Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Greece

Amtliche Bezeichnung: Hellenische Republik
Staatsoberhaupt: Karolos Papoulias
Regierungschef: Antonis Samaras (löste im Juni Panagiotis Pikrammenos im Amt ab, der im Mai Loukas Papadimos abgelöst hatte)

Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei wie Folter und exzessive Gewaltanwendung hielten das ganze Jahr über an. Migranten und Asylsuchende sahen sich Behinderungen bei der Einreichung ihrer Asylanträge gegenüber und wurden oft unter Bedingungen in Haft gehalten, die nicht den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprachen. Rassistisch motivierte Übergriffe eskalierten in dramatischer Weise.

Hintergrund

Die griechische Wirtschaft befand sich in der Krise. Die Arbeitslosigkeit erreichte im Oktober 26,8%. Weitere Sparmaßnahmen wurden unter Protesten in Athen und anderen Städten im Februar und November vom Parlament bewilligt. Im Mai stellte der Europäische Ausschuss für soziale Rechte fest, dass die Gesetzgebung zu den Sparmaßnahmen, die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst betrafen, gegen verschiedene Vorgaben der Europäischen Sozialcharta verstößt.

Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung), eine rechtsextreme Partei mit aggressiv migrantenfeindlicher Rhetorik, erhielt bei den Parlamentswahlen im Juni 18 von 300 Sitzen.

Exzessive Gewaltanwendung

Es kam weiterhin zu Vorwürfen gegen die Polizei wegen der exzessiven Gewaltanwendung bei Demonstrationen.

  • Im April 2012 griff die Bereitschaftspolizei während einer Protestveranstaltung in Athen, bei der eines 77-jährigen pensionierten Apothekers gedacht wurde, der Selbstmord begangen hatte, mehrere Journalisten und Fotografen an. Der Fotojournalist Marios Lolos erlitt eine ernste Schädelfraktur, als Bereitschaftspolizisten ihm mit einem Schlagstock auf den Hinterkopf schlugen. Kein Polizist wurde aufgrund des Angriffs festgenommen oder angeklagt.
  • Am 5. August 2012 setzte Bereitschaftspolizei in exzessiver Weise Reizmittel ein und feuerte Berichten zufolge Gummi- und andere Geschosse direkt auf friedliche Demonstrierende, die gegen den Goldabbau in der Region Chalkidiki demonstrierten.

Folter und andere Misshandlungen

Die Vorwürfe über Folter und andere Misshandlungen von gefährdeten Gruppen wie Migranten und Asylsuchenden in Hafteinrichtungen für Zuwanderer hielten an. Strukturelle Probleme, die dazu führten, dass solche Taten straffrei blieben, bestanden auch 2012 fort, so z.B. das häufige Versagen der Behörden bei der Durchführung umgehender, umfassender und unparteiischer Untersuchungen und der Gewährleistung wirksamer Rechtsmittel. Im Januar stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass die Vergewaltigung eines Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus mit einem Stock durch einen Beschäftigten der Küstenwache im Jahr 2001 (Zontul gegen Griechenland) mit Folter gleichzusetzen sei. Im August stellte der UN-Menschenrechtsausschuss fest, dass Griechenland die Beschwerde eines griechischen Roma wegen Misshandlung und Diskriminierung durch die Polizei im Jahr 1999 (Katsaris gegen Griechenland) nicht untersucht hatte.

  • Im März 2012 sprach das Gemischte Geschworenengericht Athen im Berufungsverfahren zwei Polizeibeamte vom Vorwurf der Körperverletzung an zwei Flüchtlingen auf der Polizeiwache in Aghios Panteleimon in Athen im Dezember 2004 gemäß den Vorgaben über Folter im Strafgesetzbuch frei. Die beiden Beamten waren in erster Instanz schuldig gesprochen worden.
  • Im Oktober 2012 wurde bekannt, dass 15 antifaschistische Protestierende am 30. September auf dem Polizeipräsidium in Athen schwere Foltervorwürfe gegen Angehörige der Polizei erhoben hatten. Unterstützer der Protestierenden, die am 1. Oktober festgenommen worden waren, äußerten ebenfalls Anschuldigungen, wonach sie im Polizeipräsidium einer Behandlung unterworfen wurden, die der Folter gleichkam. Die Behörden stritten die Vorwürfe ab, doch ein Untersuchungsrichter forderte eine Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft gegen die Polizeibeamten, die an den mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen gegen die Protestierenden beteiligt waren.

Flüchtlinge, Asylsuchende
und Migranten

Trotz Berichten über Verbesserungen im Bereich der Berufungsverfahren von Asylanträgen machte Griechenland kaum Fortschritte
bei der Einrichtung eines fairen und wirksamen Asylverfahrens. Ende des Jahres hatte der neue Asyldienst aufgrund ernster Rekrutierungsprobleme noch nicht damit begonnen, Asylanträge zu bearbeiten. Die Behinderungen, denen sich Asylsuchende gegenübersahen, wenn sie versuchten, Asylanträge einzureichen, bestanden 2012 fort. So wurden z.B. in der Ausländerabteilung der Polizeidirektion Attika jede Woche nur etwa 20 Anträge entgegengenommen.

Personen, die Griechenland von der Türkei aus über den Fluss Evros zu erreichen versuchten, berichteten, dass sie von den griechischen Behörden in die Türkei zurückgedrängt wurden. Im Dezember wurde entlang der Grenze zur Türkei in der Region Evros ein 10,5 km langer Zaun fertig gestellt. Es bestand die Sorge, dass er Menschen, die internationalen Schutz suchen, daran hindern würde, in Sicherheit zu gelangen, was sie veranlassen könnte, unsichere Grenzüberquerungen zu versuchen.

Asylsuchende und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus, darunter auch unbegleitete Kinder, wurden routinemäßig und über lange Zeiträume hinweg inhaftiert. Im April 2012 wurde eine neue gesetzliche Regelung eingeführt, die es ermöglichte, Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus und Asylsuchende aufgrund des Verdachts auf ansteckende Krankheiten wie HIV zu inhaftieren. Das polizeiliche Vorgehen gegen Migranten, das im August begann, ließ Besorgnis über die Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer vermuteten ethnischen Herkunft aufkommen und befürchten, dass dies Fremdenfeindlichkeit fördern würde.

Im Oktober ermöglichte eine Zusatzbestimmung der Gesetzgebung zum Asylanerkennungsverfahren der Polizei, die maximale Dauer von drei bzw. sechs Monaten, die Asylsuchende festgehalten werden können, um weitere zwölf Monate zu verlängern. Die schlechten Haftbedingungen in mehreren
Hafteinrichtungen für Einwanderer sowie Polizeistationen, in denen Asylsuchende und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus festgehalten wurden, bestanden fort. Die Bedingungen in der Elliniko-Hafteinrichtung in Athen waren unmenschlich und erniedrigend. Von August bis zum Jahresende wurden viele Asylsuchende und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus, darunter zahlreiche syrische Staatsangehörige, die vor dem Konflikt
in Syrien geflohen waren, Berichten zufolge unter sehr schlechten Haftbedingungen auf
Polizeiwachen festgehalten oder waren obdachlos.

Diskriminierung

Hassverbrechen
Die Zahl rassistisch motivierter Angriffe stieg 2012 in dramatischer Weise an. Im Oktober berichtete das Netzwerk zur Kontrolle rassistischer Gewalt (Racist Violence Recording Network), dass über die Hälfte der 87 verzeichneten Vorfälle mit rechtsextremen Gruppen in Verbindung standen, die organisiert und geplant vorgegangen waren.

Im Dezember 2012 wurde ein Präsidialerlass unterzeichnet, der in Athen und Thessaloníki die Schaffung spezieller Polizeieinheiten zur Untersuchung rassistisch motivierter Verbrechen vorsieht. Der Erlass enthielt jedoch keine Bestimmungen zum Schutz von Opfern ohne Papiere vor Festnahme und Abschiebung während der Dauer der Strafverfolgungsverfahren.

  • Im August 2012 wurde über eine Serie von gewalttätigen Angriffen gegen Migranten, Asylsuchende und inoffizielle Gotteshäuser in Athen und anderen Städten berichtet. Am 13. August erlitt ein irakischer Staatsangehöriger bei einem Angriff tödliche Messerstiche. Es wurde eine kriminaltechnische Untersuchung angeordnet, doch ein Täter wurde nicht ermittelt.
  • Am 24. September 2012 verschob ein Athener Gericht zum siebten Mal ein Verfahren gegen drei griechische Staatsangehörige, darunter eine Parlamentskandidatin der Partei Chrysi Avgi. Sie wurden beschuldigt, im Jahr 2011 drei afghanische Asylsuchende geschlagen und einen von ihnen mit einem Messer angegriffen zu haben. Dies war einer der wenigen Fälle rassistisch motivierter Gewalt, die vor Gericht kamen.
  • Im Oktober hob das Parlament die Immunität von zwei Abgeordneten der Partei Chrysi Avgi auf, die mit zwei Angriffen auf Marktstände von Migranten in Verbindung gebracht wurden. Diese hatten am 9. September in den Städten Rafina und Messolongi stattgefunden. Im November wurde der Abgeordnete, der mit dem Vorfall in Messolongi in Verbindung gebracht wurde, angeklagt.
  • Am 3. November 2012 griffen dem Vernehmen nach rechtsextreme Gruppen Migranten und Asylsuchende und ihre Läden und Häuser in dem Viertel Agios Panteleimon in Athen an.

Menschen mit HIV/Aids
Im Mai 2012 nahmen die griechischen Behörden mehr als 100 vermeintliche Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen fest und unterzogen sie Berichten zufolge zwangsweise einem HIV-Test. Ernste Bedenken wurden wegen der Stigmatisierung von 29 der Festgenommenen geäußert, nachdem ihre persönlichen Daten, darunter ihr HIV-Status und ihr Foto, von der Polizei veröffentlicht worden waren und gegen sie Anklage wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung erhoben wurde. Ende des Jahres 2012 befanden sich zwölf der Frauen in Erwartung ihres Gerichtsverfahrens weiterhin in Haft.

Roma
Laut Angaben der NGO Greek Helsinki Monitor wurden Roma-Kinder nach wie vor getrennt von anderen Kindern unterrichtet oder ganz vom Bildungssystem ausgeschlossen. Darüber hinaus wurden Roma-Familien aus ihren Siedlungen vertrieben oder waren von Zwangsräumung bedroht, ohne dass man ihnen alternative oder angemessene Ersatzunterkünfte zur Verfügung stellte.

  • Im Dezember 2012 befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass das Versagen der griechischen Behörden, Roma-Kinder in Aspropyrgos in reguläre Schulen zu integrieren, einer Diskriminierung gleichkomme (Sampani und andere gegen Griechenland). Damit wurde Griechenland zum zweiten Mal der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention für schuldig befunden, weil es Roma-Kinder in Aspropyrgos von regulären Grundschulen ausschloss.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI)
Im November 2012 berichteten LGBTI-Aktivisten, dass Vorfälle homophober Gewalt in der griechischen Hauptstadt Athen stark zugenommen hätten. Die Betroffenen gaben an, dass die Angreifer Mitglieder rechtsextremer Gruppierungen seien und sich darunter auch einzelne Mitglieder der rechtsextremen Partei Chrysi Avgi befunden hätten.

Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen

Die wiederholte strafrechtliche Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen setzte sich fort.

  • Im Februar 2012 verurteilte das Militärgericht in Athen den 49 Jahre alten Avraam Pouliasis, einen der ersten griechischen Militärdienstverweigerer, zu sechs Monaten Gefängnis mit einer dreijährigen Bewährung. Avraam Pouliasis war nach dem Gesetz nicht länger zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet, da er älter als 45 Jahre war.

Haftbedingungen

2012 befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Griechenland in drei Fällen des Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention für schuldig. Es handelte sich bei den Verstößen um die schlechten Haftbedingungen in den Gefängnissen von Ioannina, Korydallos und der Hafteinrichtung des Polizeipräsidiums von Thessaloniki.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung war 2012 in mehreren Fällen bedroht.

  • Im November wurde der Journalist und Zeitschriftenherausgeber Kostas Vaxevanis in Athen vor Gericht gestellt. Man beschuldigte ihn der Verletzung der Privatsphäre, nachdem er die Namen von 2000 Griechen, die private Bankkonten in der Schweiz unterhielten, veröffentlicht und eine Untersuchung hinsichtlich einer möglichen Steuerflucht gefordert hatte. Nach einer eintägigen Anhörung wurde er freigesprochen. Das Büro des Staatsanwalts des Athener Gerichts erster Instanz legte jedoch Berufung gegen den Freispruch ein. Der Fall Kostas Vaxevanis wurde an das Athener Gericht für Bagatellfälle verwiesen.
  • Im Oktober versuchten extrem christliche Gruppen und die extrem rechte Partei Chrysi Avgi, darunter auch einige Abgeordnete, die Premiere des Theaterstücks Corpus Christi zu verhindern, indem sie die Schauspieler und Teile des Publikums beschimpften und bedrohten. Im November wurden die Personen, die das Stück auf die Bühne gebracht hatten, wegen "Gotteslästerung" angeklagt.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International besuchten Griechenland im Januar, Juli und Oktober.


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