Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Haiti

Amnesty Report 2015

Haiti

 

 

Mehr als 80000 Menschen, die durch das Erdbeben im Januar 2010 obdachlos geworden waren, konnten noch immer nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Die Behörden leiteten keine Maßnahmen zur Verhinderung rechtswidriger Zwangsräumungen ein. Die grundsätzlich fehlende Unabhängigkeit des Justizwesens gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. Mehrere Menschenrechtsverteidiger wurden bedroht und angegriffen.

Hintergrund

Bis Ende 2014 waren die seit langem anstehenden Lokal- und Parlamentswahlen zur Besetzung eines Drittels der Senatssitze noch nicht durchgeführt worden. Hauptursache dafür waren Unstimmigkeiten zwischen Regierung und Parlament über den Wahlrat, weshalb sich sechs Senatoren weigerten, für die geplante Wahlgesetzreform zu stimmen.

Am 14. Dezember trat Premierminister Laurent Lamothe zurück, nachdem eine vom Präsidenten benannte Beratungskommission neben anderen Maßnahmen zur Verringerung der politischen Spannungen dessen Amtsniederlegung empfohlen hatte. Zum Jahresende herrschte weiterhin Besorgnis über die politische Stabilität des Landes, da die Amtszeit eines weiteren Drittels der Senatsmitglieder sowie aller Mitglieder des Abgeordnetenhauses Mitte Januar 2015 auslaufen wird.

Im Oktober erneuerte der UN-Sicherheitsrat das Mandat der UN-Stabilisierungsmission in Haiti (MINUSTAH) für ein elftes Jahr in Folge und empfahl eine radikale Reduzierung ihrer militärischen Komponente.

Die Cholera-Epidemie hielt an, auch wenn während der ersten Hälfte des Jahres 2014 ein deutlicher Rückgang der Krankheitsfälle zu verzeichnen war. Zwischen Oktober 2010 und Juli 2014 starben mindestens 8573 Personen an der Cholera. Eine im Oktober 2013 von haitianischen und US-amerikanischen Menschenrechtsgruppen gegen die UN erhobene Klage wegen deren mutmaßlicher Verantwortlichkeit für das Einschleppen der Krankheit in Haiti im Jahr 2010 war zum Jahresende noch vor einem US-amerikanischen Gericht anhängig.

Nach der Einrichtung des Interministeriellen Ausschusses für Menschenrechte wurde eine Reihe von internationalen und regionalen Menschenrechtsabkommen unterzeichnet und ratifiziert. Im Oktober 2014 begutachtete der UN-Menschenrechtsausschuss den ersten Bericht Haitis.

Binnenflüchtlinge

Mehr als 80000 Menschen, die durch das Erdbeben im Januar 2010 obdachlos geworden waren, lebten im September 2014 noch immer in 123 provisorischen Lagern. Die meisten der Binnenflüchtlinge, die die Lager verließen, brachen entweder nach einem spontanen Entschluss auf oder nachdem sie eine Mietbeihilfe für ein Jahr erhalten hatten. Der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte Binnenvertriebener erklärte nach seinem Besuch in Haiti im Juli, dass es zwar seit Juli 2010 zu einem deutlichen Rückgang der in Lagern lebenden Binnenflüchtlinge gekommen sei, dass aber für die Mehrheit der Menschen, die die Lager verlassen haben, keine dauerhaften Lösungen gefunden worden seien.

Recht auf Wohnen - rechtswidrige Zwangsräumungen

Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren gab es im Jahr 2014 weniger rechtswidrige Zwangsräumungen von Binnenflüchtlingslagern und anderer informeller Siedlungen. Die Behörden stellten Opfern von Zwangsräumungen jedoch keine alternativen Unterkünfte zur Verfügung und ergriffen auch keine nachhaltigen Maßnahmen, um zukünftige rechtswidrige Zwangsräumungen zu verhindern.

Ende Mai 2014 wurden Hunderte von Familien obdachlos, nachdem die Regierung den Abriss von Gebäuden im Zentrum der Hauptstadt Port-au-Prince angeordnet hatte. Die meisten der betroffenen Personen waren über den geplanten Abriss nicht im Vorfeld benachrichtigt worden, und nur eine verschwindende Minderheit der Hauseigentümer hatte zum Zeitpunkt des Abrisses eine Entschädigung erhalten.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Angaben von Frauenrechtsorganisationen zufolge war Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet. Die Regierung veröffentlichte keine konsolidierten Statistiken über geschlechtsspezifische Gewalt. Ein im Jahr 2011 in Zusammenarbeit mit Frauenrechtsgruppen ausgearbeiteter Gesetzentwurf zur Vermeidung, Bestrafung und Beseitigung der Gewalt gegen Frauen war bis Ende des Jahres 2014 dem Parlament noch nicht vorgelegt worden.

Haitianische Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass die Zahl der Gerichtsverfahren und Verurteilungen in Fällen sexueller Gewalt zwar gestiegen sei, es sich aber dabei nur um einen Bruchteil der angezeigten Fälle handele.

Straflosigkeit

Im Februar 2014 hob das Berufungsgericht von Port-au-Prince eine im Jahr 2012 von einem Ermittlungsrichter getroffene Entscheidung wieder auf, wonach der ehemalige Präsident Jean-Claude Duvalier nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgt werden könne. Das Gericht beauftragte einen seiner Richter mit den Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, an denen neben weiteren Personen Jean-Claude Duvalier beteiligt gewesen sein soll. Dem Richter wurden jedoch weder zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt, noch bekam er Einsicht in offizielle Dokumente, die möglicherweise für die Ermittlungen nützlich gewesen wären.

Dies ließ Zweifel an der Kompetenz des haitianischen Justizwesens aufkommen, den Opfern früherer Menschenrechtsverletzungen wirksame Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen. Nach dem Tod von Jean-Claude Duvalier im Oktober 2014 forderten nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen die Behörden auf, die Gerichtsverfahren gegen seine ehemaligen Handlanger fortzusetzen.

Justizwesen

Die grundsätzlich mangelnde Unabhängigkeit des Justizwesens gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. Der Oberste Justizrat, der als Schlüsselinstitution der Reform des Justizwesens gilt, begann das Verfahren zur Überprüfung der amtierenden Richter erst gegen Jahresende. Da mehrere offene Stellen im Justizsystem nicht besetzt wurden, verschärfte sich das Problem der übermäßig langen Verweilzeiten in Untersuchungshaft. Ende Juni 2014 machten Untersuchungshäftlinge mehr als 70% der Gefängnisinsassen aus.

Ein Richter, der Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide untersuchte, erließ im August 2014 Haftbefehl gegen den Ex-Präsidenten, nachdem dieser nicht zu einer Vorladung erschienen war. Im September ordnete derselbe Richter Hausarrest für Jean-Bertrand Aristide an. Die Rechtsanwaltskammer von Port-au-Prince und mehrere haitianische Menschenrechtsorganisationen fochten diese Entscheidungen an, die in weiten Kreisen als politisch motiviert angesehen wurden.

Menschenrechtsverteidiger

Mehrere Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer legitimen Menschenrechtsarbeit angegriffen, bedroht und schikaniert. In der Mehrzahl der Fälle führten die Behörden keine gründlichen und zeitnahen Ermittlungen durch und gewährten den betroffenen Personen keine effektiven Schutzmaßnahmen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen
Im Laufe des Jahres wurden mehrere verbale und physische Angriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) angezeigt, von denen die meisten jedoch nicht gründlich untersucht wurden. Angaben von LGBTI-Organisationen zufolge vermieden Polizeibeamte es häufig, in solchen Fällen einzugreifen, und ihre Äußerungen gegenüber Opfern offenbarten tiefsitzende diskriminierende Einstellungen gegenüber diesen Personen.

Niemand wurde wegen der Angriffe auf LGBTI zur Rechenschaft gezogen, die während der landesweiten Demonstrationen gegen die LGBTI-Rechte Mitte des Jahres 2013 und in der Folgezeit verübt wurden.

Amnesty International: Berichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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