Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights

Amtliche Bezeichnung: Arabische Republik Syrien
Staatsoberhaupt: Bashar al-Assad
Regierungschef: Adel Safar (löste im April Muhammad Naji al-Otari im Amt ab)
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 20,8 Mio.
Lebenserwartung: 75,9 Jahre
Kindersterblichkeit: 16,2 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 84,2%

Regierungskräfte gingen mit exzessiver und tödlicher Gewalt gegen friedliche Demonstrierende vor, die in noch nie dagewesener Anzahl auf die Straße gingen, um politische Reformen und den Rücktritt der Regierung zu fordern. Die Art und das Ausmaß der staatlichen Übergriffe erfüllten möglicherweise den Straftatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Berichten zufolge starben 2011 mehr als 4300 Menschen während oder im Zusammenhang mit Protestaktionen und bei Trauerzügen für gestorbene Demonstrierende. Sie wurden in den meisten Fällen offenbar von Angehörigen der Sicherheitskräfte erschossen, teilweise von Scharfschützen. Bei militärischen Operationen in Wohngebieten kamen Panzer zum Einsatz. Auch einige Angehörige der Sicherheitskräfte kamen ums Leben. Dem Vernehmen nach wurden einige von ihnen getötet, weil sie sich weigerten, auf Demonstrierende und andere Personen zu schießen. Manche starben bei Angriffen desertierter Soldaten und anderer Menschen, die sich der Opposition angeschlossen hatten. Es gab einige Freilassungen im Rahmen von Amnestien. Tausende von Menschen wurden jedoch im Zusammenhang mit den Protestaktionen inhaftiert, ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und gefoltert. Mindestens 200 Menschen kamen Berichten zufolge unter ungeklärten Umständen in Gewahrsam ums Leben; viele von ihnen wurden offenbar gefoltert. Die Behörden leiteten keine unabhängigen Untersuchungen ein, um Vorwürfen der Folter, rechtswidriger Tötungen und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen nachzugehen, die von Sicherheitskräften straffrei begangen wurden. Tausende von Menschen wurden aufgrund der staatlichen Unterdrückung vertrieben. Viele von ihnen flohen in benachbarte Staaten. Es ergingen weiterhin Todesurteile, und dem Vernehmen nach fanden Hinrichtungen statt.

Hintergrund

Im Februar 2011 fanden erste kleine Demonstrationen statt, auf denen politische Reformen gefordert wurden. Nachdem die Sicherheitskräfte in Dera'a mit völlig unangemessener Gewalt gegen Menschen vorgingen, die die Freilassung inhaftierter Kinder forderten, kam es Mitte März zu Massenprotesten. Regierungskräfte bekämpften die sich schnell ausweitenden Proteste mit brutaler Gewalt, u.a. durch Scharfschützen, die auf friedliche Demonstrierende schossen. Gleichzeitig behauptete die Regierung, für die Gewalt seien undurchsichtige oppositionelle "bewaffnete Banden" verantwortlich.

Als Antwort auf die Proteste kündigte Präsident Bashar al-Assad eine Reihe von Reformen an. Im April hob er den Ausnahmezustand auf, der seit 1963 ununterbrochen in Kraft war, und schaffte den berüchtigten Obersten Staatssicherheitsgerichtshof ab, der Tausende von Regierungskritikern und Oppositionellen ins Gefängnis gebracht hatte. Außerdem ordnete die Regierung an, dass einige Angehörige der kurdischen Minderheit die syrische Staatsbürgerschaft erhalten sollten. Andere Kurden wurden von dieser Maßnahme jedoch ausgeschlossen und blieben staatenlos. Der syrische Präsident erließ außerdem ein Dekret, das eine Inhaftierung von Personen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren über einen Zeitraum von bis zu zwei Monaten ermöglicht. Es wurde ein neues Gesetz über friedliche Versammlungen eingeführt, das nur Demonstrationen erlaubt, die von den Behörden im Vorfeld "ordnungsgemäß genehmigt" wurden. Im März, im Juni und im November 2011 gewährte der Präsident insgesamt fünf Amnestien für verschiedene Gruppen von Gefangenen. Unter den Freigelassenen befanden sich auch gewaltlose politische Gefangene und Personen, die während der Protestaktionen inhaftiert worden waren. Die überwiegende Mehrheit der im Zusammenhang mit den Demonstrationen inhaftierten Menschen blieb jedoch in Haft. Im August erließ die Regierung Gesetze, die sich auf die Neugründung von Parteien, auf Wahlen und auf die Medien bezogen. Die drei Gesetzesreformen ließen zwar ein gewisses Maß an Liberalisierung erkennen, sie enthielten jedoch keine wirkungsvollen Garantien der Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit.

Im März 2011 berief der UN-Menschenrechtsrat eine Erkundungsmission, die im August zu dem Schluss gelangte, dass in Syrien möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Im August richtete der UN-Menschenrechtsrat eine unabhängige internationale Untersuchungskommission ein. Die Kommission stellte am 23. November mit großer Sorge fest, dass die syrische Armee und die Sicherheitskräfte Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hätten, darunter Tötungen, Folter, Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, Inhaftierungen und anderweitiger schwerer Freiheitsentzug sowie Verschwindenlassen. Die syrischen Behörden verweigerten sowohl der Erkundungsmission als auch der Untersuchungskommission die Einreise ins Land. Auch die meisten internationalen Medien und unabhängigen Menschenrechtsorganisationen erhielten keinen Zugang zum Land.

Russland, China und andere Staaten blockierten im UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf, der eine Verurteilung Syriens wegen der Verbrechen und Menschenrechtsverstöße vorsah. Die USA, die EU und die Arabische Liga verhängten allerdings Sanktionen gegen Syrien. Die USA weiteten die bereits seit 2004 bestehenden Sanktionen gegen das Land im April 2011 aus. Die EU verhängte im Mai gezielte Sanktionen gegen die syrische Führungsriege und weitete die Strafmaßnahmen später noch aus. Die Arabische Liga setzte die Mitgliedschaft Syriens im November aus und verhängte später Wirtschaftssanktionen, als Syrien seine Versprechen nicht einhielt. Das Land hatte zugesichert, die Armee aus den Städten abzuziehen, die Gewalt zu beenden und alle Personen freizulassen, die im Zusammenhang mit den Protestaktionen inhaftiert worden waren. Ende Dezember entsandte die Arabische Liga eine Beobachtermission nach Syrien, um die Umsetzung der Versprechen zu überprüfen.

Exzessive Gewaltanwendung und außergerichtliche Hinrichtungen

Regierungskräfte wandten wiederholt exzessive Gewalt und Gewalt mit Todesfolge gegen überwiegend friedliche Demonstrierende an. Viele Menschen wurden allem Anschein nach von Scharfschützen erschossen, während sie an Massendemonstrationen oder an Trauermärschen für getötete Demonstrierende teilnahmen. In Dera'a, Homs und anderen Städten wurden Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aufgefahren und Wohngebiete beschossen. In der im Nordwesten des Landes gelegenen Provinz Idlib betrieb die Regierung eine Politik der "verbrannten Erde". Um ihre brutalen Maßnahmen zu rechtfertigen, behauptete die Regierung, sie werde von bewaffneten Banden angegriffen, konnte dies aber nicht überzeugend beweisen. Gegen Ende des Jahres begann sich als Antwort auf die anhaltenden Unterdrückungsmaßnahmen ein bewaffneter Widerstand zu formieren, dem sich auch übergelaufene Soldaten anschlossen. Bis zum Jahresende waren Berichten zufolge mehr als 4300 Menschen im Zusammenhang mit den Protestaktionen und Aufständen ums Leben gekommen; die UN gingen von ungefähr 5000 Toten aus. Bei vielen handelte es sich um unbewaffnete Demonstrierende und unbeteiligte Passanten, die keine Gefahr für die Sicherheitskräfte oder andere Menschen darstellten. Die Zahl der Verletzten lag noch wesentlich höher.

  • In der Stadt Dera'a erschossen Sicherheitskräfte am 18. März 2011 dem Vernehmen nach mindestens vier Menschen bei Protesten. Die Demonstrierenden hatten die Freilassung inhaftierter Kinder gefordert, die beschuldigt wurden, regierungsfeindliche Slogans auf eine Wand gemalt zu haben. Sieben weitere Personen kamen am 23. März ums Leben, als Sicherheitskräfte die 'Omari-Moschee in Dera'a angriffen, in der Demonstrierende Zuflucht gesucht hatten. Ashraf 'Abd al-'Aziz al-Masri erlitt bei dem Angriff eine Verletzung am Bein. Dem Vernehmen bat er einen Sicherheitsbeamten um Hilfe und wurde von diesem aus nächster Nähe in den Kopf geschossen.
  • In Jisr al-Shughur erschossen Scharfschützen Berichten zufolge bis zu 25 Trauernde, die am 4. Juni an der Beerdigung von Basel al-Masri teilnahmen. Viele weitere Menschen erlitten Verletzungen, darunter auch ein Sanitäter des Roten Halbmonds, der einem verletzten Mann helfen wollte.
  • In Homs wurden Berichten zufolge am 19. Juli etwa 15 Personen erschossen, die an einer Trauerfeier für zehn Demonstrierende teilnahmen, die am Tag zuvor getötet worden waren, unter ihnen Rabee' Joorya. Die Mutter von Rabee' Joorya und sein Bruder zählten zu den Opfern, die bei der Trauerfeier erschossen wurden.
  • Am 31. Juli starb Khaled al-Haamedh in Hama, als er zu Fuß auf dem Weg in ein Krankenhaus war. Dem Vernehmen nach wurde er von Soldaten in den Rücken geschossen und danach mit einem Panzer überfahren.
  • Am 13. November wurde der 14-jährige Muhammad al-Mulaa 'Esa Berichten zufolge von einem Angehörigen der Sicherheitskräfte in Dayr al-Zor erschossen. Er hatte sich geweigert, gemeinsam mit seinen Klassenkameraden an einem Demonstrationszug zur Unterstützung der Regierung teilzunehmen.

Angriffe auf Verletzte und medizinisches Personal

Verletzte Demonstrierende, die sich in Gesundheitseinrichtungen behandeln lassen wollten, liefen Gefahr, festgenommen und misshandelt zu werden. Oft wurde ihnen die medizinische Behandlung verweigert. Krankenhausärzte und Angehörige des Pflegepersonals riskierten ebenfalls, inhaftiert und strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn sie sich an Protestaktionen beteiligten oder verletzte Demonstrierende behandelten, ohne sie bei den Behörden anzuzeigen. Einige Beschäftigte im Gesundheitswesen wurden dem Vernehmen nach getötet, weil sie verletzte Protestierende versorgten.

  • Dr. Sakher Hallak, der eine Klinik für Essstörungen leitete, wurde am 25. Mai 2011 festgenommen und starb Berichten zufolge zwei Tage später in Gewahrsam der Sicherheitsbehörden in Aleppo. Seine Leiche wies gebrochene Rippen, Arme und Finger auf, ausgestochene Augen und verstümmelte Genitalien. Er geriet möglicherweise ins Visier der Behörden, weil er eine Petition unterzeichnet hatte, in der gefordert wurde, Ärzte sollten alle verletzten Menschen - auch Demonstrierende - behandeln dürfen. Außerdem hatte er kurz zuvor die USA besucht.
  • Der Leichnam von Ma'az al-Fares, der Verwaltungsdirektor des Nationalen Krankenhauses von Taldo in der Provinz Homs gewesen war, wurde am 24. November seiner Familie übergeben. Ma'az al-Fares war in Gewahrsam gestorben, offensichtlich an den Folgen von Folter.

Unterdrückung Andersdenkender

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit blieben 2011 weiterhin stark eingeschränkt, obwohl der Ausnahmezustand aufgehoben wurde und neue Gesetze in Kraft traten, die den Anschein erweckten, als ob friedliche Proteste und politische Parteien erlaubt wären. Im Zusammenhang mit den Protestaktionen nahmen die Sicherheitskräfte Tausende von Menschen in Haft. Sie wurden teilweise während Demonstrationen festgenommen, teilweise bei Razzien in ihren Wohnungen, bei Fahndungen von Haus zu Haus oder bei anderen Durchsuchungsaktionen. Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Sie wurden an unbekannten Orten ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, teilweise in offiziellen Hafteinrichtungen, teilweise in behelfsmäßigen Haftlagern, wie z.B. Sportanlagen. In allen Hafteinrichtungen waren Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung.

Unter den Häftlingen befanden sich politische Aktivisten und Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Imame, Menschenrechtsverteidiger und Soldaten, die sich geweigert hatten, auf Demonstrierende zu schießen. Einige Menschenrechtsverteidiger tauchten unter, um ihrer Festnahme zu entgehen. Hunderte von Häftlingen kamen nach Verfahren vor Militärgerichten oder Strafgerichten oder nach einer Amnestie durch Präsident al-Assad wieder frei. Tausende befanden sich Ende 2011 jedoch noch in Haft.

  • Der 65-jährige Menschenrechtsverteidiger Mohammed Najati Tayyara wurde am 12. Mai 2011 in Homs von Mitarbeitern des politischen Sicherheitsdienstes festgenommen. Man warf ihm vor, er habe "falsche Informationen" verbreitet, die zu einer "Schwächung der Moral der Nation" führen könnten. Er hatte in Interviews mit Medien über Misshandlungen von Protestierenden durch die Sicherheitskräfte berichtet. Ein Richter ordnete im August seine Entlassung gegen Kaution an. Angehörige des Geheimdienstes der Luftwaffe hielten ihn jedoch elf Tage ohne Kontakt zur Außenwelt fest. Während dieser Zeit wurde er geschlagen. Ende 2011 befand er sich immer noch im völlig überfüllten Zentralgefängnis von Homs.
  • Die Frauenrechtlerin Hanadi Zahlout war nach ihrer Festnahme am 4. August 2011 in Damaskus zwei Monate lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert. Danach wurde sie ins 'Adra-Gefängnis verlegt und wartete auf ihren Prozess. Sie wurde gemeinsam mit sechs weiteren Personen u.a. wegen "Aufwiegelung zum Protest" angeklagt. Am 4. Dezember wurde sie freigelassen.
  • Der Journalist 'Adel Walid Kharsa wurde am 17. August 2011 von Beamten des Staatssicherheitsdienstes festgenommen, weil er anonym über die staatliche Unterdrückung der Protestaktionen berichtet hatte. Er wurde fünf Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, bevor man ihn ohne Anklage wieder freiließ. Am 31. Oktober nahm ihn der militärische Geheimdienst erneut fest. Ende 2011 war er noch immer ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert und galt als Opfer des Verschwindenlassens.
  • Der Menschenrechtsverteidiger Mohamed Iyyad Tayyara wurde am 28. August 2011 in seinem Haus in Homs von Soldaten festgenommen, offenbar weil er über Menschenrechtsverletzungen berichtet hatte. Er wurde an einem unbekannten Ort in Haft gehalten, bis man ihn Anfang Dezember in das Zentralgefängnis von Homs verlegte.
  • Der kurdische Schriftsteller Hussein 'Essou befand sich Ende 2011 noch immer in Haft. Er war am 3. September in al-Hasakah festgenommen worden, weil er Protestaktionen für Reformen unterstützt hatte.

Viele Dissidenten und ehemalige Gefangene durften weiterhin nicht ins Ausland reisen. Sie konnten gegen diese Verwaltungsentscheidung keine Rechtsmittel einlegen. Syrer, die im Ausland lebten und bei Demonstrationen ihre Solidarität mit den Protestierenden in Syrien zum Ausdruck brachten, wurden von syrischen Botschaftsangehörigen und anderen Personen überwacht und schikaniert. Einige ihrer Verwandten in Syrien wurden ebenfalls Opfer von Misshandlungen - offenbar als Vergeltungsmaßnahme für die politischen Aktivitäten im Ausland.

  • Mustafa Kheder Osso, dem Präsidenten der verbotenen kurdischen Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte und der öffentlichen Freiheit in Syrien (Kurdish Organization for the Defence of Human Rights and Public Freedoms in Syria), drohte ein Disziplinarverfahren der syrischen Rechtsanwaltskammer, weil er im Juli eine Protestaktion zur Freilassung von politischen Gefangenen unterstützt und sich an die Medien gewandt hatte. Das Disziplinarverfahren könnte ein Berufsverbot als Rechtsanwalt nach sich ziehen.
  • Der Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni durfte während des gesamten Berichtsjahrs nicht ins Ausland reisen.
  • Die Eltern des in den USA lebenden Pianisten und Komponisten Malek Jandali wurden im Juli 2011 in ihrem Haus in Homs von bewaffneten Männern verprügelt. Vier Tage zuvor hatte ihr Sohn in den USA an einer Solidaritätsdemonstration für die syrischen Protestierenden teilgenommen. Seinem Vater sagte man: "Das passiert, wenn sich dein Sohn über die Regierung lustig macht."

Freilassungen von Gefangenen

Um den Protestaktionen und der scharfen internationalen Kritik am Vorgehen der Regierung zu begegnen, gewährte Präsident Bashar al-Assad fünf Amnestien. Dabei kamen gewaltlose politische Gefangene frei, Personen, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen inhaftiert worden waren, sowie Mitglieder der verbotenen Muslimbruderschaft. Offizielle syrische Medien teilten mit, im Zuge der beiden Amnestien im November seien mehr als 1700 Menschen freigelassen worden. Für diese Angaben lagen jedoch keinerlei weitere Bestätigungen vor.

  • Der 80-jährige langjährige Menschenrechtsanwalt Haytham al-Maleh kam im Rahmen der ersten Amnestie im März 2011 frei. Er verbüßte eine dreijährige Haftstrafe, zu der er 2010 in einem unfairen Verfahren verurteilt worden war.
  • Der Menschenrechtsanwalt Muhannad al-Hassani wurde im Juni 2011 bei einer weiteren Amnestie freigelassen. Er war im Juli 2009 festgenommen und nach einem unfairen Gerichtsverfahren im Juni 2010 zu drei Jahren Haft verurteilt worden.
  • Kamal al-Labwani, ein politischer Aktivist und Gründer der nicht zugelassenen Partei Liberaldemokratische Union, kam am 15. November 2011 frei, nachdem er sechs Jahre seiner Haftstrafe verbüßt hatte. Die ursprünglichen zwölf Jahre waren im Zuge der Amnestie vom 31. Mai halbiert worden.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen waren weit verbreitet und wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Die Sicherheitskräfte wollten auf diese Weise Informationen erhalten, "Geständnisse" erpressen und mutmaßliche Regierungsgegner bestrafen und drangsalieren. Einige der Opfer, die über Folter berichteten, fürchteten Vergeltungsmaßnahmen, sollte ihre Identität preisgegeben werden.

  • Ein Mann, der im April 2011 in Banias festgenommen worden war, sagte aus, dass er drei Tage lang weder Nahrung noch sauberes Trinkwasser bekommen habe. Sicherheitsbeamte hätten ihn und seine Mitgefangenen mit Gewehrkolben in den Nacken und auf die Schultern geschlagen. Man habe ihn ausgezogen, mit Stöcken und Elektrokabeln geschlagen und ihn gezwungen, sein Blut vom Boden aufzulecken.
  • Ein anderer Mann sagte aus, dass er während seiner Haft beim militärischen Geheimdienst in Homs im Mai so lange geschlagen worden sei, bis er bewusstlos wurde. Man habe ihn mit Elektroschocks gefoltert und ihm gedroht, seinen Penis abzuschneiden. Er willigte daraufhin ein, mit verbundenen Augen seinen Daumenabdruck unter ein Dokument zu setzen, das er vorher nicht gelesen hatte.
  • Ein Mann aus Damaskus wurde nach seiner Festnahme durch Staatssicherheitsbeamte im Mai in Damaskus ausgepeitscht und an der Decke aufgehängt. Die Beamten quälten ihn mit Schlafentzug und übergossen seinen nackten Körper mehrfach mit kaltem Wasser. Als er daraufhin erkrankte, wurde ihm die medizinische Behandlung verweigert.

Todesfälle in Gewahrsam

Die weite Verbreitung von Folter führte zu einem sprunghaften Anstieg von Todesfällen in Gewahrsam. Mindestens 200 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protestaktionen festgenommen worden waren, kamen Berichten zufolge in der Haft ums Leben. In vielen Fällen deuteten die verfügbaren Beweise auf Folter und andere Misshandlungen als Todesursache hin. Keiner der Täter wurde zur Rechenschaft gezogen. Einige der Opfer waren Kinder.

  • Der Leichnam von Tariq Ziad 'Abd al-Qadr, der am 29. April 2011 festgenommen worden war, wurde im Juni seiner Familie in Homs übergeben. Videoaufnahmen des Leichnams dokumentierten zahlreiche Verletzungen. Neben deutlich sichtbaren Verbrennungen durch Elektroschocks an Nacken und Penis wies die Leiche weitere Brandwunden am ganzen Körper auf, außerdem Striemen, die offensichtlich von Peitschenhieben herrührten, und Stichwunden an der Seite. Auch waren die Haare teilweise ausgerissen. Ein Dokument, das offenbar vom Nationalen Krankenhaus ausgestellt worden war, gab als Todesursache "Schuss in die Brust" an. Schusswunden konnten jedoch nicht festgestellt werden.
  • Der 15-jährige Thamer Mohamed al-Shar'i "verschwand" am 29. April 2011, als Sicherheitskräfte in der Nähe von Dera'a Massenverhaftungen vornahmen und auf Protestierende schossen. Kurze Zeit später berichtete ein entlassener Häftling, er habe gesehen, wie der Junge in einem Haftzentrum des Geheimdienstes der Luftwaffe in Damaskus vom Verhörpersonal niedergeknüppelt wurde, obwohl er eine Schussverletzung in der Brust erlitten hatte. Seine Leiche wurde dem Vernehmen nach am 6. Juni seiner Familie übergeben.
  • Im September identifizierte ein Ehepaar eine verstümmelte und entstellte Leiche als die ihrer vermissten Tochter Zaynab al-Hosni und bestattete sie. Am 4. Oktober wurde Zaynab al-Hosni jedoch im staatlichen Fernsehen gezeigt. Die Behörden versuchten offenbar, mit diesem Fall Zweifel an der Glaubwürdigkeit der internationalen Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu säen. Das Schicksal und der Aufenthaltsort von Zaynab al-Hosni blieben jedoch weiterhin unbekannt. Auch die Identität und die Todesumstände der Frau, deren verstümmelte Leiche bestattet worden war, blieben ungeklärt.

Lediglich bei zwei Todesfällen in Gewahrsam kündigten die Behörden Untersuchungen an: im Fall des 13-jährigen Hamza 'Ali al-Khateeb und im Fall von Dr. Sakher Hallak (siehe oben). In beiden Fällen waren in der Presse vielfach Foltervorwürfe erhoben worden. Die Untersuchung war allem Anschein nach in beiden Fällen weder unabhängig noch unparteiisch, und die Sicherheitskräfte wurden dem Vernehmen nach von allen Vorwürfen freigesprochen.

Straflosigkeit

Mit Ausnahme der mangelhaften Untersuchungen von zwei mutmaßlichen Fällen von Tod in Gewahrsam unternahmen die Behörden nichts, um die zahlreichen rechtswidrigen Tötungen sowie Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es wurden auch keinerlei Schritte unternommen, um die schweren Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahre zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Das Schicksal Tausender Menschen, die dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren, blieb weiterhin ungeklärt. Die Behörden gaben auch weiterhin keine Auskunft über die Gefangenen, die im Juli 2008 im Sednaya-Militärgefängnis getötet worden waren.

  • Die Familie von Tahsin Mammo erfuhr 2011 durch Zufall, dass er zu den Gefangenen zählte, die im Juli 2008 getötet wurden. Er war ein gewaltloser politischer Gefangener, der zusammen mit vier weiteren Angehörigen der kurdischen Minderheit der Jesiden im Januar 2007 festgenommen worden war. Seine Familie hatte seit Juli 2008 nichts mehr von ihm gehört.

Diskriminierung der kurdischen Minderheit

Angehörige der kurdischen Minderheit, die rund 10% der Gesamtbevölkerung Syriens ausmacht, litten weiterhin unter Diskriminierungen aufgrund ihrer Identität. Die Einschränkungen betrafen auch den Gebrauch der kurdischen Sprache und kulturelle Aktivitäten. Zehntausende syrische Kurden waren praktisch staatenlos, bis Präsident al-Assad am 7. April 2011 das Gesetzesdekret Nr. 49 erließ. Es sieht vor, dass Kurden, die als Ajanib ("Ausländer") bezeichnet werden, die syrische Staatsangehörigkeit erlangen können, nicht jedoch die als Maktumin ("Nichtregistrierte") Bezeichneten, die überwiegend im Regierungsbezirk al-Hasakah leben. Engagierte Menschen, die sich für die Rechte der Kurden einsetzten, waren weiterhin von Festnahmen und Inhaftierungen bedroht.

  • Die kurdischen Dichter Omar 'Abdi Isma'il, 'Abdussamad Husayn Mahmud und Ahmad Fatah Isma'il wurden im Februar 2011 zu je vier Monaten Freiheitsentzug verurteilt, nachdem ein Richter sie der "Anstiftung zu Rassismus und Sektierertum" für schuldig befunden hatte. Sie hatten im Jahr 2010 ein kurdisches Lyrikfestival organisiert.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Frauen waren weiterhin sowohl aufgrund der Gesetzgebung als auch im täglichen Leben Diskriminierung ausgesetzt. Sie wurden Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt bis hin zu Morden und anderen schweren Verbrechen, die nicht selten von männlichen Verwandten aus Gründen der "Familienehre" begangen wurden. Am 3. Januar 2011 änderte Präsident al-Assad das Strafgesetzbuch per Erlass und erhöhte die Mindeststrafe für Mord und andere Gewaltverbrechen gegen Frauen im Namen der "Familienehre" von zwei Jahren Haft auf fünf bis sieben Jahre. Außerdem legte der Erlass eine Mindeststrafe von zwei Jahren Haft für Vergewaltigung und andere sexuelle Übergriffe fest. Zuvor konnten die Täter einer strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung entgehen, wenn sie ihr Opfer heirateten.

Todesstrafe

Im Berichtsjahr ergingen weiterhin Todesurteile. Es gab unbestätigte Informationen über Hinrichtungen; die syrischen Behörden machten dazu keine Angaben.

Amnesty International: Mission und Berichte

Die syrische Regierung erteilte Amnesty International 2011 keine Einreiseerlaubnis.

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