Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Greece

 

 

Der dramatische Anstieg der Anzahl von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten, die 2015 auf den ägäischen Inseln ankamen, führte zur vollständigen Überforderung des schlecht funktionierenden Systems der Erstaufnahme. An der griechisch-türkischen Grenze kam es weiterhin zu rechtswidrigen Kollektivausweisungen. Der Polizei wurden nach wie vor Folter und andere Misshandlungen sowie exzessive Gewaltanwendung vorgeworfen. Im Dezember 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Paaren eine eingetragene Partnerschaft ermöglicht.

Hintergrund

Ende Juni 2015 ordnete die Regierung Kapitalverkehrskontrollen für die Banken an. Bei einem Referendum im Juli 2015 stimmten 61,3% der Teilnehmenden gegen die strengen Spar- und Reformvorschläge der Gläubiger Griechenlands. Wenig später einigte sich die Regierung nach monatelangen intensiven Verhandlungen mit den europäischen Institutionen und dem Internationalen Währungsfonds auf ein neues Rettungspaket.

Im Oktober 2015 äußerte sich der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte besorgt über die gravierenden Konsequenzen der Finanzkrise bezüglich der Rechte auf Arbeit, soziale Sicherheit und Gesundheit insbesondere von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

Im April 2015 begann der Prozess gegen 69 Funktionäre und Anhänger der rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte, zu denen auch der Parteichef und Parlamentsabgeordnete zählten. Den Angeklagten wurde u.a. Gründung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Weitere Anklagepunkte betrafen zahlreiche rassistische Angriffe und die Ermordung des antifaschistischen Sängers Pavlos Fyssas im Jahr 2013. Im September 2015 räumte Parteichef Nikolaos Michaloliakos bei einem Medieninterview ein, seine Partei trage die politische Verantwortung für den Mord. Bei den Parlamentswahlen im September 2015 wurde die Partei drittstärkste Kraft und gewann 18 Sitze.

Rechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten

2015 überquerten mindestens 851319 Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten die Ägäis, um auf die griechischen Inseln zu gelangen. Mindestens 612 Personen, darunter auch viele Minderjährige, starben bei Bootsunglücken oder wurden vermisst gemeldet.

An der griechisch-türkischen Landgrenze kam es weiterhin zu rechtswidrigen Kollektivausweisungen; Flüchtlinge und Asylsuchende berichteten von gewaltsamen Push-Back-Operationen. Auch auf See wurden weiterhin Flüchtlingsboote zurückgewiesen. Zwischen November 2014 und Ende August 2015 gab es Berichten zufolge elf Push-Back-Operationen an der griechisch-türkischen Land- und Seegrenze. Der Ankläger des Berufungsgerichts von Thessaloniki wies im Oktober 2015 die Abteilung für innere Angelegenheiten der Polizei an, strafrechtliche Ermittlungen zu kollektiven Ausweisungen von Flüchtlingen und Migranten durch die Polizei in der Region Evros einzuleiten, über die NGOs mehrfach berichtet hatten.

Im Juli 2015 wurde ein neues Gesetz (Gesetz 4332/2015) verabschiedet, das die Voraussetzungen zum Erwerb der griechischen Staatsbürgerschaft für Kinder von Migranten festlegt.

Aufnahmebedingungen
Das zuvor schon mangelhafte Erstaufnahmesystem war nicht in der Lage, die stark ansteigende Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die 2015 auf den ägäischen Inseln eintrafen, zu bewältigen. Schlechte Planung, die ineffektive Verwendung von EU-Geldern und die schwere Finanzkrise trugen dazu bei, dass sich die humanitäre Situation auf den Inseln verschärfte. Engagierte Bürger, Ehrenamtliche, NGOs und das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) versuchten die gravierenden Defizite bei der humanitären Versorgung der Flüchtlinge auszugleichen.

Die Bedingungen für die Aufnahme der Menschen, die z.B. auf Lesbos und Kos eintrafen, waren unmenschlich. Zu den zahlreichen Problemen zählten zu wenig Personal bei Polizei und Küstenwache, unzureichende Zelte, ein Mangel an Nahrungsmitteln und unzumutbare hygienische Bedingungen. Die überwiegende Mehrheit der Neuankömmlinge hatte keinen Zugang zu einer Erstaufnahmeeinrichtung.

Mitte Oktober 2015 starteten die griechischen Behörden ein neues Modell zur Identifizierung und Registrierung von Neuankömmlingen durch die EU-Grenzagentur Frontex und die griechische Polizei: In der Hafteinrichtung für Migranten Moria auf Lesbos wurde ein sogenannter Hotspot eingerichtet. Die Aufnahmebedingungen waren aber weiterhin desolat.

Für Flüchtlinge und Migranten, die in der Hauptstadt Athen ankamen, gab es keine ausreichenden Unterkünfte und Einrichtungen, sodass dort Hunderte Menschen, darunter auch Familien, mehrere Tage und Nächte in Parks und auf Plätzen der Stadt verbringen mussten. Im August 2015 eröffneten die Behörden eine Aufnahmeeinrichtung im Athener Stadtteil Elaionas, um Neuankömmlingen eine vorübergehende Unterkunft zu bieten. In der Region Attika wurden drei Sportstadien für die vorübergehende Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten genutzt.

In dem inoffiziellen Flüchtlingslager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien verschlechterten sich die Aufnahmebedingungen im November und Dezember 2015 massiv, nachdem die mazedonischen Behörden nur noch Staatsangehörige bestimmter Länder einreisen ließen. Mitte Dezember räumte die Polizei das Lager. Personen, die nicht nach Mazedonien einreisen durften, wurden mit Bussen nach Athen gebracht und vorübergehend in einem Sportstadion einquartiert.

Inhaftierung von Asylsuchenden und Migranten
Im Februar 2015 ergriffen der Minister für Migrationspolitik und der Minister für Bürgerschutz einige Maßnahmen, um die Politik der systematischen und lang andauernden Inhaftierung von Asylsuchenden und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus zu reformieren. Die Behörden beendeten vor allem die immer wieder kritisierte Praxis der unbegrenzten Inhaftierung und ließen zahlreiche Asylsuchende und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus frei, die länger als sechs Monate festgehalten worden waren.

Unbegleitete Minderjährige wurden häufig gemeinsam mit Erwachsenen für mehrere Wochen unter unzumutbaren Bedingungen in Gewahrsam gehalten.

Die Bedingungen in den Hafteinrichtungen für Migranten, darunter auch Polizeiwachen, kamen in vielen Fällen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich. Ende 2015 begannen die Behörden damit, Migranten aus Ländern des Maghreb zu inhaftieren. Sowohl inhaftierte als auch nicht inhaftierte Asylsuchende mussten zahlreiche Hürden überwinden, um Zugang zum Asylverfahren zu erhalten.

Folter und andere Misshandlungen

2015 trafen weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen ein. Zu den Opfern zählten auch Flüchtlinge und Migranten, die inhaftiert oder von Push-Back-Operationen betroffen waren.

Im September 2015 berichteten Rechtsanwälte, Polizisten der Sondereinheit Delta hätten im Athener Stadtviertel Exarchia neun Personen, unter ihnen auch Minderjährige, festgenommen und anschließend misshandelt. Die Abteilung für innere Angelegenheiten der Polizei nahm strafrechtliche Ermittlungen auf.

Im April 2015 sprach ein Athener Schwurgericht zwei Polizisten schuldig, den geistig behinderten Christos Chronopoulos im Mai 2007 gefoltert zu haben. Das Gericht verurteilte die Beamten zu je acht Jahren Haft. Im Rechtsmittelverfahren wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt.

Exzessive Gewaltanwendung

Der Polizei wurde weiterhin die Anwendung exzessiver Gewalt vorgeworfen. Im August 2015 waren mehr als 2000 Flüchtlinge und Migranten unter inhumanen Bedingungen in einem Sportstadion auf der Insel Kos eingeschlossen. Berichten zufolge verlor die Polizei die Kontrolle über die Menschenmenge und setzte Feuerlöscher ein, um sie auseinanderzutreiben. Zwischen August und Oktober 2015 soll die Bereitschaftspolizei von Lesbos bei mehreren Gelegenheiten Tränengas eingesetzt und Flüchtlinge und Migranten geschlagen haben, die vor der Hafteinrichtung für Migranten Moria und am Hafen von Mytilene auf ihre Registrierung warteten.

Diskriminierung

Hassverbrechen
Flüchtlinge und Migranten wurden 2015 weiterhin Opfer von Angriffen aus Hassmotiven. Im Juli 2015 sprach das Berufungsgericht für schwere Straftaten von Piräus den Eigentümer einer Bäckerei schuldig, den ägyptischen Arbeitsmigranten Walid Taleb im Jahr 2012 entführt, ausgeraubt und schwer verletzt zu haben. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren und zwei Monaten. Drei weitere Männer wurden wegen Beihilfe schuldig gesprochen und erhielten Haftstrafen, die später nach Einlegung von Rechtsmitteln zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Am 3. September 2015 griff eine Gruppe von 15 bis 25 Männern, bei denen es sich mutmaßlich um Mitglieder der Partei Goldene Morgenröte handelte, Flüchtlinge auf Kos an und bedrohte Flüchtlingshelfer. Die Polizei unternahm nichts, um die Gruppe davon abzuhalten, gegen die Flüchtlinge vorzugehen, und die Bereitschaftspolizei griff erst ein, als es zu tätlichen Angriffen kam.

Die NGO Colour Youth dokumentierte 2015 im Rahmen ihres Projekts "Erzähl uns" 73 hassmotivierte Angriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle. 2014 hatte sie 22 derartige Vorfälle dokumentiert. Am 24. September 2015 wurden zwei Männer für schuldig befunden, am 19. September 2015 in einer Bar in Thessaloniki eine Transfrau angegriffen zu haben. Sie wurden zu jeweils 19 Monaten Haft verurteilt.

Im Fall des homophoben und rassistischen Angriffs auf den griechischen Staatsbürger Costas und dessen Partner im August 2014 gab es Ende 2015 noch keine Fortschritte bei den Ermittlungen. Die Täter waren weder gefunden noch identifiziert worden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trangsgeschlechtlichen und Intersexuellen
Am 22. Dezember 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das auch gleichgeschlechtlichen Paaren eine eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglicht und sie in einigen Aspekten verheirateten Paaren gleichstellt. Dies betrifft z.B. das Recht, in Notfällen medizinische Entscheidungen zu treffen, und das Erbrecht. Die Reform umfasste jedoch weder ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare noch die Möglichkeit einer Änderung des amtlichen Geschlechts transgeschlechtlicher Personen.

Roma
Roma-Kinder wurden in den Schulen weiterhin ausgegrenzt oder hatten keinen Zugang zu Bildung. Dies traf auf zahlreiche Orte des Landes zu, nicht zuletzt auf Aspropyrgos, Sofades und Karditsa. Im zentralgriechischen Sofades wurden Roma-Kinder weiterhin in separaten Schulen unterrichtet, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Lavida und andere gegen Griechenland 2013 geurteilt hatte, dies verstoße gegen das Diskriminierungsverbot.

Im Mai 2015 äußerte der UN-Sonderberichterstatter über zeitgenössische Formen des Rassismus seine Sorge über die Lebensbedingungen in einer Roma-Siedlung in Spata nahe Athen, in der es u.a. keine Stromversorgung gibt, und wies auf die Konsequenzen für die Bildung und Gesundheit von Roma-Kindern hin.

Frauenrechte

Im Oktober 2015 brachte der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erneut seine Besorgnis über das hohe Ausmaß häuslicher Gewalt und die geringe Aufklärungsquote dieser Straftaten zum Ausdruck sowie darüber, dass Frauen im politischen und öffentlichen Leben nicht angemessen vertreten waren.

Kriegsdienstverweigerer

Der zivile Ersatzdienst hatte weiterhin strafenden und diskriminierenden Charakter. Männer, die sowohl die Einberufung zum Militär als auch den zivilen Ersatzdienst ablehnten, konnten von der Militärjustiz nach wie vor wegen Befehlsverweigerung strafrechtlich verfolgt und zu Haftstrafen von bis zu zwei Jahren und hohen Geldstrafen verurteilt werden.

Amnesty International: Berichte

 

 

 

 

 

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