Amnesty International Report 2010 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Italienische Republik
Staatsoberhaupt: Giorgio Napolitano
Regierungschef: Silvio Berlusconi
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 59,9 Mio.
Lebenserwartung: 81,1 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 5/4 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 98,9%

Auch 2009 kam es immer wieder zu Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen. Behördenmaßnahmen zur Migrationskontrolle gefährdeten die Rechte von Migranten und Asylsuchenden. Das Land schob weiterhin Flüchtlinge in Länder ab, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverstöße drohten. Agenten des italienischen Geheimdienstes und der CIA wurden wegen ihrer Rolle im US-amerikanischen Programm rechtswidriger Gefangenenüberstellungen verurteilt. Es gab erneut Berichte über Todesfälle im Gewahrsam der Sicherheitskräfte sowie Vorwürfe über Folterungen und Misshandlungen durch Polizeikräfte.

Diskriminierung von Roma

Roma hatten noch immer keinen gleichberechtigten Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, zum Gesundheitswesen und zum Bildungssystem. Es wurden neue gesetzliche Bestimmungen erlassen, die zu weiterer Diskriminierung führen können.

Zwangsräumungen
Rechtswidrige Zwangsräumungen trieben viele Roma noch tiefer in die Armut. Dies galt für Roma mit italienischer Staatsbürgerschaft ebenso wie für diejenigen, die Staatsangehörige anderer Länder innerhalb oder außerhalb der EU waren.

  • Am 31. März 2009 ließ die Stadtverwaltung von Mailand ein Lager unter der Bacula-Überführung im Norden der Stadt räumen, in dem rund 150 Roma lebten. Nur vier Familien mit insgesamt rund 30 Personen wurde eine angemessene Alternativunterkunft angeboten. Die meisten Bewohner des Bacula-Lagers waren 2008 bereits aus anderen Siedlungen in Mailand vertrieben worden.
  • Am 11. November 2009 ließ die Stadtverwaltung von Rom das Lager Via Centocelle mit etwa 350 Roma zwangsräumen und alle Unterkünfte zerstören. Etwa 70 Bewohnern des Lagers wurde eine vorübergehende Unterkunft angeboten. Die Bewohner waren zuvor nicht über die Räumung informiert worden. Damit verstießen die Behörden gegen italienisches Recht, wonach jeder einzelne Betroffene über die vorgesehene Räumung informiert bzw. eine entsprechende Verfügung oder Bekanntmachung veröffentlicht werden muss. Da sie nicht rechtzeitig informiert wurden, hatten die Roma keine Möglichkeit, die geplante Räumung auf gerichtlichem Wege zu verhindern oder hinauszuzögern.

Rechtliche Entwicklungen
Mit dem neuen Gesetz Nr. 94/2009 (einem Teil des sogenannten Sicherheitspakets) konnten die lokalen Behörden ab August unbewaffneten Bürgern, die nicht den staatlichen Ordnungskräften angehören, die Genehmigung erteilen, im Stadtgebiet zu patrouillieren. Nachdem es in den vergangenen Jahren wiederholt zu Übergriffen organisierter Gruppen von Bürgern gegen Roma und Migranten gekommen war, könnte die Umsetzung dieser Bestimmung zu weiterer Diskriminierung und zu Selbstjustiz führen.

Rechte von Migranten und Asylsuchenden

Im Januar kritisierte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, dass Migranten und Asylsuchende routinemäßig inhaftiert wurden, ohne dass die Notwendigkeit dieser Maßnahme im Einzelfall geprüft wurde. Dies geschah häufig ohne jegliche rechtliche Grundlage und betraf auch Minderjährige. Asylsuchende durften das Aufnahmezentrum, in dem sie festgehalten wurden, nicht verlassen, bis sie eine offizielle Eingangsbestätigung ihres Asylantrags erhalten hatten. Die Aufnahmeformalitäten konnten bis zu einem Monat dauern. Auch 2009 kam es zu Abschiebungen ohne Berücksichtigung der individuellen Situation und Schutzbedürftigkeit.

Rechtliche Entwicklungen
Mit einem neuen, im Rahmen des sogenannten Sicherheitspakets verabschiedeten Gesetz wurde der Straftatbestand der "illegalen Einwanderung" geschaffen. Das Strafverfahren gegen einen illegal eingereisten Asylsuchenden wird bei der Asylantragstellung lediglich ausgesetzt. Eine Einstellung des Verfahrens erfolgt nur, wenn dem Asylantrag stattgegeben wurde.

Die neuen Bestimmungen gaben Anlass zu der Befürchtung, dass Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus künftig keine Bildungsangebote und Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen oder sich als Opfer von Straftaten an die Behörden wenden würden, aus Angst der Polizei gemeldet zu werden. Dies galt umso mehr, als die Bestimmungen des Strafgesetzes alle staatlichen Angestellten (wie z. B. Lehrer und Mitarbeiter lokaler Behörden, einschließlich der Meldebehörden) dazu verpflichteten, jede Straftat der Polizei oder der Justiz zu melden.

Internationale Verpflichtungen in Bezug auf Flüchtlinge und Migranten
Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen Italiens und Maltas, wer zu Rettungsaktionen auf See verpflichtet sei, führten dazu, dass sich Migranten oft tagelang ohne Wasser und Nahrung in Seenot befanden und in Lebensgefahr schwebten.

Die italienischen Behörden fällten die beispiellose Entscheidung, aus Seenot gerettete Migranten und Asylsuchende ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe und eines eventuellen Anspruchs auf internationalen Schutz in die libysche Hauptstadt Tripolis zu bringen. Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet. Auch gibt es in dem Land kein funktionierendes Asylverfahren, so dass es kaum möglich ist, internationalen Schutz zu erhalten. Nach Angaben der italienischen Regierung wurden 2009 in den Monaten Mai bis September 834 auf See aufgegriffene bzw. aus Seenot gerettete Flüchtlinge nach Libyen gebracht, wo sie von schweren Menschenrechtsverletzungen bedroht waren. Dies stellte einen klaren Verstoß gegen den Grundsatz des Non-Refoulement (Abschiebungsverbot) dar.

  • Am 6. Mai 2009 setzten drei Boote mit etwa 227 Menschen an Bord in etwa 50 Seemeilen Entfernung von der Insel Lampedusa SOS-Rufe ab. Die Rettungsoperationen verzögerten sich, weil sich Malta und Italien nicht einigen konnten, welches Land für die Boote zuständig war. Schließlich wurden die Flüchtlinge von zwei Schiffen der italienischen Küstenwache gerettet, die sie jedoch direkt ins libysche Tripolis brachten, ohne vorher einen italienischen Hafen anzusteuern, um den Flüchtlingsstatus und einen Anspruch auf internationalen Schutz zu klären.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Die Kooperation der italienischen Behörden bei der Untersuchung der Menschenrechtsverstöße, die im Rahmen des US-amerikanischen Programms außerordentlicher Gefangenenüberstellungen begangen wurden, war unzureichend. Unter dem Vorwand der Sicherheit des Landes setzte Italien seine Politik fort, Angehörige von Drittstaaten in Länder abzuschieben, in denen sie von Folter bedroht waren. Italien nahm 2009 zwei Guantánamo-Häftlinge auf.

Außerordentliche Überstellungen

  • Am 4. November 2009 wurden in Mailand 22 CIA-Agenten und ein Offizier der US-Armee in Abwesenheit zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits 2005 und 2006 Haftbefehle gegen die beschuldigten US-Bürger ausgestellt, doch mehrere aufeinanderfolgende Justizminister Italiens hatten sich geweigert, einen Auslieferungsantrag an die US-Regierung zu richten.

Die Angeklagten wurden wegen ihrer Beteiligung an der Entführung von Usama Mostafa Hassan Nasr (besser bekannt unter dem Namen Abu Omar) im Februar 2003 verurteilt. Dieser wurde in Mailand gekidnappt und mit einem Flugzeug via Deutschland nach Ägypten gebracht, wo er 14 Monate lang in geheimer Haft gefangen gehalten und nach eigenen Aussagen gefoltert wurde. Drei weitere US-Bürger, darunter der damalige CIA-Chef in Italien, genossen diplomatische Immunität, und die Verfahren gegen sie wurden eingestellt. Auch zwei Mitarbeiter des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI wurden schuldig gesprochen und zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Anklagen gegen den ehemaligen SISMI-Chef, seinen Stellvertreter und drei weitere italienische Staatsbürger wurden unter dem Verweis auf "Staatsgeheimnisse" fallen gelassen.

Das Mailänder Gericht sprach Abu Omar und seiner Frau Nabila Ghali wegen der Misshandlungen und dem erlittenen Unrecht eine Entschädigung von einer Million bzw. 500000 Euro zu.

Abschiebungen
Ungeachtet mehrerer einschlägiger Urteile internationaler Gerichte nahmen die italienischen Behörden gemäß dem 2005 eingeführten Pisanu-Gesetz (Gesetz Nr. 155/05), das die Ausweisung Terrorverdächtiger vorsieht, auch 2009 Abschiebungen nach Tunesien vor, obwohl Gefangene dort nachweislich von Folter und Misshandlung bedroht waren.

  • Am 24. Februar erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Entscheidung der italienischen Behörden vom Vorjahr, Sami Ben Khemais Essid nach Tunesien abzuschieben (siehe Länderbericht Tunesien), für rechtswidrig. Nach Ansicht des Gerichtshofs verstieß Italien damit gegen den Grundsatz des Non-Refoulement.
  • Am 2. August schoben die italienischen Behörden Ali Ben Sassi Toumi nach Tunesien ab, obwohl der EGMR in drei Entscheidungen darauf gedrängt hatte, die Zwangsrückführung auszusetzen. Ali Ben Sassi Toumi wurde nach seiner Rückkehr in Tunesien festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Seine Familie wurde erst kurz vor seiner Freilassung gegen Kaution am 10. August über seinen Verbleib in Kenntnis gesetzt. Ende 2009 wartete er noch immer auf die Eröffnung eines Verfahrens wegen terroristischer Straftaten.

Guantánamo Bay
Am 30. November 2009 wurden die beiden Tunesier Adel Ben Mabrouk und Riadh Nasseri, die ohne Anklageerhebung im US-Gefangenenlager Guantánamo Bay festgehalten worden waren, nach Italien überstellt. Gegen die beiden Männer, die nach ihrer Ankunft festgenommen wurden, sind Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden, offenbar wegen des Verdachts terroristischer Straftaten. Am Jahresende befanden sie sich noch immer in einem Mailänder Gefängnis unter höchsten Sicherheitsbedingungen.

Todesfälle im Gewahrsam, Folter und andere Misshandlungen

Es gab zahlreiche Vorwürfe über die Folterung und Misshandlung von Häftlingen durch Bedienstete der Strafverfolgungsbehörden sowie Berichte über umstrittene Todesfälle im Gewahrsam. Italien versäumte es weiterhin, ein unabhängiges Organ zur Bearbeitung von Beschwerden gegen die Polizei einzurichten. Folter wurde gesetzlich nach wie vor nicht als Straftatbestand erfasst.

  • Die Untersuchung des Falls von Emmanuel Bonsu dauerte an. Der 22-jährige Ghanaer war im September 2008 in Parma von Beamten der Stadtpolizei festgenommen worden. Berichten zufolge wurde er so heftig geschlagen und körperlich attackiert, dass er anhaltende psychische Schäden davontrug. Im Juni wurden zehn Polizeibeamte wegen Körperverletzung, tätlicher Bedrohung, Entführung, Beleidigung und falscher Zeugenaussage sowie weiterer, geringerer Delikte unter Anklage gestellt. Das Verfahren war am Jahresende noch nicht abgeschlossen.
  • Am 6. Juli 2009 wurden im Fall des 18-jährigen Federico Aldrovandi, der im September 2005 in Ferrara bei einer Polizeikontrolle ums Leben gekommen war, vier Polizeibeamte wegen Totschlags zu Haftstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren verurteilt. Keiner der Polizisten war für die Dauer der Ermittlungen und des Prozesses vom Dienst freigestellt worden. Alle legten am Ende des Jahres Rechtsmittel gegen ihre Verurteilung ein.
  • Am 22. Oktober 2009 starb der 31-jährige Stefano Cucchi sieben Tage nach seiner Verhaftung in der Häftlingsabteilung des römischen Krankenhauses Sandro Pertini. Seine Familie hielt die Verletzungen, die an seiner Leiche zu sehen waren, für Spuren von Misshandlungen. Der mit der Untersuchung zum Tod von Stefano Cucchi befasste Staatsanwalt erhob gegen drei Strafvollzugsbeamte und drei Ärzte Anklage wegen Totschlags.

Gerichtsverfahren wegen G8-Gipfel

Es waren mehrere Rechtsmittelverfahren anhängig, die sich auf Urteile aus dem Jahr 2008 bezogen. Dabei handelte es sich um Urteile gegen Polizeikräfte wegen der Misshandlung von Demonstranten in der Armando-Diaz-Schule und in der Polizeikaserne Bolzaneto während des G8-Gipfels 2001.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International besuchten Italien im März, im Juli und im Oktober.

Italy: Forcible return/fear of torture or other ill-treatment (EUR 30/001/2009)

Italy/Malta: Obligation to safeguard lives and safety of migrants and asylum-seekers (EUR 30/007/2009)

Italy: Homophobic attacks on the rise in Italy (EUR 30/010/2009)

Italy: The Abu Omar case (EUR 30/012/2009)

Italy: Roma community forcibly evicted (EUR 30/013/2009)

© Amnesty International

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