Anfragebeantwortung zum Libanon: Informationen über das von der UNRWA verwaltete palästinensische Flüchtlingslager Rachidieh (Rashidieh, Rashidiya): Lage um das Jahr 1999 und aktuelle Lage [a-8697]

8. Mai 2014
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.
Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.
 
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche nur wenige Informationen zum Lager Rashidieh gefunden werden. Im Folgenden werden daher auch allgemeine Informationen über die Lage in den von der UNRWA verwalteten palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon sowie Informationen über die Lage von palästinensischen Flüchtlingen im Libanon angeführt.
 
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UNRWA) veröffentlicht auf seiner Website ein Profil des Lagers Rashidieh. Das Lager bestehe aus einem „alten“ Teil aus dem Jahr 1936 und einem „neuen“, im Jahr 1963 errichteten Teil. Das Lager liege an der Küste fünf Kilometer von der südlibanesischen Stadt Tyros (Tyre) entfernt. Das Lager sei vom libanesischen Bürgerkrieg, besonders zwischen 1982 und 1987, schwer betroffen gewesen. Fast 600 Behausungen seien damals ganz oder teilweise zerstört worden und 5.000 Flüchtlinge seien vertrieben worden. Die verbleibenden Behausungen seien sanierungsbedürftig:
„Rashidieh camp is divided into ‚old‘ and ‚new‘ sections. The older part was built by the French government in 1936 to accommodate Armenian refugees who fled to Lebanon. The ‚new camp’ was built by UNRWA in 1963 to accommodate Palestine refugees who were evacuated from Gouraud camp in the Baalbek area of Lebanon. Most of the inhabitants of Rashidieh camp originally come from Deir al-Qassi, Alma an-Naher and other villages in northern Palestine. The camp lies on the coast, 5km from Tyre. Rashidieh was heavily affected during the Lebanese civil war, especially between 1982 and 1987. Nearly 600 shelters were totally or partially destroyed and more than 5,000 refugees were displaced. Remaining shelters need serious rehabilitation.” (UNRWA, ohne Datum)
Lage um das Jahr 1999
In einer im März 2002 veröffentlichten Lageanalyse vom Dezember 2001 schreibt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH):
„Demographischer und politischer Zündstoff sind die sunnitischen PalästinenserInnen, welche zehn Prozent der libanesischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Im Vergleich zu den anderen Gastländern, wo die PalästinenserInnen breite bürgerliche und soziale Rechte geniessen, leben sie im Libanon in schwierigen Verhältnissen. Hier sind sie wenig geliebte Gäste und die Regierung erwartet, dass sie bei einer Regelung des Nahostkonflikts den Libanon verlassen werden. Von ursprünglich 16 Lagern wurden vier im Bürgerkrieg zerstört und deren Wiederaufbau von der libanesischen Regierung anschliessend verhindert. Renovationen und Erweiterungen der bestehenden Lager werden sehr restriktiv gehandhabt, obwohl die Flüchtlingsbevölkerung seit 1948 stark gewachsen ist. Die Lager in den Agglomerationen Beiruts und in den südlichen Städten sind stark überfüllt. Da die Flüchtlinge nicht verpflichtet sind, in bestimmten Lagern zu wohnen, können sie in andere Lager umziehen oder sich ausserhalb niederlassen. Obwohl es an finanziellen Mitteln für die Wohnungsmiete oder die Errichtung von eigenen Häusern fehlt, leben heute die Hälfte der von der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) offiziell registrierten 376'000 Flüchtlinge ausserhalb der Lager. Für die PalästinenserInnen ist der Immobilienerwerb und -besitz mit grossen bürokratischen Hindernissen verbunden. Dies zwingt die Ärmsten unter den Flüchtlingen, in den Lagern zu verbleiben.“ (SFH, März 2002, S. 15)
Der Rat der Europäischen Union veröffentlichte im März 2002 einen im Dezember 2001 verfassten Bericht der niederländischen Delegation an die EU-Arbeitsgruppe CIREA (Centre for Information, Reflection and Exchange on Asylum), der die Lage der Palästinenser im Libanon behandelt. In dem Bericht wird erwähnt, dass der Auftrag der UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) darin bestehe, Hilfsprojekte in Zusammenarbeit mit den Gastländern von Palästina-Flüchtlingen durchzuführen. Im Libanon stelle die UNRWA durch ihr eigenes Netzwerk von Ärzten und Spitälern und libanesischen Privatkliniken Dienstleistungen zur Gesundheitsversorgung zur Verfügung. Die Behandlung sei für die in den Lagern lebenden registrierten Flüchtlinge kostenlos. Besonders komplizierte medizinische Behandlungen könnten außerhalb des UNRWA-Systems mit finanzieller Unterstützung der UNRWA durchgeführt werden. UNRWA würde auch eigene Bildungseinrichtungen, soziale Unterstützung und Nothilfe zur Verfügung stellen. Alle registrierten Palästinenser könnten die Dienstleistungen von UNRWA in Anspruch nehmen:
„UNRWA was mandated to carry out relief and works projects, in collaboration with the host countries, for Palestinian refugees from the 1948/1949 war. UNRWA concluded bilateral agreements with various host countries (Lebanon, Jordan, Syria and Egypt); the agreement with Lebanon was concluded by the exchange of diplomatic notes on 26 November 1954. UNRWA has always played a crucial part in the position of Palestinians in Lebanon. UNRWA provides healthcare through a network of its own doctors and hospitals and Lebanese private clinics. Treatment is free for UNRWA-registered refugees living in the camps. If particularly complicated medical interventions are needed they are performed outside the UNRWA system (in local private hospitals) with a financial contribution from UNRWA. UNRWA also provides its own education service for Palestinians registered with the organisation, as well as social assistance and emergency aid. The regular budget for Lebanon was USD 43.5 million for 2000. Additional contributions are regularly received from donor countries. All Palestinians registered with UNRWA can avail themselves of the facilities under UNRWA auspices. UNRWA-registered refugees’ children who were born outside the UNRWA mandate region can also benefit from UNRWA assistance in Lebanon. In practice, around half of the Palestinians living in Lebanon regularly make use of the aid facilities.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 22)
Das UNRWA-Mandat umfasse nicht den Schutz von Palästinensern, die Verfolgung fürchten, so der Bericht der niederländischen Delegation an CIREA weiter. Auch würde die Organisation Palästinenser nicht rechtlich vertreten. Auch das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), das Flüchtlinge rechtlich vertreten könne, vertrete keine Palästinenser im Libanon. Es sei für UNRWA im Libanon auch schwierig, Palästinenser vor potenziellen physischen Angriffen zu schützen. Im Falle von möglichen Konflikten würde UNRWA im Libanon mittels Mediation alles tun, um weiteren Schaden zu verhindern und sei dabei häufig erfolgreich:
„Under its current mandate, UNRWA cannot offer protection to Palestinians who claim fear of persecution. The organisation does not legally represent the Palestinians, while the UNHCR can. UNHCR Lebanon does not represent Palestinians resident in Lebanon under UNRWA auspices or other Palestinians there. It is also difficult for UNRWA in Lebanon to provide security against potential physical threats to Palestinians. In the event of potential conflicts UNRWA Lebanon does everything in its power to prevent further disaster by means of mediation, frequently with success.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 23)
Die SFH schreibt in ihrer Lageanalyse vom Dezember 2001 zur rechtlichen Stellung von palästinensischen Flüchtlingen im Libanon und zur Rolle von UNRWA:
„Die UNRWA bietet den PalästinenserInnen keinen Rechtsschutz, sie fallen explizit auch nicht unter das Schutzmandat des UNHCR. Gemäss Artikel 24 der UNO Flüchtlingskonvention von 1951 sind Flüchtlinge sozial- und arbeitsrechtlich gleichgestellt wie StaatsbürgerInnen, was auch von der Arabischen Liga und im Kairoer Abkommen 1969 zwischen Libanon und PLO bestätigt wurde. In der Praxis werden jedoch die PalästinenserInnen von den libanesischen Behörden wie AusländerInnen behandelt. Sie benötigen eine schwer zu bekommende Arbeitsbewilligung und werden von vielen Berufsgruppen ausgeschlossen. Es bleiben als Arbeitsmöglichkeit vor allem die Landwirtschaft und das Bauwesen, wo keine Bewilligungen notwendig sind, aber wegen dem Überangebot an Arbeitswilligen nur Billiglöhne bezahlt werden. Die UNRWA selbst bleibt die bedeutendste Arbeitgeberin. Die ökonomische Situation der PalästinenserInnen hat sich in den letzten Jahren mit dem Versiegen der Mittel aus der Golfregion, mit der libanesischen Wirtschaftskrise und dem Rückgang der Mittel von PLO, UNRWA sowie der Verlagerung der NGOs nach Gaza und in die Westbank verschärft. Die UNRWA, welche 1950 als spezielle und vorübergehend gedachte UN-Agentur zur Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge gegründet wurde, wird von freiwilligen Beiträgen der Mitgliedstaaten gespeist. Sie leidet an einem chronischen Budgetdefizit. Im Bildungswesen sehen sich PalästinenserInnen und LibanesInnen vor ähnlichen Herausforderungen: gute Schulen sind privat und teuer. Den Palästinensern stehen private Schulen an sich offen, doch besuchen sie meistens die Schulen der UNRWA in den Flüchtlingslagern, die wegen Platzmangel oft in zwei Schichten geführt werden. In den letzten Jahren wurden sechs neue Schulen gebaut. Im Jahre 2000 konnten nur 600 junge Leute Berufsbildungskurse besuchen und bloss 84 Universitätsstipendien wurden gewährt.“ (SFH, März 2002, S. 17)
Laut dem Bericht der niederländischen Delegation an CIREA unterscheide sich die Position von Palästinensern im Libanon stark von jener in den anderen Nachbarstaaten Israels. Der Libanon habe die Ankunft der Palästinenser nie wirklich akzeptiert. Diese hätten daher wenige Rechte, wenn überhaupt. Die Integration in die Gesellschaft werde prinzipiell zu verhindern versucht:
„The position of Palestinians in Lebanon is very different from that in Israel’s other neighbouring countries. Lebanon has never really accepted the arrival of the Palestinians. Unlike those in Jordan and Syria, who are treated more or less like regular residents, Palestinians in Lebanon – apart from some naturalised Palestinians – have few rights, if any. Integration of Palestinians into Lebanese society is discouraged on principle. The preamble to the Lebanese Constitution itself explicitly states that: ‘There shall be no (…) settlement of non-Lebanese in Lebanon.’ This principle is not disputed by a single Lebanese party. In this way the Lebanese authorities outwardly show their solidarity with the Palestinians’ struggle for their own state. However, internal political motives are much more important.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 23)
Weiter heißt es in dem Bericht, dass rund 200.000 Palästinenser in den zwölf Flüchtlingslagern im Libanon registriert seien, in denen UNRWA präsent sei. Der Hauptgrund für die große Anzahl an Lagerbewohnern sei die Armut. Die meisten Palästinenser im Libanon könnten es sich nicht leisten, außerhalb eines Lagers zu leben. Die meisten würden daher in einem der zwölf offiziellen UNRWA-Flüchtlingslager leben, die Slums gleichen würden. Die Anzahl der Zufahrtsstraßen zu den Lagern sei oft beschränkt, außerdem seien Militärposten oftmals in der Nähe der Lager stationiert. Die Lager seien überbevölkert. Die libanesischen Behörden würden sich davor hüten, den Lagern zusätzliche Gebiete zuzuschlagen oder Lager wieder zu errichten, die während des Bürgerkrieges zerstört worden seien:
„Some 200 000 ‘Lebanese’ Palestinians are registered in the twelve refugee camps in Lebanon in which UNRWA is present. This is a sizeable population compared with other countries in the region in which Palestinians live. The main reasons for the large number of camp inhabitants is poverty: most Palestinians in Lebanon simply cannot afford to live outside a refugee camp. Most Palestinians in Lebanon live in one of the country’s twelve official UNRWA refugee camps, which resemble slums. The number of access roads to the camps is often limited. Military posts are often located in the vicinity of the camps.
Palestinian camps in Lebanon are overpopulated. The Lebanese authorities are wary of allocating more territory to the camps or rebuilding camps destroyed during the civil war. Palestinians who can afford it therefore live outside the camps, but face huge problems. Since the reconstruction of Lebanon many Palestinians have had to leave their homes to make way for housing projects, with only a few receiving a small amount of compensation. Most are not allocated a new home.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 29-30)
Die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Lage der palästinensischen Gemeinschaft im Libanon habe sich seit dem Bürgerkrieg verschlechtert, so der Bericht der niederländischen Delegation an CIREA weiter. So hätten sich Beiträge der PLO verringert, und auch das Budget der UNRWA sei für den Libanon reduziert worden:
„The general economic and financial situation of the Palestinian community in Lebanon has deteriorated since the civil war. After the departure of the PLO leadership from Lebanon in 1982, contributions to the Palestinian community in Lebanon out of PLO coffers were reduced. This was compounded by the fact that the oil states on the Arabian peninsula substantially cut back their financial aid to the Palestinians after 1991 in view of the PLO's pro-Iraqi stance. Moreover, in recent years the PLO has mainly used its budget to develop the areas under the control of the Palestinian authorities in Gaza and the West Bank. Since 1993 the PLO has also drastically cut its expenditure on Palestinians in Lebanon. International organisations have also transferred a large part of their financial support for Palestinians to the autonomous Palestinian territories in recent years. Finally, cuts in the UNRWA budget have also played a role; UNRWA assistance to the Gaza Strip and the West Bank has been at the expense of operations in Lebanon.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 31)
Laut dem Bericht an CIREA müssten sich die meisten Palästinenser im Libanon auf die medizinischen Versorgungsleistungen der UNRWA verlassen. Die Leistungen seien kostenlos, aber es gebe einen Mangel an Medikamenten und medizinischen Einrichtungen:
„Most Palestinians in Lebanon do not have sufficient resources to make use of the Lebanese health care system. They have to rely on facilities provided by UNRWA. UNRWA provides medical care for refugees registered with the UN body who actually live in the UNRWA camps. Medical care within the official camps is free for those Palestinian refugees. There is, however, a shortage of medicines and medical facilities. UNRWA has 18 medical centres which are mainly located in the camps. When particularly complex medical interventions are required, they are performed outside the UNRWA structure (in local private hospitals) with a financial contribution from UNRWA up to a maximum of USD 2 500 and which can be used for 2/3 of the total cost of treatment. The chronically ill suffering, for instance, from leukaemia, kidney disorders or epilepsy can often not receive adequate treatment.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 34)
In einem Bericht der norwegischen Forschungsstiftung Fafo zu den Lebensbedingungen palästinensischer Flüchtlinge im Libanon aus dem Jahr 2003 wird erwähnt, dass viele Gesundheitsdienstleistungen für Flüchtlinge im Süden des Libanon leichter zugänglich seien als in den anderen beiden Regionen, da im Süden ein Großteil der Palästinenser in den großen Lagern Ein el Hilweh (bei Saida) und Rashidieh (bei Tyros) lebe. Diese Lager hätten eine bessere Abdeckung von UNRWA-Gesundheitsdiensten als viele andere Lager oder Wohngegenden von palästinensischen Flüchtlingen außerhalb von Lagern:
„As already stated, many health services are more easily available to the southerners compared to their brothers and sisters in the other 2 regions. This at least partly results from the fact that a considerable proportion of the population here reside in the large Ein El Hilweh and Rashidieh camps (of Saida and Tyre respectively), which have a better coverage of (UNRWA) health services than many other Palestinian refugee camps and non-camp neighbourhoods.” (Fafo, 2003, S. 87)
Laut dem Bericht der niederländischen Delegation an CIREA sei der libanesische Einfluss in den meisten Lagern sehr schwach. Obwohl sich die Lager unter libanesischer Jurisdiktion befänden, sei die Polizei in einigen Lagern praktisch nicht in der Lage, Gesetze durchzusetzen. Die libanesischen Behörden würden nicht in Konflikte zwischen Palästinensern in den Lagern eingreifen. Die libanesischen Behörden seien darauf bedacht, Recht und Ordnung in unmittelbarer Nachbarschaft mancher Lager aufrecht zu erhalten, es gebe libanesische Kontrollpunkte in der Nähe der Eingänge einiger Lager. Es seien einige Fälle bekannt, bei denen Palästinenser von der Lagerleitung an die libanesischen Behörden übergeben worden seien. Nach dem Todesurteil gegen den Fatah-Kommandanten Sultan Abu El-Einein hätten die libanesischen Behörden im November 1999 den Druck auf die PLO bzw. die Fatah erhöht. Als Folge seien vor allem die Palästinenserlager im Süden des Libanon mit Schwierigkeiten konfrontiert worden. So seien die Kontrollen bei Eintritt und Verlassen der Lager deutlich verschärft worden und die Armee und die Sicherheitskräfte hätten Anstrengungen unternommen, Mitglieder der PLO bzw. der Fatah festzunehmen, die bereits wegen Verbrechen verurteilt worden seien. Auch seien die Kontrollen gegen Schmuggel von Waffen und Baumaterial in die Lager verstärkt worden. Die meisten Lager würden über palästinensische Komitees verfügen, die die politische und administrative Führung der Lager bilden würden, es gebe auch eigene Rechtssysteme und Gefängnisse:
„Lebanese influence in most camps is very weak. Although Palestinian camps are under Lebanese jurisdiction, in various camps the Lebanese police are in practice unable to enforce the law. Despite arrangements in the Taif agreement, Lebanese troops have not been able to disarm Palestinian militia inside the camps. Palestinians can therefore almost entirely elude the control of the Lebanese authorities inside the camps. The Lebanese authorities do not intervene in conflicts and problems between Palestinians in the camps either.
The Lebanese authorities are very keen to maintain law and order in the immediate vicinity of some camps. For instance, the Lebanese military presence near the Ein El-Hilweh camp, which is known as unsafe, is relatively heavy. There are Lebanese checkpoints near the entrances of a number of camps. In some cases (criminal offences etc.) Palestinians have been known to be handed over to the Lebanese authorities by the camp authorities.
Following the death sentence against Sultan Abu El-Einein, the Lebanese authorities stepped up pressure on the PLO/Al-Fatah in November 1999. Palestinian camps in the south in particular have faced difficulties as a result: Lebanese checks at the entrances and exits were tightened considerably. From November 1999 army and security services directed their efforts to arresting members of PLO/Al-Fatah who had previous convictions for violent crimes. Control of the smuggling of weapons and building materials, inter alia, was also tightened considerably. At times there have been queues of over an hour at the entrances.
Most camps have a Palestinian camp committee which forms the political administration and leadership of the camp. They also have their own legal system and prisons. A person can be a member of one of the other factions without any problem as long as the authority of the camp leadership is not undermined. A council of camp elders also operates in a number of camps alongside the committees.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 46)
Lagerbewohner, die Probleme mit einer palästinensischen Fraktion oder Partei hätten, könnten sich je nach Umständen um Schutz durch die eigene Fraktion oder Partei bemühen. In vielen Fällen könnten sie sich nicht an die libanesischen Behörden wenden. Es gebe palästinensische Kontrollpunkte an den Eingängen mancher Lager und in einigen Lagern operiere eine Art palästinensischer Polizei. Manche Bewohner würden in den Lagern offen Waffen tragen. Die Justizverwaltung in den Lagern obliege fast zur Gänze den Palästinensern. In manchen Fällen würden Streitigkeiten mithilfe traditioneller Regeln beigelegt oder Menschen würden das Recht in die eigene Hand nehmen. Privatangelegenheiten, bei denen die Familienehre eine Rolle spielt, würden oft Opfer fordern. Eine Reihe von Faktoren würde zur Verstärkung politischer und sozialer Spannungen in den Lagern beitragen, darunter das Gefühl, dass die Lage der Palästinenser im Libanon hoffnungslos sei oder die interne politische Spaltung und die abnehmende Unterstützung der UNRWA und anderer Organisationen. Es gebe Fälle von Protest und Gewalt. Obwohl die interne Sicherheitslage je nach Lager unterschiedlich sei, könne sie im Allgemeinen als schlecht bezeichnet werden.
Kämpfe zwischen Anhängern unterschiedlicher religiöser und politischer Gruppen seien eine häufige Erscheinung im Lager Ein El-Hilweh, das als das größte Palästinenserlager als so etwas wie die „palästinensische Hauptstadt“ des Libanon gelte und deshalb große symbolische Bedeutung habe. Das benachbarte Lager Mieh Mieh sei ein Spiegelbild von Ein El-Hilweh. Die Situation im Lager Rashidieh sei im Allgemeinen ruhiger. Mit der möglichen Ausnahme der Lager Nahr el-Bared und Beddawi gebe es in den meisten Lagern großes Konfliktpotenzial und ein Risiko der Eskalation:
„Camp inhabitants who have problems with Palestinian factions or parties can – depending on the circumstances – call for protection by the party or faction to which they belong or to which they are affiliated. In many cases they cannot turn to the Lebanese authorities with any results if they experience problems inside the camps. There are Palestinian checkpoints at the entrances to some camps. A sort of Palestinian police operates in a few camps. Some inhabitants carry their weapons openly inside the camp. This is the case in Ein El-Hilweh camp, for instance. The administration of justice within the Palestinian camps is an almost entirely Palestinian affair. There are cases in which disputes are settled according to traditional customs or people take the law into their own hands. Private matters in which family honour is at stake often claim victims. A number of factors conspire to reinforce political and social tensions in the camps. Firstly, the fact that many Palestinians see no progress in the peace process with Israel. Secondly, the feeling that the position of Palestinian refugees in Lebanon is hopeless is also of importance. Moreover, the extensive internal political divisions and dwindling support from UNRWA and other organisations serve to heighten the tensions. There are also cases of protests and violence. Although the internal security situation varies from camp to camp, it can generally be termed poor. Fighting between followers of various religious and political groups is a regular occurrence in Ein El-Hilweh camp which, as the largest Palestinian camp, is regarded as something of a ‚Palestinian capital’ of Lebanon, and is thus accorded great symbolic significance. The nearby smaller camp of Mieh Mieh is a mirror image of Ein El-Hilweh. The presence of Arafat supporters and opponents is one of the reasons why tension runs higher in these camps than in others. The situation in Rashidieh camp is generally calmer. With the possible exceptions of Nahr el-Bared and Beddawi, there is a great ‚conflict potential’ and a risk of escalation in most camps.” (Rat der Europäischen Union, 22. März 2002, S. 47)
Die SFH schreibt in ihrer Lageanalyse vom Dezember 2001 Folgendes zu den politischen Fraktionen in den Lagern:
„Die verschiedenen Flüchtlingslager werden durch unterschiedliche politische Fraktionen kontrolliert. Die Fatah, welche von Yasser Arafat geführt wird, ist die wichtigste Gruppe innerhalb der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Obwohl die Fatah das grösste Flüchtlingslager Ein-el-Hilweh kontrolliert, gibt es in Ein-el-Hilweh verschiedene Gruppen, die in Opposition zur Fatah stehen. Die Fatah Arafats spielt auch in den südlichen Lagern rund um Tyre eine politisch wichtige Rolle. In den nördlichen Lagern jedoch wird diese nicht unterstützt.“ (SFH, März 2002, S. 16)
BBC berichtet im Juli 2002 davon, dass die zwölf Flüchtlingslager im Libanon seit Jahrzehnten tabu für die libanesischen Truppen seien. Es gebe immer Ängste, dass sich die gewalttätigen Auseinandersetzungen aus dem Jahr 1975 wiederholen könnten:
„The 12 refugee camps scattered all over the country have been off-bounds to Lebanese troops for decades. There are always fears of a repeat of the violent clashes that opposed the Lebanese army to Palestinian factions at the onset of the Lebanese civil war in 1975. The camp of Ain al-Helweh in particular is known for its lawlessness.” (BBC, 12. Juli 2002)
Die International Crisis Group (ICG), eine unabhängige, nicht profitorientierte Nicht-Regierungsorganisation, schreibt im Februar 2009, dass der Staat in den Lagern praktisch nicht präsent sei und wenig getan habe, um die Grundbedürfnisse zu erfüllen. UNRWA und einige lokale und internationale humanitäre Organisationen hätten versucht, die Lücke zu füllen, aber der Lebensstandard der Flüchtlinge werde sowohl von der UNRWA als auch von der Regierung als katastrophal eingeschätzt. UNRWA achte auf Grund- und Sekundarschulbildung, aber die Schulen würden unter einem veralteten Bildungssystem, dem Mangel an humanen und finanziellen Ressourcen, sowie unter der zerfallenden Infrastruktur und Ausrüstung und unter überfüllte Klassen leiden. Anders als libanesische Bürger hätten Palästinenser keinen Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung oder zu Sozialleistungen. UNRWA und verschiedene NGOs hätten Verantwortung im Bereich der Gesundheitsversorgung übernommen, aber auch hier würden minderwertige Infrastruktur und Ausrüstung die Qualität negativ beeinflussen:
„Invoking the refugees’ merely temporary presence, the state is virtually absent from the camps and has done little to meet basic needs. UNRWA and a range of local and international humanitarian organisations have sought to fill the void, but the refugees’ living standard is deemed catastrophic by both the UN agency and the government. UNRWA attends to primary and secondary education, yet schools are plagued by an archaic educational system, lack of human and financial resources, as well as decaying infrastructure and equipment and overcrowded classrooms. High dropout rates, inadequate schooling and insufficient skills (combined with significant labour market restrictions, described below) hamper the refugees’ ability to find adequate employment, pushing many to take menial jobs.
Unlike Lebanese citizens, Palestinians do not enjoy free medical care or social security benefits, regardless of whether they are employed. UNRWA and various NGOs have assumed healthcare responsibility, but here too substandard infrastructure and equipment badly impair quality.” (ICG, 19 Februar 2009, S. 16)
Aktuelle Lage
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UNRWA) schreibt zum Profil des Lagers Rashidieh, dass die Arbeitsmöglichkeiten sehr begrenzt seien. Die meisten Bewohner würden saisonal in Landwirtschaft und Baugewerbe arbeiten. Fast alle Behausungen im Lager seien belüftet und würden über Wasser und Strom verfügen. Obwohl alle über Toiletten verfügen würden, habe das Lager kein Abwassersystem. UNRWA warte auf den Bau einer Hauptabwasserleitung, um ein Abwassersystem zu errichten und es mit der Leitung zu verbinden. Das Abflussentwässerungs- und das Wasserversorgungssystem seien vor kurzem saniert worden. Im Lager seien über 31.000 Flüchtlinge registriert, es gebe vier Schulen, darunter eine Sekundarschule, und ein Gesundheitszentrum. Die im Lager durchgeführten Programme seien Programme in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziales Sicherheitsnetz sowie Frauenprogramme. Die Hauptprobleme im Lager seien der Sanierungsbedarf zahlreicher Behausungen, die begrenzten Erwerbsmöglichkeiten und das fehlende Abwassersystem:
„Employment opportunities are very limited. Most residents work seasonally in agriculture and construction. Almost all shelters in the camp are ventilated, and are supplied with water and electricity. Although they all have private toilets, the camp has no sewerage system. UNRWA is awaiting the construction of the main municipal sewer line in order to construct a sewerage system and connect to it. The storm water drainage and water supply system was recently rehabilitated. […]
More than 31,478 registered refugees, Four schools, including one secondary school, One health centre […]
Programmes in the camp: Health, Education, Social safety-net, Women’s programmes
Major problems: Many shelters need serious rehabilitation, Limited employment opportunities, No sewerage system” (UNRWA, ohne Datum)
Auf der Webseite der UNRWA findet sich auch ein Beitrag der Organisation zu ihrer Arbeit im Libanon mit Zahlen vom 1. Juli 2013. Darin wird erwähnt, dass rund 450.000 Flüchtlinge bei UNRWA registriert seien, viele davon würden in den zwölf Flüchtlingslagern leben. Palästinensische Flüchtlinge würden geschätzt zehn Prozent der Gesamtbevölkerung des Libanon ausmachen. Einige wichtige Rechte seien ihnen verwehrt, so könnten sie in mehr als 20 Berufen nicht arbeiten. Da sie formal staatenlos seien, könnten sie auch nicht dieselben Rechte wie andere im Land lebende Ausländer beanspruchen. Unter den fünf UNRWA-Einsatzgebieten habe der Libanon den höchsten Anteil an Flüchtlingen, die in absoluter Armut lebten. Alle zwölf Lager würden unter ernsten Problemen leiden, darunter Armut, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnbedingungen und Mangel an Infrastruktur:
„Some 450,000 refugees are registered with UNRWA in Lebanon, with many living in the country’s 12 refugee camps. Palestine refugees represent an estimated ten per cent of the population of Lebanon. They do not enjoy several important rights; for example, they cannot work in as many as 20 professions. Because they are not formally citizens of another state, Palestine refugees are unable to claim the same rights as other foreigners living and working in Lebanon. Among the five UNRWA fields, Lebanon has the highest percentage of Palestine refugees living in abject poverty.
Around 53 per cent of the Palestine refugees in Lebanon live in the 12 recognized Palestine refugee camps, all of which suffer from serious problems, including poverty, overcrowding, unemployment, poor housing conditions and lack of infrastructure. Three other camps were destroyed during the course of the Lebanese Civil War, while a fourth was evacuated many years ago.
The ongoing conflict in Syria has forced many Palestine refugees from that country, including men, women and children, to flee to Lebanon in search of safety. UNRWA is working to adjust to their numbers and their needs - including for education, health care, shelter and relief.” (UNRWA, 1. Juli 2013)
Human Rights Watch (HRW) schreibt in seinem Jahresbericht vom Jänner 2014, dass seit Beginn des Konflikts in Syrien über 60.000 Palästinenser aus Syrien in den Libanon gekommen seien. Sie kämen zu den geschätzt 300.000 palästinensischen Flüchtlingen dazu, die im Libanon bereits unter schrecklichen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen lebten. Im Jahr 2013 habe es keine greifbare Verbesserung des Zugangs von Palästinensern zum Arbeitsmarkt gegeben trotz der Novellierung des Arbeitsgesetzes im Jahr 2010, die den Zugang erleichtern hätte sollen:
“Over 60,000 Palestinians from Syria have entered Lebanon since the conflict began, joining the estimated 300,000 Palestinian refugees already living in Lebanon in appalling social and economic conditions. The year 2013 saw no tangible improvement in Palestinian access to the labor market despite a 2010 labor law amendment that was supposed to ease such access. In 2013, a decision by the minister of labor exempted Palestinians from insurance and medical examination requirements typically required to get a work permit but its impact was limited as Lebanese laws and decrees still bar Palestinians from working in at least 25 professions requiring syndicate membership, including law, medicine, engineering, and from registering property.” (HRW, 21. Jänner 2014)
Das US Department of State (USDOS) schreibt in seinem Menschenrechtsbericht vom Februar 2014, dass palästinensische Gruppen in Flüchtlingslagern ein autonomes und willkürliches Justizsystem außerhalb staatlicher Kontrolle betreiben würden. So würden örtliche Volkskomitees in den Lagern versuchen, Konflikte mit tribalen Streitschlichtungsmethoden zu lösen. In Fällen mit Tötungen würden die Komitees gelegentlich einen Beschuldigten den staatlichen Behörden für ein Gerichtsverfahren übergeben:
„Palestinian groups in refugee camps operated an autonomous and arbitrary system of justice outside the control of the state. For example, local popular committees in the camps attempted to resolve disputes using tribal methods of reconciliation. If the case involved a killing, the committees occasionally transferred the accused to state authorities for trial.” (USDOS, 27. Februar 2014, Section 1e)
Die nicht-staatliche Entwicklungsorganisation American Near East Refugee Aid (ANERA) schreibt in einem Bericht zu palästinensischen Flüchtlingen im Libanon vom Juni 2012, dass die Flüchtlingslager überbevölkert seien. Eine stetig anwachsende Bevölkerung werde auf ein begrenztes Gebiet zusammengepfercht. Die meisten Gebäude, die als vorübergehende Behausungen errichtet worden seien, hätten sich über die Jahrzehnte durch den Mangel an Mitteln für eine ordentliche Wartung verschlechtert. Schlechte Wohnbedingungen, undichte Rohre, verschlechterte Wasser- und Abwassersysteme, verunreinigtes Wasser, notdürftige Stromleitungen würden zu einem schlechten Lebensstandard beitragen. Der Geruch offener mit Müll gefüllter Abwassergräben verschmutze die Luft. Es gebe wenige offene Gebiete für Spielplätze und Parks in den Lagern. Die Überbevölkerung führe zu erhöhten Gesundheitsrisiken, es gebe soziale Spannungen unter der Bevölkerung, die sich seit Errichtung der Lager vervierfacht habe. Eine Ausweitung der Lager sei gesetzlich verboten, und es gebe auch Beschränkungen für Renovierungen und für die Einfuhr von Baumaterial:
„The official refugee camps and gatherings are notoriously overcrowded, squeezing an ever increasing population into a finite area. Most of the structures, built as temporary shelters, have deteriorated over the decades from lack of funding for proper maintenance. Poor housing conditions, leaky pipes, deteriorated water and sewage treatment systems, contaminated water, and jerry-rigged electrical connections all contribute to sub-standard living conditions. The smell of open drainage ditches filled with garbage permeates the air. There are very few open areas in the camps for playgrounds and parks, so youth play in the streets, in dark alleyways amid open sewers, drainage ditches and damaged buildings, which only increases the risk of injury and illness. Over-crowding increases health risks – from respiratory infections to mental health disorders – which are exacerbated by social tensions among a population that has quadrupled since the camps were established. Expansion of the camps to accommodate the increased population is prohibited by local laws. There are also restrictions on rehabilitation work, however minor, and on the entry of materials into the camps needed for repairs and renovation.” (ANERA, 20. Juni 2012)
 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 8. Mai 2014)