn gezwungen, den Besitz von Drogen zu “gestehen”. Ende 2016 befand er sich noch immer in Haft und wartete auf sein Gerichtsverfahren.

BEWAFFNETER KONFLIKT

Im April 2016 kam es vier Tage lang zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Regierungstruppen und den Streitkräften der selbsternannten Republik Bergkarabach. Aserbaidschan meldete 37 Todesopfer (sechs Zivil-personen und 31 Militärangehörige), das armenische Verteidigungsministerium sprach von 93 Toten, darunter vier Zivilpersonen. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, die Zahl der getöteten Soldaten zu niedrig, die der zivilen Opfer hingegen zu hoch anzugeben. Berichten zufolge griffen beide Konfliktparteien auch zivile Einrichtungen wie z. B. Schulen an.

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