Anfragebeantwortung zu Usbekistan: Informationen zu psychiatrischer Versorgung (Wahnstörungen, antipsychotische Medikamentation) [a-9802]

24. August 2016

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Adrain Mundt, ein Psychiater und Professor der medizinischen Fakultät der Universidad Diego Portales in Chile, erwähnt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2016 vorab, dass sein letzter Aufenthalt in Usbekistan einige Jahre zurückliege und seine Informationen deshalb nicht ganz aktuell seien. Er denke, dass AusländerInnen zudem nicht der volle Einblick gewährt werde. In den größeren Städten Usbekistans gebe es psychiatrische Kliniken aus der Sowjetzeit und Polikliniken. Die sanitären Verhältnisse seien sehr ärmlich und die Menschenrechtssituation sehr unklar. Er habe den Eindruck bekommen, dass in den Kliniken auch LangzeitpatientInnen verwahrt worden seien, die mit antipsychotischen Medikamenten überdosiert gewesen seien, und einige PatientInnen in Schlafsälen mit 50 Personen zum gemeinsamen Mittagsschlaf an die Betten gekettet gewesen seien. Die Abteilungen seien geschlossen und der Einblick nicht so einfach. Vor allem in ländlichen Regionen habe sicher nicht jeder Zugang zu Behandlung. Antipsychotische Medikation sei verfügbar, vor allem die älteren sogenannten typischen Antipsychotika und Clozapin, das meist ohne die erforderliche Blutbildkontrollen gegeben werde. (Mundt, 22. August 2016)

 

In einer weiteren E-Mail-Auskunft vom August 2016 schreibt Adrian Mundt, dass sich die Lage seit seinem letzten Besuch in Usbekistan seines Wissens nach eher noch verschlimmert habe. Es sei wohl ein Gesetz erlassen worden, das ÄrztInnen dazu verpflichte, ihre Vorträge vor einer Ausreise zum Zwecke des Besuchs internationaler Kongresse dem zuständigen Ministerium zur Prüfung vorzulegen. Ein großes Problem, das ganz Zentralasien betreffe, seien informelle Zahlungen in der Medizin. Von den Gehältern in der öffentlichen Gesundheit könne man nicht leben. Für jede ärztliche und pflegerische oder sonstige Intervention werde eine informelle Zahlung erwartet. Für psychiatrische PatientInnen sei dies besonders schlimm, da sie häufig früh beginnende und chronische Verläufe hätten und daher über wenig finanzielle Mittel verfügen würden. Ohne die Unterstützung von Angehörigen würden sie nur minimal versorgt. Das Personal in den Psychiatrien sei häufig auch arm, das Fach innerhalb der Medizin unbeliebt und der gesamte Sektor verwahrlost. (Mundt, 23. August 2016)

 

In einem unter anderem von Adrian Mundt verfassten Artikel, der in der Zeitschrift European Psychiatry im Jahr 2009 veröffentlicht wurde, wird erwähnt, dass im psychiatrischen Krankenhaus von Taschkent die Behandlung offiziell kostenlos erfolge. Meist seien unter anderem folgende Psychotropika (ebenso kostenlos) verfügbar: Haloperidol, Fluphenazine und Chlorpromazine, die den Antipsychotika zugeordnet werden:

„Tashkent psychiatric hospital […] Treatment is officially free of charge. The following psychotropics are most of the time available, also free of charge: haloperidol, fluphenazine, chlorpromazine (antipsychotics), amitriptyline (antidepressant) and carbamazepine (antiepileptic/mood stabilizer). Other psychotropics can be bought by relatives in pharmacies which however rarely happens. Direct under-the-table-payments for all sorts of medical attention are common.“ (Mundt/Heinz/Ströhle, 21. Februar 2009, S. 2)

Laut einem unter anderem von der Psychiaterin Dina Gazizova verfassten Artikel, der im Februar 2011 in der Zeitschrift International Psychiatry veröffentlicht wurde, werde ambulante psychiatrische Versorgung von 22 neuropsychiatrischen ambulanten Kliniken (Abgabestellen) angeboten. Davon würden 17 eine 24-Stunden-Versorgung bieten. Zudem gebe es drei Kliniken zur Tagesbehandlung („3-day treatment clinics“) in psychiatrischen Krankenhäusern. 446 Polikliniken würden psychiatrische Versorgung anbieten. In zehn der 14 Regionen Usbekistans gebe es Einrichtungen zur Tagesbehandlung von Personen mit psychischen Störungen. Zudem gebe es 13 psychiatrische Krankenhäuser. Trotz einiger positiver Veränderungen innerhalb der Politik und der Gesetzgebung zur psychischen Gesundheit in den vergangenen zwei Jahrzehnten habe eine ungenügende Finanzierung zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheitsdienste geführt. Eine Verringerung der Anzahl der psychiatrischen Betten und von Tageskliniken sowie Schwierigkeiten mit der Medikamentenversorgung seien die wichtigsten Probleme. Die Anzahl der Fachkräfte für psychische Gesundheit nehme weiterhin ab und als Konsequenz könne angesichts der steigenden Anzahl der PatientInnen, die eine spezialisierte Hilfe benötigen würden, eine große Lücke bei Behandlungen erwartet werden:

„Out-patient psychiatric care is provided by 22 neuropsychiatric out-patient clinics (dispensaries), 17 of which offer 24-hour care. There are also 3-day treatment clinics in the psychiatric hospitals. There are 446 poly-clinics that offer psychiatric care, including 226 in adult psychiatry, 156 in child psychiatry and 27 in adolescent psychiatry. Ten of the 14 regions of Uzbekistan provide day treatment facilities for persons with mental disorders; these offer a level of service that falls between out-patient and in-patient care and give opportunities for occupational therapy and rehabilitation. There are 13 psychiatric hospitals with a total of 29.2 beds per 100 000 population. All of these establishments are organisationally integrated with mental health out-patient facilities. Eleven hospitals have emergency psychiatric care teams, which can assess and review at-risk patients at home. Nine per cent of the beds in mental hospitals are reserved for children and adolescents. Furthermore, nine psychiatric hospitals have special adolescent departments (240 beds). There are, in addition, 12 in-patient drug and alcohol services, with a total number of 325 beds, and 890 beds are for the treatment of people with mental disorders in forensic in-patient units. There are 3178 primary rural medical practices. General practitioners can provide emergency care to patients with mental disorders and refer them to a psychiatrist. Assessment and treatment guidelines for key mental health conditions in non-physician-based primary care are not available.“ (Gazizova et al., Februar 2011, S. 10-11)

“Despite some positive changes in mental health policy and legislation over the past two decades, insufficient funding has led to a deterioration of mental health services. A reduction in the number of psychiatric beds and day treatment clinics as well as difficulties with drug supply are the main problems. The overall number of mental health professionals is continuing to decline and as a consequence a major treatment gap can be expected for the increasing number of patients who need specialist help. Furthermore, many specialists are approaching retirement age and an annual output from medical training colleges of 52 doctors will not be enough to cover future service needs.” (Gazizova et al., Februar 2011, S. 10-11)

In einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) und des usbekischen Gesundheitsministeriums (Ministry of Health, MoH) aus dem Jahr 2007 wird erwähnt, dass drei Prozent der Gesundheitsausgaben des Gesundheitsministeriums für psychische Gesundheit aufgewendet würden. Von den gesamten Ausgaben für psychische Gesundheit würden 89 Prozent für psychiatrische Kliniken („mental hospitals“) aufgewendet. Alle PatientInnen mit psychischen Störungen hätten freien Zugang zu grundlegenden psychotropen Medikamenten. Die Finanzierung der psychiatrischen Dienste sei graduell gestiegen und die Regierung habe sich um Fragen oder Mängel bei der Beschaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten gekümmert. Personen, die an psychischen Störungen leiden würden, seien zu Leistungen wie kostenlose Pflegedienste und Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern sowie der kostenlosen Bereitstellung von speziellen Medikamenten für ambulant behandelte PatientInnen berechtigt. Die Kosten von antipsychotischen Medikamenten würden 28 Prozent des täglichen Mindestlohns betragen und die Kosten für Anti-Depressiva zehn Prozent des täglichen Mindestlohns. Es gebe in Usbekistan Invalidenrenten für Personen mit psychischen Störungen:

„Three percent of health care expenditures by the government health department are directed towards mental health. Of all mental health expenditures, 89% are directed towards mental hospitals. All patients (126,882 patients at present) with mental disorders have free access (at least 80%) to essential psychotropic medicines. Funding of psychiatric services has been gradually increasing and questions or shortages in food and drug procurement have been addressed by the government. Persons suffering from mental disorders are entitled to benefits such as free nursing care and treatment in psychiatric hospitals as well as free provision of special drugs for outpatients. The cost of antipsychotic medication is 28% of the minimum daily wage, whereas antidepressant medication is 10% of the minimum daily wage. Uzbekistan has disability benefits for persons with mental disorders“ (WHO/MoH, 2007, S. 9)

Alle ambulanten psychischen Gesundheitseinrichtungen würden laut dem WHO/MoH-Bericht von 2007 mindestens über ein Psychopharmaka (innerhalb der Einrichtung oder in einer nahe gelegenen Apotheke) jeder therapeutischen Klasse verfügen (antipsychotisch, antideppressiv, stimmungsstabilisierend, anxiolytisch und antiepileptisch).

„There are 282 mental health outpatient facilities in Uzbekistan; 18 of which are psychoneurological dispensaries that provide outpatient psychiatric services. Thirty-five (35%) of these facilities are for children and adolescents only. In outpatient facilities, 1,474 users per 100,000 population are treated. 43% of all users treated are female; 26 percent are children or adolescents. The diagnostic breakdown of users in outpatient facilities is as follows: schizophrenia and related disorders (16%), mood disorders (2%) and neurotic disorders (7%). mental retardation (39%), organic mental disorders (26%), and epilepsy (8%) Patient diagnosis is based upon a formal clinical assessment. The low rate of mood disorders seen in mental health outpatient facilities is due to the fact that users with mood disorders prefer to be treated by neurologists, as it is less stigmatizing than seeing a psychiatrist. The average number of contacts per user is 10.21. All outpatient facilities provide follow-up care in the community, while only 4% have mental health mobile teams. All mental health outpatient facilities have at least one psychotropic medicine of each therapeutic class (anti-psychotic, antidepressant, mood stabilizer, anxiolytic, and antiepileptic medicines) available in the facility or a near-by pharmacy all year round. All or almost all (81 - 100%) of patients in outpatient facilities received one or more psychosocial interventions in the last year.” (WHO/MoH, 2007, S. 11)

Zudem gebe es laut dem WHO/MoH-Bericht von 2007 15 psychiatrische stationäre Einheiten auf Gemeindeebene. Diese würden alle unter anderem über mindestens ein antipsychotisches Medikament verfügen. Weiters gebe es 16 psychische Krankenhäuser, die ebenfalls über mindestens ein antipsychotisches Medikament verfügen würden:

„There are 15 community-based psychiatric inpatient units in the country with a total of 1.6 beds per 100,000 populations. […] All community-based psychiatric inpatient units have at least one psychotropic medicine of each therapeutic class (anti-psychotic, antidepressant, mood stabilizer, anxiolytic, and antiepileptic medicines) available in the facility.” (WHO/MoH, 2007, S. 11-12)

„There are 16 mental hospitals in the country with a total of 29.2 beds per 100,000 population. […] All mental hospitals have at least one psychotropic medicine of each therapeutic class (anti-psychotic, antidepressant, mood stabilizer, anxiolytic, and antiepileptic medicines) available in the facility. The majority (51-80%) of patients in mental hospitals received one or more psychosocial interventions in the last year. The number of beds has decreased by 41% in the last five years.” (WHO/MoH, 2007, S. 12)

In einer Tabelle auf Seite 17 des WHO/MoH-Berichts von 2007 zur Verfügbarkeit (Deckung des Bedarfs) von Psychopharmaka in Einrichtungen für psychische Gesundheit werden 80 Prozent für antipsychotische Medikamente in stationären Einrichtungen und 20 Prozent für antipsychotische Medikamente in ambulanten Einrichtungen angeführt. Psychopharmaka seien laut der Zusammenfassung der Grafik in variierendem Ausmaß in allen Arten der Einrichtungen verfügbar. Die Deckung des Bedarfs sei in stationären Einrichtungen am Größten:

„Psychotropic drugs are available in all types of facilities to a varying degree. The coverage of needs is greatest in the inpatient facilities.” (WHO/MoH, 2007, S. 17)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom April 2016 (Berichtszeitraum 2015), dass das Gesundheitsministerium den Zugang zu Gesundheitsdiensten von Personen mit Behinderungen kontrolliert habe und das Ministerium für Arbeit und sozialen Schutz die Anstellung von Personen mit Behinderungen gefördert habe. Es seien keine Informationen betreffend Missbrauchsmuster in Bildungseinrichtungen und Einrichtungen zur psychischen Gesundheit verfügbar gewesen:

„The Ministry of Health controlled access to health care for persons with disabilities, and the Ministry of Labor and Social Protection facilitated employment of persons with disabilities. No information was available regarding patterns of abuse in educational and mental health facilities.“ (USDOS, 13. April 2016, Section 6)

Auf den Seiten 86 bis 87 des folgenden Berichts finden sich weitere allgemeine Informationen zum System für psychische Gesundheit in Usbekistan:

·      European Observatory on Health Systems and Policies: Uzbekistan Health system review, 2014
http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0019/270370/Uzbekistan-HiT-web.pdf

 

Auf dem Blog tethys. Central Asia Everyday, welcher von der Plattform Central Asia on Screen & Stage e.V. betrieben wird, mittels der Wissenschaftler, Künstler und Literaten aus Europa und Zentralasien die Zusammenarbeit mit den Regionen Zentralasiens fördern wollen, findet sich ein älterer Artikel vom Jänner 2008, der Informationen zum Alltag in einer psychiatrischen Klinik in Usbekistan enthalte:

·      tethys. Central Asia Everyday: Das Krankenhaus am Rande der Stadt – Psychiatrie in Usbekistan, 12. Jänner 2008
http://www.tethys.caoss.org/das-krankenhaus-am-rande-der-stadt-psychatrie-in-usbekistan/

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 24. August 2016)

·      European Observatory on Health Systems and Policies: Uzbekistan Health system review, 2014
http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0019/270370/Uzbekistan-HiT-web.pdf

·      Gazizova, Dina; Mazgutov, Abdulla; Kharabara, Grigoriy; Tsoyi, Elena: Mental health in Uzbekistan, Februar 2011 (veröffentlicht in International Psychiatry)
http://www.rcpsych.ac.uk/pdf/IPv8n1.pdf

·      Mundt, Adrian; Heinz, A.; Ströhle, A.: Uzbekistan: Psychiatry in transition, 21. Februar 2009 (veröffentlicht in European Psychiatry)

·      Mundt, Adrian: E-Mail-Auskunft, 22. August 2016

·      Mundt, Adrian: E-Mail-Auskunft, 23. August 2016

·      tethys. Central Asia Everyday: Das Krankenhaus am Rande der Stadt – Psychiatrie in Usbekistan, 12. Jänner 2008
http://www.tethys.caoss.org/das-krankenhaus-am-rande-der-stadt-psychatrie-in-usbekistan/

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2015 - Uzbekistan, 13 April 2016 (available at ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/322539/448314_en.html

·      WHO/MoH - World Health Organization; Ministry of Health Uzbekistan: WHO-AIMS Report on Mental Health System in Uzbekistan, 2007
http://www.who.int/mental_health/evidence/uzbekistan_who_aims_report.pdf