Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Myanmar

Amtliche Bezeichnung:
 Republik der Union von Myanmar
Staatsoberhaupt und Regierungschef: Thein Sein

Im Zuge politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Reformen wurden Hunderte von gewaltlosen politischen Gefangenen freigelassen, doch viele weitere befanden sich nach wie vor in Haft. Die Sicherheitskräfte und andere Staatsorgane begingen weiterhin Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen, exzessive Gewaltanwendung, willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen sowie rechtswidrige Beschlagnahme oder Zerstörung von Eigentum und Vernichtung der Existenzgrundlage von Menschen. Viele Verantwortliche für frühere Straftaten, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurden auch im Jahr 2012 nicht zur Rechenschaft gezogen.

Hintergrund

Die Nachwahlen im April 2012 verliefen nach Ansicht internationaler Beobachter weitgehend frei und fair. Die oppositionelle Nationale Liga für Demokratie (National League for Democracy - NLD) gewann 43 von 44 angestrebten Mandaten, und die Abgeordneten der Partei konnten ihre Sitze im Parlament einnehmen.

Im August wurde die ehemalige gewaltlose politische Gefangene Aung San Suu Kyi zur Vorsitzenden des neu eingerichteten Parlamentsausschusses für Rechtsstaatlichkeit und Frieden ernannt. Im September wurde die nationale Menschenrechtskommission als Mitglied zum Forum der südostasiatischen nationalen Menschenrechtsinstitutionen zugelassen und im November als assoziiertes Mitglied ins Asien-Pazifik-Forum aufgenommen. Nach wie vor gab es jedoch Zweifel, ob die Kommission eine unabhängige Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten kann.

Im November verabschiedete Myanmar die Erklärung der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) zum Schutz der Menschenrechte trotz weit verbreiteter Bedenken, dass sie internationalen Standards nicht entspricht. Gleichfalls im November gestattete Präsident Thein Sein dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die Inspektion von Haftanstalten wieder aufzunehmen, und kündigte Pläne der Regierung zur Einrichtung eines zwischenstaatlichen Überprüfungsmechanismus für alle gegenwärtig einsitzenden Gefangenen an.

Die EU, Australien, Kanada, die Schweiz und die USA haben in der ersten Jahreshälfte die meisten ihrer gegen Myanmar verhängten Sanktionen ausgesetzt, das Waffenembargo blieb jedoch in Kraft.

Bewaffneter Konflikt

Die Regierung schloss Waffenstillstandsabkommen bzw. Vereinbarungen über die Einleitung eines Friedensprozesses mit den politischen Flügeln von etwa acht Vereinigungen ethnischer Minderheiten, darunter die Freiheitspartei Arakan, die Karen National Union, die Armee des Shan-Staats/Nord und die Armee des Shan-Staats/Süd. Dennoch wurden aus dem Osten des Landes wiederholt bewaffnete Auseinandersetzungen gemeldet. Der Konflikt im Unionsstaat Kachin und im Norden des Unionsstaats Shan verschärfte sich, und Ende des Jahres griff die Luftwaffe des Landes gezielt Vorposten der Kachin Independence Army (KIA) an. Der Konflikt begann, als die Armee im Juni 2011 den Waffenstillstand mit der KIA brach. Im Berichtsjahr blieben alle Versuche erfolglos, die Konfliktparteien zu Gesprächen zu bewegen. Im Juni unterzeichnete die Regierung einen Aktionsplan der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur Bekämpfung der Rekrutierung von Minderjährigen sowie den gemeinsamen Aktionsplan zu Kindern in bewaffneten Konflikten gemäß Resolution 1612 des UN-Sicherheitsrats, und im September entließ die Armee öffentlich 42 Kindersoldaten.

Nach wie vor wurden viele Bewohner der Dörfer im Konfliktgebiet, vor allem im Unionsstaat Kachin und im Norden des Unionsstaats Shan, Opfer von Menschenrechtsverstößen wie willkürlicher Festnahme, rechtswidriger Tötung, sexueller Gewalt, Folter, Verschwindenlassen und Vernichtung ihrer Existenzgrundlage.

  • Im Januar 2012 reichten die Anwälte der Familie der verschwundenen Sumlut Roi Ja aus der Minderheit der Kachin eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof in Nay Pyi Taw ein. Berichten zufolge war Sumlut Roi Ja nach ihrer Festnahme durch die Streitkräfte im Oktober 2011 verschwunden. Ihr Ehemann, der nach eigenen Angaben bei ihrer Entführung zugegen war, durfte keine Zeugenaussage machen. Im März stellte der Oberste Gerichtshof das Verfahren aus Mangel an Beweisen ein.
  • Im Juni 2012 nahm die Armee vier Viehhirten aus der Volksgruppe der Kachin fest, weil man sie verdächtigte, Verbindungen zur Kachin Independence Organization (KIO) und zur KIA zu unterhalten. Glaubwürdigen Berichten zufolge wurden die Männer gefoltert.
  • Am 1. Juli 2012 nahmen Soldaten 27 Bewohner von Kachin-Dörfern wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der KIA in Gewahrsam. Die meisten der Männer wurden rasch wieder auf freien Fuß gesetzt, doch Galau Bawm Yaw blieb in Haft. Am 22. Juli wurde seine Leiche gefunden; Berichten zufolge wies sie Spuren von Folterungen auf.

Binnenflüchtlinge
Die Zahl der Menschen, die im Zuge des fortdauernden Konflikts im Unionsstaat Kachin aus ihrem Wohnort vertrieben wurden, stieg bis Ende 2012 auf über 75000 an. Viele mussten ihr Leben in behelfsmäßigen Flüchtlingslagern in den von der KIA kontrollierten Gebieten an der chinesischen Grenze fristen. Dort gab es nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, und die ärztliche Versorgung sowie die Versorgung mit Lebensmitteln waren mangelhaft. Aufgrund der von der Regierung verhängten Beschränkungen war es humanitären Organisationen in den von der KIA und der KIO kontrollierten Gebieten nicht möglich, Hilfe zu leisten.

Im Osten des Landes konnten 400000 Menschen immer noch nicht an ihren Wohnort zurückkehren. Aufgrund der gewalttätigen Ausschreitungen und Übergriffe im Unionsstaat Rakhine teilten weitere 115000 Muslime aus der Minderheit der Rohingya und anderen Volksgruppen dieses Schicksal. Hilfsorganisationen, die außerhalb der offiziellen Lager lebende Binnenflüchtlinge unterstützen wollten, sahen sich insbesondere Ende Oktober/Anfang November mit Hindernissen konfrontiert. Die Flüchtlingslager waren überfüllt, und es fehlte an sanitären Einrichtungen.

Religiöse Gewalt

Nach der Vergewaltigung und Ermordung einer Buddhistin am 28. Mai 2012 im Unionsstaat Rakhine, die drei muslimischen Männern angelastet worden war, und der anschließenden Racheaktion, bei der zehn muslimische Männer zu Tode geprügelt wurden, kam es dort Anfang Juni zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Buddhisten einerseits und Muslimen aus der Gruppe der Rohingya und anderen Volksgruppen andererseits. Am 10. Juni verhängte der Präsident über den gesamten Unionsstaat den Ausnahmezustand. Auch im Juli und August wurden wiederholt Gewaltakte gemeldet. Zwischen dem 21. und dem 30. Oktober kam es erneut zu heftigen Ausschreitungen, bei denen auch Muslime aus anderen Volksgruppen wie z.B. der Minderheit der Kaman angegriffen wurden. Nach offiziellen Angaben kamen etwa 160 Menschen ums Leben. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer kann allerdings wesentlich höher liegen.

Am 17. August richtete die Regierung eine Kommission ein, die die Gründe für die Ausschreitungen im Unionsstaat Rakhine untersuchen sollte. Die Kommission setzte sich aus Angehörigen der meisten betroffenen Gruppen zusammen; auch ehemalige politische Gefangene und sechs Vertreter der muslimischen Bevölkerung gehörten ihr an, jedoch kein Vertreter der Minderheit der Rohingya. Im November wurden zwei der Muslim-Vertreter abberufen. Den Abschlussbericht hatte die Kommission bis Ende 2012 noch nicht veröffentlicht.

Landstreitigkeiten

Im Verlauf des Jahres kam es zu heftigen Protesten gegen Landraub und Landvertreibungen. Ein eigens eingerichteter Parlamentsausschuss sollte die Landstreitigkeiten untersuchen. Berichten zufolge befasste sich der Ausschuss im letzten Quartal des Jahres mit mehreren Hundert der insgesamt 4000 Fälle von Landvertreibungen, die ihm vorlagen. Anfang 2013 soll er seine Ergebnisse im Parlament vorstellen.

  • In den frühen Morgenstunden des 29. November 2012 löste die Polizei gewaltsam ein Lager von Demonstrierenden auf, die gegen die Erweiterung der Kupfermine Letpadaung in Monya in der Region Sagaing sowie gegen die damit verbundenen Landvertreibungen und die Berichten zufolge bereits eingetretenen Umweltschäden protestierten. Einige der Demonstrierenden, darunter auch Mönche, trugen erhebliche Verletzungen davon. Im Dezember wurde Aung San Suu Kyi zur Vorsitzenden einer Kommission ernannt, die den Ausbau der Kupfermine und das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Protestierenden untersuchen soll.

Obwohl die Regierung 2012 zwei Gesetze mit Regelungen zum Besitz und zur Nutzung von landwirtschaftlich verwertbarem Land sowie von brachliegendem und ungenutztem Land verabschiedete, konnten die Bauern nicht wirksam vor der Beschlagnahme ihres Landes durch die Behörden geschützt werden.

Im März 2012 wurde mit einer Änderung des Ward or Village Tract Administration Act der Tatbestand der Zwangsarbeit unter Strafe gestellt. Im Juli genehmigte die Regierung einen Aktionsplan, mit dem bis 2015 jegliche Form von Zwangsarbeit abgeschafft werden soll. Insbesondere in den vorwiegend von ethnischen Minderheiten bewohnten Gebieten wurde diese Praxis jedoch weiter fortgesetzt.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Im Juli 2012 setzte die Regierung das im November 2011 vom Parlament verabschiedete Versammlungs- und Demonstrationsgesetz in Kraft, gemäß dem jede Demonstration mindestens fünf Tage im Voraus beantragt werden muss. Darüber hinaus heißt es in dem Gesetz: "Dem Antrag sollte stattgegeben werden, sofern keine Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und die geltenden Gesetze zum Schutz der Öffentlichkeit oder Störungen von Ruhe und Ordnung zu erwarten sind."

Bei einigen nicht genehmigten gewaltfreien Demonstrationen wurden einzelnen Organisatoren oder Teilnehmern Verstöße gegen Artikel 18 dieses Gesetzes vorgeworfen. Sie müssen mit einer Haftstrafe von einem Jahr für jede Gemeinde rechnen, durch die die Demonstration führte.

  • Auch die Organisatoren eines nicht genehmigten Friedensmarschs im September wurden nach diesem Gesetz belangt. Da er das Gebiet mehrerer Gemeinden berührte, werden sie auch mehrfach unter Anklage gestellt.
  • Mindestens sechs engagierten Bürgern, die am 1. Dezember in Yangon an einer nicht genehmigten Demonstration teilnahmen, wurden Verstöße gegen Artikel 18 des Versammlungs- und Demonstrationsgesetzes zur Last gelegt. Die Demonstrierenden hatten ihre Besorgnis über das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte bei den Protesten gegen die Kupfermine in Monya, Region Sagaing, zum Ausdruck bringen wollen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Am 20. August 2012 gab das Informationsministerium die Abschaffung der Vorab-Zensur aller zur Veröffentlichung bestimmten Texte bekannt und erließ am selben Tag strenge Veröffentlichungsleitlinien, nach denen u.a. Kritik an der Politik der Regierung verboten ist. Das Ministerium verlangt weiterhin, dass alle Artikel nach der Veröffentlichung bei einer Prüfstelle eingereicht werden.

Anfang August richtete die Regierung einen neuen Presserat ein, der bis zum Inkrafttreten eines neuen Mediengesetzes für alle Medienfragen zuständig ist. Aus Journalistenkreisen wurde heftige Kritik an der Zusammensetzung des Rates, seinem Mangel an Unabhängigkeit und an seinen Befugnissen geäußert. Mitte September wurde dann ein neuer Interims-Presserat eingerichtet, dessen Mitglieder mehrheitlich Journalisten sind.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Hunderte von Menschen, darunter auch Kinder, wurden ohne rechtliche Grundlage festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt und ausreichende ärztliche Versorgung in Haft gehalten und mussten grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung ertragen. Auch 2012 gab es einige Berichte über Folter und andere Misshandlungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte, darunter auch Fälle mit Todesfolge.

  • Dr. Tun Aung, Arzt und Vorsitzender des Islamischen Religionsrates in Maungdaw im Unionsstaat Rakhine, wurde am 11. Juni 2012 unter dem Vorwurf festgenommen und inhaftiert, in Maungdaw gewalttätige Ausschreitungen ausgelöst zu haben. In der zweiten Jahreshälfte wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt. Vermutlich war er wegen seiner Rolle als Vertreter der muslimischen Gemeinde in Maungdaw ins Visier der Sicherheitskräfte geraten. Dr. Tun Aung gilt als gewaltloser politischer Gefangener.
  • Im Juli kam 2012 der 19-jährige Myo Myint Swe auf einer Polizeiwache in Yangon (Rangun) ums Leben. Er war der Beteiligung an einem Mord bezichtigt worden. Seine Leiche wies Folterspuren auf.

Amnestien
Im Jahr 2012 wurden über 8500 Gefangene aus der Haft entlassen, darunter Hunderte von gewaltlosen politischen Gefangenen. Die meisten wurden nach Artikel 401 des Strafgesetzbuchs auf Bewährung freigelassen. Bei erneuten Verstößen müssen sie auch den Rest ihrer Freiheitsstrafe absitzen.

Todesstrafe

Anfang Januar 2012 wandelte der Präsident die Urteile aller Häftlinge im Todestrakt in lebenslange Haftstrafen um. Dennoch wurden im Lauf des Jahres erneut mindestens
17 Todesurteile verhängt.

Straflosigkeit

Die nationale Menschenrechtskommission durfte keine mutmaßlichen Fälle von Menschenrechtsverletzungen bearbeiten, die vor ihrer Einrichtung am 5. September 2011 begangen worden waren. Es gab keinen umfassenden, unabhängigen Mechanismus für Untersuchungen zu möglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; die Opfer und ihre Angehörigen hatten somit keine angemessene Möglichkeit, ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung durchzusetzen. Zahlreiche Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen wurden nicht geahndet.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Vertreter von Amnesty International besuchten Myanmar
im Mai, November und Dezember.



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