Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights

Amtliche Bezeichnung: Plurinationaler Staat Bolivien
Staats- und Regierungschef: Evo Morales Ayma
Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft
Einwohner: 10,1 Mio.
Lebenserwartung: 66,6 Jahre
Kindersterblichkeit: 51,2 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 90,7%

Im Herbst 2011 erlitten zahlreiche Personen Verletzungen, als die Polizei gewaltsam ein Lager auflöste, das Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen während eines Protestmarschs in die Hauptstadt La Paz errichtet hatten. Der Protest richtete sich gegen den geplanten Bau einer Straße durch geschütztes indigenes Gebiet. Im Zusammenhang mit den Ereignissen vom "Schwarzen Oktober" 2003 ergingen Urteile.

Hintergrund

Die sozialen Spannungen nahmen im Jahresverlauf zu. Es gab immer wieder Proteste, bei denen es um wirtschaftliche Probleme und die Rechte der indigenen Bevölkerung ging.

Im März 2011 begrüßte der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung das Gesetz zur Bekämpfung der Rassendiskriminierung, das der Kongress im Januar verabschiedet hatte.

Der Ausschuss äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der Umsetzung des Gesetzes, der mangelnden Vertretung der indigenen Bevölkerung in Entscheidungsgremien und des Zugangs zum Rechtssystem. Außerdem vermisste der Ausschuss klare Mechanismen, die ein Zusammenwirken des neuen Gesetzes zur Abgrenzung staatlicher und indigener Rechtsprechung (Ley de Deslinde Jurisdiccional) mit dem gewöhnlichen Justizsystem gewährleisten.

Rechte indigener Bevölkerungsgruppen

Am 25. September 2011 wurden zahlreiche Personen verletzt, als die Polizei Tränengas und Schlagstöcke einsetzte, um bei Yucumo im Departamento Beni ein Lager aufzulösen, das Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen während eines Protestmarschs errichtet hatten. Der 580 km lange Marsch von Trinidad im Departamento Beni nach La Paz richtete sich gegen den von der Regierung geplanten Bau einer Straße durch das indigene Gebiet Isiboro-Sécure und den dortigen Nationalpark (Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro-Sécure - TIPNIS). Die Pläne verstoßen gegen das in der Verfassung verankerte Recht der indigenen Bevölkerung auf vorherige Konsultation und gegen Umweltschutzgesetze. Die Polizei nahm Hunderte Protestierende fest und brachte sie nach San Borja und nach Rurrenabaque, von wo sie vom Militär in ihre Heimatorte zurückgeflogen wurden.

Die Regierung argumentierte, die Straße trage zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Nach Ansicht der Angehörigen der indigenen Bevölkerungsgruppen dient sie jedoch dazu, das Gebiet für die Rohstoffindustrie zu erschließen, und fördert die Abholzung und die Koka-Produktion. Das harte Vorgehen der Polizei führte zum Rücktritt der Verteidigungsministerin und des Innenministers sowie zu landesweiten Protesten.

Im Oktober zog Präsident Morales das Projekt zurück. Im November verhängte ein Richter Hausarrest gegen den stellvertretenden Polizeikommandanten, dem vorgeworfen wurde, den Polizeieinsatz in Yucumo angeordnet zu haben. Die strafrechtliche Untersuchung des polizeilichen Vorgehens war Ende 2011 noch nicht abgeschlossen.

Straflosigkeit

Die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter Verschwindenlassen und außergerichtliche Hinrichtungen, die vor der Wiederherstellung der Demokratie 1982 begangen wurden, gingen nach wie vor straffrei aus.

Bis Ende 2011 hatten die Streitkräfte noch keine Informationen bezüglich früherer Menschenrechtsverletzungen an die Staatsanwaltschaft übergeben, obwohl der Oberste Gerichtshof im April 2010 die Offenlegung dieser Informationen verfügt hatte. Die Regierung übte keinerlei Druck aus, um die Offenlegung zu erwirken.

  • Im August verurteilte der Oberste Gerichtshof sieben ehemalige hochrangige Staatsbedienstete im Zusammenhang mit den Ereignissen des "Schwarzen Oktober" im Jahr 2003. Damals wurden bei Protesten in El Alto bei La Paz 67 Personen getötet und mehr als 400 verletzt. Es war das erste Mal, dass ein Zivilgericht Angehörige des Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen rechtskräftig verurteilte. Fünf ehemalige Militärangehörige wurden zu Haftstrafen zwischen zehn und 15 Jahren verurteilt, zwei ehemalige Minister erhielten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada sowie zwei seiner Minister, die kurz nach den Gewalttaten in die USA geflohen waren, waren Ende 2011 noch Auslieferungsverfahren anhängig. Weitere Minister waren unmittelbar nach den Ereignissen nach Peru und Spanien geflohen.
  • Vier Militärangehörige, die im Verdacht standen, 2009 einen Wehrpflichtigen in Challapata im Departamento Oruro gefoltert zu haben, wurden im April freigelassen, nachdem ein Richter die Klagen gegen sie aufgehoben hatte. Im Juli hob das Berufungsgericht von Oruro diese Entscheidung auf und ordnete eine Fortsetzung des Verfahrens nach zivilem Recht an. Der Prozess hatte Ende 2011 noch nicht begonnen. 2010 war ein Video an die Öffentlichkeit gelangt, das zeigte, wie der Wehrpflichtige im Jahr 2009 wiederholt von Militärangehörigen unter Wasser getaucht wurde.
  • Im September wurden die Klagen gegen fünf Angehörige der Nationalpolizei durch richterlichen Entscheid aufgehoben. Ihnen wurde vorgeworfen, gewaltsam gegen Protestierende vorgegangen zu sein, die im Mai 2010 in der Provinz Caranavi eine Straßensperre errichtet hatten. Dabei waren zwei Menschen ums Leben gekommen und mindestens 30 verletzt worden. Ende 2011 zog die Staatsanwaltschaft weitere Klageerhebungen in Betracht.
  • Der Prozess wegen des Massakers von Pando wurde 2011 mit Verzögerungen fortgesetzt. Bei dem Massaker im Jahr 2008 waren 19 Menschen getötet und 523 verletzt worden, in der Mehrzahl Kleinbauern.

Folter und andere Misshandlungen

Im Februar 2011 starb Gróver Beto Poma Guanto im Krankenhaus, nachdem er zwei Tage zuvor an der Militärschule ESCOBOL in Sanandita im Departamento Tarija von Ausbildern geschlagen worden war. Ende des Jahres waren die Ermittlungen gegen drei Militärangehörige wegen dieses Falls noch nicht abgeschlossen. Trotz wiederholter Forderungen, den Fall an die zivile Rechtsprechung zu übergeben, verblieb er im militärischen Justizsystem, dem es an Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit fehlte.

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