Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von LGBTI-Personen [a-10035]

9. Februar 2017

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Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) schreibt in seiner Position zur Rückkehr in den Irak vom November 2016 Folgendes zur Lage von LGBTI-Personen:

„In irakischen Gebieten, die sich de facto unter der Kontrolle von ISIS befinden, setzt ISIS seine strenge Auslegung der Scharia durch, wonach einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Männern einen Gesetzesverstoß darstellen und mit Todesstrafe geahndet werden. Die zunehmende Gewalt und das damit verbundene Erstarken nichtstaatlicher bewaffneter Akteure hat Berichten zufolge die Schutzbedürftigkeit von Personen, deren sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität nicht den traditionellen Vorstellungen entsprechen, in anderen Teilen des Irak verstärkt, und diese Menschen, einschließlich Kindern, sind den Meldungen zufolge häufig zahlreichen Formen von Misshandlungen durch verschiedene staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, einschließlich durch ihre nahen und entfernten Familienangehörigen, das allgemeine gesellschaftliche Umfeld, staatliche Behörden sowie eine Vielzahl bewaffneter Gruppen.“ (UNHCR, 14. November 2016, S. 8)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet im August 2016, dass sich der prominente schiitische Kleriker Moqtada al-Sadr in einer Stellungnahme vom Juli gegen Gewalt gegenüber Personen, die sich nicht gängigen Geschlechternormen anpassen würden, ausgesprochen habe. Obwohl das irakische Strafgesetzbuch gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen nicht direkt kriminalisiere, würde Artikel 394 außereheliche sexuelle Beziehungen unter Strafe stellen. Diese Bestimmung kriminalisiere de facto alle gleichgeschlechtlichen Beziehungen, da das Gesetz keine gleichgeschlechtlichen Ehen vorsehe. Al-Sadr habe in seiner Stellungnahme die Ansicht vertreten, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie Crossdressing inakzeptabel seien. Jedoch hätten laut al-Sadr auch Personen, die nicht gender-konform leben würden und die, wie er behaupte, an „psychologischen Problemen“ leiden würden, ein Anrecht darauf, zu leben. Die Stellungnahme habe dazu aufgefordert, „nicht mit solchen Personen zu verkehren aber sie auch nicht anzugreifen, sondern sie mit vertretbaren und vernünftigen Methoden zu leiten“. Trotz der mangelnden Toleranz dieser Stellungnahme habe HRW den Aufruf zur Beendigung der Gewalt gegen LGBT-Personen als einen wichtigen Schritt begrüßt. Al-Sadr solle nun darauf achten, dass sich die unter seinem Kommando befindliche Miliz Saraya al-Salam an seine Anweisung halte und Kommandeure, die sich nicht an sie halten würden, zur Rechenschaft gezogen würden:

„State and non-state actors in Iraq should heed the prominent Shia cleric Moqtada al-Sadr’s July 2016 statement banning violence against those who do not conform to gender norms. […]

While Iraq’s Penal Code does not directly criminalize same-sex intimacy, article 394 criminalizes extra-marital sexual relations. That provision effectively criminalizes all same-sex relations, since the law does not provide for same-sex marriage.

Al-Sadr’s July 7 2016, statement expresses his view that same-sex relationships and cross-dressing are not acceptable, but that gender non-conforming people – whom al-Sadr claims are suffering from ‘psychological problems’ – nevertheless deserve the right to live. ‘[You] must disassociate from them [but] not attack them, as it increases their aversion and you must guide them using acceptable and rational means,’ the statement read.

Despite the lack of full tolerance in al-Sadr’s statement, his call to end violence against LGBT people is an important step, Human Rights Watch said. He should ensure that those in the ranks of the militia under his command, the Peace Brigades (Saraya al-Salam), obey the order and should hold accountable commanders who do not.“ (HRW, 18. August 2016)

Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA), ein weltweiter Dachverband von LGBTI-Interessensgruppen, erwähnt in seinem im Mai 2016 veröffentlichten weltweiten Bericht zu Gesetzen über sexuelle Orientierung auch die rechtliche Lage von LGBTI-Personen im Irak, dass nach der US-amerikanischen Invasion 2003 das Strafgesetzbuch von 1969 wieder eingeführt worden sei. Dieses Strafgesetzbuch verbiete gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht. Laut Artikel 404 werde jede Person, die selber oder mithilfe technischer Möglichkeiten obszöne oder unsittliche Lieder oder Stellungnahmen an einem öffentlichen Ort singe oder übertrage zu einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 100 Dinar (etwa 0,70 Euro) verurteilt. Nichtstaatliche Akteure, darunter auch Scharia-Richter, seien bekannt dafür, Hinrichtungen von Männern und Frauen aufgrund von gleichgeschlechtlichen Beziehungen anzuordnen, obwohl das irakische Zivilgesetzbuch gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht erwähne beziehungsweise kriminalisiere und das irakische Rechtssystem nicht an Entscheidungen der Scharia-Gerichte gebunden sei. Es sei ebenfalls bekannt, dass Polizeibeamte und Mitglieder von Milizen häufig LGBTI-Personen entführt, bedroht und getötet hätten. In den Gebieten im Norden des Landes, die von der Gruppe Islamischer Staat kontrolliert würden, nehme man Männer und Frauen aufgrund ihrer Gender-Identität und sexueller Neigung ins Visier:

„After the American invasion in 2003 the Penal Code of 1969 was reinstated in Iraq. This code does not prohibit same-sex relations.

Article 404 [MORALITY CODE LIMITING SOGI PUBLIC EXPRESSION] states, ‘Any person who himself or through some mechanical means sings or broadcasts in a public place obscene or indecent songs or statements is punishable by a period of detention not exceeding 1 year or by a fine not exceeding 100 dinars.‘

Non-State actors in Iraq including Sharia judges, are known to order executions of men and women for same-sex sexual behaviour, despite the fact that Iraq’s civil code makes no reference to same-sex sexual behaviour, does not criminalise it, and neither does the country’s (civil law) legal system defer to the Sharia court. It is also known that both police and militias have frequently kidnapped, threatened and killed LGBT people. The Daesh (or ISIS / ISIL) held areas of northern Iraq and northern Syria, are known to target men and women on account of their gender expression, gender identity and their sexual orientation.” (ILGA, Mai 2016, S. 105)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im April 2016 veröffentlichten Menschenrechtsbericht (Berichtszeitraum: 2015), dass es im Irak weder ein Gesetz gegen Hassverbrechen noch gegen Diskriminierungen gebe. Es gebe auch keine strafrechtlichen Mittel, die bei der Strafverfolgung von Verbrechen, die aufgrund einer Voreingenommenheit gegenüber LGBTI-Personen verübt worden seien, helfen würden. Trotz wiederholter Drohungen und Gewalt, die auf LGBTI-Personen abziele, habe es die Regierung weder vermocht, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen und zu belangen, noch die Opfer zu schützen. Es gebe kein Gesetz, das einvernehmliche sexuelle Handlungen verbieten würde, jedoch sei unabhängig des Geschlechts Unzucht verboten. Es gebe keine Daten zu Anklagen auf Basis von Unzucht. Die Behörden hätten sich auf Anklagen „öffentlicher Unsittlichkeit“ („public indecency“) sowie „Austausch von Geld“ (d.h. Prostitution, die illegal sei) gestützt, um gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen strafrechtlich zu verfolgen. Behörden hätten dieselben Anklagepunkte benutzt, um heterosexuelle Personen zu verhaften, die sexuelle Handlungen mit Personen, die nicht ihre Ehepartner gewesen seien, durchgeführt hätten. Das Gesetz kenne keine Bestimmungen hinsichtlich auf sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität basierenden Diskriminierungen. Soziale Diskriminierung bei Arbeitsanstellung, Beruf und Wohnraum basierend auf sexueller Orientierung, Genderidentität und unkonventionellem Erscheinungsbild sei verbreitet gewesen. Es habe keine Informationen über Diskriminierung bezüglich des Zugangs zu Bildung und Gesundheitsversorgung gegeben. Aufgrund der Stigmatisierung, der Einschüchterung und potentiellen gewaltsamen Übergriffen hätten LGBTI-Organisationen nicht öffentlich agiert und es habe keine Gay-Pride-Märsche oder Lobbyveranstaltungen für Rechte von Homosexuellen gegeben. LGBTI-Personen seien Misshandlungen und Gewalt vonseiten der Familie und nichtstaatlicher Akteure ausgesetzt gewesen. Zusätzlich zu gezielter Gewalt seien Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft auch Gefahr gelaufen, Opfer von Ehrenverbrechen zu werden, da ihr Verhalten nicht mit traditionellen Geschlechternormen vereinbart werden könne. Gruppen, die sich für LGBTI-Rechte einsetzen, hätten den Mangel an publik gemachten Fällen von Angriffen auf die zurückhaltende Art von Mitgliedern der LGBTI-Gemeinschaft zurückgeführt, die ihr öffentliches Erscheinungsbild und ihre Lebensweise verändert hätten, um sozialen Normen zu entsprechen. NGOs hätten Unterkünfte für Personen eingerichtet, die Übergriffe befürchtet hätten, und hätten weiterhin Opfer von Übergriffen untergebracht. Diese NGOs hätten regelmäßig Drohungen erhalten und hätten aus Sicherheitsgründen die Unterkünfte an einen anderen Ort verlegt. Laut AktivistInnen der Gemeinschaft sei es weiterhin zu Einschüchterungen und Gewalt gekommen. Berichten internationaler Medien und Menschenrechtsorganisationen zufolge habe die Gruppe IS über das Jahr 2015 hinweg Videos veröffentlicht, in denen mutmaßlich Personen hingerichtet worden seien, die der IS der Homosexualität verdächtigt habe. Beispielsweise habe die International Gay and Lesbian Human Rights Commission, eine internationale Menschenrechtsorganisation, auf Fotos verwiesen, auf denen Mitglieder des IS in der Stadt Mossul LGBTI-Männer von hohen Gebäuden geworfen hätten. Im März 2015 seien zwei Personen, denen man Homosexualität vorgeworfen habe vom IS enthauptet worden. Von Juni bis August habe die UNO-Unterstützungsmission Irak (UN Assistance Mission in Iraq (UNAMI) mehrere Fälle dokumentiert, in denen Mitglieder des IS Zivilisten, die der Homosexualität oder der Unzucht angeklagt worden seien, von hohen Gebäuden geworfen hätten. Infolge einer Reihe von Übergriffen im Jahr 2012 auf LGBTI-Personen, habe der Ministerrat ein interministeriales Komitee eingerichtet, um die Übergriffe zu untersuchen und Empfehlungen hinsichtlich LGBTI-Rechten zu erarbeiten. Menschenrechtsorganisationen zufolge sei das Komitee allerdings nicht im Einsatz gewesen und habe bis zum Ende des Jahres 2015 keinerlei Berichte verfasst:

„Neither hate crime nor antidiscrimination laws exist, nor do other criminal justice mechanisms exist to aid in the prosecution of crimes motivated by bias against members of the LGBTI community. Despite repeated threats and violence targeting LGBTI individuals, the government failed to identify, arrest, or prosecute attackers or to protect targeted individuals.

No law specifically prohibits consensual same-sex sexual activity, although the law prohibits sodomy, irrespective of gender. There was no data on prosecutions for sodomy.

Authorities relied on public indecency charges or confessions of monetary exchange (that is for prostitution, which is illegal) to prosecute same-sex sexual activity. Authorities used the same charges to arrest heterosexual persons involved in sexual relations with persons other than their spouses.

The law does not address discrimination based on sexual orientation or gender identity. Societal discrimination in employment, occupation, and housing based on sexual orientation, gender identity, and unconventional appearance was common. Information was not available regarding discrimination in access to education or health care.

Due to stigma, intimidation, and potential harm, including violent attacks, LGBTI organizations did not operate openly, nor were there gay pride marches or gay rights advocacy events. LGBTI persons often faced abuse and violence from family and nongovernmental actors. In addition to targeted violence, members of the LGBTI community remained at risk for honor crimes, since their conduct did not conform to traditional gender norms. LGBTI rights groups attributed the lack of publicized cases of attacks to the low profile of members of the LGBTI community, who altered their public dress and lifestyle to conform to societal norms. NGOs established shelters for individuals who feared attacks and continued to accommodate victims. They periodically received threats and relocated shelters for security reasons. Community activists reported that violence and intimidation continued.

According to international media reports and human rights organizations, throughout the year Da’esh published videos depicting alleged executions of persons accused of homosexuality. For example, the International Gay and Lesbian Human Rights Commission, an international human rights organization, cited widely published January 16 photographs of Da’esh members throwing LGBTI men from tall buildings in central Mosul in Ninewa Governorate. On March 8, Da’esh beheaded two individuals accused of homosexuality and a third for blasphemy in the Bab al-Toob area of Mosul. Between June and August, UNAMI [UN Assistance Mission in Iraq] cited several other cases of Da’esh executing civilians by throwing them off tall buildings, all accused of sodomy or homosexuality.

Following a series of 2012 attacks on LGBTI persons, the Council of Ministers established an interministerial committee to investigate the attacks and provide recommendations on LGBTI rights. According to human rights organizations, the committee was not operational and had not completed any reports at year’s end.“ USDOS, 13. April 2016, Section 6)

Freedom House, eine in den USA ansässige NGO, die zu den Themen Demokratie, politische Freiheit und Menschenrechte forscht und sich für diese einsetzt, erwähnt in ihrem Irakbericht vom Jänner 2016 (Berichtszeitraum: 2015), dass gleichgeschlechtliche Beziehungen im Irak zwar nicht illegal seien, LGBT-Personen aber Gefahr laufen würden, Opfer von Gewalt oder Ausgrenzung zu werden, wenn sie sich organisieren oder offen mit ihrer Identität umgehen würden. In vom IS kontrollierten Gebieten seien Berichten zufolge im Jahr 2015 Personen, denen Homosexualität vorgeworfen worden sei, hingerichtet worden:

„Same-sex sexual relations are not illegal in Iraq, but LGBT (lesbian, gay, bisexual, and transgender) people risk violence and ostracism if they organize or are open about their identity. In IS-controlled areas, those accused of being gay were reportedly executed during 2015.“ (Freedom House, 27. Jänner 2016)

Der von mehreren NGOs (International Women's Human Rights Clinic at the City University of New York School of Law, IWHR; Global Women’s Rights, MADRE) verfasste Bericht an den UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zur Lage von LGBT-Personen im Irak vom August 2015 führt an, dass es im Irak sehr gefährlich sei, als LGBT-Person wahrgenommen zu werden. Es sei nahezu unmöglich, offen als LGBT-Person zu leben. Opfer von Anti-LGBT-Diskriminierung und Gewalt könnten sich nicht an den irakischen Staat wenden. Staatliche Sicherheitskräfte würden nicht bloß Fälle von gegen LGBT-Personen gerichteter Diskriminierung und Gewalt nicht untersuchen, sie würden sich sogar zurückhalten und zulassen, dass Hassverbrechen passieren. Darüber hinaus würden Sicherheitskräfte und staatliche Bedienstete selbst zu gegen LGBT-Personen gerichteter Diskriminierung und Gewalt greifen. Dadurch, dass der Staat den Opfern den Zugang zur Justiz verweigere, würden Diskriminierung und Gewalttaten noch weiter gefördert, darunter seien auch Taten, die von ärztlichem Personal und anderen Personen ausgeführt würden, die den gefährdeten Status von LGBT-Personen ausnutzen würden. Der irakische Regierungsbericht an den UNO-Menschenrechtsausschuss von 2013 erwähne die auf einer realen oder als solche wahrgenommenen sexuellen Orientierung oder Gender-Identität basierende allgegenwärtige Gewalt und Diskriminierung nicht. Obwohl es kein Gesetz gebe, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiere, bemerke der Regierungsbericht offen, dass homosexuelle Handlungen als illegal eingestuft würden und LGBT-AktivistInnen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung abgesprochen werde. Diese Formen der Diskriminierung würden auf religiösen Überzeugungen fußen, da laut dem Bericht die „sexuellen Handlungen Homosexueller gegen die Vorgaben des islamischen Rechts der Scharia seien und somit nach irakischem Gesetz eine Straftat darstellen würden. Im Juni 2012 seien in der Stadt Samarra die brennenden Leichen von zwei Männern für mehr als zwei Stunden auf der Straße gelegen. Viele Menschen seien an den Leichen vorbeigegangen und hätten nicht interveniert. Die Familienmitglieder, die für den Tot der beiden Männer verantwortlich gewesen seien, hätten bewaffnet dem Verbrennen der Leichen zugesehen. Sicherheitskräfte des Innenministeriums, die bereits vorher von dem Vorfall informiert worden seien, hätten der Erschießung und der Verbrennung beigewohnt. Die Tötungen hätten keine Auswirkungen gehabt und seien von den Medien nicht gemeldet worden. Laut Interviews mit irakischen Menschenrechtsverteidigern würden die Grundrechte und Freiheiten von LGBT-Personen im Irak regelmäßig straflos verletzt. Personen, die aufgrund ihrer realen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung oder Gender-Identität Opfer von Diskriminierung würden, beziehungsweise verletzt oder gefoltert würden, könnten sich nicht an staatliche Institutionen, darunter Polizei, Sicherheitskräfte oder medizinische Einrichtungen wenden, um Schutz und Unterstützung zu erhalten. Der Bericht führt in einer Fußnote genauer aus, dass Ärzte an Krankenhäusern im Irak regelmäßig LGBT-Personen die Gesundheitsversorgung verweigern würden oder das Doppelte oder Dreifache der Behandlungskosten verlangen würden:

„The mere perception of being LGBT is extremely dangerous in Iraq and living openly as an LGBT person is nearly impossible. For victims of anti-LGBT discrimination, including violence, there is no viable recourse in the Iraqi State. State security forces not only fail to investigate acts of discrimination and violence against LGBT people; they stand by and allow murderous hate violence to occur, fully aware of what is happening. Furthermore, security forces and government officials themselves commit anti-LGBT discrimination and violence. The State’s denial of access to justice for victims of these human rights violations encourages further discrimination and acts of violence, including those committed by health professionals and others who capitalize on LGBT peoples’ vulnerable status.

To understand the extent of state-sanctioned anti-LGBT discrimination in Iraq, one can review the Government’s report to the UN Human Rights Committee in 2013. The Government fails to mention the pervasive violence and discrimination based on real or perceived sexual orientation and gender identity in Iraq. While there is no law that explicitly criminalizes same sex intimacy, it openly states in its Report that it deems homosexual acts unlawful, and that it denies LGBT activists the right to free expression and association. It impermissibly relies on religious beliefs to justify these forms of discrimination, stating, ‘[protest] activities by homosexuals are prohibited since their sexual practices, being contrary to the teachings of the Islamic sharia, constitute a punishable offence under Iraqi law‘. […]

For example, in June of 2012, in the Northern city of Samarra, the burning remains of two young men were left in the street of a busy public intersection for over two hours. Countless people passing through the intersection saw the bodies and not a single person intervened. The family members of the men, who had killed them both, were still standing in the street holding pistols in their hands as they watched the men’s bodies burn. The Security Forces of the Ministry of the Interior, who were informed of the incident beforehand, witnessed the shooting and burning and were standing near the families who were holding the pistols. There were no repercussions for the killings and no media coverage of the incident. […]

According to human rights testimonials and interviews with Iraqi community-based human rights advocates, the most basic rights and fundamental freedoms of LGBT persons are regularly violated in Iraq with impunity. People who experience severe discrimination, even killed killed, injured or tortured on the basis of real or perceived sexual orientation or gender identity find no recourse in the institutions that should provide protection and support, such as state police and security forces, or medical facilities.“ (IWHR, 31. August 2015, S. 6-7)

„Doctors at hospitals in Iraq regularly deny LGBT people healthcare, or charge them double or triple the rate for treatment.“ (IWHR, 31. August 2015, S. 7, Fußnote 9)

Der von IWHR und MADRE veröffentlichte Bericht erwähnt weiters, dass im Mai 2015 die zur Gruppe Asa’ib Ahl al-Haqq gehörige Miliz Saraya al-Ghadab in Bagdad Listen aufgehängt habe, auf der die Namen von 24 „gesuchten Personen“ aufgeführt worden seien, von denen 23 vorgeworfen werde „homosexuelle Handlungen begangen zu haben“. In den folgenden zwei Monaten sei es zu mindestens zwei Angriffen von Milizen auf Gruppen von Personen in Zusammenhang mit deren realer oder wahrgenommener Sexualität gekommen. Zwei Männer seien enthauptet und mindestens 34 Personen seien in einem Bordell ermordet worden:

On May 15, 2014, the Brigades of Wrath (Saraya al-Ghadhab), the military arm of Asa’ib Ahl al-Haq, (the League of the Righteous), posted a list on signs around Baghdad with the names and neighborhoods of 24 ‘wanted‘ persons; 23 accused of the ‘crime‘ of homosexual acts and one man accused of the ‘crime‘ of having long hair. Over the following two months, at least two militia attacks took place in Baghdad against groups of persons because of their real or perceived sexual conduct or sexuality, including the beheading of two young men, and the murder of at least 34 people in a brothel.“ (IWHR, 31. August 2015, S. 8-9)

Outright Action International, eine in den USA ansässige NGO, die zusammen mit lokalen Partnerorganisationen und AktivistInnen Diskriminierung und Misshandlung von LGBTI-Personen in der Welt dokumentiert und sich für LGBTI-Rechte einsetzt, veröffentlicht im Jahr 2014 einen Bericht zur Lage von LGBTI-Personen, in dem die einzelnen Akteure der Gewalt, darunter Familie, Gesellschaft, Stamm, IS, Milizen, staatliche Sicherheitskräfte sowie die Lage in der

Autonomen Region Kurdistan in kurzen Unterkapiteln thematisiert werden. Der Bericht stützt sich unter anderem auf Interviews mit irakischen LGBTI-Personen.

Der Bericht erwähnt, dass die meisten Bedrohungen bezüglich LGBT-Personen von deren Familien, der Gesellschaft und den Stämmen ausgehen würden. LGBT-Personen, die im Zuge des Berichts interviewt worden seien, hätten angegeben, dass enge Familienmitglieder für die oft tödlichen Bedrohungen verantwortlich seien. Mehrere Befragte hätten angeführt, dass Familienmitglieder der Meinung seien, sie müssten agieren, um die Ehre der Familie und Stammeswerte zu verteidigen. Ein NGO-Mitarbeiter habe berichtet, dass ein homosexueller Mann von seiner Familie heftig geschlagen worden sei, als sie herausbekommen habe, dass er in einer Beziehung mit einem anderen Mann sei. Die Familie habe ihn dann dazu gezwungen, eine Therapie zu durchlaufen, um „Gott näher zu kommen“, womit sie angedeutet hätten, dass homosexuelles Verhalten entgegen der Religion sei. Ein weiterer Aktivist habe angegeben, dass die Verfolgung homosexueller Männer mit der Stammesmentalität im Irak zu tun habe, die Macht und Erfolg über die Demonstration von Männlichkeit definiere. Effeminierte Homosexuelle seien gesellschaftlichem Hass ausgesetzt, da die Gesellschaft den Eindruck habe, sie hätten ihre männlichen Merkmale zugunsten von weiblichen Merkmalen zurückgewiesen. Aus dem Grund hätten Homosexuelle keinen Stammesschutz. Für weibliche Homosexuelle habe die Tatsache, dass sie Schande über die Familie gebracht hätten, schwerwiegende Konsequenzen. In einem Fall hätten die Familien zweier junger Frauen, nachdem sie über deren Beziehung erfahren hätten, beide zu heterosexuellen Ehen mit älteren Männern gezwungen. Dies sei eine Praxis, die laut Beobachtern in solchen Fällen häufig sei, obwohl das Zivilgesetz sie verbiete:

The most common threats to gender non-conforming Iraqis come from their families, communities, and tribes. The LGBT individuals interviewed for this report identified close family members as being behind often lethal threats. More than one pointed out that these family members believed they acted to defend tribal values of family honor. An NGO worker, the rare individual who has helped support persecuted LGBT Iraqis, recounted how a gay man he worked with was severely beaten by his family when they found out that he was in a relationship with a man. The family forced the man into therapy to ’get closer to God,’ implying that homosexual behavior was contrary to religion, this Iraqi LGBT rights activist said. Another Iraqi activist ascribed the persecution of gay men in Iraq to a tribal mentality that defines power and success through displays of masculinity. Effeminate gays face social hatred, she said, because society sees them as having rejected their masculinity in favor of feminine traits. As a result, she said, ’Gays don’t have tribal protection.’ For lesbians, bringing shame onto the family has dire consequences. In one case, the families of two young women became aware of their relationship and forced both women into heterosexual marriages with older men, a practice that knowledgeable observers said was common for such cases although the Civil Code prohibits the practice. (Outright Action International, 2014, S. 3)

Ein weiterer Bericht von Outright Action International aus demselben Jahr gibt die Erlebnisse von fünf LGBT-Personen im Irak wieder. Der Bericht ist unter folgendem Link verfügbar:

·      Outright Action International: We’re Here – Iraqi LGBT People’s Accounts of Violence and Rights Abuse, 2014
https://www.outrightinternational.org/sites/default/files/WereHere_IraqLR.pdf

 

Die in saudischem Besitz befindliche, in London herausgegebene Onlinezeitung Elaph berichtet im Juni 2016, dass die Polizei in der Stadt Nadschaf zwei junge homosexuelle Männer in Hochzeitskleidung festgenommen habe, die sich in einem für eine Hochzeit geschmückten Auto befunden hätten. Die beiden hätten angegeben, dass ihre Hochzeit durch eine religiöse Fatwa sanktioniert worden sei. Ein Video sei auf sozialen Medien aufgetaucht, welches die Polizei dabei zeige, wie sie die Männer aus dem Auto heraushole. Der eine Mann habe ein Brautkleid, der andere eine Anzug an. Polizisten würden versuchen, den Brautschleier vom Gesicht des einen Mannes zu entfernen, während der andere Mann versuche, die Polizisten von der Legalität der Hochzeit zu überzeugen und angebe, dass er eine Fatwa, eine rechtliche Erlaubnis eines Geistlichen, zur Durchführung der Hochzeit bekommen habe.

Nach einer kurzen Ermittlung hätten Polizisten den jungen Mann im Brautkleid in ein Polizeiauto gesetzt und darauf bestanden, dass man den Bräutigam in einem anderen Auto unterbringe. So ein Vorfall sei selten in der irakischen Gesellschaft, die strenge Traditionen bewahre und Homosexualität verbiete, besonders da einige fundamentalistische Gruppierungen vor vier Jahren in mehreren irakischen Städten gezielt Homosexuelle getötet hätten. (Elaph, 23. Juni 2016)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 9. Februar 2017)

·      Elaph: shurtat al-nadschaf tactaqil mithliyain yahtafilan bi-sawajihuma [Polizei in Nadschaf nimmt Homosexuelle fest, die ihre Hochzeit feiern], 23. Juni 2016 http://elaph.com/Web/News/2016/6/1094969.html

·      Freedom House: Freedom in the World 2016 - Iraq, 27. Jänner 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/325348/465173_de.html

·      HRW - Human Rights Watch: Cleric’s Call Against Anti-LGBT Violence, 18. August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/328695/469528_de.html

·      ILGA - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association: State Sponsored Homophobia 2016: A world survey of sexual orientation laws: criminalisation, protection and recognition, Mai 2016 (veröffentlicht von ILGA, verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1463724535_2016-05-ilga-state-sponsored-homophobia-2016-eng-web-150516.pdf

·      IWHR - International Women's Human Rights Clinic at the City University of New York School of Law: Dying to be Free: LGBT Human Rights Violations in Iraq, 31. August 2015 (veröffentlicht von CESCR, verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1461158721_int-cescr-css-irq-21554-e.pdf

·      Outright Action International: When Coming Out is a Death Sentence – Persecution of LGBT Iraqis, 2014
https://www.outrightinternational.org/sites/default/files/ComingOutDeathSentence_Iraq_0.pdf

·      Outright Action International: We’re Here – Iraqi LGBT People’s Accounts of Violence and Rights Abuse, 2014
https://www.outrightinternational.org/sites/default/files/WereHere_IraqLR.pdf

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Position on Returns to Iraq, 14. November 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1485247972_opendocpdf.pdf

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2015 - Iraq, 13. April 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/322446/461923_de.html