Friedenskonsolidierung: Nicaragua

Kurzfristig wurde Nicaragua durch den Pakt zwischen Liberalen und Sandinisten stabilisiert. Die Folgen sind jedoch soziale Ungleichheit und Armut sowie Vetternwirtschaft und Korruption. Die nicht aufgearbeiteten Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs bilden eine schwere Hypothek für den Friedensprozess.

Der Weg zum Frieden

Nach dem Sturz des Diktators Anastasio Somoza übernahm der linksgerichtete Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) 1979 die Macht in Nicaragua. Ein Jahr später begannen die rechtsgerichteten Contras den bewaffneten Kampf gegen das sandinistische Regime. Die Aufständischen setzten sich nicht nur aus Anhängern Somozas zusammen, sondern auch aus Teilen der bürgerlichen Opposition, vielen Bauern, einigen enttäuschten Sandinisten und großen Teilen der indigenen Bevölkerung an der Atlantikküste. Das Einzige, was diese überaus heterogene Koalition über Jahre hinweg verband, war die massive finanzielle und logistische Unterstützung durch die US-Regierung, die in Nicaragua einen Stellvertreterkrieg gegen den Einfluss der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Mittelamerika führte.

Die Contadora-Gruppe (Mexiko, Panama, Kolumbien und Venezuela) versuchte, die Konflikte in Zentralamerika aus dieser Perspektive zu befreien, um so eine regionale Lösung zu ermöglichen. Dank ihrer Arbeit konnte 1987 das Abkommen von Esquipulas unterzeichnet werden, das die Grundlage für eine friedliche Zusammenarbeit der zentralamerikanischen Staaten legte. In der Folge verloren die Contras ihr Rückzugsgebiet in Honduras. Mit der Aufdeckung der Iran-Contra-Affäre1 und der Einstellung der US-Militärhilfe versiegte auch die externe Unterstützung. Angesichts erster Auflösungserscheinungen und des wachsenden Drucks der USA entschlossen sich nun Teile der Contras, das Oppositionsbündnis Unión Nacional Opositora (UNO) von Violetta Barrios de Chamorro zu unterstützen. Es umfasste ein breites Spektrum bürgerlicher, konservativer und radikal anti-sandinistischer Parteien.

Der Sieg des Oppositionsbündnisses im Februar 1990 traf die Sandinisten völlig unvorbereitet. In der zweimonatigen Übergangszeit bis zum Amtsantritt der neuen Regierung erließen sie noch einige Gesetze zur Absicherung der sandinistischen Agrarreform und stellten zahlreiche Eigentumstitel für Land und Wohnungen aus. Darüber hinaus bedienten sich insbesondere hohe Funktionäre großzügig an konfisziertem Eigentum aus dem Umfeld Somozas. In der gleichen Zeit gelang es der künftigen Präsidentin Chamorro, Übereinkünfte mit den Contras und Sandinisten zu erzielen. Damit war der Bürgerkrieg beendet und Nicaragua aus seiner internationalen Isolierung befreit. Die Regierung Chamorro war jedoch weiter auf die Unterstützung der Sandinisten angewiesen, die nach wie vor Armee, Polizei und Geheimdienst kontrollierten und die stärkste Fraktion im Parlament stellten.

Ergebnisse des Friedensprozesses

Mit der Wahlniederlage des FSLN endete auch der Bürgerkrieg. Die Contras hatten ihr wichtigstes Ziel erreicht. In den Friedensverhandlungen saßen sie nicht dem ehemaligen Bürgerkriegsgegner gegenüber, sondern einer neuen Regierung, deren Vertreter sie im Wahlkampf unterstützt hatten. Dies hatte weitreichende Konsequenzen für die künftige Entwicklung des Landes. Anders als in Guatemala und El Salvador mussten sich die Konfliktparteien in Nicaragua nicht auf einen Kompromiss über die künftige Ausgestaltung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung einigen. Eine offene und selbstkritische Auseinandersetzung zwischen Contras und Sandinisten blieb ebenso aus wie ein ernsthafter Versuch zur Aufarbeitung der Bürgerkriegsvergangenheit. Die Friedensverhandlungen konzentrierten sich überwiegend auf die Entwaffnung und Demobilisierung der Kombattanten.

Anders als in den Nachbarländern blieb die Rolle der UN in Nicaragua weitgehend darauf beschränkt, die Entmilitarisierung der Contras zu überwachen. Die von der UN entsandte Beobachtergruppe (Grupo de Observadores de las Naciones Unidas en Centroamérica, ONUCA) verließ das Land bereits 1991. Die fast ausschließlich von den USA finanzierte Mission der Organisation Amerikanischer Staaten (Comisión Internacional de Apoyo y Verificación, CIAV-OAS) konzentrierte sich in den ersten Jahren lediglich auf die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen gegen die Contras.

Die von internationalen Finanzorganisationen eingeforderten Strukturanpassungsmaßnahmen nahmen der Regierung den Spielraum, angemessen auf die drängenden sozialen Probleme der Nachkriegszeit zu reagieren. Auch die gesellschaftliche Wiedereingliederung der Kombattanten gestaltete sich schwierig. Unzufriedenheit und fehlende Perspektiven führten dazu, dass ehemalige Rebellen (Recontras) oder Sandinisten (Recompas) erneut zu den Waffen griffen. Viele Recontras wollten sich nicht mit den Ergebnissen der Friedensverhandlungen und der nach wie vor starken Rolle der Sandinisten in Staat und Gesellschaft Nicaraguas abfinden. Andere wollten die Regierung durch ihre Wiederbewaffnung dazu nötigen, die im Rahmen der Demobilisierung erfolgten materiellen Zusagen einzuhalten. Eine dritte Gruppe kam mit dem zivilen Leben nicht zurecht und verlagerte ihre Tätigkeit in den Bereich von Delinquenz und Bandenkriminalität. Ähnlich sah es bei den Recompas aus, die vor allem von der drastischen Reduzierung der Streitkräfte betroffen waren. Politische Gewalt blieb bis weit in die zweite Hälfte der 1990er Jahre ein großes Problem und kostete noch einmal fast 2.000 Menschenleben.

Der erneute Ausbruch eines bewaffneten Konfliktes in Nicaragua ist inzwischen unwahrscheinlich. Die politische Gewalt hat deutlich abgenommen. Revolution und Gegenrevolution werden von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr als adäquate Mittel zur Herbeiführung gesellschaftlichen Wandels betrachtet. Nicaragua ist außerdem wesentlich weniger von Gewaltkriminalität betroffen als seine nördlichen Nachbarn Honduras, El Salvador und Guatemala. Dennoch ist das Land weit von demokratischer Normalität entfernt.

Probleme und Defizite

Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des bewaffneten Konfliktes leidet Nicaragua unter gravierenden sozio-ökonomischen Problemen, einem enormen Ausmaß an Korruption und schwachen demokratischen Institutionen. Im zweitärmsten Land Lateinamerikas wird die Situation durch die extrem ungleiche Verteilung der Einkommen zusätzlich verschärft. Während die reichten zehn Prozent der Bevölkerung über 41,8% des nationalen Einkommens verfügen, entfallen auf die untersten zehn Prozent lediglich 1,4%. 32% der Bürger müssen mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Daran haben auch die 2007 von der sandinistischen Regierung aufgelegten Programme zur Bekämpfung des Hungers ("hambre cero") und zur Vergabe von Mikrokrediten an Frauen ("usura cero") wenig geändert.

Politisch ist das Land nach wie vor in Sandinisten und Liberale gespalten. Sachfragen sind jedoch hinter personelle und machtpolitische Erwägungen zurückgetreten. 1999 teilten die Führer des FSLN, Daniel Ortega, und des Partido Liberal Constitucionalista (PLC), Arnoldo Alemán, in einem politischen Pakt die wichtigsten Positionen in zentralen staatlichen Institutionen untereinander auf. Alemáns Präsidentschaft (1997-2002) zählt zu den korruptesten in der Geschichte Nicaraguas. Der Pakt sollte ihm nach Ablauf seiner Amtszeit parlamentarische Immunität verschaffen. Ausgerechnet sein Vizepräsident und Nachfolger Enrique Bolaños (2002-2007) trieb anschließend die Strafverfolgung Alemáns voran; er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, durfte sich jedoch frei in Managua bewegen. 2009 wurde er vom Obersten Gerichtshof freigesprochen.

2007 kehrten die Sandinisten auf demokratischem Weg an die Macht zurück. Mit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Daniel Ortega haben sich die personalistischen und autoritären Züge in der Regierungsführung weiter verstärkt. Seine Methoden ähneln in vieler Hinsicht denen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Dank des Paktes mit den Liberalen kontrolliert er die wichtigsten staatlichen Organe. Mit den Bürgerräten ("Consejos del Poder Ciudadano") sichert er sich die politische Kontrolle auf der lokalen Ebene. Die eigene Klientel wird mit verschiedenen Sozialprogrammen zufrieden gestellt.

Vor diesem Hintergrund wundert es kaum, dass der Oberste Gerichtshof 2009 das in der Verfassung verankerte Verbot zur Wiederwahl des Präsidenten kippte. Er machte damit den Weg frei für Ortegas erneute Kandidatur im November 2011. Der PLC kürte abermals Arnoldo Alemán zum Kandidaten. Beide Nominierungen stehen exemplarisch für die gravierenden Defizite des politischen Systems und die Schwäche demokratischer Institutionen in Nicaragua.

Literatur

»Dye, David R. (2010): Countries at the Crossroads: Nicaragua, Freedom House.«

Kurtenbach, Sabine (2003): Nicaragua und El Salvador: Frieden mit schwachem Fundament, in: Ferdowski, Mir A./ Matthies, Volker (Hrsg.): Den Frieden gewinnen. Zur Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften, Bonn: Dietz, S. 272-301.

Reiber, Tanja (2009): Fallstudie Nicaragua, in: Reiber, Tanja: Demokratieförderung und Friedenskonsolidierung. Die Nachkriegsgesellschaften Guatemala, El Salvadaor und Nicaragua, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 271-355.

Spalding, Rose J. (1999): From Low-Intensity War to Low-Intensity Peace: The Nicaraguan Peace Process, in: Arnson, Cynthia J. (Hrsg.): Comparative Peace Processes in Latin America, Washington, D.C.: Woodrow Wilson Center Press, S. 31-64.

Links

»Latin America Network Information Center (LANIC): Nicaragua«
 


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Zur Person

Karsten Bechle

Karsten Bechle ist Regionalanalyst bei EXOP, einer deutschen Unternehmensberatung für globale Risiken mit Sitz in Konstanz. Er ist dort für die Amerikas zuständig. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Lateinamerikastudien des GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg und am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg tätig.