Friedenskonsolidierung: Ost-Timor/Timor-Leste

Vordergründig erscheint der Friedensprozess in dem seit 2002 bestehenden Staat stabil. Zu den Defiziten gehören neben der nicht aufgearbeiteten Konfliktvergangenheit vor allem Korruption und Vetternwirtschaft, Probleme des Sicherheitssektors sowie starke Entwicklungsunterschiede zwischen der Hauptstadt und dem Rest des Landes.
Seit den parallelen Anschlägen auf Präsident Ramos-Horta und Premierminister Gusmão vom 11. Februar 2008 und den Unruhen im April-Mai 2006 hat sich die Sicherheitslage in Ost-Timor (portugiesisch: Timor-Leste) deutlich verbessert. Der Regierung ist es gelungen, durch finanzielle Anreize und Amnestien die direkte Sicherheitsbedrohung durch abtrünnige Soldaten abzuwenden. Gleichwohl sind wichtige strukturelle Probleme der Postkonfliktgesellschaft noch nicht gelöst. Neben der Aufarbeitung der Vergangenheit, Defiziten der staatlichen Legitimität, Korruption und den Problemen des Sicherheitssektors, ist es vor allem die ökonomische Situation, die gesellschaftliches Konfliktpotential birgt.
 

Der Weg zum Friedensprozess

Im Dezember 1975, nur wenige Tage nach der Unabhängigkeit von der portugiesischen Kolonialherrschaft, wurde Ost-Timor durch indonesische Truppen besetzt. Die bis 1999 dauernde Besatzungszeit war geprägt durch massive Repression und Menschenrechtsverletzungen des indonesischen Militärs und pro-indonesischer Milizen gegen den von der FRETELIN (Frente Revolucionária do Timor-Leste Independente) angeführten Befreiungskampf. Dabei starben insgesamt etwa 200.000 Menschen.

Mit dem politischen Systemwechsel in Indonesien 1999 wurde auch für Ost-Timor der Weg zur Unabhängigkeit frei. In einem Referendum stimmten im August 1999 78% der Bevölkerung für die Unabhängigkeit. Daraufhin kam es zu Gewaltexzessen durch vom indonesischen Militär unterstützte pro-indonesische Milizen, bei denen ca. 1.500 Menschen ums Leben kamen und ein Großteil der Infrastruktur zerstört wurde. Als Folge der Gewalt flohen hunderttausende Timoresen in den indonesischen Westteil der Insel. Die Gewalt konnte erst durch internationale Peacekeeping-Truppen beendet werden. Die mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1272 im Oktober 1999 eingesetzte UNTAET-Mission bildete bis zur offiziellen Unabhängigkeit 2002 die Übergangsverwaltung. Sie sollte vor allem den Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen sicherstellen. Dies gelang nur teilweise, u.a. auch deshalb, weil die Timoresen zu spät in den Aufbau der neuen Strukturen einbezogen wurden.

Die nicht gelösten Probleme des Landes gipfelten schließlich 2006 in einer erneuten Eruption von Gewalt. Ausgangspunkt war die Meuterei von 600, vornehmlich aus dem westlichen Teil des Landes stammenden Soldaten, die sich gegen angebliche Benachteiligungen auflehnten. Die Lage in Dili eskalierte schnell in einen bewaffneten Konflikt mit regierungstreuen Truppen. Nachdem die Gewalt auch auf weite Teile der Bevölkerung übergriff und es zu einer erneuten Flüchtlingskatastrophe kam, sah sich die Regierung gezwungen, um internationale Hilfe zu ersuchen. Die Verantwortung für die Sicherheit übernahm daraufhin die von Australien geführte International Stabilisation Force (ISF).

Stabilität und Schritte zur Veränderung

Die Sicherheitslage hat sich nach den Gewalteskalationen von 2006 und 2008 deutlich entspannt. Bei den Anschlägen 2008 starb mit Alfredo Reinado ein zentraler Akteur der Militärrevolte von 2006, die restlichen damals entlassenen oder desertierten Soldaten wurden entweder verhaftet oder konnten durch finanzielle Zahlungen zur Aufgabe bewegt werden. Ebenso ist die Bandenkriminalität in Dili deutlich zurückgegangen. Als Folge der verbesserten Sicherheitslage hat sich auch die Situation der Binnenflüchtlinge entspannt. Ende 2009 wurde das letzte Flüchtlingslager geschlossen und die ISF konnte damit beginnen, die Verantwortung für die Sicherheit schrittweise an die nationalen Sicherheitskräfte zu übertragen. Bis Ende 2010 hat die timoresische Polizei die Kontrolle über 10 von 13 Distrikten Timor-Lestes übernommen.
Auch das politische System zeigt Konsolidierungstendenzen. Die FRETELIN, die nach der Unabhängigkeit das politische System dominierte, verlor 2007 zuerst die Präsidentschaftswahlen und dann auch die absolute Mehrheit im Parlament. Zwar kritisierte sie weiterhin die Regierungsbildung durch die von Gusmão geführte "Allianz der parlamentarischen Mehrheit" (AMP) als illegal, dennoch agiert sie bisher innerhalb des politischen Systems. Ein angedrohter Parlamentsboykott wurde nicht umgesetzt. Dass die Kommunalwahlen im Oktober 2009 friedlich abgelaufen sind, kann als positives Zeichen mit Blick auf die 2012 angesetzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gesehen werden.

Die weitere Konsolidierung des politischen Systems wird in hohem Maße von der ökonomischen Entwicklung abhängen. Im Human Development Index von 2010 konnte sich Ost-Timor mit einem Wert von 0,502 von dem 162 Platz im Vorjahr auf den 120 Platz verbessern. Dennoch ist das Land durch große Disparitäten zwischen der Hauptstadt Dili und dem Rest des Landes geprägt. Die Verbesserung der ökonomischen Situation ist vor allem den Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung vor der timoresischen Küste zu verdanken. Durch massive Staatsausgaben konnte daraus in den letzten zwei Jahren zweistellige Wirtschaftswachstumsraten erzielt werden. Daneben versuchte die Regierung, durch Substitution der Lebensmittelpreise, Rentenerhöhungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den sozialen Frieden zu sichern. Grundsätzlich ist die Frage nach dem Umgang mit den Öl- und Gasreserven das zentrale Thema der politischen Debatte, insbesondere ob es gelingt auch außerhalb des Öl- und Gassektors wirtschaftliches Wachstum zu generieren.
 

Probleme und Defizite

Ein zentrales Problem für die nachhaltige Gestaltung des Friedensprozesses stellt der Sicherheitssektor dar. Es kommt immer wieder zu Spannungen und Reibungsverlusten zwischen Regierung und Streitkräften. Dies hat vor allem mit der unklaren Rollenverteilung zwischen Polizei und Militär, der fehlenden Akzeptanz der zivilen Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit sowie dem ausgeprägten Patronagesystem zu tun.

Die Regierung hat die Krise von 2008 zwar vordergründig erfolgreich überstanden, doch haben sich durch ihre Maßnahmen die strukturellen Probleme weiter verfestigt. Nach den Anschlägen beauftragte die Regierung sowohl Polizei als auch das Militär zur Stabilisierung der Sicherheitslage. Damit verstärkte sich das Selbstverständnis des Militärs, auch für die innere Sicherheit zuständig zu sein. Noch ist es nicht gelungen, die zivile Kontrolle über die Streitkräfte durch Parlament und Exekutive zu institutionalisieren. Das Militär ist stark fragmentiert und wird von einer Vielzahl charismatischer Kommandeure und Patronagenetzwerke dominiert. Gefolgschaft wird vor allem auf der Grundlage persönlicher Beziehung geleistet.

Die von Präsident Ramos Horsa zur Lösung der akuten Sicherheitsprobleme verfolgte Politik umfangreicher Begnadigungen und Amnestien hat nicht nur das Rechtssystem weiter unterminiert, sondern belastet auch die nationale Aussöhnung. So wurden Empfehlungen zweier Wahrheitskommissionen nicht umgesetzt. Trotz umfangreich dokumentierter Menschenrechtsverletzungen durch indonesisches Militär und pro-indonesischer Milizen hat es bislang kaum Verurteilungen gegeben. Aber auch gewalttätige Übergriffe von Unabhängigkeitsbefürwortern werden wenig thematisiert. Ursächlich für die geringe Strafverfolgungsquote ist neben dem fehlenden politischen Willen der Regierung die mangelnde personelle Ausstattung des Justizsektors. Das alles belastet nicht nur die traumatisierten Opfer, sondern auch den nationalen Aussöhnungsprozess und wird angesichts der zunehmenden Zahl rückkehrender Flüchtlinge aus West-Timor ein politisches Problem, auch da sich unter diesen nicht nur Befürworter der Unabhängigkeit befinden.

Zusätzlich wird die Legitimität der staatlichen Institution durch Korruptionsanschuldigungen unterminiert. 2010 wurde Timor-Leste von Transparency International auf 127. Stelle geführt. Die Anschuldigungen erreichen dabei immer höhere Regierungskreise. Neben Gusmão selbst werden auch dem stellvertretenden Premierminister, dem Justiz-, Außen- und Finanzminister Korruption vorgeworfen. Ein weiteres, bisher ungelöstes Problem sind die umstrittenen Eigentumsverhältnisse in Bezug auf Landbesitz. Als Folge von Kolonialzeit und Vertreibung bestehen in vielen Bereichen noch ungeklärte oder sich überschneidende Besitzansprüche, für deren Klärung bislang noch keine einheitliche rechtliche Basis geschaffen wurde.

Literatur

Arnold, Matthew B. (2011): Timor-Leste in 2010: The Window for a "Normal" Future? In: Asian Survey, Vol. 51, No. 1, S. 215-220.

Hughes, Caroline (2009): Dependent Communities: Aid and Politics in Cambodia and East Timor, Ithaka, N.Y.: Cornell University Press.

Kiernan, Ben (2008): Genocide and Resistance in Southeast Asia: Documentation, Denial, and Justice in Cambodia and East Timor, New Brunswick: Transaction Publishers.

Olsson, Louise (2009): Gender Equality and United Nations Peace Operations in Timor Leste, The Yearbook of International Peace Operation, No 14, Leiden.

Paris, Roland/ Sisk, Tomothy D. (Hrsg.) (2009): The Dilemmas of Statebuilding: Confronting the Contradictions of Postwar Peace Operations, London: Routledge.

Rae, James DeShaw (2009): Peacebuilding and transitional justice in East Timor, Boulder: Lynne Rienner.

Richmond, Oliver P. (2011): De-romanticising the local, de-mystifying the international: hybridity in Timor Leste and the Salomon Islands, in Pacific Review, Vol. 24, No. 1, S. 115-136.

Stanley, Elizabeth (2008): Torture, Truth and Justice: the Case of Timor-Leste, New York: Routledge.

Links

»Cabasset-Semedo, Christine/ Durand, Frédéric (Hrsg.) (2009): East-Timor. How to Build a New Nation in Southeast Asia in the 21st Century? Carnet de l´Irasec/ Occasional Paper No. 9.f«

»International Crisis Group (2009): Timor-Leste: No Time for Complacency, Asia Briefing No. 87.«

»International Crisis Group (2008): Timor-Leste: Security Sector Reform, Asia Report No. 143.«
 

 
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Zur Person

Markus Reger

Markus Reger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen und freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung Freiburg. Forschungsschwerpunkte: ASEAN, Regionale Kooperation, Theorie der Internationalen Beziehungen, Außenpolitik. Regionale Schwerpunkte: Südostasien, Europa.