Konfliktporträt: Nord-Uganda

Nord-Uganda ist nicht mehr von den Übergriffen der Lord’s Resistance Army (LRA) betroffen, die seit 2008 in Süd-Sudan, Ost-Kongo und der Zentralafrikanischen Republik operiert. Jedoch haben Landkonflikte, häusliche Gewalt und psychische Erkrankungen nach zwanzig Jahren Krieg und Vertreibung drastische Ausmaße angenommen.
 

Aktuelle Konfliktsituation



Nach dem Scheitern von Friedensverhandlungen (2006-2008) hat sich die Lord’s Resistance Army (LRA) aus Nord-Uganda zurückgezogen und richtet ihre Aktionen seither gegen die Zivilbevölkerung in der Republik Süd-Sudan, der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik. Nach Massakern im Osten Kongos im Dezember 2008 starteten Uganda, die DR Kongo und die Zentralafrikanische Republik mit geheimdienstlicher und logistischer Unterstützung der USA eine gemeinsame Offensive im Kongo. Im Oktober 2011 entsandten die USA Militärberater in die Region, die seit 2012 die African Union Regional Task Force (AU-RTF) unter Führung der ugandischen Armee im Kampf gegen die LRA in den betroffenen Ländern unterstützen. Die Führungsspitze der LRA hält sich derzeit in der Zentralafrikanischen Republik auf. Welche politischen Ziele die LRA dort und in den Nachbarländern verfolgt, bleibt unklar.

Nord-Uganda ist nicht mehr von Rebellenaktivitäten betroffen. Die Mehrheit der Bevölkerung, die bis 2008/09 in Lagern für Binnenvertriebene lebte, ist in ihre früheren Siedlungen zurückgekehrt. Die Heimkehr der Flüchtlinge ist von oft gewaltsam ausgetragenen Landkonflikten begleitet. Diese drehen sich um Grenzmarkierungen und individuelle Besitzansprüche auf das vor dem Krieg meist gemeinschaftlich bewirtschaftete Land, für das es keine Eigentumsurkunden gibt. Andere Landkonflikte werden durch den Anspruch des Staates auf große Flächen für staatlich geförderte privatwirtschaftliche Investitionen in die Agrarindustrie sowie Erdölfunde in der Region geschürt. Auch hat das Ausmaß häuslicher Gewalt erheblich zugenommen. Ein weiteres Problem ist die hohe Rate psychischer Erkrankungen infolge von mehr als zwanzig Jahren Krieg und Vertreibung, die zu den höchsten Raten weltweit gehört.

Seitdem die LRA Nord-Uganda verlassen hat, wurden im Kongo bis Ende 2010 schätzungweise 2.000 Menschen entführt und 350.000 Menschen vertrieben. Dem folgte bis Juni 2012 die Vertreibung von ca. 20.270 Menschen in der Zentralafrikanischen Republik. Danach nahmen die Übergriffe der LRA aufgrund des erhöhten militärischen Drucks deutlich ab. Seitdem scheint die LRA, die in abgelegenen Gebieten der Zentralafrikanischen Republik Felder bestellt, wildert und Elfenbein schmuggelt, um das eigenen Überleben zu kämpfen.

Im November 2013 mehrten sich Meldungen, dass LRA-Führer Joseph Kony erneut zu Verhandlungen bereit sei. Es gibt allerdings erhebliche Zweifel an seinem Verhandlungswillen. Vielmehr wird spekuliert, dass die LRA eventuelle Verhandlungen nutzen will, um neue Kräfte zu sammeln.
 

Ursachen und Hintergründe



Der Konflikt in Nord-Uganda wurzelt in der kolonialen Arbeitsteilung des Landes. Die Briten rekrutierten die Bewohner des Nordens für das Militär und einfache Arbeiten. Dagegen fanden die Menschen aus Zentral-Uganda in spezialisierten Wirtschaftsbereichen und im Erziehungswesen Beschäftigung. Dieses Nord-Süd-Gefälle verfestigte sich mit der Machtübernahme durch den aus dem Südwesten stammenden und noch heute amtierenden Präsidenten Museveni 1986, dessen Regierung zudem wenig unternahm, um aus der multiethnischen Bevölkerung eine Nation zu schaffen.

1988 begannen in Nord-Uganda die Kämpfe zwischen der LRA und der ugandischen Armee, die bis 2006 andauerten. In dieser Zeit wurden laut Schätzungen von UNICEF zwischen 35.000 und 66.000 Kinder und Jugendliche von der LRA entführt, als Soldaten zwangsrekrutiert und sexuell versklavt sowie zehntausende Zivilisten getötet, verstümmelt, gefoltert oder vergewaltigt. Auch die Armee beging Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Die Infrastruktur der Region wurde zerstört und mehr als 90% der Bevölkerung drängten sich unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern für Binnenvertriebene.

Die LRA begründete ihre Aktionen damit, die Regierung stürzen und so die politische Teilhabe und Entwicklung des Nordens erreichen zu wollen. Sie verband ihren Widerstand gegen die Regierung mit der spirituellen Mission, die Acholi – die größte ethnische Gruppe in der Region – zu "reinigen". Dabei wurden christliches Gedankengut und tradierte Überzeugungen verschmolzen. Die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung wurden als Vergeltungsmaßnahmen gegen vermeintliche Regierungskollaborateure sowie fehlende Unterstützung des Kampfes um eine "erneuerte" Acholi-Gesellschaft gerechtfertigt. Dem gegenüber betrachtete die Regierung in Kampala den Konflikt lange Zeit als ein "Problem des Nordens", das die Stabilität und Entwicklung des ganzen Landes bedrohte und militärisch entschieden werden müsse.
 

Bearbeitungs- und Lösungsansätze



Die ugandische Regierung versuchte vor allem, den Konflikt militärisch einzudämmen, suchte aber auch nach politischen Lösungen. Im Jahre 2000 erließ sie ein Amnestiegesetz, um LRA-Kombattanten zur Rückkehr zu bewegen. Ende 2003 wandte sie sich an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag, der daraufhin die völkerstrafrechtlichen Verbrechen der LRA-Führung untersuchte und 2005 Haftbefehle gegen Josep Kony und vier weiter LRA-Kommandanten erließ.

Seit langem bemühen sich auch Acholi-Politiker und zivilgesellschaftliche Kräfte in Nord-Uganda – vor allem kulturelle und religiöse Führer sowie lokale NROs – um eine friedliche Lösung. Sie werden von Initiativen in der Acholi-Diaspora sowie von Geberländern, internationalen NROs, Mediatoren und UN-Organisationen unterstützt. Es ist in hohem Maße ihrem Engagement zu verdanken, dass Mitte 2006 Verhandlungen zwischen der LRA und der ugandischen Regierung in Juba, Süd-Sudan begannen, die bis 2008 andauerten. Die LRA-Führung ließ sich von Sympathisanten aus der Diaspora vertreten, da sie infolge der Haftbefehle durch den ICC ihre Festnahme befürchtete.

Im Laufe der Verhandlungen wurden ein Waffenstillstandsabkommen, ein Rahmenwerk zur Herstellung von Gerechtigkeit und Versöhnung, eine Vereinbarung zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von LRA-Kombattanten sowie ein Plan zum Wiederaufbau Nord-Ugandas unterzeichnet Ein abschließender Friedensvertrag kam jedoch nicht zustande. Kony machte seine Unterschrift von der Bedingung abhängig, dass die Haftbefehle des ICC aufgehoben würden.

Vertreter der ugandischen Friedensinitiativen nahmen beratend an den Friedensverhandlungen in Juba teil. Sie sprachen sich gegen die Intervention des ICC aus und plädierten stattdessen für eine Kombination von nationalem Recht und traditionellen Verfahren, um LRA-Kombattanten zur Rechenschaft zu ziehen und gleichzeitig zu Versöhnung und sozialer Reintegration beizutragen. Sie bemühen sich auch heute noch, einen Friedensvertrag zu erreichen, und engagieren sich für die Reintegration früherer LRA-Kämpfer in die lokalen Gemeinschaften und die Rückkehr der zwangsrekrutierten Kinder und Jugendlichen, die inzwischen in den Nachbarländern mit der LRA kämpfen. Zudem unterstützen sie den Wiederaufbau der Infrastruktur und des Wirtschafts-, Erziehungs- und Gesundheitssystems in Nord-Uganda.

Eine 2008 eingerichtete Spezialabteilung für Kriegsverbrechen des Obersten Gerichtshofs Ugandas, die 2011 in "International Crimes Division" umbenannt wurde, eröffnete im Juli 2011 ein erstes Verfahren gegen den hochrangigen LRA-Kommandanten Thomas Kwoyelo. Das Verfahren wurde jedoch kurze Zeit später eingestellt, weil Kwoyelo Amnestie beantragt hatte. Im März 2012 wurde der strategische Kopf der LRA Caesar Achellam verhaftet, der seinem Prozess entgegensieht.

Die ugandische Regierung startete 2007 den Peace, Recovery and Development Plan for Northern Uganda (PRDP), um den Friedensprozess zu unterstützen. Der Plan zielt auf die Verbesserung der Sicherheitslage, die Wiederherstellung der Infrastruktur und die Entwicklung des Wirtschafts-, Erziehungs- und Gesundheitssystems. Eingeschlossen ist ebenfalls die psychosoziale Beratung und soziale und ökonomische Reintegration von früheren LRA-Kombattanten, lokalen Milizen und Opfern von LRA-Übergriffen. Die zweite Phase des PRDP (2012-2015) sieht zusätzlich die Konsolidierung der staatlichen Autorität auf lokaler Ebene (Verwaltung, Justiz und Polizei) vor. Auch wurde das 2012 aufgehobene Amnestiegesetz im Mai 2013 wiedereingeführt und für zwei weitere Jahre verlängert.
 

Geschichte des Konflikts



Nachdem Museveni’s National Resistance Army 1986 gewaltsam die Macht übernommen hatte, formierten sich im Norden zwei bewaffnete Gruppierungen – die Uganda People's Democratic Army (UPDA), welche aus der früheren Regierungsarmee hervorging, und die Holy Spirit Movement (HSM). Die HSM wurde von Alice Auma Lakwena geführt, die als Geistermedium wirkte. Beide Bewegungen wurden von der ugandischen Armee aufgerieben. Aus den Teilen der UPDA, die einen Friedensvertrag mit der Regierung abgelehnten, und den Resten der HSM formte Joseph Kony 1988 die United Holy Salvation Army (UHSA), die 1991 in United Democratic Christian Army (UDCA) und 1992 in Lord’s Resistance Army (LRA) umbenannt wurde.

Bis in die frühen 1990er Jahre richtete die LRA ihre Aktionen vor allem gegen öffentliche Einrichtungen. Geschwächt durch eine Offensive der ugandischen Armee 1991 vermied die LRA fortan die direkte militärische Konfrontation. Wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen an Zivilisten verlor sie zudem die anfängliche Sympathie und Unterstützung in der Bevölkerung. Als 1993/94 Verhandlungen beider Seiten scheiterten, zog sich die LRA in den Süd-Sudan zurück und operierte von dort aus mit Unterstützung der sudanesischen Regierung. Als Gegenleistung kämpfte die LRA im Süd-Sudan gegen die aufständische Sudan People’s Liberation Army (SPLA), die ihrerseits von Uganda und den USA unterstützt wurde. Ab Ende 1996 wurde der Großteil der Bevölkerung Nord-Ugandas von der Regierung unter erheblichem Druck in Lager ("protected villages") für Binnenvertriebene umgesiedelt.

1998 begannen die USA, Uganda militärisch und logistisch zu unterstützen. Zudem normalisierten sich nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Uganda und dem Sudan 1999 die Beziehungen beider Länder. Trotzdem ließ die sudanesische Regierung die LRA nicht fallen.

Im Zuge des von den USA ausgerufenen "war on terrorism" wurde 2002 die LRA auf die Liste terroristischer Gruppierungen gesetzt und das ugandische Parlament verabschiedete den "Anti-Terrorism Act". Nach einer Großoffensive der Armee, die mit Zustimmung der sudanesischen Regierung auf den Süd-Sudan ausgedehnt wurde, kehrten zahlreiche LRA-Kombattanten nach Nord-Uganda zurück. Die Regierung zwang nun auch den Rest der Bevölkerung in die Lager, um das Territorium militärisch besser kontrollieren zu können.

Die Armee startete ab März 2004 eine weitere Offensive. Im Januar 2005 unterzeichneten die sudanesische Regierung und die aufständische Sudan People’s Liberation Army (SPLA) im Süd-Sudan einen Friedensvertrag, woraufhin die Unterstützung der LRA durch den Sudan zumindest offiziell eingestellt wurde. In der Folgezeit wurden viele LRA-Kämpfer festgenommen oder liefen über. Die LRA-Führung zog sich daraufhin nach Ost-Kongo zurück und willigte 2006 in Friedensverhandlungen mit der ugandischen Regierung ein.

Die Veränderung der geopolitischen und militärischen Gesamtsituation in der Region schuf die Voraussetzungen dafür, dass die LRA schrittweise in die Defensive gedrängt werden konnte. Nach ihrer Vertreibung aus Nord-Uganda konnte dort ein schwieriger und langwieriger Friedensprozess beginnen.
 

Literatur



Allen, Tim/ Vlassenroot, Koen (Hrsg.) (2010): The Lord’s Resistance Army, London, New York: Zed Books.

Burke, Christopher/ Omiat Egaru, Emmanuel (2011): Identification of Good Practices in Land Conflict Resolution in Acholi, Kampala: United Nations Peacebuilding Programme, United Nations Resident Coordinator’s Office (UNRCO) for Uganda.

Conciliation Resources (2010): Initiatives to end the Violence in Northern Uganda 2002-09 and the Juba Peace Process, London: Conciliation Resources.

Lenhart, Lioba (2012): Negotiating Justice for Northern Uganda, in: Ovuga, E./ Opiyo, E./ Obika, J.A./ Olido, K. (Hrsg.): Conflict and Peace Studies in Africa, Gulu: Gulu University, S. 90-114.

Stichick Betancourt, Theresa/ Speelman, Liesbeth/ Onyango, Grace/ Bolton, Paul (2009): Psychosocial Problems of War-Affected Youth in Northern Uganda: A Qualitative Study, in: Transcult Psychiatry, Vol. 46, No.2, S. 238–256.
 

Links



»Agger, Kasper (2013): Blind Spots. Gaining Access to Areas Where the LRA Operates, Enough Project, November 2013.«

»Enough Project (2012): The LRA in Congo, CAR, and South Sudan.«

»Human Rights Watch (2010): Trail of Death. LRA Atrocities in Northeastern Congo.«

» International Crisis Group (2011): The Lord’s Resistance Army: End Game? In: Africa Report, N° 182, 17 November 2011.«


 
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