Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Vergewaltigungen von Männern/Jungen durch Männer (Umgang der Gesellschaft mit diesem Thema; Konsequenzen für den vergewaltigten Mann/Jungen; Schutzwilligkeit/-fähigkeit der Polizei in solchen Fällen) [a-9353-1]

6. Oktober 2015

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Die meisten Informationen, die zur Fragestellung gefunden werden konnten, beziehen sich auf die Bacha Bazi („Knabenspiel“) genannte Praxis.

 

Auf der US-amerikanischen Nachrichtenwebsite RYOT wird in einem Artikel vom Jänner 2015 angeführt, dass der Islam und die Scharia in Bezug auf Homosexualität unnachgiebig seien. Trotzdem seien gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern und Jungen unter den Paschtunen in Afghanistan weiterhin weitverbreitet. Religiöses Dogma und Geschlechtertrennung hätten zu einem Muster aus Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Päderastie geführt.

Wie der Artikel weiters anführt, hätten westliche Offizielle absichtlich zahlreiche Berichte US-amerikanischer, britischer und kanadischer Soldaten über den sexuellen Missbrauch von Kindern in Lagern der afghanischen Truppen und den umliegenden zivilen Gebieten ignoriert. Der Missbrauch selbst werde oftmals von vielen hochrangigen afghanischen Kommandanten, Dolmetschern sowie Angehörigen der afghanischen Armee und der afghanischen Nationalpolizei begangen.

Die Führung in Afghanistan habe aus Angst vor einer öffentlichen Schmach und der Missbilligung durch westliche Medien versucht, Berichte über Missbrauch sowie rechtliche Maßnahmen zu unterdrücken. Auch gebe es Zurückhaltung, um nicht den Ärger lokaler Warlords zu erregen, von denen sich viele aktiv an Kinderprostitution, Menschenhandel und Opiumhandel beteiligen würden.

Die wenigen Berichte über sexuellen Missbrauch in Afghanistan, die aufgetaucht seien, würden nur einen flüchtigen Einblick in das Ausmaß an Traumata, Verletzungen und Dysfunktionen gewähren, die das Resultat einer männlich dominierten Kultur mit religiösen Beschränkungen und einer fabrizierten („manufactured“) moralischen Straffreiheit seien:

„Islam and Shari’a law are adamant in their condemnation of homosexuality; however, same-sex relationships between men and boys remain prevalent among the Pashtun tribe in Afghanistan. […] Religious dogma and gender segregation throughout the Pashtun tribe has wrought a pattern of rape, sexual slavery and pederasty.

In attempting to build relations with their in-country allies as well as promote the image of successful training, Western officials have deliberately ignored numerous accounts from American, British and Canadian ground troops concerning child sexual abuse perpetrated throughout Afghan-Coalition camps as well as the surrounding civilian areas. The abuse itself is often inflicted by many Afghan high ranking commanders, interpreters, ANA (Afghan National Army) and ANP (Afghan National Police) personnel.

Leadership in the region has attempted to mute reports of abuse, as well as suffocating legal measures, for fear of public shame and western media disapproval. There is also hesitation in raising the ire of local warlords, many of whom are actively involved in child prostitution, trafficking and the nations juggernaut opium trade. ‘Some men enjoy playing with dogs, some with women. I enjoy playing with boys,’ Allah Daad, a notorious warlord, told local reporter Sayed Ibrahimi.

The few reports that have surfaced regarding sexual abuse in Afghanistan reveal only a glimpse into the staggering volume of trauma, injury and dysfunction stemming from a male dominated culture steeped in religious constrictions and manufactured moral impunity.” (RYOT, Jänner 2015)

Der Artikel geht weiters auf die jahrhundertealte kulturelle Praxis des Bacha Bazi ein, die unmittelbar zum Missbrauch von Kindern beitrage. Beim Bacha Bazi, das vorrangig von Paschtunen praktiziert werde, würden Jungen gezwungen, für ein ausschließlich männliches Publikum zu tanzen. Es sei auch die kulturell geduldete („culturally sanctioned“) Form der Vergewaltigung paschtunischer Jungen.

Obwohl die Praxis in Afghanistan illegal sei, finde sie aufgrund ihrer weiten Verbreitung und der einflussreichen Praktizierenden weiterhin ungehemmt statt. Die Opfer des „Knabenspiels“ seien afghanische Jungen im Alter zwischen neun und 16 Jahren:

„’Bacha bazi,’ directly translated from Persian into the Afghan dialect, means ‘boy play’ and is a centuries-old cultural practice that contributes directly to the abuse of children and mistreatment of women in Pashtun culture. Primarily practiced by the Pashtun tribe, bacha bazi is the act of coercing boys to dance for an all male audience, generally in a seductive style and dressed as women. Bacha bazi is also the culturally sanctioned practice of raping little Pashtun boys.

Although illegal in Afghanistan, bacha bazi continues unchecked and unchallenged due to its widespread nature and influential participants. Using a selective translation of Islamic law and a liberal interpretation of what constitutes homosexuality, a damaging compromise has seen the systematic deconstruction of Pashtun perceptions concerning relationships with prepubescent boys and the value of women in society. […] The victims of ‘boy play’ are Afghan boys from the age of nine to sixteen years old.” (RYOT, Jänner 2015)

Die US-amerikanische Tageszeitung New York Times (NYT) schreibt in einem Artikel vom September 2015, dass der grassierende sexuelle Missbrauch von Kindern in Afghanistan seit langem ein Problem sei, insbesondere unter bewaffneten Kommandanten, die große Teile der ländlichen Gebiete beherrschen würden und die Bevölkerung schikanieren könnten. Die Praxis werde Bacha Bazi (wörtlich übersetzt: „Knabenspiel“) genannt, und US-amerikanische Soldaten seien Interviews und Gerichtsaufzeichnungen zufolge angewiesen worden, nicht einzuschreiten – in einigen Fällen selbst dann nicht, wenn ihre afghanischen Verbündeten Jungen auf Militärstützpunkten missbraucht hätten.

Diese Politik der Nicht-Einmischung spiegle unter anderem die Widerwilligkeit wider, kulturelle Werte in einem Land durchzusetzen, in dem Päderastie weitverbreitet sei. Dies sei insbesondere unter mächtigen Männern der Fall, für die es Zeichen eines sozialen Status sein könne, von Jugendlichen umgeben zu sein:

„Rampant sexual abuse of children has long been a problem in Afghanistan, particularly among armed commanders who dominate much of the rural landscape and can bully the population. The practice is called bacha bazi, literally ‘boy play,’ and American soldiers and Marines have been instructed not to intervene – in some cases, not even when their Afghan allies have abused boys on military bases, according to interviews and court records. […]

The American policy of nonintervention is intended to maintain good relations with the Afghan police and militia units the United States has trained to fight the Taliban. It also reflects a reluctance to impose cultural values in a country where pederasty is rife, particularly among powerful men, for whom being surrounded by young teenagers can be a mark of social status.” (NYT, 20. September 2015)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Juni 2015 (Berichtszeitraum 2014), dass der sexuelle Missbrauch von Kindern weiterhin weitverbreitet gewesen sei. NGOs hätten angegeben, dass Mädchen durch Mitglieder ihrer erweiterten Familien missbraucht worden seien, während Jungen häufiger durch Männer, die nicht ihren Familien angehören würden, missbraucht worden seien. Es habe Berichte gegeben, wonach religiöse Führer sowohl Jungen als auch Mädchen sexuell missbraucht hätten. Laut Angaben von NGOs hätten sich die Familien der Kinder mitschuldig gemacht und lokalen einflussreichen Männern erlaubt, ihre Kinder im Gegenzug für Geld und Status zu missbrauchen. Während das Innenministerium Vergewaltigungsfällen nachgegangen sei, seien die meisten NGOs und BeobachterInnen davon ausgegangen, dass die offiziellen Zahlen deutlich unter dem tatsächlichen Ausmaß des Phänomens gelegen seien. Viele Täter seien nicht verhaftet worden, außerdem habe es Berichte gegeben, wonach Sicherheitsbeamte und Personen, die mit der afghanischen Nationalpolizei in Verbindung stehen würden, straffrei Kinder vergewaltigt hätten.

Die Praxis des Bacha Bazi, bei der mächtige oder reiche lokale Personen und Geschäftsleute Jungen, die trainiert würden, um in weiblichen Kleidern zu tanzen, sexuell missbrauchen würden, sei fortgesetzt worden. Berichten zufolge habe die Praxis seit 2001 zugenommen. Außerdem hätten Medienberichte angeführt, dass lokale Behörden, darunter die Polizei, in die Praxis involviert gewesen seien, die Regierung jedoch nur wenige Schritte unternommen habe, um zu versuchen, den Missbrauch von Jungen zu verhindern, oder um die beteiligten Personen strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen.

Im August 2014 habe die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (Afghan Independent Human Rights Commission, AIHRC) ihren nationalen Untersuchungsbericht zu Bacha Bazi herausgegeben. Der Bericht habe angeführt, dass es sich bei Bacha Bazi um eine Form des bereits unter Strafe gestellten Menschenhandels handle, und die Regierung aufgefordert, das Gesetz aktiv umzusetzen:

„Sexual abuse of children remained pervasive. NGOs noted girls were abused by extended family members, while boys were more frequently abused by men outside their families. There were reports religious figures sexually abused both boys and girls. NGOs noted families often were complicit, allowing local strongmen to abuse their children in exchange for status or money. While the Ministry of Interior tracked cases of rape, most NGOs and observers estimated the official numbers significantly underreported the phenomenon. Many child sexual abusers were not arrested, and there were reports security officials and those connected to the ANP [Afghan National Police] raped children with impunity. The practice continued of ‘bacha baazi’ (dancing boys), which involved powerful or wealthy local figures and businessmen sexually abusing young boys trained to dance in female clothes. Reports indicated the practice had increased since 2001. Media reports alleged local authorities, including police, were involved in the practice, but the government took few steps to discourage the abuse of boys or to prosecute or punish those involved. In August the AIHRC [Afghan Independent Human Rights Commission] released its national inquiry on bacha baazi. The report asserted bacha baazi was a form of trafficking already criminalized and called on the government to enforce the law actively. It attributed the root causes of the practice to lack of rule of law, corruption, gaps in the law, poverty, insecurity, and the existence of armed insurgent groups. The report noted the serious psychological and physical harm victims faced and called on the government to provide protective services to victims.” (USDOS, 25. Juni 2015, Section 6)

Der im obigen USDOS-Zitat erwähnte Bericht der AIHRC ist unter folgendem Link verfügbar:

·      AIHRC - Afghanistan Independent Human Rights Commission: Causes and Consequences of Bacha Bazi in Afghanistan, 18. August 2014
http://www.aihrc.org.af/home/research-reports/3324

 

Der Bericht erläutert unter anderem, dass Bacha Bazi als eine hässliche und abstoßende („offensive“) Praxis, als ein Tabu, angesehen werde. Deshalb würden Täter und Opfer von der Gesellschaft isoliert. Die soziale Isolation der Kinder und ihrer Familien verstärke sich, wenn die Opfer in Folge von Tanzauftritten bei allgemeinen Veranstaltungen und Feiern Bekanntheit erlangen würden. Menschen würden nicht nur ihre Beziehungen zum Opfer sondern auch zu dessen Familie und Verwandten abbrechen und versuchen, nichts mehr mit diesen zu tun zu haben:

Bacha Bazi is regarded a nasty and offensive practice, a taboo. Therefore, the perpetrators of Bacha Bazi and the victims get isolated from the society, because the victims of Bacha Bazi often come from poor families and do not enjoy a high social status, as a result they get more isolated. The social isolation of such children and their families increase when the victims become famous after dancing in general events and parties. People not only end their relationship with the victim, but also with his family and relatives as well and try not to deal with them.” (AIHRC, 18. August 2014)

Laut der AIHRC habe sie bei ihrer Untersuchung herausgefunden, dass die meisten Opfer Kinder unter 18 seien. Allerdings würden auch junge Menschen über 18 der Praxis zum Opfer fallen. 42 Prozent der Opfer seien zwischen 13 und 15 Jahre, 45 Prozent zwischen 16 und 18 Jahre und 13 Prozent zwischen 18 und 25 Jahre alt:

„Most of the victims are children under the age of 18. However, the youth above the age of 18 may also fall victims of Bacha Bazi. 42% of the victims are aged between 13 to 15. 45% of them are aged between 16 to 18 years of age. The other 13% constitute victims aged 18 to 25.” (AIHRC, 18. August 2014)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet in einer Pressemitteilung vom Februar 2013, dass kürzlich ein Fall von Oktober 2012 bekannt geworden sei, in dem ein Gericht in der Provinz Herat einen 13-jährigen Jungen wegen moralischer Verbrechen zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt habe. Der Junge sei beschuldigt worden, in einem öffentlichen Park mit zwei erwachsenen Männern Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.

Afghanisches Recht verbiete „Päderastie“, gemeinhin verstanden als Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und einem Jungen, und sehe eine Haftstrafe von fünf bis 15 Jahren vor. Anklagen wegen „moralischer Verbrechen“, die gemäß afghanischem Recht nicht nur Päderastie sondern auch alle sexuellen Beziehungen zwischen Menschen, die nicht miteinander verheiratet seien, beinhalten würden, seien oftmals genützt worden, um das Opfer einer Straftat zu bestrafen.

Ein in den Fall involvierter Staatsanwalt habe HRW erklärt, dass der Junge strafrechtlich verfolgt worden sei, weil er angegeben habe, dem Eingehen sexueller Beziehungen zu mehreren erwachsenen Männern zugestimmt zu haben. Gegen die Entscheidung des Gerichts sei Berufung eingelegt worden. Zwar hätten die Behörden auch die Männer festgenommen und wegen moralischer Verbrechen angeklagt, allerdings sei der Ausgang ihres Verfahrens ungewiss.

Wie HRW weiters anführt, hätten die Vereinten Nationen und andere Organisationen trotz des strikten Verbots von außerehelichem Geschlechtsverkehr zahlreiche Fälle von Missbrauch von Jungen im Rahmen der Bacha Bazi genannten Praxis dokumentiert. Die afghanische Kultur verbiete Frauen und Mädchen üblicherweise für ein männliches Publikum zu tanzen. Während die Rolle der Jungen als Unterhalter eine harmlose („innocent“) sein könne, würden sie in vielen Fällen Opfer sexueller Übergriffe und sexuellen Missbrauchs:

„In Afghanistan’s western Herat province, in an October 2012 case that only recently came to light, a court convicted a 13-year-old boy on moral crimes charges, and sentenced him to one year in juvenile detention after he was accused of having sex with two adult men in a public park.

Afghan law prohibits ‘pederasty,’ commonly understood to mean sex between a man and a boy, and makes it a crime punishable by 5 to 15 years in prison. ‘Moral crimes’ charges, which under Afghan law include not only pederasty but also all sexual relations between people who are not married to each other, have frequently been used to punish the victim of a criminal offense. […]

A prosecutor involved in the case told Human Rights Watch that the boy was prosecuted because he said he had consented to engaging in sexual relations with several adult men. The decision in the case is under appeal. The authorities also arrested the men and charged them with moral crimes, but the outcome of their case is unknown. […]

In spite of Afghanistan’s strict prohibitions on sex outside of marriage, the United Nations and other organizations have documented numerous instances of sexual abuse of boys through a practice known as ‘bacha bazi.’ The phrase, which translates as ‘boy play,’ refers to boys who work as dancers, performing at parties attended by men, and typically living under the protection of a military commander or other patron. Afghan culture typically prohibits women or girls from dancing for a male audience. While their role as entertainers can be innocent, in many instances these boys are also the victims of sexual assault and abuse.” (HRW, 10. Februar 2013)

In derselben Pressemitteilung wird angeführt, dass 2009 das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen verabschiedet worden sei, das den Begriff „Vergewaltigung“ als Straftat eingeführt habe. Obwohl einige mutmaßliche Vergewaltiger unter diesem Gesetz strafrechtlich verfolgt worden seien, habe HRW im Jahr 2012 wiederholt Vorfälle dokumentiert, bei denen die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen mutmaßliche Vergewaltigungsopfer wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs eingeleitet habe. Laut der Staatsanwaltschaft habe man in solchen Fällen nicht geglaubt, dass die Opfer tatsächlich vergewaltigt worden seien, oder man sei davon ausgegangen, dass die Opfer einen „schlechten Charakter“ besäßen. Eine große Einschränkung des Gesetzes sei, dass sich das Gesetz nur auf Vergewaltigungen von Frauen oder Mädchen beziehe. Es gebe kein vergleichbares Verbot von Vergewaltigungen von Männern und Jungen:

„In 2009, Afghanistan enacted the Law on Elimination of Violence Against Women, which for the first time introduced the term ‘rape’ as a criminal offense under Afghan law. The law imposed sentences similar to the 5-to-15-year sentences for pederasty and sex between people who are not married to each other. Although some alleged rapists have been prosecuted under this law, in 2012, Human Rights Watch documented repeated incidents in which prosecutors pursued criminal charges against alleged rape victims for engaging in extramarital sex. Prosecutors told Human Rights Watch that they had pursued criminal charges in such cases because they did not believe victims who said they had been raped, or they believed the victims were of ‘bad character.’

Since the law’s passage, specialized units responsible for prosecuting crimes against women and children have been established in several Afghan provinces with support from international donors. The UN in 2012 documented numerous cases of sexual assault of boys and girls, including sexual assault of boys by armed men and in detention centers.

A major limitation of the 2009 law is that it refers only to the rape of women or girls. There is no comparable specific prohibition on rape of men and boys. A wide-ranging revision of Afghanistan's penal code has been planned for several years, but there has been little progress in drafting a new law.” (HRW, 10. Februar 2013)

Auf der Nachrichten- und Meinungswebsite Breitbart News Network findet sich ein im Juli 2014 veröffentlichter Artikel, in dem berichtet wird, dass ein fünfjähriger Junge in Herat verstorben sei, nachdem er Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden sei. Der Vorfall habe eine Welle der Empörung in dem Land ausgelöst, das seit Jahrhunderten gegen kulturelle, Vergewaltigungen befördernde Normen kämpfe. Der spanischen Zeitung ABC zufolge werde die Familie des Opfers vor Gericht einen aussichtslosen Kampf führen. Wenn Vergewaltigungsopfer im Kindesalter die Tat überleben würden, seien sie oftmals der Möglichkeit ausgesetzt, wegen der Involvierung in voreheliche sexuelle Aktivitäten als Kriminelle angesehen zu werden. Darüber hinaus würden Kinder, die Opfer von Vergewaltigungen würden, wegen ihrer unfreiwilligen Involvierung in die Vergewaltigung oftmals als lasterhaft behandelt.

Ein ähnlicher Fall im Jahr 2013, bei dem ein zwölfjähriger Junge infolge einer Gruppenvergewaltigung verstorben sei, habe zu einem Protest von rund 300 Personen geführt, die für Gerechtigkeit demonstriert hätten. Dies sei ein Wendepunkt in Bezug auf kulturell bedingte Reaktionen auf Vergewaltigungen gewesen:

„A five-year-old child in the Afghan city of Herat died this week after being the victim of a gang rape, from which he sustained fatal injuries. The incident has triggered another wave of outrage in the nation, which has struggled for centuries against cultural norms promoting rape. According to the Afghanistan Times, the boy, who was not named by police, was raped by two other boys in succession. The two boys, neighbors of the victim, raped the five-year-old repeatedly until they became aware that the boy's life was in danger. […]

Spanish newspaper ABC reports that the family of the victim will face an uphill battle in court. When child rape victims live, they are often exposed to the possibility of being considered criminals for engaging in sexual activity before wedlock. Children, they note, who are victims of such are also often treated as immoral for their involuntary participation in the rape.

A similar incident in 2013, in which a group rape resulted in the death of a 12-year-old boy, led to protests of up to 300 Afghans demanding justice for the boy – a turning point in cultural reactions to rape.” (Breitbart News Network, 20. Juli 2014)

Samuel V. Jones, Professor für Rechtswissenschaften an der John Marshall Law School in Chicago, geht in einem Artikel von 2015 auf die Praxis des Bacha Bazi ein. Jones führt an, dass die Versklavung und sexuelle Ausbeutung eines Jungen in Afghanistan dem Ruf eines Mannes nicht mehr abträglich sei als der Besitz eines Sklaven in den US-amerikanischen Südstaaten in der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Wie im Falle der Sklavenhalter in den Südstaaten scheine die Versklavung eines afghanischen Jungen den finanziellen Status und den Ruf eines afghanischen Mannes zu verbessern. Je attraktiver und talentierter der Junge wahrgenommen werde, desto mehr stärke er die soziale und finanzielle Stellung des Mannes.

Uneinigkeit bestehe hinsichtlich der Legitimität von Bacha Bazi gemäß islamischem Recht. Viele Afghanen würden Bacha Bazi vehement ablehnen, da die Praxis einen homosexuellen Charakter habe und von der islamischen Tradition verboten werde. Einige afghanische Männer würden anführen, dass der Islam nur die Liebe eines Mannes zu einem anderen Mann verbiete, nicht jedoch, dass ein Mann einen Jungen für sexuelle Handlungen benutze. Darüber hinaus gebe es auch Männer, die Bacha Bazi praktizieren würden, obwohl sie überzeugt seien, dass das islamische Recht ihr Verhalten verbiete.

Jones erläutert weiters, dass die afghanische Regierung nicht nur dafür bekannt sei, eher die Opfer von Bacha Bazi als die erwachsenen, männlichen Täter strafrechtlich zu verfolgen, auch würden Staatsbedienstete Jungen mit alarmierender Straffreiheit sexuell ausbeuten. Es sei bekannt, dass einige afghanische Provinzgouverneure sich offen Bacha-Bazi-Harems halten würden. Afghanistans Militärangehörige und Polizisten würden zu einigen der energischsten Sexualtätern („most vigorous sexual predators“) gehören und keine Anstrengungen unternehmen, die von ihnen praktizierte sexuelle Ausbeutung afghanischer Jungen zu verbergen. Zahlreiche afghanische Jungen würden ohne Anklage oder Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftnahme von einem Gericht überprüfen zu lassen, in staatlichen Einrichtungen inhaftiert und Opfer sexueller Übergriffe:

„[…] in Afghanistan, enslaving and sexually exploiting a boy is no more disparaging and injurious to an Afghan man’s reputation than was having a slave in the Antebellum South. Like the Antebellum South slave master, enslaving an Afghan boy appears to enhance an Afghan man’s financial status and reputation. The more physically appealing and talented the bacha bazi boy is perceived to be, the more he enriches his captor’s social and financial standing. […]

Contention exists regarding the legitimacy of bacha bazi under Islamic law. Many Afghans strongly object to bacha bazi on grounds that it is homosexual in nature, and banned by Islamic tradition. Some Afghan men assert that Islam only prohibits a man from loving another man, but does not prohibit a man from using a boy for sex. In addition, some Afghan men engage in bacha bazi, despite being convinced that Islamic law prohibits their behavior. […]

Not only is the Afghan government known to prosecute boy victims of bacha bazi, rather than the adult male victimizers, but state officials sexually exploit young boys with alarming impunity. Some Afghan provincial governors are known to openly keep bacha bazi harems. Afghanistan’s military and police officials are some of the most vigorous sexual predators and make no effort to conceal their sexual exploitation of Afghan’s boy population. Numerous Afghan boys are detained and sexually assaulted in government facilities without charges or an opportunity to have the legality of their imprisonment reviewed by a court.” (Jones, 2015, S. 69-72)

Das Integrated Regional Information Network (IRIN), eine Nachrichtenagentur, die sich auf humanitäre Themen fokussiert, und bis Jänner 2015 ein Projekt des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA) gewesen ist, erwähnt in einem im September 2013 veröffentlichten Artikel über Bacha Bazi, dass laut dem Sprecher des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) und anderen MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen die Opfer aus Angst vor Stigmatisierung, Ehrenmorden und Vergeltungsmaßnahmen im Allgemeinen extrem zurückhaltend seien, wenn es darum gehe, einen Missbrauch zu melden. In einigen Fällen würden die Jungen, und nicht die Täter, der Homosexualität oder anderer Verbrechen beschuldigt:

„The UN Children's Fund (UNICEF) has highlighted the practice a number of times, said spokesman Alistair Gretarsson, including in the recent Report of the Secretary-General to the Security Council. Gretarsson and other aid workers told IRIN the victims are generally extremely reluctant to report abuse for fear of stigma, honour killings or reprisals. In some cases, the boys - not the perpetrators - are charged with homosexuality or other crimes. ‘The boy will never say, 'This person had sex with me,' said an Afghan aid worker in eastern Nangarhar province.” (IRIN, 18. September 2013)

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), der unabhängige Dachverband der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen in der Schweiz, geht in einer Anfragebeantwortung vom März 2013 unter Verwendung verschiedener Quellen ebenfalls auf die Praxis des Bacha Bazi ein. Unter der Überschrift „Stigmatisierung“ wird Folgendes angeführt:

„Sobald bei den Tanzknaben der Bartwuchs einsetzt, tauscht ihr Besitzer sie gegen einen jüngeren Knaben (Bacha Bereesh – Junge ohne Bart) aus. Die Zeit als ‚Bachi‘ hinterlässt bei vielen schwere seelische Schäden. Das Stigma, einmal ein Tanzknabe gewesen zu sein, ist eine lebenslange Bürde. Kaum jemand wird einem Mann, der als Junge missbraucht wurde, eine Frau zur Heirat geben. Im besten Fall werden diese Männer mit älteren Frauen verheiratet, die keine Jungfrau en mehr sind und kaum Chancen hätten, einen Ehemann zu finden. Viele verlassen daher ihre Gemeinden und Familien für immer. Die traumatisierten Jungen landen auf der Strasse und stürzen ab. Sie werden oft drogensüchtig und schlagen sich als Bettler, Stricher oder Auftragstänzer durch. Bei einigen wenigen Jungen hält die Beziehung zu ihrem Herren ein Leben lang. Sie arbeiten weiterhin für ihre Herren oder werden mit einer deren Töchter verheiratet.“ (SFH, 11. März 2013)

Andere in der SFH-Anfragebeantwortung enthaltenen Informationen betreffen die „Straffreiheit für die Täter“ und die „Verurteilung der Opfer“:

·      SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Afghanistan: Bacha Bazi (Knabenspiel), 11. März 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1365156909_afghanistan-bacha-bazi-knabenspiel.pdf

 

In einer im Jänner 2009 veröffentlichten Entscheidung des Asylum and Immigration Tribunal (AIT) des Vereinigten Königreichs werden Informationen zur Lage von Homosexuellen angeführt, die von Antonio Giustozzi, einem Research Fellow an der London School of Economics and Political Science (LSE) und Autor zahlreicher Publikationen zu Afghanistan, zur Verfügung gestellt worden seien. Laut Giustozzi werde Geschlechtsverkehr zwischen Männer im Stammeskontext akzeptiert, solange diese verheiratet seien und Kinder hätten. Außerdem werde von ihnen erwartet, ihre Handlungen nicht öffentlich zu machen. Darüber hinaus werde es als beschämend angesehen, die passive Rolle einzunehmen. Deswegen würden führende Stammesmitglieder auf junge Männer und Jungen als Liebhaber zurückgreifen, die ihrerseits die Schande der passiven („weiblichen“) Rolle überwinden könnten, indem sie eines Tages die männliche Rolle übernehmen würden:

„In the tribal environments sex between men is acceptable as long as those indulging in it are also married and have children. They are also expected not to give publicity to their sexual conduct. It is also considered shameful to serve in the passive role. This is why senior members of the tribe use young men and boys as lovers, who can then leave behind the shame of the passive (‘female’) role by taking over one day the male role as they grow older.” (AIT, 5. Jänner 2009, S. 11)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. Oktober 2015)

·      AIHRC - Afghanistan Independent Human Rights Commission: Causes and Consequences of Bacha Bazi in Afghanistan, 18. August 2014
http://www.aihrc.org.af/home/research-reports/3324

·      AIT - Aslyum and Immigration Tribunal: AJ (Risk to Homosexuals) Afghanistan CG [2009] UKAIT 00001, 5. Jänner 2009 (verfügbar auf Refworld)
http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?docid=4964c06b2

·      Breitbart News Network: Five-year-old Boy Dies After Brutal Gang Rape in Afghanistan, 20. Juli 2014
http://www.breitbart.com/national-security/2014/07/15/five-year-old-boy-dies-after-brutal-gang-rape-in-afghanistan/

·      HRW - Human Rights Watch: Afghanistan: Don’t Prosecute Sexually Assaulted Children, 10. Februar 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/237984/360901_de.html

·      IRIN - Integrated Regional Information Network: Afghanistan's dancing boys, 18. September 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/258594/384141_de.html

·      Jones, Samuel V.: Ending Bacha Bazi: Boy Sex Slavery and the Responsibility to Protect Doctrine. In: Indiana International and Comparative Law Review, Vol. 25, Nr. 1, 2015
https://journals.iupui.edu/index.php/iiclr/article/view/18587/18585

·      NYT - New York Times: U.S. Soldiers Told to Ignore Sexual Abuse of Boys by Afghan Allies, 20. September 2015
http://www.nytimes.com/2015/09/21/world/asia/us-soldiers-told-to-ignore-afghan-allies-abuse-of-boys.html?_r=0

·      RYOT: Hand Covers Bruise: The Destruction of Afghanistan’s Boys, Jänner 2015
http://www.ryot.org/bacha-bazi-afghanistan-pashtun-child-abuse-christian-stephen/912777

·      SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Afghanistan: Bacha Bazi (Knabenspiel), 11. März 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1365156909_afghanistan-bacha-bazi-knabenspiel.pdf

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2014 - Afghanistan, 25. Juni 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/306241/443515_de.html