Document #1321436
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
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Informationen zu dieser Anfrage entnehmen Sie bitte auch folgender ACCORD-Anfragebeantwortung vom Mai 2016:
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Haftbedingungen für Tschetschenen innerhalb und außerhalb Tschetscheniens, insbesondere Behandlung von Personen, die für islamistische Gruppen in Syrien gekämpft haben [a-9589-7 (9646)], 31. Mai 2016 (Kopie im Anhang)
Laut undatierten Angaben der Website der Leitung des föderalen Strafvollstreckungsdienstes in Nordossetien-Alanien gebe es in der Republik das Untersuchungsgefängnis Nr.1 in Wladikawkas, das Straflager Nr.1 in Wladikawkas, eine Siedlung des offenen Strafvollzugs in dem Dorf Nogir, einem Vorort von Wladikawkas, und die Strafvollzugsinspektion in Wladikawkas:
„СИЗО-1 УФСИН России по Республике Северная Осетия - Алания
ИК-1 УФСИН России по Республике Северная Осетия - Алания
КП-3 УФСИН России по Республике Северная Осетия - Алания
УИИ УФСИН России по Республике Северная Осетия - Алания“ (Leitung des föderalen Strafvollstreckungsdienstes in Nordossetien-Alanien, ohne Datum)
Das vom Europarat gegründete Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, CoE-CPT), das die Haftbedingungen und Behandlung von Häftlingen in den Mitgliedstaaten gemäß des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe überwacht, veröffentlicht 2013 einen Bericht zu einem Besuch im Nordkaukasus im April und Mai 2011. In diesem wird erläutert, dass die Gelegenheit auch genutzt worden sei, um die Republik Nordossetien-Alanien zu besuchen, der davor relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Während des Besuchs im Nordkaukasus habe ein beträchtlicher Anteil der inhaftierten Personen, die von der Delegation des Komitees interviewt worden seien, behauptet, vor Kurzem von Mitgliedern der Strafverfolgungsbehörden misshandelt worden zu sein. Die Misshandlung sei den Behauptungen zufolge häufig derart schwer gewesen, dass sie Folter gleichgekommen sei, insbesondere in Dagestan und Tschetschenien, es habe aber auch sehr schwerwiegende Behauptungen aus Nordossetien-Alanien gegeben. In der großen Mehrheit der Fälle solle die Folter bzw. Misshandlung während der Befragung durch ausführende Beamte stattgefunden haben, entweder während der Anfangsphase des Freiheitsentzugs oder (und) während Phasen, in denen Untersuchungshäftlinge für weitere Ermittlungen in den Gewahrsam der Strafverfolgungsbehörden zurückverlegt worden seien. Das Ziel der Folter bzw. Misshandlung solle der Erhalt von Geständnissen oder Informationen gewesen sein.
Laut dem CoE-CPT würden die während des Besuches gesammelten Informationen klar darauf hindeuten, dass Ermittler und Richter (genauso wie andere Amtsträger) nicht die nötigen Schritte ergreifen würden, wenn sie Kenntnis über mögliche Fälle von Misshandlung erlangen würden. Einige Personen hätten angegeben, dass sie, selbst wenn sie deutlich sichtbare Verletzungen bei ihrem ersten Besuch beim Ermittler oder Richter gehabt hätten, von diesem nicht nach der Ursache der Verletzungen gefragt worden seien. Andere Personen hätten behauptet, dass sie sich beim Ermittler oder Richter über Folter bzw. Misshandlung beschwert hätten, dieser aber nicht gehandelt habe. Mehrere ranghohe Beamte, mit denen die Delegation des CoE-CPT die Angelegenheiten in der Republik Nordossetien-Alanien diskutiert habe, hätten zugegeben, dass Folter bzw. Misshandlung durch Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden ein Problem sei. Der Delegation sei mitgeteilt worden, dass eine Reihe von Verfahren, die mit derartigen Vorfällen zu tun hätten, darunter Fälle, in denen es zur Anwendung elektrischer Schocks gekommen sein solle, zum Zeitpunkt des Besuchs gelaufen seien. Zudem seien Berichten zufolge drei Polizisten von einem Gericht in Wladikawkas wegen „Anwendens illegaler Untersuchungsmethoden“ verurteilt worden. Sie hätten bedingte Haftstrafen erhalten und seien aus dem Dienst entlassen worden. Die Haftbedingungen in der Einrichtung des Innenministeriums für zeitweilige Festhaltung in Oktjabrskoje hätten eine Reihe von Mängeln aufgewiesen. Der Zugang zu natürlichem Licht in den Zellen sei mittelmäßig gewesen, sanitäre Anlagen in den Zellen seien nicht unterteilt gewesen und die Häftlinge hätten keinen Zugang zu Bewegung im Freien gehabt. In der Einrichtung des Innenministeriums für zeitweilige Festhaltung in Wladikawkas hätten insgesamt gute materielle Haftbedingungen geherrscht. Daher sei es für die Delegation des CoE-CPT eine Überraschung gewesen, dass in den sechs Monaten vor dem Besuch offenbar niemand dort inhaftiert gewesen sei. Berichten zufolge habe es Meinungsverschiedenheiten im Innenministerium zwischen den Ebenen der Föderation und der Republik über die Verwendung der Einrichtung gegeben. Die Delegation des CoE-CPT habe auch das Untersuchungsgefängnis Nr. 6 in Wladikawkas besucht. Dieses sei offiziell 2005 eröffnet worden und habe Kapazitäten für 20 Häftlinge. Die Häftlinge seien in sieben Zellen unterschiedlicher Größe untergebracht, die die Anforderung von vier Quadratmetern pro Häftling erfüllen würden. Alle Zellen seien geeignet ausgestattet, gut beleuchtet und belüftet sowie sauber gewesen. Das Design der Zellen habe jedoch die Privatsphäre der Häftlinge beträchtlich eingeschränkt. Zusätzlich zu den kleinen Fenstern in den Türen gebe es Fenster auf den Gang, von wo aus die Wärter beobachten könnten, was in den Zellen vor sich gehe. Zudem seien die Zellen, mit Ausnahme der Sanitäranlagen, unter Video- und akustischer Überwachung. Das Umfeld insgesamt könne nur als bedrückend beschrieben werden:
„The opportunity was also taken to examine the situation in the Republic of North Ossetia-Alania, a Republic which previously had received relatively little attention from the CPT.“ (CoE-CPT, 24. Jänner 2013, S. 9)
„In the course of the visit, a significant proportion of the detained persons interviewed by the CPT’s delegation made allegations of recent ill-treatment by law enforcement officials. The ill-treatment alleged was frequently of such severity as to amount to torture; this was particularly the case in the Republic of Dagestan and the Chechen Republic, although some very serious allegations were also received in the Republic of North Ossetia-Alania.
In the vast majority of cases, the torture/severe ill-treatment was said to have been inflicted at the time of questioning by operational officers, either during the initial period of deprivation of liberty or (and) during periods when remand prisoners were returned to the custody of law enforcement agencies for further investigative purposes, with a view to obtaining confessions or information.“ (CoE-CPT, 24. Jänner 2013, S. 13)
„The information gathered during the visit also clearly indicates that investigators and judges (as well as other public officials) do not take the necessary action when they become aware of cases of possible ill-treatment. Some persons stated that although they had clearly visible injuries when they first saw the investigator or judge, the latter did not ask them about the origin of these injuries. Other persons claimed that they did complain about torture/ill-treatment inflicted upon them to the investigator or judge, but that the latter took no action. Several of the cases referred to in paragraph 17 illustrate this state of affairs.“ (CoE-CPT, 24. Jänner 2013, S. 20)
„Senior officials with whom the delegation discussed the matter in the Republic of North Ossetia-Alania acknowledged that the use of torture/ill-treatment by law enforcement officials was a problem in the Republic. The delegation was told that there were a number of ongoing criminal cases initiated in relation to such acts, including cases of alleged application of electric shocks. Further, three police officers had reportedly been recently convicted by the Promyshlennyi court (in Vladikavkaz) for having applied ‘illegal methods of inquiry’; they received conditional prison sentences and were dismissed from service.“ (CoE-CPT, 24. Jänner 2013, S. 24)
„Conditions of detention at the IVS of Prigorodnyi District Division of Internal Affairs in Oktyabrskoye (Republic of North Ossetia-Alania) displayed a number of shortcomings. Access to natural light in the cells was mediocre, in-cell sanitary facilities (toilet and washbasin) were not partitioned, and detainees had no access to outdoor exercise. The CPT recommends that these deficiencies be remedied. […]
„The IVS of the Ministry of Internal Affairs for the Republic of North Ossetia-Alania, the only such facility within the central area of Vladikavkaz, offered on the whole good material conditions of detention. It therefore came as something of a surprise for the delegation to learn that no one had apparently been detained in the facility for the previous six months, reportedly because of a disagreement between the federal and republican level Ministries of Internal Affairs regarding how it should be used. As a result, detained persons had to be sent to IVS facilities situated in outlying districts.“ (CoE-CPT, 24. Jänner 2013, S. 31-32)
„As already mentioned in paragraph 48, the delegation also carried out a brief visit to Federal SIZO No. 6 in Vladikavkaz.
Officially opened in 2005, the establishment had a capacity of 20 and, on the day of the visit, was accommodating 13 inmates (including one sentenced working prisoner). Located adjacent to the premises of the FSB Directorate for the Republic of North Ossetia-Alania, it was used to accommodate prisoners in respect of whom a request to place them in the establishment had been made by the relevant federal investigative authorities, based on the nature of the offence of which they were accused and/or security considerations.
Inmates were accommodated in seven cells of various dimensions, respecting the norm of 4 m² of living space per prisoner. All the cells were suitably equipped, well lit and ventilated, and clean. However, the design of the cells significantly restricted inmates’ privacy: in addition to the small windows on the doors, there were windows giving towards the corridor, from where staff could observe what was happening inside each cell; further, the inside of the cells (except for the sanitary annexes) was under CCTV and acoustic monitoring. The overall environment could only be described as oppressive.“ (CoE-CPT, 24. Jänner 2013, S. 37)
Konkrete Beispiele von Folter von Häftlingen aus der Republik Nordossetien-Alanien werden auf den Seiten 18 bis 19 des Berichts angeführt.
Caucasian Knot, ein von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial im Jahr 2001 gegründetes Nachrichtenportal, das über menschenrechtliche Themen im Kaukasus informiert, berichtet im Juli 2013, dass Artur Podgorny, der in Nordossetien in Haft sei, laut Angaben seines Anwalts gefoltert und mit Vergewaltigung bedroht worden sei, damit er einen Mord gestehe. Zudem werde die Verteidigung von Podgorny behindert. Die Strafverfolgungsbehörden würden diese Informationen dementieren:
„Сотрудники правоохранительных органов Северной Осетии создают препятствия для защиты 20-летнего жителя Ингушетии Артура Подгорного и пытаются заставить его под пытками признаться в убийстве человека, заявляет его адвокат. Правоохранительные органы в свою очередь эту информацию опровергают. […]
Адвокат: Артур подвергся пыткам током и угрозам изнасилования“ (Caucasian Knot, 28. Juli 2013)
Im August 2015 berichtet Caucasian Knot unter Bezugnahme auf die russische Tageszeitung Kommersant, dass einer der Angeklagten im Mordfall Boris Nemzow, Ansor Gubaschew, in einer Erklärung an das russische Ermittlungskomitee mitgeteilt habe, dass ihm gegenüber durch Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden Gewalt angewandt worden sei. Laut Erklärung von Gubaschew habe er vor seinem Transfer nach Moskau ungefähr 24 Stunden vermutlich in Nordossetien verbracht. Dort habe man, um ein Geständnis von ihm zu erhalten, mit leeren Patronen geschossen, ihm elektrische Schläge versetzt und ihm gedroht, ihn mit einem Winkelschleifer zu zersägen. Gubaschew habe laut Kommersant um sein Leben und seine Gesundheit gefürchtet und habe erst von dem auf ihn ausgeübten Druck berichtet, als der Anwalt seiner Wahl gekommen sei:
„Обвиняемый по делу об убийстве политика Бориса Немцова Анзор Губашев написал заявление в Следственный комитет России о примененном к нему сотрудниками правоохранительных органов насилии, сообщает сегодня ‚Коммерсант‘. […]
Согласно заявлению обвиняемого, до отправки его в Москву он провел около суток, предположительно, в Северной Осетии, где возле него для получения показаний велась стрельба холостыми патронами, его били током и обещали распилить ‚болгаркой‘. ‚Я был шокирован и охвачен страхом за свою жизнь и здоровье‘, - цитирует заявление Губашева издание. Губашев указал, что решился сообщить о давлении на него только после появления адвоката по соглашению.“ (Caucasian Knot, 7. August 2015)
Das russische Nachrichtenportal Newsru.com berichtet im November 2015, dass Marik Bukulow sich bei den Ermittlungsbehörden Nordossetien selbst angezeigt habe. Er habe gestanden, auf einen Polizeikommandanten einer Sondereinheit geschossen zu haben. Dieses Verbrechen habe Wladimir Zkajew, Bukulows Freund und Nachbar, das Leben gekostet, da er auf einer Polizeiwache zu Tode geprügelt worden sei. Die Ermittler würden davon ausgehen, dass die Polizisten versucht hätten, ihn zu einem Geständnis zu bewegen, dass er ihren Kollegen angegriffen habe:
„В следственные органы Северной Осетии пришел с повинной Марик Букулов, который сознался в том, что ранил из огнестрельного оружия командира полицейского спецназа. Это преступление стоило жизни соседу и другу Букулова, которого стражи порядка избили до смерти в полицейском участке. Оперативники пытались вытянуть из задержанного признание в нападении на их коллегу, полагают следователи.
‚Ночью Марик Букулов явился в следственный (отдел), сейчас он еще там‘, - рассказала ТАСС племянница погибшего задержанного Владимира Цкаева.“ (Newsru.com, 18. November 2015)
Echo Kawkasa, ein Projekt des vom US-amerikanischen Kongress finanzierten Rundfunkveranstalters Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), das auf Russisch in Georgien, Abchasien und Südossetien ausgestrahlt wird, veröffentlicht im November 2015 eine Gesprächsrunde, die die Moderatorin Nana Plijewa unter anderem mit Warwara Pachomenko, Kaukasusexpertin von der International Crisis Group (ICG), führt. Das Gespräch dreht sich darum, wie oft von Seiten der Strafverfolgungsbehörden im Nordkaukasus Gewalt angewendet werde, ob in diesen Fällen ermittelt werde und ob die Täter bestraft würden. Alle diese Fragen seien laut Moderatorin durch den Tod von Wladimir Zkajew, der durch Folter der Polizei gestorben sei (siehe den zuvor zitierten Artikel, Anm. ACCORD), wieder aktuell. Die Staatsanwaltschaft von Nordossetien führe laut Plijewa eine Anhörung der Bürger zu Fällen von Gewaltanwendung seitens der Strafverfolgungsbehörden durch. Diese dauere jedoch nur vier Tage. Pachomenko ist der Ansicht, dass es ziemlich viele geben werde, die sich an die Behörden wenden wollten, sowohl aus Nordossetien selbst als auch EinwohnerInnen und AnwältInnen anderer Republiken. Die Hafteinrichtungen in Nordossetien hätten traurige Berühmtheit dadurch erlangt, dass viele Häftlinge aus Inguschetien und Dagestan dorthin gebracht würden und es gebe viele Beschwerden von dort darüber, dass Anwälte nicht zu den Häftlingen gelassen würden, über Folter, Folter mit Strom, das Würgen von Häftlingen, verschiedene Drohungen, insbesondere mit Vergewaltigung sowie das Verschwinden von Häftlingen aus den Hafteinrichtungen, was dazu führe, dass Verwandte und Anwälte sie sehr lange nicht finden könnten. Daher glaube sie, Pachomenko, dass sich genügend Personen finden würden, die sich an die Behörden wenden wollten, aber um das Problem zu lösen, das in Nordossetien sehr akut sei, nicht weniger akut als in Dagestan oder anderen Republiken im Nordkaukasus, über die man mehr höre, müsse die Sache systematisch angegangen werden.
Die Moderatorin fragt, ob tatsächlich der Wunsch bestehe, gegen dieses systemische Problem zu kämpfen, und ob Maßnahmen wie die Anhörung der BürgerInnen schon früher einmal durchgeführt worden seien, oder ob dies der erste Fall sei, in dem der Druck der Öffentlichkeit zu diesem Ergebnis geführt habe. Warwara Pachomenko antwortet, dass es ihres Wissens nach im Jahr 2013 Meldungen darüber gegeben habe, dass es Proteste von Verwandten gegeben habe wegen Informationen, dass der mutmaßliche Mörder eines Staatsanwaltes gefoltert worden sei, sie habe aber den Eindruck, dass dies zu keinen ernsthaften Schlussfolgerungen und keinen besonderen Konsequenzen geführt habe. Es habe ein paar Jahre zuvor Meldungen gegeben, dass drei Mitarbeiter des Innenministeriums (gemeint ist die Polizei, Anm. ACCORD) wegen illegaler Ermittlungsmethoden verurteilt worden seien. Sie hätten eine bedingte Haftstrafe erhalten und seien entlassen worden. Sie könne sich nicht daran erinnern, dass es in Nordossetien schon einmal ernsthafte Folgen für die Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, die an den Folterungen beteiligt gewesen seien, gegeben habe. Und das, obwohl im letzten Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, CoE-CPT) das Problem der Folter in Nordossetien gemeinsam mit Dagestan und Tschetschenien angesprochen worden sei, wo dieses Problem noch akuter sei. In diesem Bericht, der 2014 erschienen sei, habe man sich auch darüber beschwert, dass es seit dem vorangegangenen Bericht keine wesentlichen Änderungen oder Verbesserungen gegeben habe.
Laut der Moderatorin sei ein/e Korrespondent/in von Echo Kawkasa zur Staatsanwaltschaft gegangen, um zu erfahren, wie oft sich Folteropfer an die Strafverfolgungsbehörden wenden würden und ob diese Fälle vor Gericht verhandelt würden. Plijewa merkt jedoch an, dass es laut dem/der Korrespondent/in bei der Staatsanwaltschaft keine Warteschlangen gegeben habe. Auf die Frage, ob dies bedeute, dass die Bürger kein Vertrauen zu den Strafverfolgungsbehörden hätten, antwortet Pachomenko, dass das Vertrauen natürlich sehr gering sei. Das Problem bei Folter bestehe aber auch darin, dass man sich üblicherweise darüber beschweren müsse, sobald diese erfolge, da die Spuren der Folter dokumentiert werden müssten, was später viel schwieriger sei. Oft müsse eine Person, wenn sie sich über Folter beschweren wolle, nachts um zwei Uhr den diensthabenden Staatsanwalt anrufen, damit es sofort eine Reaktion gebe. Wenn es keine Reaktion gebe, dann würden die drei Tage der angesetzten Anhörung der BürgerInnen die Situation wohl kaum wesentlich verändern. Wenn man Nordossetien näher betrachte, dann gebe es dort Risikogruppen, also Personen, die wegen Verdachts auf Terrorismus, wegen Teilnahme am bewaffneten Untergrund festgenommen würden. Oder es hätten sich etwa die Muslime aus Nordossetien beschwert, die wegen des Verdachts, den Dichter Schamil Dschigkajew ermordet zu haben (im Jahr 2011, Anm. ACCORD), festgenommen worden seien. Wenn es Meldungen über Folter dieser Personen gebe, dann reagiere die Gesellschaft praktisch nicht darauf, weil niemand Rebellen oder Terroristen mögen würde und sich die Mehrheit vor Muslimen fürchte. Es herrsche der Eindruck, dass einen selbst solche Fälle nichts angehen würden. Doch jeder dieser Fälle, in dem es keine Reaktion gebe, schaffe ein allgemeines System der Straflosigkeit, nähre die Straflosigkeit noch, und wenn es dann jemanden anderen treffe, dann sei die Folter bereits Teil des Systems, das sich herausgebildet habe. Außerdem sei Nordossetien ein Ort, so Pachomenko nochmals, wo Häftlinge aus anderen Republiken des Nordkaukasus hingebracht würden. Diese Häftlinge hätten also keine Verwandten vor Ort, AnwältInnen müssten einige Hundert Kilometer für einen Besuch fahren. Es sei dort schwerer, zu protestieren, mit den örtlichen Medien zu arbeiten usw. Daher höre man auch davon nichts, was sich auf die Situation in der Republik insgesamt auswirke, darauf, wie in weiterer Folge mit den EinwohnerInnen der Republik umgegangen werde, denn die Mitglieder der bewaffneten Organe hätten sich einfach daran gewöhnt, so zu handeln.
Die Moderatorin stellt die Frage, wo in Russland die Lage am Schlechtesten sei, wo die Grausamkeit empörende Ausmaße erreiche oder ob es tatsächlich in Nordossetien am Schlechtesten sei und man nur nichts über andere Fälle wisse, weil die Verwandten sich fürchten und daher nicht laut über derartige Fälle sprechen würden, weil die AnwältInnen nicht bis dorthin fahren würden und die Häftlinge nicht im angemessenen Ausmaß verteidigen würden, weil es zu wenige Informationen gebe. Warwara Pachomenko antwortet, dass es ziemlich viele Meldungen über Folter und nicht zulässige Methoden aus Dagestan, Kabardino-Balkarien und Tschetschenien gebe. In Nordossetien gebe es, wie bereits erläutert, aufgrund mehrerer Ursachen weniger derartige Meldungen. Es sei schwierig zu sagen, ob Nordossetien in Bezug auf die Anzahl der Folterfälle auf demselben Niveau sei wie Dagestan, Tschetschenien und Kabardino-Balkarien, oder ob es dort weniger Fälle gebe. Es sei einfach vieles nicht bekannt:
„Продолжение темы в нашей рубрике ‚Некруглый стол‘, гостями которой сегодня являются руководитель исследовательских программ фонда ‚Общественный вердикт‘ Асмик Новикова и аналитик Международной кризисной группы Варвара Пахоменко.
Нана Плиева: Мы обсуждаем, насколько часты случаи насилия со стороны правоохранительных органов на Северном Кавказе, проводятся ли расследования этих дел, несут ли наказание виновные. Актуальными все эти вопросы вновь сделала гибель 37-летнего уроженца Владикавказа Владимира Цкаева от полицейских пыток. Варя, прокуратура Северной Осетии проводит прием граждан по фактам применения насилия сотрудниками правоохранительных органов. Так заявлено в распространенном пресс-релизе. Правда, продлится он всего четыре дня – с 10 по 13 ноября. […]
Варвара Пахоменко: […]
Я думаю, что желающие обратиться будут и достаточно много, причем как в самой республике, так и, я полагаю, это могут быть жители и адвокаты из других республик. Потому что в Северной Осетии места содержания печально известны тем, что доставляют задержанных и из Ингушетии, и из Дагестана, и оттуда часто жалуются на пытки, на недопуск адвокатов, на пытки током, удушение людей, различные угрозы, в частности, изнасилования, исчезновения задержанных из мест содержания, когда ни родственники, ни адвокаты их не могут найти очень подолгу. Поэтому, я думаю, что желающие обратиться найдутся, но, как я уже сказала, для того, чтобы проблема решалась – а в Северной Осетии она стоит очень остро, не менее остро, чем в Дагестане или других северокавказских республиках, о которых мы чаще всего слышим, – необходимо системно по ней работать.
Нана Плиева: […] Действительно ли есть желание бороться с этой системной проблемой и проводились ли такие мероприятия ранее, или это первый случай, когда общественное давление привело к какому-то результату?
Варвара Пахоменко: Я знаю, что в 2013 году были какие-то сообщения о протестах родственников в связи со сведениями о пытках предполагаемого убийцы прокурора, но, кажется, после этого никаких серьезных выводов сделано не было и никаких особых последствий не было. Были сообщения несколько лет назад о том, что трое сотрудников МВД были осуждены за использование незаконных методов ведения расследования. Был вынесен приговор с условным сроком, и они были уволены из органов, получив условный срок. То есть каких-то серьезных последствий для сотрудников правоохранительных органов, которые были причастны к пыткам, я не помню в республике, притом, что проблема пыток в Северной Осетии отмечалась в последнем докладе Комитета по противодействию пыткам Совета Европы наравне с Дагестаном и Чечней, где этот вопрос стоит наиболее остро. Был дан целый набор рекомендаций для властей республики и России по тому, что нужно сделать, и по условию содержания в СИЗО №1, СИЗО №6 Владикавказа, и по расследованию пыток. И, собственно, в этом докладе, который вышел в 2013 году, жаловались на то, что после предыдущего доклада особых изменений и улучшений не было.
Нана Плиева: Насколько часто жертвы пыток обращаются к правоохранительным органам и доходят эти дела до суда? Сегодня наш корреспондент ходила в прокуратуру, и она говорит, что очередей там не наблюдалось. Означает ли это, что доверия у граждан к правоохранителям нет?
Варвара Пахоменко: Доверие, конечно, достаточно низкое, но проблема с пытками еще и в том, что на них нужно жаловаться и, как правило, сразу, как только это происходит, потому что нужно зафиксировать следы пыток, после это доказывать значительно сложнее. Часто для того, чтобы пожаловаться на пытки, людям нужно звонить в два часа ночи дежурному прокурору, чтобы была сразу реакция, а если ее нет, то объявленные три дня вряд ли кардинально исправят ситуацию. Как я уже сказала, возможно, кто-то обратится, но я думаю, что для решения проблем нужна ежедневная работа. […]
Варвара Пахоменко: Если взглянуть на Северную Осетию, у нас есть такие группы риска, то есть люди, которых задерживают по подозрению в терроризме, в участии в вооруженном подполье. Или там жаловались североосетинские мусульмане, когда их задерживали по подозрению в убийстве поэта Шамиля Джигкаева. Когда поступают сообщения о пытках по отношению к ним, то общество на это практически не реагирует, потому что все не любят боевиков, террористов, большинство опасается мусульман. И в общем-то кажется, что это не про нас. Тем не менее каждый такой случай, если он остается без ответа, формирует общую систему безнаказанности, он ее только подпитывает, и когда это случается с кем-то другим, то это уже часть той сложившейся системы. Плюс, как я уже сказал, Северная Осетия – это еще и место, куда вывозят задержанных из других республик Северного Кавказа. Соответственно, там нет родственников, адвокату, для того чтобы приехать, нужно часто проехать несколько сот километров. Там сложнее протестовать, работать с местными СМИ и прочее. Поэтому этого тоже не слышно, а это влияет в целом на ситуацию в республике, на то, как потом точно так же обходятся с жителями республики, потому что силовики просто привыкли так действовать.
Нана Плиева: Где мы наблюдаем сегодня наиболее печальную картину, где эта жестокость достигает вопиющих масштабов? Или это, действительно, Северная Осетия, и мы просто не знаем о других случаях, об этом не говорят так громко родственники, боятся, не доезжают адвокаты, не могут защищать должным образом, – у нас недостаточно информации.
Варвара Пахоменко: Знаете, достаточно много поступает сообщений о пытках, о недозволенных методах и из Дагестана, и из Кабардино-Балкарии, и из Чечни. […] В Северной Осетии, как я уже сказала, в силу разных причин об этом меньше сообщают. Мне сложно сказать, находится ли Северная Осетия на том же уровне по количеству случаев пыток, как Дагестан, Чечня и Кабардино-Балкария, или меньшем, – просто мы очень многого не знаем.“ (Echo Kawkasa, 12. November 2015)
Auch in einem im November 2015 veröffentlichten Artikel von Caucasian Knot in Zusammenhang mit dem Tod von Wladimir Zkajew durch Polizeifolter weist Warwara Pachomenko von ICG darauf hin, dass es aus Nordossetien nicht selten Informationen gebe über Folter von Häftlingen während Ermittlungsmaßnahmen und operativer Maßnahmen und auch über Gewaltanwendung gegenüber Personen, die in Strafvollzugsanstalten festgehalten würden. Das betreffe nicht nur EinwohnerInnen der Republik, sondern auch EinwohnerInnen anderer Gebiete, die in der Republik landen würden. Es gebe viele Beschwerden von AnwältInnen wegen illegaler Handlungen gegenüber ihren Mandanten, so Pachomenko:
„Информация о пытках задержанных при проведении следственно-оперативных мероприятий, а также о фактах применения насилия к тем, кто содержится в учреждениях исполнения наказаний, нередко поступает из Северной Осетии, отмечает аналитик Международной кризисной группы Варвара Пахоменко. По ее словам, это касается не только жителей республики, но и граждан из других территорий, которые попадают в регион. ‚Много жалоб поступает от адвокатов по поводу незаконных действий в отношении их подзащитных‘, - заявила корреспонденту ‚Кавказского узла‘ Варвара Пахоменко.“ (Caucasian Knot, 4. November 2015)
Die russische Tageszeitung Komsomolskaja Prawda (KP) berichtet im Jänner 2016, dass nach einem Polizisten aus Nordossetien wegen Folter eines Unschuldigen gefahndet werde. Der Vorfall habe sich im Juli 2014 ereignet. Drei Polizisten hätten damals beschlossen, ihre Statistik aufzubessern und einem Einwohner Nordossetiens Drogen untergeschoben. Danach hätten sie ihn festgenommen, die verbotenen Substanzen beschlagnahmt und ihn auf die Polizeistation gebracht, wo sie ihn mit einem Elektroschocker und anderen Foltermethoden gezwungen hätten, das Verbrechen zu gestehen. Die Polizisten hätten sofort einen Bericht über die Aufdeckung des Verbrechens verfasst, der zusammen mit anderen gefälschten Dokumenten Anlass für die Einleitung des Strafverfahrens gegen sie gewesen sei. Das Opfer sei freigesprochen worden und zwei der Polizisten seien verhaftet worden. Laut Angaben der Ermittlungsleitung von Nordossetien sei gegen sie bereits Anklage erhoben worden. Dem dritten Polizisten sei es gelungen, unterzutauchen. Nach ihm werde landesweit gefahndet:
„Полицейский из Северной Осетии объявлен в федеральный розыск за пытки невиновного человека […]
Инцидент произошел в июле 2014 года. Трое полицейских решили улучшить свои показатели и подкинули жителю Пригородного района Северной Осетии сверток с наркотиками. Позже они задержали его, изъяли запрещенное вещество и доставили его в отдел полиции, где с помощью электрошокера и других пыток заставили его признаться в преступлении. Обвиняемые сразу составили рапорт о раскрытии преступления, который с другими фальсифицированными документами стал поводом для возбуждения против них уголовного дела. Потерпевший был оправдан, а двое полицейских заключены под стражу. Как сообщает следственное управление по Северной Осетии, им уже предъявлено обвинение. А вот третьему удалось скрыться - он объявлен в федеральный розыск.“ (KP, 13. Jänner 2016)
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 2. Juni 2016)
· ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Haftbedingungen für Tschetschenen innerhalb und außerhalb Tschetscheniens, insbesondere Behandlung von Personen, die für islamistische Gruppen in Syrien gekämpft haben [a-9589-7 (9646)], 31. Mai 2016 (Kopie im Anhang)
· Caucasian Knot: В Северной Осетии подвергся пыткам задержанный житель Ингушетии, заявляет его адвокат [In Nordossetien wird ein inhaftierter Einwohner Inguschetiens gefoltert, erklärt sein Anwalt], 28. Juli 2013
http://www.kavkaz-uzel.ru/articles/227757/
· Caucasian Knot: "Коммерсант": Анзор Губашев заявил в СКР о пытках [Ansor Gubaschew hat dem russsichen Ermittlungskomitee mitgeteilt, gefoltert worden zu sein], 7. August 2015
http://www.kavkaz-uzel.ru/articles/266800/
· Caucasian Knot: Эксперты указали на необходимость общественного контроля над работой полиции Северной Осетии [Esperten haben auf die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Kontrolle der Arbeit der Polizei in Nordossetien hingewiesen], 4. November 2015
http://www.kavkaz-uzel.ru/articles/271871/
· CoE-CPT - Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment: Report to the Russian Government on the visit to the North Caucasian region of the Russian Federation carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 27 April to 6 May 2011 [CPT/Inf (2013) 1], 24. Januar 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1359457756_2013-01-inf-eng-northcaucasus-rep.pdf
· Echo Kawkasa: «О пытках в Северной Осетии мы многого не знаем» [„Über Folter in Nordossetien wissen wir vieles nicht“], 12. November 2015
http://www.ekhokavkaza.com/a/27358788.html
· KP - Komsomolskaja Prawda: Полицейский из Северной Осетии объявлен в федеральный розыск за пытки невиновного человека [Nach einem Polizisten aus Nordossetien wird wegen Folter eines Unschuldigen gefahndet], 13. Jänner 2016
http://m.stav.kp.ru/online/news/2275245/
· Leitung des föderalen Strafvollstreckungsdienstes in Nordossetien-Alanien: Структурные подразделения [Strukturelle Unterabteilungen], ohne Datum
http://www.15.fsin.su/structure/index.php
· Newsru.com: Сосед жителя Северной Осетии, умершего после пыток в полицейском участке, сознался в расстреле омоновца [Der Nachbar eines Einwohners von Nordossetien, der nach Folter auf der Polizeiwache gestorben ist, hat gestanden, auf ein Mitglied der Einheit besonderer Bestimmung geschossen zu haben], 18. November 2015
http://www.newsru.com/crime/18nov2015/tzkaevcaseconfes.html