Konfliktporträt: Nord-Uganda

Trotz des Scheiterns der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Lord´s Resistance Army (LRA) ist die Lage in Nord-Uganda ruhig. Die LRA hat die Region verlassen und richtet ihre Aktionen seither gegen die Zivilbevölkerung in Süd-Sudan, Ost-Kongo und der Zentralafrikanischen Republik.

Aktuelle Konfliktsituation

Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen zwischen der ugandischen Regierung und der Lord´s Resistance Army (LRA) hat sich die LRA in benachbarte Länder zurückgezogen. Die Mehrheit der Bevölkerung Nord-Ugandas, die bis 2008/09 in Lagern für Binnenvertriebene lebte, ist in ihre früheren Siedlungen zurückgekehrt. Die Heimkehr der Flüchtlinge wird von neuen, teilweise gewaltsamen Konflikten begleitet, die sich nun um die Landverteilung drehen. Auch das Ausmaß häuslicher Gewalt hat erheblich zugenommen.

Die LRA richtet ihre Aktionen seither gegen die Zivilbevölkerung in Süd-Sudan, Ost-Kongo und der Zentralafrikanischen Republik. Nach Massakern im Osten Kongos im Dezember 2008 starteten Uganda, Süd-Sudan und die DR Kongo mit geheimdienstlicher und logistischer Unterstützung der USA eine gemeinsame Offensive gegen die LRA im Kongo. Nachdem im Januar 2009 die dortigen LRA-Stützpunkte ausgehoben wurden, soll die LRA-Führung in die angrenzende Zentralafrikanische Republik ausgewichen sein. Unbestätigten Berichten zufolge hielt sich die LRA-Spitze zeitweise auch in Dafur auf. Im Oktober 2011 entsandten die USA Spezialeinheiten in die Region, um die Regierungen und Armeen der betroffenen Länder zu beraten und zu unterstützen.

Ursachen und Hintergründe

1988 begannen in Nord-Uganda die Kämpfe zwischen der LRA und der ugandischen Armee (UPDF), die bis 2006 andauerten. In dieser Zeit wurden schätzungsweise 30.000 Kinder und Jugendliche von der LRA entführt, als Soldaten zwangsrekrutiert und sexuell versklavt sowie zehntausende Zivilisten getötet, verstümmelt, gefoltert oder vergewaltigt. Auch die UPDF beging Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Die Infrastruktur der Region wurde zerstört und 1,6 Millionen Flüchtlinge drängten sich unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern.

Die LRA begründete ihre Aktionen damit, die Regierung stürzen und damit die politische Teilhabe und Entwicklung des Nordens erreichen zu wollen. Sie verband ihren Widerstand gegen die Regierung mit der spirituellen Mission, die Acholi – die größte ethnische Gruppe in der Region – zu "reinigen". Dabei wurden christliches Gedankengut und traditionelle Überzeugungen verschmolzen. Die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung wurden als Vergeltungsmaßnahmen gegen vermeintliche Regierungskollaborateure sowie fehlende Unterstützung des Kampfes um eine "erneuerte" Acholi-Gesellschaft gerechtfertigt. Dem gegenüber betrachtete die Regierung den Konflikt lange Zeit als ein "Problem des Nordens", das die Stabilität und Entwicklung des ganzen Landes bedrohte und deshalb militärisch entschieden werden sollte. Welche Ziele die LRA heute verfolgt, nachdem sie Nord-Uganda verlassen hat, ist unklar.

Der Konflikt in Nord-Uganda wurzelt in der kolonialen Arbeitsteilung des Landes. Die Briten rekrutierten die Bewohner des Nordens für das Militär und einfache Arbeiten. Dagegen fanden die Menschen aus Zentral-Uganda in spezialisierten Wirtschaftsbereichen und im Erziehungswesen Beschäftigung. Dieses Nord-Süd-Gefälle verfestigte sich mit der Machtübernahme durch den aus dem Südwesten stammenden Präsidenten Museveni 1986, dessen Regierung wenig unternahm, um aus der multiethnischen Bevölkerung eine Nation zu schaffen.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Seit langem bemühten sich neben Regierungsvertretern und Acholi-Parlamentariern auch zivilgesellschaftliche Kräfte in Nord-Uganda (kulturelle und religiöse Führer sowie lokale NROs) um eine friedliche Lösung. Sie wurden von Initiativen in der Acholi-Diaspora sowie von Geberländern, internationalen NROs, Mediatoren und UN-Organisationen unterstützt. Vertreter der ugandischen Friedensinitiativen nahmen beratend an den Friedensverhandlungen teil. Sie sprachen sich gegen die Intervention des ICC aus und plädierten stattdessen für eine Kombination von nationalem Recht und traditionellen Verfahren, um LRA-Kombattanten zur Rechenschaft zu ziehen und gleichzeitig zu Versöhnung und sozialer Reintegration beizutragen. Sie bemühen sich auch heute noch, einen Friedensvertrag zu erreichen. Zudem engagieren sie sich für die Reintegration früherer LRA-Kämpfer in die lokalen Gemeinschaften, die Rückkehr der Vertriebenen auf ihr Land und den Wiederaufbau der Infrastruktur und des Wirtschafts-, Erziehungs- und Gesundheitssystems. 

Geschichte des Konflikts

Nachdem Museveni 1986 die Macht übernommen hatte, formierten sich im Norden zwei bewaffnete Gruppierungen – die Uganda People's Democratic Army (UPDA), welche aus der früheren Regierungsarmee hervorging, und die von der als Geistermedium wirkenden Alice Auma Lakwena geführte Holy Spirit Movement (HSM). Aus den Resten der UPDA, die einem Friedensvertrag mit der Regierung nicht zugestimmt hatten, und des militärisch geschlagenen HSM formte Joseph Kony die LRA.

Bis in die frühen 1990er Jahre richtete die LRA ihre Aktionen v.a. gegen öffentliche Einrichtungen. Nach einer UPDF-Offensive 1991 vermied sie fortan die direkte militärische Konfrontation. Wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen an Zivilisten verlor sie die anfängliche Sympathie und Unterstützung der Bevölkerung. Als 1993/94 Verhandlungen beider Seiten scheiterten, zog sich die LRA in den Süd-Sudan zurück und operierte von dort aus mit Unterstützung der sudanesischen Regierung. Im Gegenzug kämpft die LRA im Süd-Sudan gegen die aufständische Sudan People´s Liberation Army (SPLA), die von Uganda und den USA unterstützt wurde. Ab Ende 1996 wurde der Großteil der Bevölkerung Nord-Ugandas unter erheblichem Druck in Lager für Binnenvertriebene ("protected villages") umgesiedelt.

1998 begannen die USA, Uganda militärisch zu unterstützen. Zudem normalisierten sich nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Uganda und dem Sudan 1999 die Beziehungen beider Länder. Trotzdem ließ die sudanesische Regierung die LRA nicht fallen. Im Zuge des von den USA ausgerufenen "war on terrorism" wurde 2002 die LRA auf die Liste terroristischer Gruppierungen gesetzt und das ugandische Parlament verabschiedete den "Anti-Terrorism Act". Nach einer Großoffensive der UPDF, die mit Zustimmung der sudanesischen Regierung auf den Süd-Sudan ausgedehnt wurde, kehrten zahlreiche LRA-Kombattanten nach Nord-Uganda zurück. Die UPDF zwang nun auch den Rest der Bevölkerung in die Lager, um das Territorium militärisch besser kontrollieren zu können.

Im Jahre 2000 erließ die ugandische Regierung eine Amnestiegesetzgebung, um LRA-Kombattanten zur Rückkehr zu bewegen. Ende 2003 wandte sie sich an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag, damit dieser die völkerstrafrechtlichen Verbrechen der LRA-Führung (Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) untersucht, und startete ab März 2004 eine weitere Offensive. Im Januar 2005 unterzeichneten die sudanesische Regierung und die SPLA einen Friedensvertrag, woraufhin die Unterstützung der LRA durch den Sudan zumindest offiziell eingestellt wurde. In der Folgezeit wurden viele LRA-Kämpfer festgenommen oder liefen über. Die LRA-Führung zog sich nach Ost-Kongo zurück.

Mitte 2006 begannen Verhandlungen zwischen der LRA und der ugandischen Regierung im Süd-Sudan, die bis 2008 andauerten. Die LRA-Führung ließ sich von Sympathisanten aus der Diaspora vertreten, da sie infolge der Intervention des ICC die Verhaftung fürchtete. Im Laufe der Verhandlungen wurden ein Waffenstillstandsabkommen, ein Rahmenwerk zur Herstellung von Gerechtigkeit und Versöhnung, eine Vereinbarung zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von LRA-Kombattanten sowie ein Plan zum Wiederaufbau Nord-Ugandas unterzeichnet, jedoch kein abschließender Friedensvertrag. Kony machte dafür die Aufhebung der Haftbefehle des ICC zur Vorbedingung.

Eine 2008 eingerichtete Spezialabteilung für Kriegsverbrechen des Obersten Gerichtshofs, die 2011 in "International Crimes Division" umbenannt wurde, eröffnete im Juli 2011 ein erstes Verfahren gegen den hochrangigen LRA-Kommandanten Thomas Kwoyelo, dem insgesamt 65 Anklagepunkte (u.a. Mord, Befehl von Massakern, Entführungen und Zerstörung von Eigentum) vorgeworfen werden. Dieses Verfahren wurde nach dem zweiten Verhandlungstag auf Antrag der Verteidigung für eine Verfassungsvorlage beim ugandischen Verfassungsgericht gestoppt, da Kwoyelos Antrag auf Amnestie verweigert wurde. Das Verfassungsgericht entschied im September 2011, dass Kwoyelo Amnestie gewährt und das Verfahren eingestellt werden müsse. Andernfalls würde der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein, die inzwischen ebenfalls zurückgewiesen wurde.

Literatur

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Links

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Zur Person

Lioba Lenhart

Lioba Lenhart, geb. 1967, ist seit 2009 Dozentin am Institute of Peace and Strategic Studies (IPSS) der Gulu University in Uganda. Zuvor arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie der Universität zu Köln (1999 – 2008). Zwischen 2006 und 2008 führte sie eine ethnologische Feldforschung zu Konfliktbearbeitung, Versöhnungsarbeit und Friedensentwicklung in Nord-Uganda durch.