Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Belarus

 

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2015 weiterhin stark einge-schränkt. Journalisten mussten nach wie vor mit Schikanen rechnen. Einige Gefangene, die in den Vorjahren in politisch motivierten Verfahren zu Haftstrafen verurteilt worden waren, kamen frei. Sie mussten die Polizei jedoch regelmäßig über ihren Aufenthaltsort und ihre Aktivitäten informieren. Es wurden mindestens zwei Todesurteile verhängt, aber es gab keine Berichte über Hinrichtungen. Die Drangsalierung und Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern war weiter gängige Praxis. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle litten unverändert unter Diskriminierung, Einschüchterungen und gewaltsamen Angriffen.

Hintergrund

Im Oktober 2015 wurde Präsident Alexander Lukaschenko mit einem Rekordergebnis für eine fünfte Amtszeit wiedergewählt. Die Wahl erfolgte vor dem Hintergrund einer umfassenden staatlichen Kontrolle der Medien. Politische Gegner Lukaschenkos waren Schikanen und Repressalien ausgesetzt.

In der Hauptstadt Minsk fanden unter internationaler Vermittlung Gespräche über den Konflikt in der Ostukraine statt. Die Gastgeberrolle unterstützte die diplomatischen Bemühungen von Belarus, seine Beziehungen zur Europäischen Union zu verbessern. Im Oktober 2015 setzte die EU ihre Sanktionen gegen hochrangige Vertreter des Landes vorübergehend aus. Nur die Reise- und Vermögenssperren gegen vier Geheimdienstmitarbeiter, die für das Verschwindenlassen politisch engagierter Bürger in den vergangenen Jahren verantwortlich gemacht werden, blieben in Kraft.

Infolge der Wirtschaftskrise in Russland, dem wichtigsten Handelspartner des Landes, verzeichnete der Belarus-Rubel einen Wertverlust von mehr als 50% gegenüber dem US-Dollar, und das Bruttoinlandsprodukt fiel um etwa 4%.

Todesstrafe

Das belarussische Recht sah weiterhin die Todesstrafe vor. Zwar wurden 2015 keine Hinrichtungen gemeldet, am 18. März 2015 erging jedoch ein Todesurteil gegen den 21-jährigen Siarhei Ivanou. Sein gegen das Urteil eingelegte Rechtsmittel wurde am 14. Juli vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. Am 20. November verurteilte das Regionalgericht Hrodna den 28-jährigen Ivan Kulesh zum Tode.

Am 1. April 2015 befand der UN-Menschenrechtsausschuss, die Hinrichtung von Aleh Hryshkautsou im Jahr 2011 habe gegen das Recht auf Leben verstoßen, da er kein faires Verfahren erhalten habe und sein Geständnis unter Zwang erpresst worden sei.

Gewaltlose politische Gefangene

Im August 2015 kamen die beiden gewaltlosen politischen Gefangenen Mykalau Statkevich und Yury Rubtsou im Rahmen einer vom Präsidenten erlassenen Amnestie frei. Auch die Oppositionellen Mikalai Dziadok, Ihar Alinevich, Yauhen Vaskovich und Artsiom Prakapenka, die in politisch motivierten Verfahren zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, wurden aus der Haft entlassen. Die Schuldsprüche gegen sie wurden allerdings nicht aufgehoben, und ihre Freilassung erfolgte unter strengen Auflagen, dazu zählt eine "präventive polizeiliche Überwachung". Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mykalau Statkevich darf bei künftigen Wahlen nicht wieder antreten und muss die Polizei acht Jahre lang regelmäßig über seinen Aufenthaltsort und seine Aktivitäten informieren. Bei einem Verstoß muss er mit noch härteren Auflagen und erneuter Strafverfolgung rechnen. Ähnliche Auflagen, allerdings für kürzere Zeiträume, gelten auch für die anderen fünf freigelassenen Oppositionellen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Medien standen 2015 weiterhin unter strikter staatlicher Kontrolle. Schikanen gegen unabhängige Medien und Journalisten waren an der Tagesordnung.

Freiberufliche Journalisten, die für ausländische Medien tätig waren, mussten sich beim Außenministerium akkreditieren. Häufig wurde die Arbeitserlaubnis jedoch verweigert oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Kastus Zhukouski, der für den in Polen ansässigen Fernsehsender Belsat arbeitete, wurde vom Zentralen Bezirksgericht und vom Bezirksgericht Zheleznodorozhnyi in Homel sowie vom Bezirksgericht in Rahachou dreimal wegen fehlender Akkreditierung zu Geldbußen verurteilt, zuletzt am 9. Juli 2015. Entsprechende Verstöße waren ihm in den Vorjahren bereits dreimal zur Last gelegt worden. Nach Angaben der unabhängigen Organisation Index on Censorship erhielten 2015 mindestens 28 freiberufliche Journalisten Geldstrafen von jeweils 3 bis 7,8 Mio. Belarus-Rubel (etwa 220-570 Euro), weil sie ohne Akkreditierung tätig waren.

Auf der Grundlage des im Dezember 2014 verabschiedeten, sehr vage formulierten neuen Gesetzes über Massenmedien konnte das Informationsministerium Internetprovider dazu zwingen, den Zugang zu bestimmten Webseiten ohne entsprechenden Gerichtsbeschluss zu sperren. Am 27. März 2015 wurde diese Bestimmung auf die Internetseiten der Menschen-rechtsorganisation Viasna und der unabhängigen Nachrichtenplattformen Belorusskij Partisan (Weißrussischer Partisan) und Charter 97 angewendet.

Vom 2. bis 5. Oktober 2015 war der Zugriff auf die Internetseiten der Nachrichtenagentur BelaPAN und der Online-Zeitung Naviny.by nach einem Hackerangriff nicht mehr möglich. Die beiden Medien hatten zuvor gemeldet, dass Schüler und Studierende gezwungen worden seien, an der öffentlichen Feierstunde "Gebet für Belarus" in Anwesenheit des Präsidenten teilzunehmen.

Am 11. August 2015 wurden in Minsk die Aktivisten Vyachaslau Kasinerau, Yaraslau Uliyanenkau, Maksim Pyakarski und Vadzim Zharomski sowie ein nicht namentlich bekannter russischer Staatsbürger in Haft genommen, weil sie zwei Graffiti angebracht haben sollen: den Schriftzug "Belarus muss belarussisch sein" mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz- und einem durchgestrichenen Hammer-und-Sichel-Schild sowie den Schriftzug "Revolution des Bewusstseins". Sie wurden am 31. August 2015 freigelassen, nachdem sie eingewilligt hatten, keine Einzelheiten der Ermittlungen preiszugeben. Aufgrund des politischen Gehalts der Aufschriften wurden sie wegen "bösartigen Rowdytums" angeklagt. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihnen bis zu sechs Jahre Haft. Vyachaslau Kasinerau erlitt bei der Festnahme einen Kieferbruch und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Das Verfahren war Ende 2015 noch anhängig.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Das Gesetz über Massenveranstaltungen, das jede Form von öffentlichen Versammlungen oder Protestveranstaltungen unter Strafe stellt, wenn sie von den Behörden nicht ausdrücklich genehmigt wurden, fand 2015 weiterhin regelmäßig Anwendung.

Am 27. September 2015 schlossen sich in Baranavichy etwa 30 Fußballfans, die auf dem Weg zu einem Fußballspiel waren, einer genehmigten öffentlichen Kundgebung zur Unterstützung der Präsidentschaftskandidatin Tatsyana Karatkevich an. Als die Fußballfans "Lang lebe Belarus!" zu skandieren begannen, griff die Polizei ein und transportierte sie in Fahrzeugen ab. Die übrigen Teilnehmenden durften die Kundgebung fortsetzen.

Am 30. September 2015 verhängte ein Minsker Gericht gegen die beiden Präsidentschaftskandidaten der Wahlen von 2010, Mykalau Statkevich und Uladzimir Nyaklyaeu, sowie gegen den Vorsitzenden der Vereinigten Bürgerpartei, Anatol Lyabedzka, Geldstrafen zwischen 5,4 und 9 Mio. Belarus-Rubel (etwa 395 bzw.650 Euro), weil sie eine "nicht genehmigte" Protest-kundgebung im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wahl abgehalten hatten. Während des gesamten Jahres 2015 wurden immer wieder friedlich protestierende Bürger inhaftiert und mit Geldbußen belegt.

Menschenrechtsverteidiger

Artikel 193 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs, der alle Aktivitäten nicht zugelassener politischer Parteien, religiöser Gruppen und zivilgesellschaftlicher Organisationen unter Strafe stellt, war 2015 weiterhin in Kraft.

Die bekannte Menschenrechtsverteidigerin und Leiterin der Menschenrechtsorganisation Centre for Legal Transformation, Elena Tonkacheva, wurde angewiesen, das Land zu verlassen und in den kommenden drei Jahren nicht wieder einzureisen. Die russische Staatsbürgerin lebte seit 1985 in Belarus. Die Behörden hatten sie am 5. November 2014 zur Ausreise aufgefordert und zur Begründung auf mehrfache Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung verwiesen. Elena Tonkacheva legte mehrere Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein, die jedoch zurückgewiesen wurden. Am 19. Februar 2015 befand das Stadtgericht Minsk in letzter Instanz, dass sie das Land bis zum 21. Februar verlassen musste.

Der Leiter der Menschenrechtsorganisation Homel Centre for Strategic Litigation, Leanid Sudalenka, erhielt im März per E-Mail mindestens zwei Morddrohungen. Die Behörden lehnten es jedoch ab, Ermittlungen einzuleiten. Am 8. April 2015 durchsuchte die Polizei seine Wohnung und sein Büro, und am 14. April wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. Man beschuldigte ihn, über E-Mail Pornographie verbreitet zu haben. Leanid Sudalenka sagte, Hacker hätten sich Zugang zu seinem E-Mail-Konto verschafft. Seiner Überzeugung nach ist der Grund für die Repressalien gegen ihn, dass er Opfern von Menschen-rechtsverletzungen dabei geholfen hat, Beschwerde beim UN-Menschenrechtsausschuss einzulegen. Zuletzt hatte Olga Haryunou mit seiner Unterstützung am 28. Februar 2015 Beschwerde eingereicht. Ihr Sohn war am 22. Oktober 2014 im Geheimen hingerichtet worden, und sie verlangte Auskunft darüber, wo er begraben war.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle wurden nach wie vor diskriminiert und waren Drangsalierungen und gewaltsamen Angriffen ausgesetzt.

Mikhail Pischevsky war am 25. Mai 2014 in Minsk von aggressiven Homophoben beim Verlassen eines Schwulenlokals zusammengeschlagen worden und am 27. Oktober an den Komplikationen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas gestorben. Nur einer der Täter wurde schuldig gesprochen und wegen Rowdytums und fahrlässigen Verhaltens zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Er kam im Zuge einer Amnestie des Präsidenten bereits im August 2015 nach elf Monaten Haft wieder frei.

Amnesty International: Bericht

 

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