Document #1356079
AI – Amnesty International (Author)
Amtliche Bezeichnung: Demokratische Bundesrepublik Äthiopien
Staatsoberhaupt: Girma Wolde-Giorgis
Regierungschef: Meles Zenawi
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 85 Mio.
Lebenserwartung: 56,1 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 138/124 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 35,9%
Die regierende Revolutionäre Demokratische Front des äthiopischen Volkes (Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front - EPRDF) ging aus den Parlamentswahlen im Mai 2010 als Siegerin hervor. Die Wahlen waren geprägt von Einschüchterungen, Schikanen und Einschränkungen der Vereinigungs- und der Versammlungsfreiheit. 2010 traten Gesetze in Kraft, die das Engagement für Menschenrechte stark beschneiden. Die Arbeit der unabhängigen Presse wurde erheblich eingeschränkt. Um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten, drohten die Behörden flächendeckend damit, staatliche Ressourcen, Hilfsleistungen und berufliche Aufstiegschancen einzuschränken.
Im Mai 2010 wurden das Parlament und der Staatsrat gewählt. Die EPRDF und ein kleines Parteienbündnis gewannen 99,6% der Abgeordnetensitze. Das Oppositionsbündnis Forum für Demokratischen Dialog in Äthiopien, Medrek, warf der Regierung Wahlbetrug vor und forderte eine Wiederholung der Wahl. Die staatliche Wahlbehörde wies die Forderung zurück; eine vor dem Obersten Gerichtshof eingelegte Beschwerde wurde abgewiesen.
Im Abschlussbericht der EU-Wahlbeobachterkommission hieß es, die Wahlen hätten internationalen Standards nicht entsprochen. In den Schlussfolgerungen wurde deutlich, dass es für die Parteien, die bei den Wahlen angetreten waren, keine Chancengleichheit gegeben hatte. Es war von Verletzungen der Meinungs-, der Versammlungs- und der Bewegungsfreiheit die Rede, denen Mitglieder von Oppositionsparteien ausgesetzt waren. Weiter hieß es in dem Bericht, dass die Regierungspartei staatliche Mittel missbräuchlich eingesetzt habe und unabhängige Medien nicht über die Wahlen berichten konnten. Der äthiopische Ministerpräsident bezeichnete den Kommissionsbericht als "baren Unsinn", und der Leiter der Wahlbeobachterkommission durfte nicht nach Äthiopien einreisen, um den Bericht dort vorzustellen.
Äthiopien gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Afrika. Die Regierung wurde von den UN dafür gelobt, dass ihr Vorhaben, die Armut bis 2015 um 50% zu reduzieren, nach Plan verläuft. Die UN stellten jedoch auch fest, dass die zunehmende Ungleichheit in den Städten und schlechte Bildungsstandards die Entwicklung behindern und dass Äthiopien in den Bereichen Gleichstellung der Frauen und Müttersterblichkeit keine ausreichenden Fortschritte mache.
Mitglieder von Oppositionsparteien wurden vor den Wahlen im Mai mehrfach gedrängt, aus ihren Parteien auszutreten. Dabei wurden staatliche Ressourcen, Hilfeleistungen und berufliche Aufstiegschancen als Druckmittel eingesetzt. Bildungschancen, Arbeitsplätze in der Verwaltung und Nahrungsmittelhilfe waren häufig an eine Mitgliedschaft in der Regierungspartei gebunden. Wähler in Addis Abeba sollen unmittelbar vor den Wahlen mit dem Entzug von staatlicher Unterstützung bedroht worden sein, falls sie nicht für die EPRDF stimmen würden.
Im Vorfeld der Wahlen kam es zu politisch motivierten Gewalttaten.
Medrek berichtete im Februar 2010, dass bewaffnete Männer Mitglieder des Bündnisses daran gehindert hätten, sich als Kandidaten registrieren zu lassen.
Mitglieder von Oppositionsparteien wurden nach Angaben ihrer Parteien im Auftrag der EPRDF im Vorfeld der Wahlen schikaniert, verprügelt und inhaftiert. Berichten zufolge wurden Hunderte von Menschen in der Region Oromia willkürlich festgenommen, häufig mit der Begründung, dass sie Anhänger der Oromo-Befreiungsfront (Oromo Liberation Front - OLF), einer bewaffneten Gruppe, seien. Angehörige der ethnischen Gruppe der Oromo wurden nach vorliegenden Informationen ohne Gerichtsverfahren inhaftiert sowie gefoltert und getötet. Am 7. Februar berichtete Dr. Merera Gudina, Vorsitzender des OPC und des Oppositionsbündnisses Medrek, den Medien, dass in einem Zeitraum von nicht einmal fünf Monaten mindestens 150 Funktionäre der Oromo-Opposition festgenommen worden seien.
Die unabhängige Presse des Landes konnte sich kaum betätigen. Journalisten arbeiteten in einem Klima der Angst, weil sie Repressalien und strafrechtliche Verfolgung vonseiten des Staates befürchten mussten. Informationen wurden von staatlichen Stellen wie der Radio- und Fernsehbehörde ERTA und dem staatlichen Verlag Ethiopian Press streng kontrolliert.
Im März 2010 setzte der Oberste Gerichtshof die Geldstrafen wieder in Kraft, die 2007 gegen vier unabhängige Verlage im Zuge des harten Vorgehens der Regierung gegen die Medien nach den Wahlen 2005 verhängt worden waren. Der Staatspräsident hatte die Strafen 2007 aufgehoben. Die Verleger waren nicht in der Lage, die erneut verhängten Geldstrafen aufzubringen. Die Regierung forderte daraufhin das erstinstanzliche Strafgericht auf, die Vermögenswerte der Verleger und ihrer Ehefrauen einzufrieren.
Der Staat zensierte Internetinhalte und blockierte einige Websites. Die staatliche Wahlbehörde führte eine Presseregelung ein, welche die Tätigkeit von Journalisten während der Wahlen einschränkte; u.a. waren Interviews mit Wählern, Kandidaten und Wahlbeobachtern am Wahltag verboten.
Das Gesetz über Massenmedien und Informationsfreiheit (Mass Media and Freedom of Information Proclamation) blieb in Kraft. Es räumte der Regierung unverhältnismäßige Befugnisse ein, um Gerichtsverfahren wegen Verleumdung anzustrengen, Geldstrafen zu verhängen sowie Medien die Registrierung und Lizenzen zu verweigern.
Das 2009 verabschiedete Gesetz über gemeinnützige Organisationen und Verbände trat in Kraft. Das Gesetz legt zivilgesellschaftlichen Organisationen umfassende Kontrollen auf. Verstöße gegen das Gesetz können mit strafrechtlichen Maßnahmen, einschließlich Geld- und Haftstrafen, geahndet werden. Äthiopische NGOs, die zu den Themen Menschenrechte und Demokratie arbeiten, dürfen nicht mehr als 10% des Gesamtbudgets aus dem Ausland erhalten, da sie sonst mit einem Betätigungsverbot belegt werden. Das Gesetz bewirkte, dass Menschenrechtsverteidiger Angst hatten, sich zu engagieren, und führte zu Selbstzensur.
Einige Organisationen verlagerten ihre Tätigkeitsfelder erheblich und stellten ihre Arbeit zum Thema Menschenrechte ein. Mehrere Menschenrechtsverteidiger flohen ins Ausland, weil sie nach Inkrafttreten des Gesetzes Repressalien seitens der Regierung befürchteten.
Eine kleine Zahl von Organisationen setzte ihre Arbeit in den Bereichen Menschenrechte und Demokratie fort, so u.a. der Äthiopische Rat für Menschenrechte (Ethiopian Human Rights Council - EHRCO) und die Vereinigung der Äthiopischen Rechtsanwältinnen (Ethiopian Women Lawyers Association - EWLA). Durch die neuen Finanzierungsregeln waren aber beide Organisationen gezwungen, die Zahl ihrer Mitarbeiter zu verringern und Büros zu schließen. Ende 2010 hatte der EHRCO die Zahl seiner Büros von zwölf auf drei reduziert. Obwohl es dem EHRCO und der EWLA gelang, bei der Behörde für zivilgesellschaftliche Organisationen eine Neuregistrierung zu erwirken, wurden die Konten der beiden Organisationen Ende 2009 gesperrt. Die Sperrung bestand Ende 2010 weiterhin.
Das Antiterrorgesetz, dessen Definition von "Terrorakten" sehr unscharf gehalten ist und nach dem die Ausübung der Rechte auf freie Meinungsäußerung und auf friedliche Versammlungen mit Strafe belegt werden kann, blieb in Kraft. Durch die Gefahr, strafrechtlich verfolgt zu werden, entstand ein Klima der Selbstzensur. Dies war auch bei Journalisten der Fall, die wegen Artikeln über Einzelpersonen oder Gruppen, die als "Terroristen" gelten, strafrechtlich verfolgt werden können.
Zahlreiche politische Gefangene und mutmaßliche gewaltlose politische Gefangene blieben 2010 in Haft.
Nach wie vor nahm die Regierung Hunderte von Angehörigen der Oromo unter dem Vorwurf fest, Anhänger der OLF zu sein. Diese Anklagepunkte waren dem Anschein nach häufig politisch motiviert.
Nach wie vor gab es vereinzelt Kämpfe zwischen der OLF und der äthiopischen Armee. Äthiopische Flüchtlingskinder erzählten, dass sie von der OLF in Kenia zwangsrekrutiert und zurück nach Äthiopien geschmuggelt worden seien, um dort als Träger und Köche zu dienen.
In der Region Somali kam es auch 2010 im Zusammenhang mit dem seit vielen Jahren schwelenden Konflikt zwischen der äthiopischen Armee und der Ogaden-Befreiungsfront (Ogaden National Liberation Front - ONLF) zu Kämpfen. Am 4. Februar veröffentlichte die ONLF eine Erklärung, in der sie die Afrikanische Union aufforderte, Menschenrechtsverletzungen, insbesondere mutmaßliche Kriegsverbrechen der äthiopischen Armee in der Region, zu untersuchen. Die Regierung ließ kaum ausländische Journalisten und auch bestimmte humanitäre Hilfsorganisationen nicht in die Region Somali. Die Region war überwiegend nicht zugänglich. Ein Journalist des Radiosenders Voice of America wurde im Juni aus Äthiopien ausgewiesen, nachdem er über Zusammenstöße zwischen der Armee und der ONLF berichtete hatte.
Berichten zufolge wurde am 12. Oktober 2010 zwischen einer abtrünnigen Gruppierung der ONLF und der Regierung ein Friedensabkommen unterzeichnet. Dem Vernehmen nach ist den Mitgliedern der Gruppierung Schutz vor Strafverfolgung garantiert worden, und die Regierung will Gefangene freilassen. Der Mehrheitsflügel der ONLF soll das Abkommen als "irrelevant" bezeichnet haben.
Im November gingen Berichte ein, nach denen in der Ortschaft Degeh Bur mehr als 100 Zivilpersonen festgenommen und in ein Militärgefängnis nach Jijiga gebracht wurden. Im Dezember sollen äthiopische Soldaten ein Dorf in der Korahe-Zone niedergebrannt haben, wobei drei Zivilpersonen ums Leben kamen.
2010 wurden zwar Todesurteile verhängt, doch gingen keine Berichte über Hinrichtungen ein.
Ethiopia: Amnesty International calls on the Government of Ethiopia not to execute Melaku Tefera (AFR 25/001/2010)
Ethiopia releases opposition leader, 6 October 2010
© Amnesty International
Amnesty International Report 2011 - The State of the World's Human Rights (Periodical Report, English)
Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Periodical Report, German)