Amnesty International Report 2010 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Republik Kroatien
Regierungsoberhaupt: Stjepan Mesic
Regierungschef: Jadranka Kosor (löste im Juli Ivo Sanader im Amt ab)
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 4,4 Mio.
Lebenserwartung: 76 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 8/7 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 98,7%

Die strafrechtliche Ahndung von Kriegsverbrechen, die Angehörige der kroatischen Armee und Polizeikräfte während der Kriegsjahre 1991-95 an kroatischen Serben und anderen Minderheiten verübt haben sollen, kam weiterhin nur schleppend voran. Nach wie vor mangelte es an Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia - ICTY) hinsichtlich der Aushändigung von Militärdokumenten zur Operation "Sturm" im Jahr 1995. Übergriffe gegen Journalisten blieben zum Teil ungeklärt. Auch weiterhin kam es zu Diskriminierung von Roma und kroatischen Serben, u. a. beim Zugang zu wirtschaftlichen und sozialen Rechten.

Hintergrund

Die Beitrittsverhandlungen mit der EU, die im Dezember 2008 wegen eines Grenzkonflikts mit Slowenien sowie mangelnder Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof ausgesetzt worden waren, wurden im September 2009 wieder aufgenommen. Aufgrund des negativen Berichts des Chefanklägers des Strafgerichtshofs sprachen sich auch weiterhin einige EU-Mitgliedstaaten gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit Kroatien zu den Kapiteln Judikative und Grundrechte aus.

Internationale Strafverfolgung und Kriegsverbrechen

Nach Berichten des UN-Menschenrechtsausschusses und des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien hat Kroatien dem Gericht immer noch nicht alle ausstehenden Militärdokumente zur 1995 durchgeführten Operation "Sturm" vorgelegt, wegen der sich die drei kroatischen Armeegeneräle Ante Gotovina, Ivan Cermak und Mladen Markac in Den Haag verantworten müssen.
Trotz der Äußerungen von Regierungsvertretern, dass die Behörden bereit und willens seien, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zu kooperieren, blieb die Suche nach den Militärdokumenten ohne Ergebnis.

Das Verfahren gegen Momcilo Perisic, der u. a. wegen des Bombardements auf Zagreb vom Mai 1995 angeklagt war, wurde vor dem Internationalen Strafgerichtshof fortgesetzt.
Der Prozess gegen Jovica Stanisic und Franko Simatovic wurde im Juni 2009 wieder aufgenommen, nachdem er 2008 ausgesetzt worden war. Die beiden Männer waren u. a. wegen rassisch und religiös motivierter Verfolgung, wegen Mordes, Deportation und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der nicht serbischen Bevölkerung in den von Serben kontrollierten Gebieten Kroatiens während des Krieges 1991-95 angeklagt.

Justiz und Kriegsverbrechen

Die Behörden führten auch weiterhin keine Ermittlungen zur Aufklärung von Kriegsverbrechen durch, die während der Kampfhandlungen 1991-95 von Angehörigen der kroatischen Armee und der Polizei gegen kroatische Serben und andere Minderheiten begangen worden waren. Zu den größten Hindernissen gehörte der fehlende politische Wille, diesen Fällen nachzugehen. Die unverhältnismäßig hohe Anzahl von Verfahren gegen kroatische Serben wurde in einem Bericht in der Zeitung Jutarnji List aufgezeigt. In dem Bericht vom September gab der Justizminister an, dass sich 2% der Fälle, die von der kroatischen Justiz aufgegriffen worden waren, gegen ethnische Kroaten richteten, während die restlichen 98% der Verfahren gegen kroatische Serben und andere Minderheiten geführt wurden. Nach Ansicht des Ministers war dieses Ungleichgewicht nachvollziehbar, da die kroatischen Serben mehr Kriegsverbrechen begangen hätten als ethnische Kroaten.

Von der Regierung konzipierte Maßnahmen zur Bekämpfung der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen wurden nicht umgesetzt. 2009 wurde nur ein Prozess vor einer der eigens an vier Bezirksgerichten in Zagreb, Osijek, Rijeka und Split eingerichteten Kammern für Kriegsverbrechen geführt. Die Kammern waren 2003 eingerichtet worden, um Fälle von Kriegsverbrechen außerhalb der Gemeinde zu verhandeln, in der sie stattgefunden hatten. Auf diese Weise sollte möglichem Druck auf Zeugen vorgebeugt und Befangenheit vermieden werden.

  • Im Mai 2009 wurden Branimir Glavas und fünf weitere Angeklagte vom Bezirksgericht Zagreb verurteilt. Branimir Glavas wurde schuldig gesprochen, seine Untergebenen nicht daran gehindert zu haben, Angehörige der Zivilbevölkerung zu inhaftieren, zu misshandeln und zu töten. Außerdem sei er in seiner Eigenschaft als Anführer des lokalen Militärs 1991 direkt an einigen dieser Verbrechen beteiligt gewesen. Branimir Glavas wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Gegen die übrigen fünf Angeklagten ergingen wegen Freiheitsberaubung, Folter und Tötung kroatisch-serbischer Zivilisten im Jahr 1991 in Osijek Freiheitsstrafen zwischen fünf und acht Jahren.

Kurz nach der Urteilsverkündung floh Branimir Glavas, der im Besitz eines bosnischen Reisepasses war, nach Bosnien und Herzegowina. Die kroatischen Behörden konnten keine Auslieferung erwirken, da zwischen den beiden Ländern kein Auslieferungsabkommen bestand.

  • Im November 2009 begann vor dem Obersten Gerichtshof ein Berufungsverfahren gegen das Urteil im Prozess gegen die beiden kroatischen Armeegeneräle Mirko Norac und Rahim Ademi. 2008 hatte das Zagreber Bezirksgericht Rahim Ademi von allen Anklagepunkten freigesprochen, während Mirko Norac in einigen Anklagepunkten für schuldig und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war. Die Anklage gegen die beiden Männer hatte auf Kriegsverbrechen einschließlich Mord gelautet, auf unmenschliche Behandlung sowie Plünderungen und mutwillige Zerstörung von Eigentum gegen kroatisch-serbische Zivilisten und Kriegsgefangene im Zuge von Militäroperationen im Jahr 1993.

Der Aktionsplan zur strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen enthielt keinerlei Vorkehrungen, um der ethnisch begründeten Befangenheit von Richtern entgegenzuwirken. Nach dem Plan oblag die Auswahl der vorrangig zu bearbeitenden Fälle den jeweiligen Staatsanwälten vor Ort. Bei keinem der gemäß dem Plan als vorrangig ausgewählten Fälle in der Region Sisak, in der zu Kriegsbeginn etwa 100 kroatische Serben getötet worden oder dem "Verschwindenlassen" zum Opfer gefallen waren, handelte es sich um einen Fall mit kroatischen Serben als Opfern; bei allen sieben vorrangig zu behandelnden Fällen waren die Opfer ethnische Kroaten. Dies leistete ethnisch begründeten Vorurteilen weiteren Vorschub und begünstigte die Straflosigkeit für Verbrechen, die von Angehörigen der kroatischen Armee und Polizei begangen worden waren.

Im März äußerte sich der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung besorgt über Berichte zu Fällen ethnischer Diskriminierung bei der strafrechtlichen Ahndung von Kriegsverbrechen. Der Ausschuss riet Kroatien zu gründlichen Ermittlungen und zur strafrechtlichen Verfolgung aller Kriegsverbrechen unabhängig von der ethnischen Herkunft der Opfer und Täter.

Im Oktober brachte der UN-Menschenrechtsrat in Anbetracht der Straflosigkeit von Kriegsverbrechen seine Besorgnis zum Ausdruck. Neben der Tatsache, dass zahlreiche potenzielle Fälle von Kriegsverbrechen ungeklärt blieben, handelte es sich bei den ausgewählten Fällen unverhältnismäßig oft um Verfahren gegen kroatische Serben. Den kroatischen Behörden wurde eine Frist von einem Jahr eingeräumt, um diese und andere Defizite zu beheben.

Im Oktober merkte die Europäische Kommission in ihrem Fortschrittsbericht zu Kroatien ebenfalls an, dass die Straflosigkeit für Kriegsverbrechen nach wie vor ein Problem darstelle, insbesondere dann, wenn es sich bei den Opfern um ethnische Serben und bei den Tätern um Angehörige der kroatischen Armee handelt. Dem Bericht zufolge war der Umstand, dass zahlreiche Verbrechen ungeahndet blieben, auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, darunter die Einschüchterung von Zeugen und die fehlende Bereitschaft von Polizei und Staatsanwaltschaften, in diesen Fällen zu ermitteln.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden unterließen es auch weiterhin, Journalisten, die über Kriegsverbrechen und organisiertes Verbrechen berichteten, vor Einschüchterungsversuchen und Übergriffen zu schützen. Die geringen Fortschritte bei der strafrechtlichen Verfolgung einiger Fälle vermittelten den Tätern den Eindruck, straffrei agieren können.

  • Keine Fortschritte gab es bei den Ermittlungen zu dem Überfall auf Dusan Miljus, einen Journalisten der Zeitung Jutarnji List, der im Juni 2008 von Unbekannten vor seinem Haus in Zagreb brutal zusammengeschlagen worden war. Der Journalist erhielt auch weiterhin Morddrohungen.
  • Im Januar 2009 wurde gegen den Journalisten Zeljko Peratovic wegen "Verbreitung potenziell verunsichernder Informationen an die Bevölkerung" ein Strafverfahren eingeleitet. Die Anklage erfolgte auf Geheiß des Innenministers, dem der Journalist vorgeworfen hatte, die Ermittlungen im Fall Milan Levar zu behindern, einem potenziellen Zeugen des ICTY, der 2000 getötet worden war.
  • Im März 2009 wurden der Journalist Drago Hedl von Jutarnji List und ein Fotograf gewaltsam aus einer öffentlichen Pressekonferenz entfernt. Die Konferenz war von dem Parlamentsmitglied Branimir Glavas einberufen worden. Glavas war im Mai wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden, die er 1991 in seiner Eigenschaft als lokaler Anführer des Militärs in Osijek begangen hatte. In den vorangegangenen Jahren war Drago Hedl wegen seiner Recherchen über die während des Kriegs in Osijek begangenen Kriegsverbrechen Ziel von Einschüchterungsversuchen geworden, darunter auch Morddrohungen.

Im Oktober brachte der UN-Menschenrechtsrat seine Besorgnis angesichts von Einschüchterungsversuchen und Übergriffen gegen Journalisten zum Ausdruck. Er merkte an, dass diese mutmaßlichen Verbrechen nur selten untersucht werden und kaum einer der dafür Verantwortlichen vor Gericht gebracht wird, was faktisch einer Einschränkung der Pressefreiheit gleichkomme. Der UN-Menschenrechtsrat forderte Kroatien auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Einschüchterung von Journalisten zu unterbinden und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Diskriminierung

Roma
Angehörige der Roma wurden beim Zugang zu wirtschaftlichen und sozialen Rechten wie Bildung, Arbeit und Wohnraum nach wie vor diskriminiert. Die von den kroatischen Behörden zur Abhilfe ergriffenen Maßnahmen blieben unzureichend.

Im April kam es vor der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zu einer Anhörung im Fall Orsus und andere. In dem Verfahren ging es um den Vorwurf der ethnischen Absonderung von Schülern in reinen Roma-Klassen in der kroatischen Region Med¯imurje.

Sowohl der UN-Ausschuss für die Beseitigung von Rassendiskriminierung als auch der UN-Menschenrechtsrat brachten ihre Sorge angesichts der Segregation von Roma-Schülern im Bildungssystem zum Ausdruck.

Kroatische Serben

Die kroatischen Behörden unterließen es auch weiterhin, für die Wahrung der Rechte zahlreicher kroatischer Serben Sorge zu tragen, die in den Kriegsjahren 1991-95 aus ihren Wohnorten vertrieben worden waren.

Im Oktober berichtete die NGO Human Rights Watch, dass kroatisch-serbische Rückkehrer nach wie vor Probleme hätten, ihre Wohnungen, die mittlerweile von anderen Mietern bewohnt wurden, wieder in Besitz zu nehmen. Dies sei auch dann häufig der Fall, wenn sie im Besitz eines Gerichtsbescheids zu ihren Gunsten waren. Viele Rückkehrer konnten ihre Ansprüche aus den Wiederaufbauprogrammen nicht wahrnehmen und hatten zudem Probleme, eine Arbeit zu finden.

Im März äußerte der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung Bedenken angesichts einer beträchtlichen Anzahl unbearbeiteter Fälle, in denen es um die Durchsetzung von Eigentums- und Mietrechten ging. Der Ausschuss forderte die Behörden nachdrücklich dazu auf, faire und transparente Maßnahmen zu ergreifen, um eine dauerhafte Rückkehr kroatischer Serben zu ermöglichen.

Im Oktober forderte der UN-Menschenrechtsrat die Behörden auf, die Anzahl der zu einer Rückkehr nicht bereiten oder in der Lage befindlichen Personen zu ermitteln sowie deren jeweilige Gründe zu prüfen.

Recht auf körperliche und geistige Gesundheit

Im Oktober 2009 äußerte der UN-Menschenrechtsrat seine Besorgnis angesichts der anhaltenden Verwendung von "Käfigbetten", um psychisch Kranke oder auch Kinder in kroatischen Pflegeheimen einzusperren. Er forderte das Land auf, diese Praxis umgehend einzustellen und einen Mechanismus zur Überwachung psychiatrischer Kliniken einzurichten.

Amnesty International: Bericht

Briefing to the UN Human Rights Committee on the Republic of Croatia (EUR 64/001/2009)

© Amnesty International

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