Konfliktporträt: Kaschmir

Nach den Attentaten von November 2008 im indischen Mumbai haben Indien und Pakistan im Februar 2010 ihre Friedensgespräche zur umstrittenen Kaschmir-Region wieder aufgenommen. Selbst ein erneuter Terroranschlag von Juli 2011 in Mumbai hat diesen Prozess nicht gestoppt.

Aktuelle Situation

Im Tal von Kaschmir gehören seit Ende der 1980er Jahre Unruhen und Anschläge zum Alltag, die in unterschiedlich starken Wellen das zwischen Indien und Pakistan umstrittene Territorium mit Terror überziehen. Nach dem Tod eines 17-jährigen Schülers im Sommer 2010, der in eine Auseinandersetzung zwischen Randalierern und Polizei geriet, war die Gewalt erneut eskaliert. Die Unruhen haben seit Sommer 2011 über 100 Todesopfer gefordert.

Doch nun haben sich die Regierungen Indiens und Pakistans wieder an den Verhandlungstisch begeben. Ein erster Schritt, der die angespannte Situation entschärfen kann. Doch schnelle Ergebnisse hinsichtlich des Kaschmir-Problems werden auch diesmal nicht zu erwarten sein. Zu unterschiedlich sind die Positionen der beiden südasiatischen Staaten. Während Indien auf ein Ende des Terrors drängt und Pakistan der Unterstützung der Terrorgruppen verdächtigt, fordert Pakistan eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, was jedoch von indischer Seite strikt abgelehnt wird.

Ursachen und Hintergründe

Indien und Pakistan kämpfen seit der Teilung des indischen Subkontinents (1947) um den ehemaligen Fürstenstaat. Die Kolonialmacht Großbritannien, die beide Staaten im August 1947 in die Unabhängigkeit entließ, hatte die Teilung nach religiösen Kriterien vorgenommen. Gebiete, die mehrheitlich von Hindus bewohnt waren, wurden Indien und jene mit muslimischer Mehrheit Pakistan zugesprochen.

Das geostrategisch günstig gelegene Kaschmir ist heute zwischen Indien, Pakistan und China aufgeteilt. Im Nordosten grenzt es an Afghanistan. Es ist mit einer Fläche von etwa 222.000 km² fast so groß wie Großbritannien. Doch ist der Gebietsstreit nur eine Dimension eines wesentlich komplexeren Konflikts. Für Pakistan bedeutet der Verlust eines überwiegend von Moslems bewohnten Gebiets eine Bedrohung seiner islamischen Identität. Die Gründung des pakistanischen Staats war vor allem mit religiösen und kulturellen Argumenten gerechtfertigt worden. Für die indische Führung, die sich der Trennung von Staat und Religion verschrieben hat, war und ist Kaschmir dagegen der Beweis, dass Menschen aller Religionen und Kulturen in Indien eine Heimstätte finden können. Der Kaschmir-Konflikt dient also letztlich der Legitimation beider politischer Systeme. Zusätzlich wird der Konflikt durch ökonomische, soziale und religiöse Differenzen verschärft.

Seit den 1990er Jahren ist der Konflikt, verstärkt durch den Krieg in Afghanistan und die zunehmende Islamisierung Pakistans, weiter eskaliert. Dazu hat auch die vermehrte Bildung islamistischer Vereinigungen in Kaschmir beigetragen. Diese Gruppen überziehen die Zivilbevölkerung und öffentliche Einrichtungen mit Terror. Die Schätzungen belaufen sich auf 43.000 Todesopfer durch terroristische Anschläge und Verfolgungen seit 1988.[1] Doch erscheint vielen Beobachtern die Dunkelziffer noch weitaus höher.
 

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Bemühungen zur Bewältigung des Kaschmir-Konflikts hat es im Laufe der Zeit einige gegeben. Die UNO hat sich bereits kurz nach ihrer Gründung des Problems angenommen; der Konflikt ist seither zu einem Dauerthema auf der Agenda von Sicherheitsrat und Vollversammlung geworden. Bereits im Januar 1949 wurde eine UN-Beobachtermission (United Nations Military Observer Group in India and Pakistan – UNMOGIP) in das umkämpfte Gebiet entsandt, die die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen soll. Bis heute konnte die UNMOGIP die Kriege zwischen Indien und Pakistan jedoch nicht verhindern. Es ist fraglich, ob die Beobachtermission überhaupt einen messbaren Einfluss ausübt, zumal sie von Indien abgelehnt wird.

Einer der ersten wichtigen Vorschläge wurde von dem australischen Richter und Diplomaten, Owen Dixon, ausgearbeitet. Der Dixon-Plan von 1950 sah vor, die von Indien kontrollierten Gebiete Jammu und Ladakh bei Indien zu belassen, die von Pakistan kontrollierten Gebiete Baltistan und Gilgit Pakistan zuzusprechen und über das Tal von Kaschmir eine Volksabstimmung durchzuführen. Der Plan scheiterte an den diametralen Positionen beider Seiten. Während Pakistan eine Volksabstimmung im gesamten Kaschmir befürworten würde, wird dies von Indien nach wie vor grundsätzlich ablehnt. Der Dixon-Plan wirkt bis heute politisch nach und ist wegen seiner prägnanten Analyse und der Klarheit der vorgeschlagenen Lösungen bei den Bewohnern von Kaschmir präsent.

Andere Ansätze, wie beispielsweise die Überlegung, die Waffenstillstandslinie (Line of Control) in eine internationale Grenze und damit in eine indisch-pakistanische Staatsgrenze umzuwandeln, würden auch von den Vereinigten Staaten, der Volksrepublik China sowie den Vereinten Nationen mitgetragen. Jedoch beanspruchen sowohl Pakistan als auch Indien das gesamte Gebiet Kaschmir. Zudem hat die Indische Union die Line of Control als unrechtmäßig bezeichnet. Daher ist auch dieser Ansatz in naher Zukunft nicht durchzusetzen.

Geschichte des Konflikts

Die Briten hatten während ihrer Kolonialherrschaft nach dem Grundsatz "Teile und Herrsche" die Bewohner des indischen Subkontinents vor allem nach ihrer Religionszugehörigkeit eingeteilt. Damit wollten sie der Bildung einer einheitlichen Identität entgegenwirken, um so einem gemeinsamen Unabhängigkeitskampf aller religiösen Gemeinschaften die Grundlage zu entziehen. Mit dieser Politik schufen sie die Voraussetzungen für die spätere Teilung Britisch-Indiens. Die zum Zeitpunkt der Teilung existierenden über 500 Fürstentümer hätten, rein rechtlich gesehen, jedes für sich in die Unabhängigkeit entlassen werden müssen. Doch die indische Regierung brachte die Fürstentümer mehr oder weniger gewaltlos dazu, sich der Indischen Union anzuschließen.

Beim Fürstentum Kaschmir gestalteten sich die Umstände jedoch anders. Hier herrschte der Hindufürst, Maharadscha Hari Singh, über eine Muslimmehrheit. Anders als bei den meisten anderen Fürstenstaaten wäre aufgrund der Größe seines Territoriums die Bildung eines eigenen überlebensfähigen und unabhängigen Staates möglich gewesen. Das wollten aber weder Pakistan noch Indien akzeptieren.

Als pakistanische Freischärler im Herbst 1947 gewaltsam in Kaschmir eindrangen, bat der Maharadscha Indien um Militärhilfe, welche aber erst nach Unterzeichnung einer Beitrittsurkunde zur Indischen Union gewährt wurde. Diese Entwicklungen führten zum ersten Indisch-Pakistanischen Krieg (1947-1949), der mit der Teilung Kaschmirs und einem Waffenstillstand unter Beobachtung der UNO endete. 1965 und 1971 wurden weitere Kriege zwischen den beiden Staaten ausgetragen.

Seit dem ersten Kaschmir-Krieg ist das Territorium durch die Waffenstillstandslinie (Line of Control) geteilt. Indien verwaltet mit dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir den größeren und wichtigeren Teil, während Pakistan mit Azad Kaschmir und den Northern Territories den kleineren Teil kontrolliert. Außerdem gibt es noch ein Gebiet, das seit dem Indisch-Chinesischen Krieg von 1962 unter chinesischer Kontrolle steht.

Bis heute wird der Kaschmir-Konflikt zusätzlich durch komplexe verfassungs-, völker- und menschenrechtliche Probleme belastet. Vor allem der Mangel an Selbstbestimmung des kaschmirischen Volkes und die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Region tragen immer wieder dazu bei, den Konflikt anzufachen.

Nach den Spannungen im Zusammenhang mit den Anschlägen islamistischer Terroristen aus Pakistan in Mumbai und anderen indischen Städten im Herbst 2008 scheinen die Zeichen für eine Verständigung nun günstiger. Doch trotz der Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen Indien und Pakistan ist eine schnelle und vor allem dauerhafte Lösung des Konflikts vorerst nicht in Sicht. Immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass beide Seiten an einer engeren Abstimmung und Zusammenarbeit interessiert sind. Wichtige Bereiche sind der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und der Ausbau der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Dass die Friedensgespräche vielleicht doch größere Erfolgschancen als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben könnten, darauf deutet immerhin der Umstand hin, dass sie trotz eines erneuten Attentats vermutlich islamistischer Terroristen im Juli 2011 in Mumbai nicht abgebrochen wurden.

Literatur

Ali, Tariq /Bhatt, Hilal /Chatterji, Angana P. u.a. (Hrsg.) (2011): Kashmir: The Case for Freedom, London: Verso.

Hoff, Henning (2011): Höher als Berge, tiefer als Ozeane? Pakistan versucht, die "chinesische Karte" zu spielen: Auftakt eines neuen "Asian power play" oder am Ende Lösungsansatz, in: Internationale Politik Vol. 4, Juli/August 2011, S. 128-131.

Rösel, Jakob (1999): Die Entstehung des Kaschmir-Konflikts, in: Draguhn, Werner (Hrsg.): Indien 1999. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Hamburg: Institut für Asienkunde, S. 155-169.

Rösel, Jakob (2003): Ist der Kaschmir-Konflikt lösbar? In: Meyer, Günter/ Pütz, Robert/ Thimm, Andreas (Hrsg.): Terrorismus und Dritte Welt. Veröffentlichungen des Interdisziplinären Arbeitskreises Dritte Welt, Band 16, Mainz, S. 19-35.

Schoefield, Victoria (2010): Kashmir in Conflict: India, Pakistan and the uending War, London: I.B. Tauris.

Rothermund, Dietmar (2002): Krisenherd Kaschmir: Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan, München: Beck.

Links

»Studien und Forschungspapiere der Stiftung Wissenschaft und Politik«

»Südasien Info«

»UNMOGIP – United Nations Military Observer Group in India and Pakistan«
 

Fußnoten

1.
»South Asia Terrorism Portal. Online. Zugriff 22.08.2011.«
 
 
 
 
 
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Zur Person
 
Katja Schubert

Katja Schubert, M.A. arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkt ist Südasien. Derzeit promoviert sie über geostrategische Interessen im Indischen Ozean.


Zur Person

Prof. Dr. Jakob Rösel

Prof. Dr. Jakob Rösel, geb. 1948; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Promotion 1976, Habilitation 1994, Inhaber des Lehrstuhles für Internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit an der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkt sind die EU-Integration, Demokratisierungsprozesse sowie ethnische und nationalistische Konflikte in der Dritten Welt und insbesondere in Südasien.