Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Belgium

 

 

Die Regierung legte mehrere Vorschläge für Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vor, die Bedenken hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte hervorriefen. Die Zahl der Asylsuchenden stieg in der zweiten Jahreshälfte stark an. Da die Behörden die Asylanträge nicht umgehend registrieren konnten, erhielten Hunderte Menschen keine Unterkunft.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Das Parlament verabschiedete weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus. Dazu gehörten die Kriminalisierung von Reisen ins Ausland und die Einreise nach Belgien mit dem Ziel, eine terrorismusbezogene Straftat zu begehen, die Ausweitung der Gründe für den Entzug der Staatsbürgerschaft bzw. des Flüchtlingsstatus bei Verurteilungen wegen derartiger Straftaten sowie neue Maßnahmen zur Bekämpfung von gewalttätigem "Extremismus". Wie auch bei zuvor verabschiedeten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung prüften die Behörden nicht, ob die neuen Regelungen mit Menschenrechtsnormen in Einklang standen.

Nach den Anschlägen von Paris schlug der Ministerpräsident im November 2015 weitere Maßnahmen zur Terrorbekämpfung vor. Im Dezember 2015 billigte der Ministerrat verschiedene Vorschläge zu einigen der angekündigten Maßnahmen. So wurde die zulässige Dauer der Inhaftierung ohne Anklage bei einem Verdacht auf terrorismusbezogene Straftaten von 24 auf 72 Stunden erhöht und die Befugnis für Durchsuchungen dahingehend ausgeweitet, dass diese zu jedem Zeitpunkt während der Ermittlungen zu solchen Straftaten stattfinden können. Darüber hinaus wurde eine Datenbank eingerichtet, in der belgische Staatsbürger und in Belgien wohnhafte ausländische Staatsbürger erfasst sind, die ins Ausland reisen wollten oder gereist sind, um in einem bewaffneten Konflikt oder mit einer von der belgischen Regierung als terroristische Organisation eingestuften bewaffneten Gruppe zu kämpfen.

Folter und andere Misshandlungen

Im Juni 2015 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Abschiebung von Abdallah Ouabour nach Marokko, wo ein Schuldspruch gegen ihn wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation ergangen war, gegen sein Recht auf Schutz vor unmenschlicher und erniedrigender Behandlung verstoßen würde. Im Juli 2015 ordnete das Kassationsgericht in den Fällen von Abdallah Ouabour, Lahoucine El-Haski und Khalid Bouloudodie ein Wiederauf-nahmeverfahren an. Die drei Männer waren 2006 bzw. 2007 in Belgien wegen terrorismusbezogener Straftaten schuldig gesprochen worden. In ihren Verfahren hatte man sich jedoch auf Beweismittel gestützt, die möglicherweise in Marokko unter Folter erzwungen worden waren.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Die Zahl der Asylsuchenden stieg zwischen Juli und September 2015 stark an. Wegen der begrenzten Kapazitäten der Einwanderungsbehörde konnten Hunderte von Asylanträgen nicht sofort am Tag der Einreise registriert werden, sodass die Ankommenden zunächst auch keine Unterkunft erhielten. Etwa 500 von ihnen übernachteten Berichten zufolge unter unzureichenden Bedingungen direkt vor der Behörde in Zelten. Im September 2015 forderte der Menschenrechtskommissar des Europarats Belgien auf, die Registrierungsverfahren zu beschleunigen und die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen.
Am 16. Oktober 2015 kündigte die Regierung an, sie wolle acht neue Aufnahmezentren für insgesamt 1600 Asylsuchende einrichten.

Die Regierung erklärte sich zu der langfristigen Aufnahme von 550 Flüchtlingen aus Syrien und der Demokratischen Republik Kongo bereit. Im Oktober 2015 begann die Umsetzungsphase für die Aufnahme der ersten 300 Flüchtlinge.

Haftbedingungen

Laut amtlichen Statistiken vom März 2015 ist die Überbelegungsquote in den belgischen Gefängnissen mit 13% gegenüber den Vorjahren deutlich zurückgegangen. In einigen Haftanstalten soll sie allerdings wesentlich höher gewesen sein.

Auch nach der Eröffnung eines Zentrums für forensische Psychiatrie im Jahr 2014 befand sich die Mehrzahl der Straftäter mit psychischen Krankheiten in normalen Gefängnissen, wo sie keine angemessene Versorgung und Behandlung erhielten.

Todesfälle in Gewahrsam

Im Juni 2015 wurden im Zusammenhang mit dem Tod von Jonathan Jacob, der 2010 in Polizeigewahrsam gestorben war, nachdem Beamte ihn mit heftigen Schlägen misshandelt hatten, mehrere Personen verurteilt. Sieben Polizisten, ein Psychologe und der Leiter der Klinik, die seine Aufnahme verweigert hatte, wurden für schuldig befunden, seinen Tod verursacht zu haben.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Juli 2015 verabschiedete die Regierung der Französischen Gemeinschaft Belgiens einen neuen Vierjahresplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt. Der Schwerpunkt des Plans lag dabei auf sexueller Gewalt. Am 11. Dezember 2015 legten die Bundesbehörden einen nationalen Plan zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt vor.

Diskriminierung

Im Juni übermittelte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Rechtssache Belkacemi & Oussar gegen Belgien an die belgische Regierung. Die Klägerinnen führten an, das seit 2011 in Belgien geltende Verbot der Vollverschleierung verstoße gegen ihre Menschenrechte.

Obwohl die Regierung sich zu einer Reform des Gesetzes über die Änderung des amtlichen Geschlechts verpflichtet hatte, mussten sich transgeschlechtliche Personen weiterhin unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen wie z. B. einer Sterilisierung unterziehen, bevor sie ihr amtliches Geschlecht ändern lassen konnten.

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