Document #1289171
Amnesty International (Author)
Die Regierung hatte sich selbst die Frist gesetzt, bis zum Jahr 2010 die kommunistische Aufstandsbewegung zu "zerschlagen". Da das Militär dabei keinen Unterschied zwischen den Kämpfern der Neuen Volksarmee (New People's Army - NPA) und politisch aktiven Zivilisten und Menschenrechtsverteidigern in den ländlichen Gebieten machte, kam es zu Vertreibungen und widerrechtlichen Tötungen. Das Militär wandte gegenüber der Zivilbevölkerung geheime Haft, Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung an. Beide Konfliktparteien töteten und ließen Menschen aus politischen Motiven "verschwinden". Da die Täter fast nie vor Gericht gestellt wurden, setzte sich eine Kultur der Straflosigkeit fort. Im Juli unternahm die Regierung erste Schritte, um die formellen Friedensverhandlungen mit der Nationaldemokratischen Front (National Democratic Front - NDF) und der Islamischen Befreiungsfront der Moro (Moro Islamic Liberation Front - MILF) wieder aufzunehmen.
Hunderttausende von Menschen konnten nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Indigene Bevölkerungsgruppen, die überall im Land in den abgelegensten Gebieten lebten, wie auch die Moros (philippinische Muslims) in Mindanao waren besonders davon betroffen. Von Privatleuten ausgerüstete Milizen und Todesschwadronen führten widerrechtliche Tötungen durch. Die indigenen Bevölkerungsgruppen litten sowohl unter dem Konflikt als auch unter den im Interesse der Rohstoffgewinnungsindustrie vorgenommenen widerrechtlichen Vertreibungen aus ihren Siedlungsgebieten.
Im Dezember unterzeichnete die Präsidentin ein "Gesetz zur Definition und Bestrafung von Verbrechen gegen das Internationale Menschenrecht, Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Nach einem Jahr bewaffneter Auseinandersetzungen auf der Insel Mindanao im Süden der Philippinen einigten sich die Armee und die MILF im Juli 2009 auf eine Einstellung der militärischen Handlungen. Im September unterzeichneten sie ein Rahmenabkommen über eine internationale Kontaktgruppe, die als Garant der Friedensverhandlungen dienen sollte. Im Oktober unterzeichneten die beiden Konfliktparteien eine Vereinbarung über den Schutz der Zivilbevölkerung, mit der sie die Pflichten, die ihnen nach dem internationalen Völkerrecht und der Menschenrechtsgesetzgebung obliegen, nochmals bestätigten. Eine internationale Überwachungsgruppe und NGOs wurden beauftragt, die von beiden Seiten übernommenen Pflichten zu kontrollieren und die Zivilbevölkerung zu schützen. Im Dezember kam es zur Wiederaufnahme formeller Friedensgespräche.
Die Anzahl der Binnenvertriebenen in Mindanao lag nach Schätzungen der Regierung im Dezember bei etwa 125000 Personen. Nur 20% dieser Familien lebten in Aufnahmezentren für Binnenflüchtlinge. Die meisten anderen Personen waren in Zelten untergebracht, die vor allem angesichts der häufigen Taifune und Überschwemmungen für einen längeren Aufenthalt nicht geeignet waren. Die Lebensbedingungen der Binnenflüchtlinge waren armselig: Es gab kein sauberes Wasser, zu wenig sanitäre Anlagen und ein hohes Maß an Unterernährung.
Im Juni 2009 einigten sich Regierung und NDF, eine Wiederaufnahme der formellen Friedensgespräche anzustreben, um den seit 40 Jahren immer wieder aufflammenden bewaffneten Konflikt zu beenden. Die NDF unterhält Verbindungen zur Kommunistischen Partei der Philippinen (Communist Party of the Philippines - CPP) und zur NPA.
Im Juli hob die Regierung die vierjährige Aussetzung der Gemeinsamen Vereinbarung über die Garantie von Sicherheit und Immunität (Joint Agreement on Safety and Immunity Guarantee) auf, um der NDF die Möglichkeit zu geben, sich auf die seit 2005 unterbrochenen Gespräche vorzubereiten. Die Bemühungen des Militärs, die NPA aufzustöbern, führten dazu, dass im ganzen Land Tausende Personen, darunter Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen, aus Waldgebieten vertrieben wurden.
Im April stellte der UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen in einem Follow-up-Bericht über die Philippinen fest, dass die Regierung es versäumt habe, Reformen durchzuführen, welche die Verantwortlichkeit von Vorgesetzten für Menschenrechtsverletzungen gewährleisten. Die Straflosigkeit für widerrechtliche Tötungen sei nach wie vor weit verbreitet, und der Zeugenschutz genüge noch immer nicht den Anforderungen. Daneben wies der Sonderberichterstatter darauf hin, dass die CPP und die NPA nicht genügend getan hätten, um die Fälle von rechtswidrigen Tötungen zu reduzieren.
In militärischen Einrichtungen und geheimen Haftzentren wurde weiterhin Folter angewandt. Im Mai äußerte der UN-Ausschuss gegen Folter seine Besorgnis über "die zahlreichen, ständigen, glaubhaften und regelmäßigen Vorwürfen, wonach insbesondere zur Erpressung von Geständnissen Folter und Misshandlungen von Verdächtigen in Polizeigewahrsam üblich und weit verbreitet sind", und dass Verstöße, "die von Polizeibeamten und Militärangehörigen zu verantworten waren, nur selten untersucht oder strafrechtlich verfolgt wurden".
Im November trat das Antiterrorgesetz in Kraft.
Die nach der philippinischen Gesetzgebung erforderliche vorherige, freie und sachkundige Zustimmung zu allen die Belange der indigenen Bevölkerung betreffenden Maßnahmen wurde umgangen oder in der Praxis verweigert. Im August gab der UN-Ausschuss für die Beseitigung der rassischen Diskriminierung (UN Committee on the Elimination of Racial Discrimination) seiner Sorge darüber Ausdruck, dass die indigenen Bevölkerungsgruppen bei der Planung von Infrastrukturvorhaben und Projekten zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen nicht ausreichend konsultiert wurden. Der Ausschuss hob auch die Auswirkungen der mit derartigen Projekten einhergehenden Binnenvertreibung auf die Lebensgrundlagen, Gesundheit und Bildung der indigenen Bevölkerungsgruppen hervor.
< Im Oktober 2009 lösten etwa 100 bewaffnete Polizisten und ein Abbruchkommando eine Protestveranstaltung von Bewohnern in Didipio in der Provinz Nueva Vizcaya gewaltsam auf. Die Bewohner protestierten gegen die rechtswidrige Zwangsräumung der Heimstätten von Hunderten Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen und Landbewohnern, die den Weg für die Ausbeutung von Bodenschätzen freimachen sollte. Die Polizei soll dabei unnötige und unverhältnismäßige Gewalt angewandt und die Bewohner mit Tränengasgranaten beworfen haben.
Die Regierung beschuldigte politisch und sozial engagierte Bürger sowie linksgerichtete NGOs, Helfershelfer der Kommunisten zu sein. Die derart beschuldigten Menschen wurden mit Gerichtsverfahren überzogen, die als SLAPP-Prozesse (Strategic Lawsuits Against Public Participation) bekannt wurden.
Vertreter von Amnesty International besuchten die Philippinen im März, April, Mai und Dezember.
Shattered Lives: Beyond the 2008-2009 Mindanao Armed Conflict (ASA 35/003/2009)
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Amnesty International Report 2010 - The State of the World's Human Rights (Periodical Report, English)