Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Wie bzw. unter welchen Umständen kann eine Jirga abgebrochen werden? Was passiert, wenn die Entscheidung einer Jirga von den Konfliktparteien nicht akzeptiert wird? [a-10264]

20. Juli 2017

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Thomas Barfield, Anthropologe mit Schwerpunkt Afghanistan an der Boston University, schreibt in einem 2003 für das United States Institute for Peace (USIP) verfassten Bericht zu afghanischem Gewohnheitsrecht in einem Kapitel zum paschtunischen Gewohnheitsrecht (Paschtunwali), dass man aufgrund des Fehlens formeller Gerichtsinstitutionen bei der Lösung von Konflikten die involvierten Parteien dazu bringen müsse, einer Mediation oder Schlichtung zuzustimmen, um die Konflikte friedlich zu lösen. Die Gemeinschaft habe also keine Instrumente für eine rechtliche Beilegung, sie könne keine Einigung durchsetzen oder den Parteien gegen ihren Willen aufzwingen und könne auch niemanden mit einer Strafe belegen oder einsperren. Es gebe jedoch eine Reihe von Mechanismen, die zur Lösung von Konflikten von Experten für Stammesrecht, den sogenannten Marakachian, angewandt würden. Letztere würden einerseits Fakten herausfinden und andererseits Urteile anbieten, die die Konfliktparteien selbst als bindend anerkennen könnten. Die Konfliktlösungsmechanismen würden als eine Art Jirga (Dorfversammlung) funktionieren. Eine Jirga sei ein offenes Diskussionsforum auf Ebene des Dorfes. Die Teilnehmer, meistens die älteren, respektierten Männer würden sich versammeln, um Entscheidungen zu treffen, die die gesamte Gemeinschaft betreffen würden, und Grundsätze festzulegen. Je wichtiger die behandelte Angelegenheit sei, desto mehr Personen seien beteiligt.

Die Jirga und ähnliche beratende Einrichtungen würden großen Wert auf die nominale Gleichstellung der Teilnehmer legen. Alle würden in einem Kreis sitzen, sodass niemand bevorzugt sei. Alle Teilnehmer hätten ein Recht, zu sprechen und bindende Entscheidungen würden eher durch Konsens als durch Abstimmung erreicht. Dies könne beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen oder zur Gänze scheitern. Einzelpersonen oder ganze Gruppen könnten ihre Nichtzustimmung durch das Verlassen des Kreises und eine Weigerung, weiter an der Jirga teilzunehmen, ausdrücken. Nur dadurch könne man verhindern, durch Entscheidungen der Gruppe gebunden zu sein. Wenn die Protestierenden genügend Unterstützung hätten, könnten sie die gesamte Jirga vorübergehend zum Erliegen bringen, da man versuche, sie durch die Unterbreitung akzeptabler Kompromisse oder durch Ausüben einer Art sozialen Drucks zu einer Rückkehr zu bewegen.

Konflikte würden in ähnlichen, aber kleineren Jirgas gelöst und die Teilnehmer seien die Konfliktparteien und die Richter, von den Konfliktparteien zur Behandlung des Falles ausgewählt wurden. Es gebe zwei Arten von Jirgas: Maraka und Tukhum. Die Maraka komme in einfachen Fällen zum Einsatz, in denen die Konflikte durch kleinere Verletzungen oder kleine Mengen Geld oder Land ausgelöst worden seien. Wenn die Konfliktparteien derselben Abstammungslinie („lineage“) angehören würden und es keine weiteren Streitigkeiten gebe, würden sie nur zwei Älteste einladen, den Fall zu untersuchen und eine Lösung anzubieten. In Fällen, in denen die verwandtschaftlichen Beziehungen nicht so eng seien oder das Problem komplexer sei, könnten bis zu zehn Älteste als Richter (Marakachian) eingeladen werden. Die Marakachian würden die Fakten unabhängig untersuchen, die Parteien befragen und dann eine Lösung für das Problem vorschlagen. Wenn sie spüren würden, dass sie nicht in der Lage seien, das Problem zu lösen, oder wenn eine der Parteien ihre Schlussfolgerungen als nicht korrekt/korrupt („bent“) oder ungültig ansehe, gebe es eine Maraka auf Berufungsebene. Struktur und Vorgehen seien gleich wie zuvor, die Anzahl der Ältesten werde jedoch erhöht, um ein breiteres Spektrum von Personen zu involvieren. Als Alternative zu einer zweiten Maraka könne die Partei, die nicht einverstanden sei, fordern, dass die Richter vor Gott einen Eid ablegen würden, dass ihr Urteil ehrlich gewesen sei. Erst danach stimme die unzufriedene Seite der Entscheidung zu, allerdings müsse sie jedem Richter ein beträchtliches Entgelt bezahlen.

Wenn die Konfliktparteien sich weigern würden, die Entscheidung der größeren Maraka zu akzeptieren, könnten sie die Bildung eines Tukhum fordern, einer Stammesversammlung, zu der auch Vertreter anderer Abstammungslinien und sogar anderer paschtunischer Clans eingeladen würden. Die Größe dieser Versammlung werde bestimmt, indem man die Anzahl der ursprünglichen Richter der ersten Maraka verdopple und diese Zahl dann nochmals verdopple. Diese Richter würden Clans und Familien aus der weiteren Region repräsentieren. Der Tukhum sei die höchste Berufungsebene, habe aber wie alle paschtunischen Jirgas nicht die Autorität, eine Lösung zu erzwingen. Durch ein System von Garantien und die Gebote der Gastfreundschaft könnten die Kosten einer derartigen Versammlung für die Konfliktparteien so hoch werden, dass ein hoher Druck entstehe, die Schlussfolgerungen zu akzeptieren. Während sehr bedeutende Auseinandersetzungen, die Blutfehden oder große Mengen Land oder Geld als Ursachen hätten, direkt in einer Maraka der zweiten Ebene oder einem Tukhum behandelt werden könnten, könnten auch kleinere und dumme Streitigkeiten zu größeren Problemen werden.

Da Vergeltung in einem andauernden Konflikt immer eine Option sei, sei es als erstes notwendig, die Parteien dazu zu bringen, die Möglichkeit einer friedlichen Lösung zu akzeptieren, indem man Richter von außen einbeziehe.

In kleineren Angelegenheiten, in denen keine Feindschaft bestehe, sei eine einfache Mediation, also ein freiwilliger Kompromiss, der für beide Parteien akzeptabel sei, der einfachste Weg, ein Problem zu lösen. Dies könne in einer Jirga der Gemeinschaft oder durch die Zuziehung mehrerer respektierter Ältester erreicht werden.

Wenn ein Fall sich um eine schwere Verletzung oder wertvolles Land drehe, könnten die Richter fordern, dass ihnen die Befugnis zur Schlichtung (Wak) erteilt werde. Dies sei deshalb erforderlich, da es, je komplexer der Fall sei, unwahrscheinlich sei, dass eine einfache Mediation ausreiche, selbst wenn die Parteien zustimme würden, dass in ihrem Streit Recht gesprochen werde und sie gewillt seien, einander zu treffen. Von jeder der Seiten werde dann verlangt, dass sie eine Sicherheitsleistung (Baramta) hinterlege, um sicherzustellen, dass sie die endgültige Entscheidung der Marakachian akzeptiere. Die Partei, die sich nach Ausschöpfung aller Berufungsmöglichkeiten immer noch weigere, die Entscheidung zu akzeptieren, verliere ihre Sicherheitsleistung an die gegnerische Partei. Wenn der Fall wichtig sei, könne die Sicherheitsleistung beträchtlich ausfallen und beispielsweise ein wertvolles Besitztum sein. In weniger wichtigen Fällen könne die Sicherheitsleistung Bargeld oder persönlicher Besitz wie Waffen, Teppiche oder Einrichtungsgegenstände sein.

Die schwierigsten Fälle seien diejenigen, in denen sich die Parteien weigern würden, sich miteinander hinzusetzen, und sich nicht auf Richter einigen könnten. In diesem Fall würden beide Seiten Vermittler auswählen, die sich zusammensetzen und den Fall entscheiden würden. Die Richter seien daher also manchmal Gegner, von denen erwartet würde, ihre Partei so gut wie möglich zu vertreten („present the strongest case they can for their party“). Dennoch seien sie angehalten, den Fall auf Basis paschtunischer Traditionen zu entscheiden. Als Vermittler hätten sie auch weniger persönliches Interesse am Ausgang des Falls als die Parteien selbst und stünden unter sozialem Druck, zu einer Entscheidung zu kommen. Wenn die gemeinsame Entscheidung der Richter nicht akzeptiert werde, werde die Seite, die sich nicht daran halte, („offending side“) öffentlich als Brecher paschtunischer Traditionen gebrandmarkt und ihre Sicherheitsleistung würde der Gegenseite zufallen.

Die Möglichkeit einer Einzelperson oder einer Verwandtschaftsgruppe, eine Schlichtung zu verweigern, den Prozess zu verzögern, gegen Entscheidungen auf höheren Ebenen zu berufen oder Urteile zu ignorieren scheine der Gemeinschaft nur wenig Macht zu geben, Konflikte zu lösen, die den Frieden bedrohen würden. Es gebe jedoch ausgleichende Kräfte, die beträchtlichen Druck auf die Konfliktparteien ausüben würden.

Blutrache zu nehmen oder eine Art der Vergeltung sei die Entscheidung einer Einzelperson, aber sobald eine potenziell gewalttätige Auseinandersetzung den öffentlichen Bereich betreffe, könne die Gemeinschaft ihre eigenen Vermittler schicken, die um einen Waffenstillstand bitten würden und versuchen würden, mit Verhandlungen zu beginnen. Es sei schwer, sich einem derartigen Waffenstillstand zu widersetzen, insbesondere, wenn er von einflussreichen Personen oder im Namen der Religion angeboten werde.

Sobald eine Schlichtung beginne, sei es durch Vermittler oder in direktem Kontakt, würden die Kosten für die Konfliktparteien zu steigen beginnen. Von beiden Seiten werde erwartet, dass sie die Richter am Ende des Prozesses bezahlen würden, und noch wichtiger, dass sie sie während ihres Aufenthaltes abwechselnd beherbergen würden. Da eine Konfliktlösung Wochen, Monate oder sogar länger dauern könne, könnten die Kosten für die Treffen oft nur mit der Hilfe der weiteren Verwandtschaft bezahlt werde, die ihrerseits Druck auf die Konfliktparteien ausüben könne, eine Einigung zu erreichen:

Since there are no formal judicial institutions to resolve disputes it is first necessary to get the parties involved to agree to mediation or arbitration to resolve them peacefully. In other words the community has no tools of legal adjudication. It cannot command or enforce a settlement against the will of the parties and it does not have the power to fine or imprison them. There are, however, a number of mechanisms for solving disputes that employ experts on tribal law, marakachian, who serve as both finders of fact and offer judgements that the parties themselves can agree will be binding. They operate as a type of jirga, or village assembly, that is the key institution for political decision making for the village as a whole or the kinship groups within it.

A jirga is an open forum for discussion at the village level. Its participating members, most often the older respected men, gather both to make decisions that affect the whole community and set policy. These may be local issues such as repair of the irrigation system, use of common forest or pasture resources, or construction of a mosque. They also handle more serious relations such as the declaration of hostilities against another community or selection of representatives to deal with the government. The more important the issue the large the number of people involved.

The jirga and other similar deliberative institutions put great stress on the nominal equality of the participants. Everyone sits in a circle so that no one takes priority. All members have a right to speak and binding decisions are made by common consensus rather than voting. This may take considerable time (days, weeks or even months) or fail to come to a conclusion entirely. Individuals or whole factions assert their disagreement by leaving the circle and refusing to participate further. This is the only way to avoid becoming committed to the group’s decision. If the protestors have enough support their action can bring a jirga to a temporary halt as people attempt to convince the dissenters to return by offering them acceptable compromises or putting them under some kind of social pressure. Good oratorical skills and political savvy are essential in such a system. The most influential people may wait until they see an opportunity to end the discussion satisfactorily by making a proposal that incorporates earlier discussions and objections.

Dispute resolutions take place in similar but smaller jirga forums in which the participants include the litigants and the judges they have chosen to handle the case. There are two types: maraka and tukhum. The maraka is employed in simple case where the disputes were generated by minor injuries or small amounts of money or land. If the two disputing parties are members of the same lineage and have no other issues that divide them, then they simply invite two local elders to investigate the case and propose a resolution. In cases where the disputants are more distantly related or when the problem is more complex then as many as ten elders might be invited to be judges, marakachian. These marakachian investigate the facts themselves independently, question the parties and then propose a resolution of the problem. If they feel they are unable to resolve the problem, or one of the parties declares their conclusions bent (kazha) or invalid, an appeals level maraka is held. The structure and process is the same as the first but the number of elders serving as marakachian is enlarged to bring in a wider range of people. As an alternative to a second maraka, the objecting party can demand that the judges take an oath before God that their verdict was honest before he agrees to accept their decision, although he must pay each a substantial fee (about $20 each in the 1970s).

If the disputants refuse to accept the decision of the larger maraka, then they can demand the formation of a tukhum, a tribal assembly in which representatives of other lineages and even other Pashtun clans are called in. This size of this assembly is determined by doubling the number of original judges at the first maraka and then doubling that figure. So if a first level maraka that began simply with two judges, the tukhum would have eight marakachian. These judges represent clans and lineages that come from a wide region. While the tukhum is the maximal level of appeal, as with all Pashtun jirgas it does not have the authority to impose a solution. However, through a system of guarantees and obligations of hospitality the cost of such an assembly to the litigants can be made so high that there is strong pressure to accept their conclusions. While very important disputes involving blood feud or large amounts of land or money might go immediately to a second level maraka or tukhum, even initially minor or silly disputes can evolve into major problems. […]

Because retaliation always remains an option in any ongoing dispute, it is first necessary to get the parties to agree to accept the possibility of a peaceful settlement by bringing in outside judges. […]

Imposing a settlement

In cases over small matters where there is no existing animosity simple mediation, that is a voluntary compromise that is acceptable to both parties, is the easiest way to resolve a problem. This may be done in a community jirga or by using a couple of respected elders. Employing their powers of persuasion, humor, and wise sayings, they stress the need for forgiveness and tolerance in order to bring about a settlement. It is therefore often advantageous to include a religious figure among the mediators because he can assert that any necessary sacrifices are being made to please God and not the other party.

If the case involves serious injury or valuable land, the judges may demand that they be given a wak, the power of arbitration. This is because the more complex the case, the more unlikely it is that simple mediation will suffice even if both parties agree to have their dispute judged and are willing to meet together. Each side is then required to provide a baramta, security deposit, to ensure that they will accept the final decision of the marakachian. The party that still refuses to accept the decision after its appeals are exhausted loses its security deposit to the opposing party. If the case is serious the baramta may be substantial, such as a valuable piece of property. In lesser cases it might consist of cash or personal property such as weapons, carpets or furniture.

The most difficult cases are those in which the parties refuse to sit down with one another directly and cannot agree on a common set of judges. In this case each side appoints its own set of intermediaries who sit down together to decide the case. The judges are therefore in some sense adversaries who are expected to present the strongest case they can for their party. They are nevertheless constrained to decide the case on the basis of Pashtun tradition. Also as intermediaries they have less of a vested interest in the outcome than the parties themselves and are under social pressure to make a finding. Failure to accept the judges’ common decision results in the offending side being publicly branded violators of Pashtun tradition and having their baramta is forfeited to their opponents. […]

Social and economic coercion for settlement

The ability of an individuals or kin group to refuse arbitration, delay the process, appeal decisions to higher levels, and to ignore verdicts would appear to give the community little power to resolve disputes that threaten the peace. There are, however, countervailing forces that put considerable pressure on the disputants.

The choice of taking blood revenge or other retaliation lies with the individual, but once a potentially violent dispute enters the public realm the community can intervene by sending its own intermediaries who ask for a truce and attempt to begin negotiations. It is hard to refuse such a truce, particularly when is proposed by men of influence or in the name of religion. […]

Once arbitration begins, either at a distance through intermediaries or face to face, the cost of the process begins to rise for the litigants. Both sides are expected to pay the judges at the end of the process, but more importantly they have to host them by turn for the duration of their stay. […] Thus, because a dispute resolution may last weeks, months or even longer, the cost of the continued meetings can often only be met only with the aid of extended relatives who may put some pressure on the disputants to reach a settlement.” (Barfield, 26. Juni 2003, S. 9-12)

In einer Email-Auskunft vom 13. Juli 2017 schreibt Thomas Barfield, dass eine Jirga jederzeit abgebrochen werden könne, wenn eine der Parteien das wünsche, außer die Parteien hätten sich auf eine bindende Schlichtung verständigt. Es sei nicht ungewöhnlich, dass die Familie des Opfers die Angebote des Täters für nicht angemessen erachte und es bedürfe häufig einer intensiven Mediation, manchmal über Jahre, um sie dazu zu bringen, diese zu akzeptieren. Die Opfer könnten auch (aus ihrer Perspektive) den Konflikt beenden, indem sie Vergeltung an der Gegenpartei üben würden, obwohl dies einen potenziell endlosen Kreis von Gegenangriffen in Gang setzen könne. Wenn eine Partei die Entscheidung einer Jirga nicht akzeptiere, gehe der Konflikt weiter und die Gefahr der Vergeltung bestehe fort. Wenn die Parteien sich auf eine bindende Schlichtung verständigt hätten und eine Sicherheit (Land, Geld, …) hinterlegt hätten, um ihr Akzeptieren der Entscheidung zu garantieren, verwirke die Partei, die die Entscheidung nicht akzeptiere, diese Vermögenswerte:

„How or under which circumstances can a jirga be broken off?

A jirga can be ended at any time if either party wishes unless they have agreed to binding arbitration. It is not uncommon for victim’s family to find the offender’s offers inadequate and getting them to accept often requires intensive mediation, sometimes over the course of years. The victims can also end the dispute (from their perspective) if they take revenge on the other party although that can set up a potentially unending cycle of counter attacks.

What happens if the conflict parties don’t accept a decision taken by a jirga?

The conflict continues, including the threat of retaliation. If the parties agreed to binding arbitration and put up security (land, money, etc.) to guarantee their compliance, the party that refuses forfeits its these assets.“ (Barfield, 13. Juli 2017)

Noah Coburn, ein am Bennington College im US-Bundesstaat Vermont tätiger Sozial- und Kulturanthropologe mit Forschungsschwerpunkt Afghanistan, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 18. Juli 2017, dass eine Jirga abgebrochen werden könne, wenn eine der Seiten beschließe, sich aus dem Schlichtungsprozess zurückzuziehen, wenn sie mit dem Ablauf des Prozesses oder möglicherweise mit der Rolle der involvierten Ältesten nicht zufrieden sei. Ein größerer Widerstand gegen eine vorgeschlagene Schlichtung könne auch von Verwandten ausgehen, die gar nicht direkt etwas mit den Streitigkeiten zu tun hätten, was die Sache weiter verkompliziere. Wenn die Konfliktparteien die Entscheidung einer Jirga nicht akzeptieren würden, bedeute dies üblicherweise, dass der Konflikt zu seinem Ausgangszustand zurückkehre. Es könne zu Gewalt kommen, üblicher sei jedoch eine Pattsituation mit ständig drohender Gewalt, bis beide Seiten sich darauf einigen würden, den Schlichtungsprozess wieder aufzunehmen, oder bis eine Kraft von außen sie dazu zwinge:

„How or under which circumstances can a jirga be broken off?

This can happen if either side choses to withdraw from the settlement process if they become unhappy with the way the process is moving forward or potentially the role of the elders involved. If there is wider opposition to a proposed settlement, this can actually also be caused by relatives not directly involved in the dispute further complicating matters.

What happens if the conflict parties don’t accept a decision taken by a jirga?

Usually this means the conflict reverts to its initial state. Violence can ensue, though perhaps more common is a stalemate, with the constant threat of violence, until the parties agree to return to the process or until some outside force pressures them to do this.“ (Coburn, 18. Juli 2017)

Hamid Khan von der University of South Carolina, ein Rechtsstaatsexperte, der zuvor am USIP und als Dozent für Islamisches Recht an der George Washington School of Law tätig war, schreibt in einer Email-Auskunft vom 12. Juli 2017, dass eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit eine Jirga eine bindende Wirkung habe. Die Jirga müsse aus Personen bestehen, denen in der Gemeinschaft vertraut werde, und aus Mitgliedern der Stämme beider Konfliktparteien. Zweitens müssten die Konfliktparteien Paschtunen sein, da es sich bei der Jirga um eine historische Methode der Konfliktlösung bei Paschtunen handle. Darüber hinaus hänge der bindende Effekt einer Jirga davon ab, ob die Jirga die Fähigkeit habe, den Konfliktparteien eine Lösung anzubieten. Es sei etwa möglich, dass die Jirga keine finde oder eine vorgeschlagene Lösung nicht mittrage („the jirga may lack or refuse to accommodate a proposed solution“). Viel hänge auch davon ab, ob sich die Jirga und die darin vertretenen Entscheidungsträger einig seien und wie groß ihre Fähigkeit sei, die Konfliktparteien zu überzeugen. Im vorliegenden Fall dürfte eine Partei nicht überzeugt worden sein, was als Fehler der Jirga, nicht notwendigerweise der Parteien angesehen werde.

Eine Jirga könne abgebrochen werden, wenn die Konfliktparteien oder die Jirga glauben würden, dass der Prozess nutzlose sei. An diesem Punkt sei es, insbesondere wenn mit Gewalt gedroht werde, unwahrscheinlich, dass eine Lösung für den Konflikt gefunden werde, bis eine neue Jirga einberufen werde und die Konfliktparteien überzeugt würden, daran teilzunehmen:

„In general, there a few assumptions that need to be considered in order to understand the implication of this particular set of circumstances. First, in order for a jirga to have a binding effect, the jirga must be composed of individuals trusted within a community and, importantly, members of one or both litigants' tribe. Second, and again, instructive as to its binding effect, are the litigants both Pashtun? The reason why is that jirga system (as opposed to the more generic shura) is a historical method of dispute resolution among Pashtuns as opposed members of other ethnicities. Moreover, the binding effect of a jirga's decision can be traced to a number of factors including the following:

1. Are members of the jirga representative of the litigants’ Pashtun tribes? If yes, there is a greater chance for a binding resolution.

2. Does the jirga have the capacity to offer a solution to the parties? In this case, it's not clear what the issue at hand is nor is it clear what solution was offered. If this matter, for example, involved the death of an individual, the jirga may lack or refuse to accommodate a proposed solution for example.

3. Perhaps greatest incentive for the parties to adhere to a jirga's decision depends not only on the factors I've already articulated but is premised on the consensus of not just the jirga, but decision makers within the jirga and their ability to persuade the parties. It seems clear that one party was not persuaded and therefore, it is perceived as a failure of the jirga, not necessarily of the parties.

4. A jirga may be broken off if the litigants or the jirga believe the process to be futile. At this point, unless a new jirga is convened, and the litigants persuaded to join in the deliberations, it’s unlikely to find resolution especially in cases where violence is being threatened.” (Khan, 12. Juli 2017)

Auf eine Nachfrage, was passiere, wenn eine Partei die Entscheidung einer Jirga nicht akzeptiere, obwohl diese alle Anforderungen erfülle, um einen bindenden Effekt zu haben, antwortete Hamid Khan, dass die einzige reale Auswirkung soziale Ächtung sei. Wenn alle Voraussetzungen für eine bindende Wirkung gegeben seien und die Partei die Entscheidung der Jirga nach dem Paschtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen, Anm. ACCORD) nicht befolge, habe sie Ehre und Respekt verloren, was das wichtigste Gut für einen Paschtunen sei:

„In short, the only real effect is social castigation. If all the conditions exist and they fail to abide by the jirga’s decision under the code of Pashtunwali, they have lost honor and respect which is ultimately, the most valuable commodity to a Pashtun.” (Khan, 12. Juli 2017)

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 20. Juli 2017)

·      Barfield, Thomas: Afghan Customary Law and Its Relationship to Formal Judicial Institutions, 26. Juni 2003
https://www.usip.org/sites/default/files/file/barfield2.pdf

·      Barfield, Thomas: E-Mail-Auskunft, 13. Juli 2017

·      Coburn, Noah: E-Mail-Auskunft, 18. Juli 2017

·      Khan, Hamid: E-Mail-Auskunft, 12. Juli 2017