Islam an der Macht - Gottesstaat Iran

 
Iran unterstützt seit vielen Jahren anti-israelische Terrorgruppen. Vor allem Hisbollah gilt als der "verlängerte Arm" Teherans im Libanon. Peter Philipp mit einem Überblick von der "islamischen Revolution" 1979 unter Khomeini bis heute zu Mahmud Ahmadinejad.
Wenn Ebrahim Yazdi nicht gerade wieder einmal im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis einsitzt, dann steht der (1931 geborene) ehemalige iranische Außenminister der ersten nach-revolutionären Regierung weitgehend unter politischer Isolation. Der Führer der verbotenen "Iranischen Freiheitsbewegung" lässt sich durch solche Willkür aber nicht beeindrucken. Obwohl selbst ein "Mann der ersten Stunde", pflegt er das Haupt-Übel der Entwicklung seines Landes sehr plastisch darzustellen: Man müsse sich den iranischen Staat wie das Gebälk eines Tempels vorstellen, das auf zwei Säulen ruhte – die eine sei die weltliche Macht des Schahs gewesen, die andere die Geistlichkeit. Mit der "Islamischen Revolution" sei eine der beiden Säulen entfernt worden und das Bauwerk habe dadurch natürlich an Stabilität verloren. Es sind solche Aussagen, die Yazdi in den letzten Jahrzehnten daran gehindert haben, wieder eine politische Rolle in seinem Land zu spielen. In den Augen der führenden Geistlichkeit kommen solch ketzerische Ansichten Verrat gleich, weil sie an den Grundfesten der "Islamischen Republik" rütteln.

Bereits 36 Jahre vor der Revolution schreibt deren späterer Führer, Ruhollah Khomeini, 1943, dass die von ihm erträumte islamische Regierung auf göttlichem Recht basiere und ihre Gesetze deswegen nicht angezweifelt oder geändert werden dürften. Obwohl Khomeinis Ideen auch damals schon unter anderen religiösen Führern durchaus Anhänger finden, sind sie keineswegs die bestimmende Denk-Richtung. Diese wird eher vorgegeben von Hossein Borudscherdi, dem bisher letzten "Marja-el-taqlid", eine absolute religiöse Autorität, die von allen Schiiten anerkannt und respektiert wird. Ähnlich wie es später im Irak Großayatollah Ali Sistani tut, lehnt Borudscherdi die aktive Beteiligung der Geistlichkeit an der Politik ab. Ein islamischer Staat werde erst mit dem Wiederauftauchen des 12. Imam entstehen – des verschwundenen oder "verborgenen Imam", auf dessen Rückkehr die Schiiten in einer Art messianischem Glauben warten. (Der 12. Imam werde diesen Staat dann führen und die Rolle der Geistlichkeit bis zu seiner Rückkehr sei eher die von Stellvertretern – so ist es auch in der Verfassung der Islamischen Republik festgelegt.)

Khomeini hingegen tritt entschieden für eine aktive politische Rolle des Klerus ein. 1963 ruft er wiederholt offen zur Revolution und zum Sturz des Schahs auf, er wird daraufhin festgenommen, unter Hausarrest gestellt und schließlich 1964 in die Türkei verbannt. Ein Jahr später wechselt er in die Heilige Stadt der Schiiten, Najaf, im Irak, wo er bis 1978 bleibt und von wo er dann in die Nähe von Paris gelangt. Am 1. Februar 1979 kehrt Khomeini in den Iran zurück und übernimmt die Führung der neuen "Islamischen Republik".

Wie solch ein Staat ("Hokumat-e eslami") aussehen soll, hat Khomeini bereits während seines Aufenthaltes im irakischen Najaf dargelegt: Der islamische Staat müsse ein Staat des Gesetzes sein, wobei Gottes Wort Gesetz sei. Um Gottes Wort klar und eindeutig zu definieren, ist zunächst geplant, einen Rat der Rechts- und Religionsgelehrten zu schaffen, unter Khomeini wird daraus aber sehr rasch die Institution des "Obersten Rechtsgelehrten", der die unangefochtene Autorität in sämtlichen Fragen hat ("velayat-e faqih" – die "Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten"). Niemand ist überrascht, dass Khomeini als erster dieses Amt des "Obersten Rechtsgelehrten" übernimmt, gefolgt nach seinem Tod durch Ayatollah Ali Khamenei.

Das Wort des obersten Führers wiegt mehr als alles andere in der Islamischen Republik. Widerspruch kommt dem Tatbestand der Gotteslästerung nahe. Ein Zustand, der in krassem Widerspruch steht zur Tatsache, dass regelmäßig Wahlen stattfinden – auf regionaler Ebene, für das nationale Parlament ("Madschlis") und für das Amt des Präsidenten. Dieses zunächst sehr demokratisch wirkende Verfahren wird eingeschränkt durch die Vollmachten, die über dem Parlament und dem Präsidenten angesiedelt und die nicht Ergebnis freier Abstimmung sind. Außer der Position des "Obersten Führers" gilt dies vor allem für den "Wächterrat".
 

Der Wächterrat

Die zwölf Mitglieder dieses Wächterrates werden zur einen (geistlichen) Hälfte vom "Obersten Führer", zur anderen (juristischen) vom Parlament ernannt. Und am Wächterrat kommt man nicht vorbei: Ob es darum geht, Kandidaten für bevorstehende Wahlen zu genehmigen oder im Parlament angenommene Gesetze wie auch andere wichtige Beschlüsse zu bestätigen: Der Wächterrat hat immer das letzte Wort. Und er setzt immer die Befolgung einer erzkonservativen Linie durch. Selbst wenn – wie in den Jahren unter Präsident Mohamad Khatami (1997 bis 2005) – reformorientierte Kräfte die Mehrheit im Parlament stellen.

Was nicht vor den Wächterrat kommt, wird vom "Obersten Führer" eigenmächtig entschieden: So mahnte Ayatollah Khamenei 1997 den gerade gewählten Präsidenten Khatami, nie zu vergessen, dass es noch "eine Autorität über ihm" gebe. Khamenei meinte sich selbst. Wie er seine Machtposition einsetzt, demonstrierte er beim Versuch des – damals von Reformern beherrschten – Parlaments, ein Gesetz für mehr Meinungs- und Pressefreiheit zu verabschieden: Khamenei "riet" davon "ab" und der Plan wurde fallen gelassen. Man wusste nur zu gut, dass der "Oberste Führer" das Oberkommando über die Sicherheitsdienste hat – hier besonders die ihm ergebenen "Revolutions-Garden" ("Pasdaran") – dass er die staatlichen Medien kontrolliert und dass er sich so – wie mit Hilfe des Wächterrates – auch direkt in die Politik des Präsidenten einmischen kann: So verlor Khatami im Laufe seiner Amtszeit die wichtigsten Minister und Weggefährten, die sämtlich auf oberstes Geheiß zum Rücktritt gezwungen und zum Teil sogar vor Gericht gestellt wurden.

Khatamis Amtsnachfolger, Mahmoud Ahmadinejad, hat es zunächst etwas leichter: Der konservative ehemalige Bürgermeister von Teheran genießt in seiner ersten Amtszeit weitgehend Vertrauen und Unterstützung des "Obersten Führers" und das stärkt ihm den Rücken im Atomstreit mit dem Westen wie auch gegenüber der wachsenden Kritik im Iran, besonders an seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Die zweite Amtszeit beginnt mit den umstrittenen Wahlen 2009: Die Anhänger der oppositionellen "Grünen Bewegung" glauben nicht, dass Ahmadinejad die Mehrheit der Stimmen erhalten hat – wie es aus dem Innenministerium heißt. Proteste und Unruhen werden niedergeschlagen, es gibt Tote, Verletzte und Verhaftungen. Khamenei steht noch hinter Ahmadinejad, mit der Zeit aber kommen Meinungsverschiedenheiten auf und der "Oberste Führer" greift wiederholt in Ahmadinejads Personalpolitik ein. Der Präsident ist darüber so verärgert, dass er tagelang den Regierungssitzungen fernbleibt. Erst als konservative Abgeordnete warnen, hierdurch disqualifiziere er sich für sein Amt, macht Ahmadinejad grollend einen Rückzieher. Das einst so gute Verhältnis zwischen beiden aber ist gestört: Ahmadinejad wird nachgesagt, er wolle den Klerus entmachten und statt dessen die alten Freunde und Weggefährten aus den Reihen der "Pasdaran" (Revolutionsgarden) in wichtige Staats- und Regierungsämter bringen. Vor allem soll offenbar einer vor ihnen Ahmadinejads Nachfolger werden, wenn dieser 2013 nicht mehr für eine dritte Amtszeit kandidieren darf.
 

Von Teheran zur Weltrevolution

Schon früh nach der Islamischen Revolution beginnt die Führung in Teheran darüber nachzudenken, wie die Revolution über die Grenzen des Iran hinweg vorangetrieben und auf andere islamische Länder übertragen werden könnte. Man hat auch in Teheran verstanden, dass die Revolution religiösen und islamistischen Kreisen anderswo Hoffnung gemacht hat, dass auch bei ihnen der Sturz repressiver Regime und deren Ersatz durch ein klerikales Staatssystem möglich werden könnte.

Ein wichtiges Hindernis stellt freilich die Tatsache dar, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Muslime um Sunniten handelt und nicht – wie im Iran – um Schiiten. Und dass diese Sunniten zwar gerne "die Anregung" einer islamischen Revolution übernehmen, sonst aber nichts oder nur wenig mit dem Iran zu tun haben wollen. Verschärft wird dieses Gefühl durch den langen Krieg mit dem Irak (1980 bis 1988), bei dem sich viele Araber mit Bagdad solidarisieren. Mit der Ausnahme Syriens, dessen schiitisch-alawitische Führung damals noch mit dem Bagdader Baath-Regime konkurriert und sich deswegen auf die Seite des Iran schlägt. Es beginnt eine Allianz, die bis heute andauert und sich besonders folgenschwer im und für den Libanon auswirkt: 1982 wird im Beisein des iranischen Botschafters in Beirut die "Hisbollah" gegründet, eine bewaffnete Schiiten-Miliz, die bis heute ihre Rückendeckung und ihre Unterstützung aus Syrien und dem Iran erhält. (mehr dazu siehe Artikel "Hisbollah" in diesem Dossier). Der Libanon ist wegen seines großen schiitischen Bevölkerungsanteils denn auch ein ideales Betätigungsgebiet für den Iran und die "Hisbollah" wird in vielerlei Hinsicht zum "verlängerten Arm" Teherans im Libanon: Gegen den Einfluss der USA und Frankreichs dort, vor allem aber im Konflikt mit Israel. Denn so tief verwurzelt Ablehnung und Hass gegenüber dem Westen bei den Machthabern der Islamischen Republik auch zu sein scheinen: Gegenüber Israel gibt man sich völlig kompromisslos:

Ist der Iran unter dem Schah noch eng verbündet mit Israel, so kommt es mit der Revolution zum völligen Bruch und Teheran macht sich zum Vorreiter der Anti-Israel-Front. Zwar behauptet man, den Palästinensern nichts vorzuschreiben und sie auch nicht an Verhandlungen mit Israel hindern zu wollen, Israel wird aber offiziell zumindest als "illegal" bezeichnet. Staatspräsident Ahmadinejad hat schon wiederholt von der "Notwendigkeit" gesprochen, Israel zu zerstören, und er prophezeit Israel, dass es selbst zugrunde gehe. Teheran scheint darauf aber nicht warten zu wollen: Es unterstützt seit vielen Jahren antiisraelische Gruppen - die "Ablehnungsfront" der Palästinenser in Damaskus, "Hamas", den "Islamischen Jihad" und "Hisbollah". Andere schiitische Zielgruppen, mit deren Hilfe man die Revolution – und den iranischen Einfluss – verbreiten könnte, gibt es auf dem Westufer des Persischen Golfes: In Bahrain machen die Schiiten 65 % der Bevölkerung aus, in den Emiraten und in Saudi-Arabien wie auch im Jemen sind sie eine Minderheit. Diese Bevölkerungsgruppen könnten als "Fünfte Kolonne" benutzt werden und es gab deswegen auch immer wieder Spannungen mit dem Iran.

So zu Beginn 2009, als Akbar Nateq-Nouri, ein enger Berater des "Obersten Führers", das Königreich im Persischen Golf im Februar als "14. Provinz des Iran" bezeichnete, auf die der Schah leichtfertig zu Gunsten der Briten verzichtet habe. Marokko brach daraufhin die Beziehungen zum Iran ab und nur mit Mühe konnte Teheran weitere Folgen verhindern, indem es versicherte, die Äußerung sei während der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Revolution gemacht worden und habe nur historischen Bezug. Teheran zieht es vor, seine Verbindungen zu den schiitischen Bewohnern der arabischen Golfanrainer hintanzustellen und lieber mit deren Regierungen in panislamischen Projekten (wie der "Organisation Islamische Konferenz") zu kooperieren. Was freilich das Misstrauen in diesen Staaten gegenüber dem mächtigen Nachbarn kaum schmälert, auch - und gerade – nicht in der Frage des Atomstreits mit dem Iran.

Erneute Nahrung erhält dieses Misstrauen durch die Proteste – und ihre Niederschlagung – in Bahrain 2011. Besonders die Medien der Arabischen Halbinsel zeigen rasch auf den Iran, den sie als treibende Kraft hinter den Demonstrationen ausmachen. Die Beziehungen zwischen dem Iran und den Staaten des "Golf-Kooperationsrates" (GCC) verschlechtern sich rapide. Besonders nachdem GCC-Staaten – allen voran Saudi-Arabien – Truppen nach Bahrain geschickt haben, um die Proteste zu beenden. Teheran steht kurz vor der Entsendung einer "Hilfsflottille" nach Bahrain, besinnt sich in letzter Minute aber eines Besseren. Wie schon im Fall Gazas hätte eine solche Demonstration der Zivilbevölkerung nicht geholfen, statt dessen aber die Spannung in der Region verstärkt.

Eine Sonderrolle nimmt der Irak ein: Hier gibt es eine schiitische Mehrheit von rund 60 Prozent, die bis zum Sturz des Saddam-Regimes von diesem benachteiligt, unterdrückt und verfolgt wurde. Wichtige Führer der irakischen Schiiten verbrachten Jahre des Exils im Iran und unterhalten weiterhin enge Beziehungen zu Teheran. Der Iran ist wiederum auch daran interessiert, dass ihm nahestehende Kräfte im Irak die Macht ausüben, von einem "Export der Revolution" kann hier aber nicht die Rede sein. Zumindest nicht von einem "offenen" Export: Die meisten schiitischen Führer – vor allem (der aus dem Iran stammende) Großayatollah Ali Sistani – lehnen es ab, im Irak eine Islamische Republik zu etablieren und in Teheran führen wohl eher strategisch-politische und auch wirtschaftliche als religiöse Gründe zu der engen Zusammenarbeit mit den Schiiten im Irak.

Eine ähnliche Realpolitik verfolgt Teheran auch in Afghanistan und befindet sich damit ungewollt in einer Interessengemeinschaft mit den USA und dem Westen: Der Iran lehnt die (überwiegend paschtunisch-sunnitischen) Taliban ab und setzt sich für eine Beruhigung und Normalisierung des Nachbarlandes im Osten ein.
 

 
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Zur Person

Peter Philipp

Geb. 1944 in Wiesbaden, war zwischen 1968 und 1991 Nahostkorrespondent mit Basis in Jerusalem, u.a. für die Süddeutsche Zeitung und den Deutschlandfunk. Seit 1991 Redakteur beim Deutschlandfunk in Köln, später Leiter der Nah- und Mittelostabteilung, dann der Afrika/Nahostabteilung von Deutsche Welle Radio. Von 1998 bis zu seiner Pensionierung 2009 Chefkorrespondent und Nahostexperte von Deutsche Welle Radio.