Document #1226240
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Laut der albanischen Nachrichtenagentur ATA hat das albanische Parlament auf Antrag der Demokratischen Partei (DP) am 29. Juli 2002 eine parlamentarische Untersuchungskommission über die Aktivitäten des Staatsnachrichtendienstes (Sherbimi Informativ Kombetar - ShiK; nach einer Reform umbenannt in Sherbimit Informativ shqiptar - Shish) und dessen Leiter Fatos Klosi eingeleitet. VertreterInnen mehrerer Oppositionsparteien sollen schon seit längerem den Verdacht auf illegale Aktivitäten und Amtsmissbrauch durch Klosi geäußert haben. (ATA/BBC Monitoring, 29. Juli 2002; 1. August 2002) Die United Press und Associated Press berichteten über die Entlassung von Klosi am 7. August 2002: laut UP entließ Präsident Mosiu auf Empfehlung von Premierminister Fatos Nano (Sozialistische Partei) Fatos Klosi aus dem Amt.
Nano hatte Klosi selbst ernannt, laut dem Berichterstatter der United Press soll Klosi sich allerdings gegen eine Abmachung aller Parteien, die zur Ernennung von Präsident Mosiu geführt hatte, gestellt haben. Damit soll er sich aus den Unwillen der Sozialistischen Partei zugezogen haben. Die Opposition hätte seit längerem erklärt, Klosi sei in Drogen- und Menschenhandel verwickelt gewesen. (UP, 7. August 2002; siehe auch Albanian TV 7. August 2002 unter Berufung auf DP-Vorsitzenden Berisha) Laut AP hätte ein Sprecher der Regierung lediglich erklärt, dass Klosi seine rechtliche Kompetenzen überschritten und das Gesetz nicht respektiert, und keinen weiteren Kommentar zu den Gründen der Entlassung abgegeben. Lokale Medien, so AP, hätten darüber berichtet, dass Klosi im Juni 2002 Gespräche zwischen den beiden wichtigsten politischen Parteien, die zur Wahl des Präsidenten Mosiu geführt hatten, abgehört haben soll. Die Demokratische Partei unter Berisha hätte Klosi ebenfalls vorgeworfen, an der Ermordung eines Parteimitglieds im Jahr 1998, an der Unterschlagung öffentlicher Gelder und Drogen- und Waffengeschäften sowie Menschenhandel beteiligt gewesen zu sein. (AP, 7. August 2002; siehe auch EIU, 19. August 2002)
In einer Stellungnahme im albanischen Fernsehen am 7. August 2002 warf der Vorsitzende der DP, Sali Berisha, dem entlassenen Geheimdienstchef die Verwicklung in ungeheuren finanziellen Missbrauch vor. Er hätte öffentliche Gelder unterschlagen, wäre an Waffen- und Drogenhandel beteiligt gewesen und sei über Jahre hinweg der wichtigste Beschützer des organisierten Verbrechens gewesen. (Albanian TV/BBC Monitoring, 7. August 2002)
Die FAZ interpretierte das Verfahren gegen Klosi als Gefälligkeit gegenüber der DP:
"Vor allem die Entmachtung von Geheimdienstchef Fatos Klosi, sagen die Gegner der neuen Eintracht zwischen Nano und Berisha, sei ein Teil von deren Abmachung zur Machtaufteilung gewesen. Die Regierung habe Klosis Entlassung als Gefälligkeit verfügt, weil Oppositionschef Berisha den Geheimdienstmann beschuldigt, an der Ermordung seines Stellvertreters in der Demokratischen Partei vor vier Jahren mitschuldig zu sein." (FAZ, 22. November 2002)
Ebenso meinte die Economist Intelligence Unit in einer Übersicht über albanische staatliche Einrichtungen, dass Berisha die Entfernung Klosis aus dem Amt im Gegenzug zum Verzicht auf die Forderung nach Neuwahlen verlangt hätte. (EIU, 30. Jänner 2004)
Im Oktober 2002, so Associated Press, verkündete Premierminister Nano, dass er die Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Strafverfahrens wegen Amtsmissbrauchs und Missbrauch von Geldern aufgefordert habe. Klosi stritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ab und erklärte, er sei ein Opfer einer Absprache zwischen der regierenden Sozialistischen Partei und der Opposition. (AP, 9. Oktober 2002; siehe auch ATA/BBC Monitoring 22. Oktober 2002 zur Aussage Klosis vor dem Untersuchungskomitee) AFP fügte in ihrer Meldung hinzu, dass Nano die Grenzpolizei angewiesen hatte, Klosi am Verlassen des Landes zu hindern. (AFP, 10. Oktober 2002) Die Deutsche Presseagentur hatte am 1. Oktober 2002 von einem gescheiterten Fluchtversuch von Klosi nach Mazedonien berichtet:
"Der abgeloeste albanische Geheimdienstchef Fatos Klosi ist nach Medienberichten mit einem Fluchtversuch in das benachbarte Mazedonien gescheitert. Albanische Grenzpolizisten haetten Klosi am Wochenende in seinem Wagen gestoppt, berichtete die mazedonische Nachrichtenagentur MakFax am Dienstag in Skopje unter Berufung auf Polizeiquellen. Es sei bereits der zweite Versuch Klosis, der von 1997 an den Geheimdienst SHISH fuehrte, sich nach Mazedonien abzusetzen. Klosi war im August entlassen worden. Medien berichteten ueber eine Verstrickung in politisch motivierte Morde und organisierte Kriminalitaet." (dpa, 1. Oktober 2002)
Laut einer Meldung der Associated Press hatte der Nachfolger Klosis als Vorsitzender des Geheimdienstes, Petrit Myftari, das mit den Vorwürfen gegen Klosi befasste parlamentarische Untersuchungskomitee aufgefordert, von der Live-Übertragung der Anhörungen Abstand zu nehmen. In der Anhörung würde die Identität mehrerer Personen, die mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hätten, enthüllt, und deren Leben aufs Spiel gesetzt. Das Komitee soll sich nicht bereit gezeigt haben, dieser Bitte nachzukommen. (AP, 21. Oktober 2002)
Vor dem Untersuchungskomitee stritt Klosi die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ab. Laut der Zeitschrift Tirana Shekulli beschuldigte Klosi im Gegenzug die DP, für die Ermordung des Abgeordneten Azem Hajdari im Jahr 1998 verantwortlich zu sein, um einen Vorwand für die Proteste vom 14. September 1998 zu haben (ATA/BBC Monitoring, 22. Oktober 2002; Shekulli, 29. November 2002; siehe auch World Markets Analysis, 19. November 2002)
Shekulli veröffentlichte am 9. November Auszüge aus dem vorläufigen Bericht des Leiters des Untersuchungskomitees, Spartak Ngjela, einem Abgeordneten der DP, in dem dem Geheimdienst unter Klosi vorgeworfen wird, vor allem in den Jahren 1997 und 1998 nicht unabhängig agiert zu haben und insbesondere seine Nähe zum früheren Präsidenten Meidani hervorgehoben wird. Klsoi hätte Aktivitäten der DP in einer Reihe von Ortschaften beobachten und abhören lassen und Informationen vor allem über fünf Abgeordnete, darunter den ermordeten Azem Hajdari gesammelt. Der Shish hätte es trotz Vorliegen entsprechender Informationen verabsäumt, die Ermordung von Hajdari zu verhindern. Außerdem hätte Klosi die Presse zu seinen Zwecken missbraucht (Shekulli, 9. November 2003) In einem Kommentar vom 23. Oktober 2002 kritisierte das Blatt zwar Fatos Klosis politische Parteilichkeit, hob aber auch hervor, dass unter Klosis Leitung der Geheimdienst entmystifiziert wurde und nun niemand mehr vor dem Shish Angst haben müsste. (Shekulli, 23. Oktober 2002)
Die Abgeordneten der Sozialistischen Partei lehnten den von Ngjela vorgelegten Bericht ab und konnten mit ihrer Mehrheit den Bericht der SP verabschieden. Dieser Bericht, so Tirana Shekulli am 11. November 2002, kritisierte lediglich Klosis Missbrauch von Geldern, und soll nur eine teilweise Anerkennung der Abhöraktion gegen die Mitglieder der DP beinhaltet haben. Die Opposition hätte den Bericht als Unterstützung und Entschuldigung für den abgesetzten Geheimdienstchef interpretiert und die Abstimmung über den Entwurf der SP boykottiert. (Shekulli 11. November 2002; siehe auch ATA, 11. November 2002; Associated Press, 19. November 2002)
Shekulli zitierte am 16. November 2002 den Generalstaatsanwalt Theodhori Sollaku: es gebe derzeit eine Untersuchung der Anzeigepunkte wegen Unterschlagung und Missbrauch öffentlicher Gelder, aber es sei noch kein Haftbefehl ausgestellt oder ein Strafverfahren eingeleitet worden. (Tirana Shekulli, 16. November 2002)
Eine Meldung der Associated Press vom 19. November 2002 beruft sich wiederum auf lokale Medienberichte, laut derer sich Klosi nach Erlassung eines Haftbefehls versteckt hielte. Im Juni 2003, so die albanische Nachrichtenagentur ATA habe der Staatsanwalt die Ermittlungen gegen Klosi abgeschlossen und den Akt an das Gemeindegericht Tirana übergeben (ATA/BBC Monitoring, 20. Juni 2003) Im Oktober 2003 sagten laut der DP-nahen Zeitung Albania die ersten beiden Zeugen vor dem erstinstanzlichen Gericht unter dem Vorsitz von Richter Kreshnik Omari in Tirana im Prozess gegen den ehemaligen Geheimdienstchef aus. Die Anklage gegen Klosi bezog sich auf Missbrauch öffentlicher Gelder bei direkten Anschaffungen. Die Zeugen - Enver Cani und Ramazan Zeneli, beide leitende Mitarbeiter des Shish - sagten übereinstimmend aus, dass die Anschaffungen dringend und unerlässlich gewesen wären. (Albania/Financial Times Information, 4. Oktober 2003) In den uns zugänglichen Quellen konnten keine Informationen über den weiteren Lauf des Verfahrens gefunden werden.
Auf Vorschlag des Premierminister Nano hätte Präsident Musiu Kujtim Hyenaj zum Leiter des Geheimdienstes ernannt. (Associated Press, 19. November 2002) Am 4. November 2003 berichtete Dita dass Kujtim Hysenaj aus Gesundheitsgründen seinen Rücktritt angeboten habe, sein Stellvertreter Ylli Alushi soll sein Nachfolger werden (Dita/BBC Monitoring, 4. November 2003)
Bei dem jährlichen Treffen zur Evaluierung der Arbeit des Geheimdienstes im Jänner 2004 soll Premierminister Nano den Geheimdienst scharf kritisiert haben. Die Agenten hätten teilweise nur Klatsch berichtet. (Shekulli/BBC Monitoring, 26. Jänner 2004)
In den uns zugänglichen Quellen konnten wir trotz ausführlicher Recherche keine Informationen darüber finden, ob es während der Ermittlungen gegen Fatos Klosi zu Einschüchterungen von ZeugInnen gekommen wäre. OSZE und andere internationale Organisationen haben in jüngerer Zeit das Fehlen von adäquaten ZeugInnenschutzprogrammen in Albanien bemängelt. (OSZE, 19. Februar 2004, S. 46-47) Für die International Crisis Group stellt dies ein Haupthindernis im Kampf gegen organisierte Kriminalität dar; der Think Tank fordert daher ein Gesetz für ZeugInnenschutz sowie finanzielle Mittel, um ZeugInnen und deren Familien persönliche Sicherheit gewähren zu können. (ICG, 11. März 2003, S. 7)
Laut US Department of State wurde im Jahr 2002 ein/e ZeugIn im Rahmen von organisiertem Menschenhandel zum Schutz ins Ausland verbracht, (USDOS Country Practices 2002, Sektion 6.f); im Jahr 2003 sollen es insgesamt fünf ZeugInnen gewesen sein. (USDOS Country Practices 2003, Sektion 6.f).
Hinsichtlich der Rolle des Geheimdienstes ist einer Anfragebeantwortung des kanadischen Immigration and Refugee Board IRB aus dem Jahr 1999 zu entnehmen, dass der nach dem Sturz der kommunistischen Regierung gegründete Geheimdienst Sherbini Informatik Comptor (ShIK) von der Regierung Berisha zur Kontrolle und Unterdrückung seiner politischen GegnerInnen eingesetzt wurde. Einige der ShIK-Mitarbeiter wurden von der SP-Regierung entlassen; es gab dennoch weiterhin sowohl von seiten der SP als auch der DP Proteste gegen Einschüchterungen, Erpressungen und Entführungen, die dem ShIK zugerechnet wurden (IRB, 27. Oktober 1999).
Im Laufe der Reformierung des Shish wurde laut Economist Intelligence Unit der Geheimdienst direkt dem Premierminister unterstellt, was dem Missbrauch durch selbstherrliche Exekutive neuerlich Tür und Tor offen gelassen hätte.
"The government has tried to reform the intelligence service (SHISH), the successor to the communist-era Sigurimi. In 1996, under the DPA government, the SHISH was placed under the direct control of the prime minister, rather than parliament, again leaving it open to abuse by a high-handed executive. In August 2002 Mr Nano sacked the head of the SHISH, Fatos Klosi, on the grounds that he lacked leadership skills. Mr Klosi, who had served since 1997, had long been under attack from opposition officials who believed that he was acting against them. Mr Berisha had demanded Mr Klosi’s removal in exchange for dropping calls for an early election." (EIU, 30. Jänner 2004)
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Die Antwort stellt keine abschließende Meinung zur Glaubwürdigkeit eines bestimmten Asylansuchens dar.