Document #1055887
Amnesty International (Author)
Im Laufe des Jahres 2014 gingen erneut Berichte über Fälle von Verschwindenlassen, außergerichtlichen Hinrichtungen und Folter im Kontext von Gewaltkriminalität und fehlender Rechenschaftspflicht bei Polizei und Militär ein. Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen und gewöhnliche Straftaten war weiterhin die Regel.
Laut offiziellen Angaben belief sich die Zahl der als entführt, "verschwunden" oder vermisst geltenden Personen auf 22000; unter ihnen befanden sich 43 Studenten aus dem Bundesstaat Guerrero. Bemühungen, vermisste Personen zu finden, blieben im Allgemeinen erfolglos. Berichten zufolge waren Folter und andere Misshandlungen nach wie vor an der Tagesordnung, und die Anklagebehörden des Bundes und der Bundesstaaten gingen diesbezüglichen Beschwerden nicht angemessen nach. Der Oberste Gerichtshof verschärfte die gesetzlichen Regelungen dahingehend, dass unter Folter erlangte Beweise vor Gericht nicht verwendet werden dürfen. Auch 2014 wurden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen Militärangehörigen zugeschrieben, die nach wie vor häufig für Polizeiaufgaben, einschließlich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, eingesetzt wurden. Nach Jahrzehnten intensiver Kampagnenarbeit von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für Menschenrechtsverletzungen von Militärangehörigen an Zivilpersonen aufgehoben. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden schikaniert, bedroht und getötet; gegen einige von ihnen wurden politisch motivierte Anklagen erhoben. Migranten ohne gültige Ausweispapiere, die Mexiko durchquerten, sahen sich der Gefahr ausgesetzt, Opfer von Mord, Entführung, Erpressung, sexueller Gewalt oder Menschenhandel zu werden; die Täter wurden nur sehr selten zur Verantwortung gezogen. Obwohl es Gesetze zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gab, gehörte geschlechtsspezifische Gewalt in vielen Bundesstaaten zum Alltag. Projekte für wirtschaftliche Entwicklung und Rohstoffabbau in verschiedenen Landesteilen, die Auswirkungen auf indigene Gemeinschaften hatten, führten zu Protesten und der Forderung nach angemessener Konsultation und vorheriger Zustimmung.
Die Regierung setzte ihr Programm zur Reformierung der gesetzlichen Bestimmungen in den Bereichen Energie, Bildungswesen, Telekommunikation und Politik fort. Obwohl ein neues Nationales Menschenrechtsprogramm beschlossen wurde, waren kaum substanzielle Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation zu erkennen.
Mehrere Bundesstaaten, darunter Puebla, Quintana Roo, Chiapas und der Bundesdistrikt (Distrito Federal), verabschiedeten 2014 Gesetze über den Einsatz von Gewalt durch Ordnungskräfte bei Demonstrationen oder beabsichtigten, derartige Gesetze zu verabschieden. Die Gesetzesänderungen standen nicht im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards und bedrohten die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Ende 2014 fanden im Bundesstaat Puebla, der kurz zuvor ein derartiges Gesetz verabschiedet hatte, Ermittlungen gegen Polizeibeamte wegen der Tötung eines 13-jährigen Jungen statt. Der Tod des Jungen während einer Demonstration war möglicherweise auf den exzessiven Einsatz von Gewalt zurückzuführen. Nach diesem Vorfall wurde eine Prüfung der gesetzlichen Änderungen eingeleitet.
Im November 2014 ernannte der Senat einen neuen Präsidenten der Nationalen Menschenrechtskommission (Comisión Nacional de los Derechos Humanos - CNDH) für den Zeitraum 2014-2019. Menschenrechtsorganisationen hatten umfassende Konsultation und Transparenz in Übereinstimmung mit internationalen Standards gefordert. Der Senat ließ jedoch nur ein einziges Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu, bei dem eine begrenzte Anzahl von Organisationen kurz ihre Standpunkte vortragen konnte, ohne dass anschließend darüber diskutiert wurde. Menschenrechtsverteidiger wiesen erneut mit Besorgnis darauf hin, dass die CNDH nicht effektiv genug gegen die ernste Menschenrechtslage vorgehe, und forderten sie auf, ihrer Schlüsselrolle beim Schutz der Menschenrechte und im Kampf gegen die Straflosigkeit gerecht zu werden.
Gegen Ende des Jahres 2014 fanden zahlreiche Massendemonstrationen statt, auf denen Gerechtigkeit für die 43 Studierenden aus dem Bundesstaat Guerrero gefordert wurde, die am 26. September 2014 Opfer des Verschwindenlassens geworden waren. Als Reaktion auf die Proteste verkündete Präsident Peña Nieto am 27. November eine Reihe neuer gesetzlicher und politischer Maßnahmen, darunter eine Verfassungsänderung, mit der die kommunalen Polizeieinheiten aufgelöst und durch Einsatzkräfte unter Aufsicht der Bundesstaaten ersetzt werden sollen. Diese Maßnahmen sollen schrittweise umgesetzt werden, zunächst in den Bundesstaaten Guerrero, Jalisco, Michoacán und Tamaulipas. Weitere Vorschläge des Präsidenten betrafen die Einführung einer zentralen Notrufnummer 911 sowie die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen im verarmten Süden des Landes.
Trotz offizieller Verlautbarungen, wonach die Anzahl der Gewalttaten in Verbindung mit organisierter Kriminalität rückläufig war, blieb die Situation weiterhin besorgniserregend. In den ersten neun Monaten des Jahres 2014 wurden insgesamt 24746 Personen ermordet, verglichen mit 26001 in den ersten neun Monaten des Jahres 2013. Laut einer im September 2014 veröffentlichten offiziellen nationalen Studie war die Anzahl der Entführungen von 105682 im Jahr 2012 auf 131946 im Jahr 2013 angestiegen. In vielen Bundesstaaten nahmen Militärangehörige weiterhin Polizeiaufgaben wahr, praktisch ohne einem Rechenschaftsmechanismus zu unterliegen. In der Folge gingen regelmäßig Berichte über willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen sowie außergerichtliche Hinrichtungen ein.
Als Reaktion auf das hohe Maß an Gewalt in Verbindung mit organisiertem Verbrechen - und häufig in geheimer Absprache mit Lokalbehörden - gründeten sich im Bundesstaat Michoacán mehrere bewaffnete Bürgerwehren. Daraufhin entsandte die mexikanische Regierung eine große Anzahl von Angehörigen der Streitkräfte und der Bundespolizei sowie einen neu ernannten Bundeskommissar nach Michoacán, um die Sicherheitspolitik in diesem Bundesstaat zu überwachen. Verhandlungen mit mehreren Bürgerwehrgruppen hatten zum Ergebnis, dass diese als Landpolizei (Fuerzas Rurales) in die offiziellen staatlichen Sicherheitskräfte integriert wurden.
Indigene Gemeinschaften im Bundesstaat Guerrero erhoben den Vorwurf, einige ihrer Mitglieder und Sprecher seien inhaftiert und strafrechtlich verfolgt worden. Vor dem Hintergrund anhaltender Vernachlässigung und ansteigender Verbrechenszahlen hatten sich diese Gemeinschaften zuvor mit der Regierung darauf geeinigt, in den von ihnen bewohnten Gebieten Polizeiaufgaben in eigener Verantwortung zu übernehmen. Die Fälle von Inhaftierung und strafrechtlicher Verfolgung schienen politisch motiviert zu sein.
Ende Juni 2014 töteten Soldaten 22 Personen, die angeblich einer bewaffneten Bande in Tlatlaya im Bundesstaat Mexiko angehörten. Die Militärbehörden versicherten, dass es sich bei dem Vorfall um ein Feuergefecht mit bewaffneten Männern gehandelt habe. Der Bundesstaatsanwalt führte keine weiteren Ermittlungen durch, obwohl Beweise dafür vorlagen, dass einige der Opfer aus naher Entfernung getötet worden waren. Im September 2014 veröffentlichten Medien Augenzeugenberichte, denen zufolge sich viele der Getöteten nach einem kurzen Schusswechsel ergeben hätten und danach außergerichtlich hingerichtet worden seien. Anfang November wurden sieben Militärangehörige im Zusammenhang mit den Hinrichtungen angeklagt; bis Ende 2014 waren die Ermittlungen gegen sie noch nicht abgeschlossen. Unklar blieb, ob sich auch Beamte, die den Vorfall zu vertuschen versucht hatten, vor Zivilgerichten verantworten müssen.
Nach einigen Verzögerungen nahm im August 2014 die neu gegründete Nationale Gendarmerie als Abteilung der Bundespolizei mit 5000 Beamten ihre Tätigkeit auf. Die neue Polizeitruppe war wesentlich kleiner als ursprünglich geplant. Ihre Rolle und ihre operativen Praktiken waren noch unklar. Die Regierung kam Empfehlungen nicht nach, für wirksame Rechenschaftsmechanismen und operative Regeln sowie eine effektive Überwachung zu sorgen, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Die neue Gendarmerie nahm in den Bundesstaaten Mexiko und Guerrero zeitweilig Polizeiaufgaben wahr.
Entführungen und Verschwindenlassen waren weiterhin in vielen Landesteilen an der Tagesordnung. Der Verbleib der meisten Opfer blieb unbekannt. Im Verlauf des Jahres 2014 machte die Regierung eine Reihe widersprüchlicher Angaben über die Anzahl der Personen, die als "verschwunden" oder vermisst gemeldet worden waren und deren Aufenthaltsort unbekannt war. Im August 2014 gab die Regierung die Zahl der vermissten Personen mit 22611 an; 9790 Personen seien während der Amtszeit der aktuellen Regierung und 12821 während der Amtszeit von Präsident Felipe Calderón (2006-2012) als vermisst gemeldet worden. Die Regierung gab jedoch nicht bekannt, wie die Berechnung zustande gekommen war. Für Fälle des Verschwindenlassens blieb Straflosigkeit die Regel. Im April 2014 meldete die Regierung, dass es bisher auf Bundesebene nur insgesamt sieben Verurteilungen wegen der Straftat des Verschwindenlassens gegeben habe; alle Urteile seien zwischen 2005 und 2010 ergangen.
Im September 2014 "verschwanden" 43 Studierende eines Lehrerausbildungszentrums in Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero. Man ging davon aus, dass lokale Polizeikräfte, die im Einvernehmen mit kriminellen Banden agierten, für das Verschwindenlassen der Studierenden verantwortlich waren. Im Zuge der Ermittlungen wurden mehrere Massengräber gefunden und eine Müllhalde mit menschlichen Überresten entdeckt. Im November 2014 gab der Generalstaatsanwalt bekannt, dass die Ermittlungsergebnisse, die auf den Zeugenaussagen von drei mutmaßlich in den Fall verwickelten Bandenmitgliedern basierten, zu der Erkenntnis geführt hätten, dass die Studierenden getötet und verbrannt und ihre Überreste danach in einen Fluss geworfen worden seien. In seiner Verlautbarung versäumte er es jedoch, das generell hohe Maß an Straflosigkeit, Korruption und die große Zahl unaufgeklärter Fälle des Verschwindenlassens in Mexiko zu thematisieren. Mehr als 70 lokale Beamte und Bandenmitglieder wurden festgenommen und in Verbindung mit dem Fall angeklagt. Es gab jedoch keine Informationen darüber, ob sich in diesem Fall möglicherweise auch Beamte auf der Ebene des Bundesstaates oder des Bundes durch eine Handlung oder Unterlassung mitschuldig gemacht hatten. Am 7. Dezember erklärte der Generalstaatsanwalt, dass unabhängige forensische Experten die Überreste von einem der 43 vermissten Studierenden identifiziert hätten. Das Schicksal der übrigen 42 Studenten war Ende 2014 noch ungeklärt.
Willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und andere Misshandlungen durch Angehörige der Streitkräfte wie auch durch Bundes-, bundesstaatliche und kommunale Polizeikräfte waren weiterhin in ganz Mexiko an der Tagesordnung. Diese Menschenrechtsverletzungen wurden häufig mit dem Ziel begangen, von den Betroffenen zu Strafverfolgungs- oder Erpressungszwecken "Geständnisse" oder andere Informationen zu erzwingen. Trotz zahlreicher Beschwerden auf Bundes- und bundesstaatlicher Ebene wurden nur wenige Strafverfahren eingeleitet, und fast keine der für derartige Delikte verantwortlichen Beamten verurteilt.
Wie in den Vorjahren fand das für Fälle mutmaßlicher Folter vorgesehene medizinische Untersuchungsverfahren des forensischen Dienstes der Generalstaatsanwaltschaft meist keine Anwendung. In den wenigen Fällen, in denen die Untersuchung erfolgte, war das Ergebnis in der Regel für die Kläger unbefriedigend, weil die Beamten das Verfahren im Allgemeinen nicht in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Istanbul-Protokolls anwendeten. Das Istanbul-Protokoll verlangt u.a., dass die Untersuchungsverfahren schnell durchgeführt und die Folteropfer umfassend über die Resultate informiert werden. In zwei Ausnahmefällen ließ die Generalstaatsanwaltschaft Anklagen gegen Opfer von Folter fallen, nachdem sie schließlich Beweise dafür akzeptierte, dass die Angeklagten gefoltert worden waren, bevor sie sich wahrheitswidrig selbst bezichtigt hatten. Die Folteropfer hatten zwischen drei und fünf Jahren in Untersuchungshaft verbracht. Erst unabhängige medizinische Untersuchungen, die entsprechend den Anforderungen des Istanbul-Protokolls durchgeführt worden waren, hatten den Nachweis erbracht, dass sie gefoltert worden waren.
Im Mai 2014 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof Mexikos sein im Jahr 2013 gefälltes Urteil im Fall von Israel Arzate, der von Armeeangehörigen willkürlich festgenommen und gefoltert worden war. Er sollte so zu dem für die Anklageerhebung erforderlichen "Geständnis" genötigt werden, dass er am Massaker von Villas de Salvárcar im Jahr 2010 beteiligt war. Das Urteil legte wichtige Kriterien für die Unzulässigkeit von Beweismitteln fest, die durch rechtswidrige Inhaftierung oder Folter erlangt wurden, und betonte die Pflicht der Justiz zur Untersuchung von Foltervorwürfen. Das Urteil gilt jedoch nicht als bindender Präzedenzfall für andere Gerichte.
Sicherheits- und Strafjustizbeamte ignorierten Menschenrechtsverletzungen häufig und waren weiterhin bei Ermittlung und Strafverfolgung von gewöhnlichen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen wenig erfolgreich. Hierdurch wurde das Klima der Straflosigkeit weiter verstärkt und das Vertrauen in das Rechtssystem geschwächt. Im März 2014 trat als Teil einer schrittweise durchgeführten Justizreform eine neue einheitliche Strafprozessordnung (Código Nacional de Procedimientos Penales) in Kraft, die für alle 33 Strafgerichtsbarkeiten der Bundesstaaten und des Bundes gilt. Die Regierung gab sich überzeugt davon, dass die Anwendung der Strafprozessordnung den Schutz der Menschenrechte verbessern werde, da sie Beweise, die durch Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrige Inhaftierungen und Folter erlangt werden, für unzulässig erkläre. Die Strafprozessordnung wurde jedoch noch nicht angewendet, und die Kriterien für den Ausschluss von durch Folter erlangten Beweisen mussten noch im Detail ausgearbeitet werden.
Im Januar 2014 wurde die Exekutivkommission für die Opferfürsorge (Comisión Ejecutiva de Atención a Víctimas - CEAV) entsprechend dem Allgemeinen Nationalen Opferschutzgesetz (Ley General de Víctimas) eingerichtet, um Verbrechensopfern, einschließlich Opfern von Menschenrechtsverletzungen, verbesserten Zugang zu Justiz und Wiedergutmachung zu ermöglichen. Die Kommission trat an die Stelle der Sonderstaatsanwaltschaft zur Betreuung von Verbrechensopfern (Procuraduría Social de Atención a las Víctimas de Delitos), aber es war noch nicht klar, ob sie mit ausreichenden finanziellen Mitteln und Vollmachten ausgestattet werden würde, um den Bedürfnissen der Opfer Rechnung tragen zu können. Die Durchführungsverordnung für das Allgemeine Opferschutzgesetz war noch nicht verabschiedet worden, sodass das Gesetz nur eingeschränkt Anwendung finden konnte.
Im Juni 2014 traten Änderungen des Militärstrafgesetzbuchs in Kraft. Die Reformen, die nach einer seit Jahren von Betroffenen und Menschenrechtsorganisationen geführten Kampagne zustande gekommen waren, schlossen Verbrechen, die von Angehörigen der Streitkräfte gegenüber Zivilpersonen begangen werden, aus dem Zuständigkeitsbereich der Militärgerichtsbarkeit aus. Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen der Streitkräfte blieben dagegen im Zuständigkeitsbereich der Militärjustiz. Die Reformen sind dennoch ein großer Fortschritt auf dem Weg zur Beendigung der Straflosigkeit bei Menschenrechtsverstößen seitens Militärangehöriger. Ende 2014 waren noch vier Angehörige des Militärs im zivilen Justizsystem inhaftiert. Sie waren angeklagt, 2002 an einer Vergewaltigung von zwei indigenen Frauen - Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú - beteiligt gewesen zu sein.
Zahlreiche Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden aufgrund ihrer legitimen Tätigkeit Opfer von Vergeltungsmaßnahmen wie Drohungen, Angriffen und Tötungen. Soweit bekannt, wurden die für die Taten Verantwortlichen nicht identifiziert und vor Gericht gestellt. Die Hauptursache hierfür lag darin, dass die Untersuchungen mangels ausreichenden Interesses von offizieller Seite, insbesondere von bundesstaatlichen Behörden, unzureichend blieben. Durch die allgegenwärtige Straflosigkeit wurde das Klima der Unsicherheit, in dem Menschenrechtsverteidiger und Journalisten ihrer Arbeit nachgingen, noch weiter verschärft.
Im November 2014 wurde bekannt gegeben, dass während der ersten neun Monate des Jahres 2014 unter dem der Zentralregierung unterstehenden Mechanismus für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten (Mecanismo de Protección para Personas Defensoras de los Derechos Humanos y Periodistas) 72 Anträge auf Schutzmaßnahmen gestellt wurden. Im Allgemeinen war der Mechanismus nach wie vor nicht imstande, für rechtzeitigen und effektiven Schutz zu sorgen. Die vereinbarten Schutzmaßnahmen hingen häufig von der Unterstützung durch lokale Behörden ab. Das galt sogar für Fälle, in denen die lokalen Behörden mutmaßlich in die Übergriffe verwickelt waren. Mehrere Personen, denen Schutzmaßnahmen zuerkannt worden waren, sahen sich gezwungen, aus Sicherheitsgründen zeitweilig ihren Wohnort zu verlassen. Andere Menschenrechtsverteidiger und Journalisten warteten nach wie vor auf die Überprüfung ihrer Fälle durch den Mechanismus.
Mehrere Menschenrechtsverteidiger und Bürgerrechtler wurden strafrechtlich verfolgt. Die zugrundeliegenden Anklagen ließen vermuten, dass sie politisch motiviert und Vergeltungsmaßnahmen für legitime Aktivitäten wie Teilnahme an Protestaktionen waren. Viele der Betroffenen mussten langwierige juristische Auseinandersetzungen in unfairen Gerichtsverfahren ausfechten, um ihre Unschuld zu beweisen.
Gewaltverbrechen gegen Frauen und Mädchen wie Vergewaltigung, Entführung und Mord waren nach wie vor im ganzen Land weit verbreitet. Viele Behörden setzten die rechtlichen und administrativen Maßnahmen nicht um, mit denen die Prävention und die Untersuchung von geschlechtsspezifischer Gewalt sowie der Schutz vor derartiger Gewalt hätten verbessert werden können. Das nationale System für die Verhütung, Bestrafung und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (Sistema Nacional para Prevenir, Atender Sancionar y Erradicar la Violencia contra las Mujeres - SNPASEVM) lehnte es ab, den Mechanismus für Notfallmaßnahmen in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt (Alerta de Género) anzuwenden, der staatliche Behörden in die Lage versetzen soll, die weitverbreitete geschlechtsspezifische Gewalt durch die Entwicklung und den Einsatz wirksamer staatlicher Gegenstrategien zu bekämpfen.
Im Januar 2014 ordnete der Nationale Oberste Gerichtshof die Entlassung von Adriana Manzanares Cayetano an. Die indigene Frau hatte sechs Jahre einer 22-jährigen Haftstrafe verbüßt, nachdem sie wegen der Tötung ihres neugeborenen Babys verurteilt worden war. Beweismittel, die belegten, dass das Kind tot zur Welt kam, waren im Verfahren ignoriert und ihre Rechte auf effektive Verteidigung und Unschuldsvermutung verletzt worden.
Unsicherheit und soziale Verelendung in ihren Heimatländern trieb eine steigende Anzahl zentralamerikanischer Migranten dazu, Mexiko zu durchqueren, um in die USA zu gelangen. Viele von ihnen waren unbegleitete Kinder. Migranten wurden nach wie vor von kriminellen Banden, die häufig im Einvernehmen mit Staatsbediensteten agierten, getötet, entführt oder erpresst. Frauen und Kinder waren besonders der Gefahr von sexueller Gewalt und Menschenhandel ausgesetzt. Immer wieder gingen Berichte ein, denen zufolge Polizei- und Migrationsbeamte Migranten bei ihrer Festnahme misshandelten. Migranten ohne gültigen Aufenthaltsstatus wurden weiterhin bis zu ihrer Abschiebung in Verwaltungshaft gehalten.
Personen, die für die Rechte der Migranten eintraten, ihnen sichere Zufluchtsorte zur Verfügung stellten oder Verstöße gegenüber Migranten anprangerten, waren weiterhin Drohungen und Einschüchterungen ausgesetzt. Zwar wurde für einige von ihnen staatlicher Schutz angeordnet, doch kam es nicht immer zur effektiven Anwendung der Schutzmaßnahmen, sodass weitere Bedrohungen nicht verhindert werden konnten. Die für die Bedrohungen Verantwortlichen wurden nicht vor Gericht gestellt.
Indigene Gemeinschaften litten weiterhin unter Diskriminierung im Strafrechtssystem sowie unter dem eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen wie Wasser, Wohnraum und Gesundheitsfürsorge. Da die indigenen Gemeinschaften bei der Planung von wirtschaftlichen Entwicklungsprojekten, die ihr Land und ihre traditionelle Lebensweise beeinträchtigten, nicht ausreichend konsultiert wurden und somit in ihrem Recht auf freiwillige und vorherige Zustimmung nach Inkenntnissetzung verletzt wurden, kam es zu Protesten und Auseinandersetzungen. Diese hatten wiederum Bedrohungen und Angriffe gegen Sprecher der Gemeinschaften zur Folge. In einigen Fällen wurden Personen, die sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzten, auch strafrechtlich verfolgt, wobei die zugrundeliegenden Vorwürfe offensichtlich politisch motiviert waren.
Im März 2014 nahm Mexiko 166 von 176 Handlungsempfehlungen an, die der UN-Menschenrechtsrat anlässlich der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung der Menschenrechtslage in Mexiko ausgesprochen hatte. Im Mai 2014 besuchte der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Mexiko und stellte in seinen vorläufigen Schlussfolgerungen fest, dass Folter und andere Misshandlungen noch weit verbreitet seien. Im Juni veröffentlichte der Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen den Bericht über seine Anfang 2013 durchgeführte Mission in Mexiko. Darin hob er die hohe Mordrate und das große Ausmaß der Straflosigkeit hervor. Im August 2014 legte der Sonderberichterstatter über die Menschenrechte von Migranten der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte den Bericht über seinen Besuch in Mexiko vor. Der Bericht enthielt detaillierte Informationen über weitverbreitete Gewalt gegen Migranten, die Verweigerung fairer Verfahren und rechtlichen Schutzes sowie andere Menschenrechtsverstöße.
Ein im Juli 2014 verabschiedetes Telekommunikationsgesetz (Ley Telecom) wurde von vielen Seiten kritisiert, da die Befürchtung bestand, dass die Exekutive dadurch willkürlich Kontrolle über das Internet ausüben könne und die Rechte gegen das Abhören elektronischer Kommunikation erheblich geschwächt würden.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Mexico (Periodical Report, English)