Document #1335861
AI – Amnesty International (Author)
Amtliche Bezeichnung: Republik Somalia
Präsident: Hassan Sheikh Mohamud (löste
im September Sheikh Sharif Sheikh Ahmed
im Amt ab)
Ministerpräsident: Abdi Farah Shirdon Saaid (löste im Oktober Abdiweli Mohamed Ali
im Amt ab)
Präsident der Republik Somaliland:
Ahmed Mohamed Mahamoud Silanyo
In Süd- und Zentralsomalia setzte sich der bewaffnete Konflikt zwischen regierungstreuen Militäreinheiten, der Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) und der bewaffneten islamistischen Gruppe Al-Shabab fort. Die auf der Seite der Regierung stehenden Einheiten vertrieben die Al-Shabab-Milizen aus einer Reihe wichtiger Städte. So nahmen sie u.a. die Hafenstadt Kismaayo ein. Mit Beendigung der politischen Übergangsphase endete auch das Mandat der Übergangsregierung (Transitional Federal Government - TFG). Im August 2012 wurde ein neues Parlament, im September ein neuer Präsident durch das Parlament gewählt und im Oktober ein neuer Ministerpräsident berufen. Im Zuge des bewaffneten Konflikts und der überall herrschenden Gewalt wurden Tausende Zivilpersonen getötet, verletzt und vertrieben. Die humanitären Hilfsorganisationen hatten aufgrund der Kampfhandlungen, der prekären Sicherheitslage und der ihnen von den Konfliktparteien auferlegten Einschränkungen weiterhin keinen ungehinderten Zugang zu den Opfern. 18 Journalisten wurden getötet, und weitere wurden angegriffen, schikaniert und ins Exil getrieben. Auch kam es nach wie vor zu gezielter Gewaltanwendung gegen Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und Menschenrechtsverteidiger. Bewaffnete Gruppen nahmen weiterhin Zwangsrekrutierungen vor - auch von Kindern - und verschleppten, folterten und töteten Menschen rechtswidrig. Schwere Menschenrechtsverstöße, einschließlich Kriegsverbrechen, blieben straffrei. In Somaliland wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung zunehmend eingeschränkt; ein Journalist wurde getötet.
Die TFG und AMISOM behielten weiterhin die Kontrolle über Somalias Hauptstadt Mogadischu. Es kam zwar während des gesamten Jahres immer wieder zu Zusammenstößen mit den Al-Shabab-Milizen, doch gab es 2012 weniger Meldungen über derartige Vorfälle und zivile Opfer als in den Vorjahren. Die Al-Shabab-Milizen verloren die Kontrolle über einige wichtige Städte wie Baidoa, Afgoye, Merka und Kismaayo, beherrschten aber weiterhin große Teile der ländlichen Gebiete. Die Sicherheitslage war weiterhin äußerst prekär. Zivilpersonen liefen Gefahr, Opfer von willkürlichem Beschuss, gezielten Angriffen und Selbstmordattentaten zu werden.
Nachdem kenianische Truppen im Oktober 2011 eine Militäroffensive gegen die Al-Shabab-Milizen in Somalia gestartet hatten, wurden sie im Juli 2012 formell in die AMISOM eingegliedert. Die internationale Unterstützung für die Sicherheitskräfte der Regierung und die mit ihnen verbündeten Milizen wurde fortgesetzt, obwohl diese keinerlei Verantwortung für die von ihnen weiterhin begangenen gravierenden Menschenrechtsverstöße übernahmen.
Im Juli 2012 wies die UN-Überwachungsgruppe nachdrücklich auf fortwährende Verletzungen des gegen Somalia verhängten Waffenembargos hin.
Im Februar 2012 erklärten die Vereinten Nationen die Hungersnot in Somalia für beendet, gaben jedoch zu bedenken, dass die humanitäre Krise anhalte. Ende des Jahres 2012 litten 31% der Bevölkerung unter Mangelernährung und waren auf Hilfe angewiesen.
Im August 2012 endete das Mandat der TFG. Der Stichtag 20. August, der der TFG zur Übergabe der Macht an eine neue und repräsentativere Regierung gesetzt worden war, wurde mehrmals verschoben. Die Auswahl der Parlamentsmitglieder fand im August statt, und die Wahl eines neuen Präsidenten erfolgte im September. Eine Gruppe von 135 Stammesältesten wurde mit der Aufgabe betraut, die Mitglieder der Nationalen Verfassunggebenden Versammlung (National Constituent Assembly - NCA) zu bestimmen, die 275 neue Parlamentsabgeordnete auswählen und Somalias neue Verfassung verabschieden sollte. Die NCA nahm die Verfassung am 1. August an. Obwohl sie keine Änderungen am Verfassungsentwurf vorgenommen hatte, legte sie dem neuen Parlament eine Reihe von Empfehlungen zur Beratung vor. Bis zum Jahresende hatte die für das Inkrafttreten der Verfassung erforderliche Volksabstimmung noch nicht stattgefunden. Ein Technisches Auswahlkomitee (Technical Selection Committee - TSC) unterstützte die NCA bei der Überprüfung der potenziellen Parlamentsmitglieder. Die Kandidaten wurden anhand einer Reihe von Kriterien beurteilt. Dazu gehörte auch die Frage, ob gegen sie Vorwürfe wegen Menschenrechtsverstößen erhoben wurden. Der Oberste Gerichtshof Somalias kippte die Entscheidung des TSC, 16 der nominierten Abgeordneten abzulehnen, weil es sich bei ihnen um mutmaßliche Warlords handelte. Im September 2012 wählte das Parlament Hassan Sheikh Mohamud zum Präsidenten. Er gewann die Stichwahl gegen den Amtsinhaber Sheikh Sharif Sheikh Ahmed mit 190 zu 79 Stimmen. Im Oktober ernannte der Präsident Abdi Farah Shirdon Saaid zum Ministerpräsidenten. Das Parlament bestätigte im November das von ihm gebildete Kabinett. Erstmals führt eine Frau Somalias Außenministerium.
Im Januar 2012 wurde der autonome Staat Khatumo ausgerufen, der den Anspruch auf die Regionen Sool, Sanag und Ayn erhebt und sich als Teilstaat Somalias versteht, der die Regierung in Mogadischu anerkennt. Um die von Khatumo beanspruchten Regionen streiten sich auch Somaliland und Puntland. Die Kämpfe zwischen den Streitkräften von Somaliland und Milizen, die den Staat Khatumo unterstützten, zwangen Tausende Menschen dazu, ihre Wohnorte zu verlassen.
Wahllose Angriffe
Hunderte Zivilpersonen wurden 2012 bei wahllosen Angriffen aller Konfliktparteien getötet und verletzt. Auch wenn die Mörserangriffe zurückgingen, so sollen dennoch einige Zivilpersonen bei derartigen Angriffen zu Tode gekommen sein. Bei hauptsächlich in Mogadischu ausgetragenen Schießereien und internen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen TFG-Einheiten und Milizen wurden Zivilpersonen getötet und verletzt. Aber auch die von den Al-Shabab-Milizen und ihren Sympathisanten verstärkt eingesetzten selbst gebauten Sprengsätze und Granaten forderten Opfer unter der Zivilbevölkerung. Die Al-Shabab-
Milizen übernahmen die Verantwortung für Selbstmordattentate, bei denen Hunderte von Menschen getötet oder verletzt wurden. Luftangriffe, von denen einige von Kenia ausgingen, hatten in Süd- und Zentralsomalia gleichfalls Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung zur Folge.
Gezielte Angriffe auf Zivilpersonen
In Mogadischu liefen Zivilpersonen weiterhin Gefahr, Opfer von gezielten Angriffen und Tötungen zu werden.
Angehörige von Al-Shabab-Fraktionen waren weiterhin für Folterungen und rechtswidrige Tötungen von Menschen verantwortlich, die sie beschuldigten, Spione zu sein oder nicht ihrer Auslegung des islamischen Gesetzes zu folgen. Sie richteten öffentlich Personen hin (z.B. durch Steinigung), führten Zwangsamputationen von Gliedmaßen durch und ließen Menschen auspeitschen. Sie zwangen Männern und Frauen außerdem restriktive Verhaltensregeln auf.
Die Al-Shabab-Milizen setzten die Zwangsrekrutierung von Kindern vor und bei militärischen Operationen fort. Die meisten der Kinder wurden an die Front geschickt. Auch regierungsnahe Milizen wurden beschuldigt, noch immer Kindersoldaten zu rekrutieren und einzusetzen.
Im Juli unterzeichnete die TFG gemeinsam mit den Vereinten Nationen einen Aktionsplan, der ein Ende der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern in den TFG-Streitkräften zum Ziel hatte. Mit der Umsetzung des Plans war bis Ende 2012 jedoch noch nicht begonnen worden, und die Kinder waren weiterhin Teil der TFG-Streitkräfte.
Die Konfliktparteien griffen somalische Journalisten und Medienschaffende nach wie vor an, schikanierten sie und schüchterten sie ein. Mindestens 18 Medienschaffende wurden getötet. Im November kündigte der Präsident die Einsetzung einer Arbeitsgruppe an, die eine Untersuchung der Morde an den Journalisten durchführen und die Täter identifizieren sollte. Bis Ende 2012 war aber noch kein Mitglied der Arbeitsgruppe ernannt und niemand für die Taten verantwortlich gemacht worden. Auch die Behörden von Puntland schränkten die Medienfreiheit weiterhin willkürlich ein.
Die Kampfhandlungen, die instabile Sicherheitslage und die akute Mangelernährung zwangen Hunderttausende Menschen zum Verlassen ihrer Wohnorte. Laut Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) wurden im Jahr 2012 vor allem in den Gebieten Süd- und Zentralsomalia fast 1,36 Mio. Somalier zu Binnenflüchtlingen.
Die Lager für Binnenflüchtlinge (IDP camps) in Mogadischu wuchsen weiter an. Regelmäßig wurde darüber berichtet, dass Regierungsbeamte, Verantwortliche der IDP-Lager und sogar Mitarbeiter der UN-Überwachungsgruppe Hilfsgüter fehlleiteten. Die prekäre Sicherheitslage beeinträchtigte auch die Hilfslieferungen an die Lager. Es gab weiterhin Meldungen über sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Binnenvertriebene sollen dem Vernehmen nach aus ehemaligen Regierungsgebäuden vertrieben worden sein, um Platz für Rehabilitierungsprojekte zu schaffen. Auch in Lagern, die sich in der Nähe des Flughafens befanden, soll es wegen Sicherheitsbedenken zur Vertreibung von Flüchtlingen gekommen sein.
*Im September flüchteten mehr als 10000 Menschen aus der Hafenstadt Kismaayo, bevor die Stadt durch eine Militäroffensive von den Al-Shabab-Milizen befreit wurde.
In der Region gab es mehr als 1 Million somalische Flüchtlinge, insbesondere in Äthiopien und Kenia. Im November wurde der Flüchtlingslagerkomplex von Dolo Ado in Äthiopien zum weltweit zweitgrößten nach dem Dadaab-Komplex in Kenia. Auch zahllose somalische Flüchtlinge sind in diesen Lagern untergebracht.
Humanitäre Hilfsaktionen waren durch Kampfhandlungen, die allgemeine instabile Sicherheitslage und Zugangsbeschränkungen weiterhin erschwert.
Nach Regierungsangaben fanden 2012 in Mogadischu vier Hinrichtungen statt. Es gab jedoch Hinweise darauf, dass mindestens fünf Todesurteile vollstreckt wurden. In unfairen Verfahren vor Militärgerichten wurden mindestens 51 Todesurteile verhängt.
In Puntland sollen sieben Personen zum Tode verurteilt und mindestens eine Person hingerichtet worden sein.
Im Osten Somalias wurden Tausende Menschen durch die Kampfhandlungen zwischen der Armee von Somaliland und Milizen, die den neu gegründeten Staat Khatumo unterstützten, aus ihren Wohnorten vertrieben.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde in steigendem Maße beschnitten. Zahlreiche Journalisten wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Einige von ihnen berichteten, dass sie im Gewahrsam geschlagen worden seien. Ein Journalist wurde getötet. Ein Stammesältester, der regierungskritische Äußerungen gemacht hatte, kam für vier Monate in Haft.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2013 - The State of the World's Human Rights - Somalia (Periodical Report, English)