a-5290 (ACC-TUR-5290)

Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Sorgerecht für Kinder
Im Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom November 2000 finden sich Informationen, wonach das (damals gültige) türkische Zivilgesetzbuch gesetzliche Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen enthalten habe. Demnach hätte der Vater das alleinige Sorgerecht für Minderjährige erhalten:
„Im Hinblick auf die Chancengleichheit sind weiterhin erhebliche geschlechtsspezifische Disparitäten zu verzeichnen. Aufgrund der niedrigen Einschulungsquoten von Mädchen vor allem in der Osttürkei beträgt die Analphabetenquote bei den Frauen etwa 25% gegenüber 6% bei den Männern. Es müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Bildungsposition der Frauen zu verbessern. Bezüglich Gleichbehandlung ist noch keine Übereinstimmung mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand gewährleistet […]. Das Zivilgesetzbuch enthält weiterhin gesetzliche Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen. So ist nach der bisherigen Regelung der Mann das Familienoberhaupt und alleiniger Vertreter der Ehegemeinschaft und hat als Familienoberhaupt auch das alleinige Sorgerecht für Minderjährige. Unter Mitwirkung von Frauen-NRO wurden Änderungen des Zivilgesetzbuchs vorbereitet, über die im Parlament derzeit beraten wird. Ein weiterhin beunruhigendes Problem ist die Gewalt gegen Frauen in der Familie, wozu auch die sogenannten "Ehrenmorde" zählen.“ (Europäische Kommission, 8. November 2000, Kapitel 1.2.)
Laut Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom Oktober 2002 sei 2001 ein neues Zivilgesetzbuch verabschiedet worden, das im Jänner 2002 in Kraft getreten sei:
„Im November 2001 verabschiedete das Parlament ein neues Zivilgesetzbuch, das im Januar 2002 in Kraft trat. Die sich daraus ergebenden Änderungen betreffen Bereiche wie Gleichstellung der Geschlechter, Vereinigungsfreiheit und Kinderschutz […].“ (Europäische Kommission, 9. Oktober 2006, S. 21)
Laut Europäischer Kommission sei mit dem neuen Zivilgesetzbuch das Konzept des „Familienoberhauptes“ abgeschafft worden, was Frauen unter anderem ein Mitspracherecht in Bezug auf Kinder einräumen würde. Außerdem sei das Heiratsmindestalter für Männer und Frauen auf 18 erhöht worden:
„Was die Gleichbehandlung von Frauen und Männer angeht, so bringt das im Januar 2002 in Kraft getretene geänderte Zivilgesetzbuch einige wesentliche Verbesserungen. Das Konzept des „Familienoberhaupts“ wurde abgeschafft, was Frauen ein Mitspracherecht einräumt in Bezug auf Kinder und Wohnsitz. Der Ehemann hat nicht länger das Recht, allein zu entscheiden, wo das Ehepaar lebt, und die Ehefrau braucht nicht länger die Erlaubnis des Ehemanns, um einer Berufstätigkeit nachzugehen. Frauen haben jetzt das Recht, bei Ehebruch durch den Ehemann die Scheidung einzureichen. Das geänderte Gesetzbuch verbessert auch die finanzielle Lage von Frauen im Falle einer Scheidung: Der Zugewinn während der Ehe wird gleichmäßig aufgeteilt. Ein Mann kann Unterhaltszahlungen fordern, wenn  seine Exehefrau finanziell besser gestellt ist. Das neue Gesetzbuch legt fest, dass eine rechtswirksame Trennung von sechs Monaten erforderlich ist, bevor ein Ehepaar die Scheidung einreichen kann. Das Heiratsmindestalter wird für Männer und Frauen auf 18 Jahre erhöht. Ferner wird das gesetzliche Mindestalter für die Adoption von Kindern von 35 auf 30 Jahre gesenkt; auch Alleinerziehende können jetzt Kinder adoptieren. Und schließlich werden außereheliche Nachkommen erbrechtlich gleichgestellt.“ (Europäische Kommission, 9. Oktober 2006, S. 104)
Auch erwähnt der Bericht der Europäischen Kommission den neuen Artikel 182, der das Konzept des „Kindesinteresses“ einführe:
„Das neue Zivilrecht beinhaltet verschiedene Änderungen in Bezug auf den Schutz und die Rechte der Kinder. Mit dem neuen Artikel 182 wird das Konzept des „Kindesinteresses“ im Falle von Trennungen oder Scheidungen eingeführt.“ (Europäische Kommission, 9. Oktober 2006, S. 43)
Weitere Informationen zum neuen Zivilgesetzbuch der Türkei und den Gesetzesänderungen zum Thema Sorgerecht finden sich auf der Homepage der türkischen Botschaft in Wien:
„Artikel 336
Mit dieser Änderung wurde die Bestimmung aus dem Text des Artikels beseitigt, dass „die Stimme des Vaters entscheidend ist“ bei der Ausübung des elterlichen Sorgerechts (für die Kinder), was im Artikel 263 des alten Zivilgesetzbuches so festgelegt war. Beiden, der Mutter und dem Vater, werden gleiche Rechte in diesem Punkt gewährt. […] 
Artikel 182 (alter Artikel 148) 
Mit der Änderung dieses Artikels wurde der Bestimmung, die im Fall der Scheidung oder Trennung die Beziehung des Kindes zu dem Elternteil, der nicht das Sorgerecht hat, regelt, ein neuer Satz („Das Interesse des Kindes in Bezug auf die Gesundheit, die Erziehung und die Moral“) hinzugefügt. Ferner führt diese Änderung eine Bestimmung ein, die es dem Gericht ermöglicht, die Unterhalts- und Erziehungskosten zu bestimmen, die von dem Elternteil zu übernehmen sind, der nicht das Sorgerecht hat. […]
Artikel 328
Der neue Artikel 328 legt fest, dass sowohl die Mutter als auch der Vater dafür verantwortlich sind, sich bis zur Volljährigkeit um das Kind zu kümmern, und dass diese Verantwortlichkeit andauert, bis das Kind seine Ausbildung – auch nachdem es die Volljährigkeit erreicht hat – abschließt.“ (Botschaft der Republik Türkei in Wien, ohne Datum)
Zum türkischen Sorgerecht vor Inkrafttreten des neuen Zivilgesetzbuchs beachten Sie bitte auch folgende Seminararbeit an der Universität Hamburg von 2001, die relevante Bücher zu diesem Thema zitiert und zusammenfasst: 
Zwangsheirat und Kinderhochzeiten
In einem Bericht von Amnesty International (AI) vom Februar 2003 finden sich folgende Informationen zum Mindestalter für Heirat, Zwangsheirat und Kinderhochzeiten:
„Nach türkischem Recht ist das Mindestalter für Heirat „die Vollendung des siebzehnten Lebensjahres“. Eine Person unter 18 ist nicht voll geschäftsfähig, in diesem Fall muss seine oder ihre Familie die Erlaubnis erteilen. In Ausnahmefällen kann ein Mann oder eine Frau auch mit der Genehmigung durch einen Richter „nach Vollendung des sechzehnten Lebensjahres“ heiraten. Nach internationalem Menschenrecht sind Personen unter 18 Jahren als Kinder definiert. Erzwungene Heiraten und Heiraten von Minderjährigen sind ein Bruch internationaler Rechtsstandards und des türkischen Strafgesetzes. In manchen Gegenden der Türkei wird das Gesetz weitgehend ignoriert. Bei illegalen Hochzeiten mit Minderjährigen oder Zweitfrauen werden häufig religiöse Trauungen (imam nikahý) vorgenommen, die rechtlich nicht anerkannt sind und gewöhnlich zusätzlich zur standesamtlichen Zeremonie durchgeführt werden. Frauen, die nicht gesetzlich verheiratet sind, können unter Umständen die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz der Familie von 1998 nicht in Anspruch nehmen, obwohl die Unterbindung von Kinderhochzeiten eines der Ziele dieses Gesetzes war. Kinderhochzeiten sind per Definition erzwungene Hochzeiten, da von einem Kind eine selbst bestimmte freie Einwilligung nicht erwartet werden kann.“ (AI, 26. Februar 2003)
Laut Menschenrechtsbericht des US Department of State (USDOS) vom März 2006 seien Kinderhochzeiten vorgekommen. Das legale Alter sowohl für Männer als auch für Frauen, um zu heiraten, sei 18; jedoch könne ein Richter aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ auch eine Heirat mit 17 erlauben. Nichtsdestotrotz seien auch Kinder im Alter von 12 Jahren in inoffiziellen religiösen Zeremonien verheiratet worden. Einige Familien seien so genannte „Wiegen-Abmachungen“ eingegangen, d.h. sie hätten ihre neugeborenen Kinder jemandem zur Hochzeit versprochen, lange bevor diese das legale Alter erreicht hätten:
“Child marriage occurred. The legal age of marriage in the country is 18 for both boys and girls. A judge can authorize a marriage at age 17 under "extraordinary circumstances"; the law requires judges to consult with parents or guardians before making such a decision. However, children as young as 12 were at times married in unofficial religious ceremonies. Families sometimes engaged in "cradle arrangements," agreeing that their newborn children would marry at a later date, well before reaching the legal age.” (USDOS, 8. März 2006, Section 5)
Laut USDOS seien Hochzeiten von Minderjährigen Berichten von Frauenrechtsaktivisten zufolge in den letzten Jahren zurückgegangen, würden aber noch immer in ländlichen, ärmeren Gebieten praktiziert. Den Aktivisten zufolge hätten viele der minderjährig verheirateten Mädchen kurz nach der Hochzeit Kinder bekommen. Arrangierte Ehen seien als Grund für Selbstmord unter Mädchen angeführt worden, speziell im Südosten des Landes:
“Women's rights activists say underage marriage has become less common in the country in recent years, but is still practiced in rural, poverty-stricken regions. Activists maintained that girls who married below the legal age often had children shortly thereafter and suffered physical and psychological trauma as a result. Arranged marriages have been cited as a cause of suicides among girls, particularly in the southeast.” (USDOS, 8. März 2006, Section 5)
Zu Zwangsheirat in der Türkei beachten Sie bitte auch folgende Anfragebeantwortung des Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 28. September 2004:
  • IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Turkey: Forced marriage in Turkey; outcome when a woman refuses to marry the designated man; outcome when a woman elopes with another man; attitude of state and availability of state protection (July 2001 - September 2004) [TUR43000.E], 28. September 2004
    http://www.irb-cisr.gc.ca/en/research/rir/?action=record.viewrec&gotorec=444461 (Zugriff am 15. Februar 2007)
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines bestimmten Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Wir empfehlen, die verwendeten Materialien zur Gänze durchzusehen.

Quellen: