Amnesty International Report 2010 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Tschechische Republik
Staatsoberhaupt: Václav Klaus
Regierungschef: Jan Fischer (löste Mirek Topolánek im April im Amt ab)
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 10,4 Mio.
Lebenserwartung: 76,4 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 5/4 pro 1000 Lebendgeburten

Das Parlament stimmte einem Antidiskriminierungsgesetz zu, dessen Verabschiedung mehrere Jahre durch ein Veto des Staatspräsidenten verhindert worden war. 2009 gab es vermehrt Hassreden gegen Roma sowie Aufmärsche rechtsextremer Parteien und Gruppen. Roma wurden weiterhin in den Bereichen Bildung und Wohnen ausgegrenzt. Zwar entschuldigte sich die Regierung für Zwangssterilisierungen von Roma-Frauen aus der Vergangenheit, doch wiesen die Gerichte individuelle Anträge auf Entschädigungszahlungen ab.

Hintergrund

Im März 2009 verlor die Regierung unter Ministerpräsident Mirek Topolánek ein Misstrauensvotum und wurde im April durch eine Übergangsregierung unter Jan Fischer abgelöst.

Das Parlament verabschiedete im Juni gegen das Veto von Staatspräsident Václav Klaus ein Antidiskriminierungsgesetz. Somit kam das Land mit einigen Jahren Verzögerung schließlich seinen Verpflichtungen gemäß den EU-Richtlinien in Bezug auf das Recht auf Gleichbehandlung am Arbeitsmarkt und den Schutz vor Rassendiskriminierung nach. Das neue Gesetz gewährleistet das Recht auf Gleichbehandlung und verbietet Diskriminierung in den Bereichen Bildung, Arbeit und Wohnen.

Diskriminierung - Roma

Roma waren in zunehmenden Maße unverhohlener Feindseligkeit im öffentlichen Raum ausgesetzt und litten unter Ausgrenzung in Schulen und auf dem Wohnungsmarkt sowie unter Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt.

Anschläge gegen Roma

Das Oberste Verwaltungsgericht wies den Antrag der Regierung auf Verbot der rechtsextremen Arbeiterpartei (Delnická strana) unter Hinweis auf eine unzureichende Beweislage ab. Auf Initiative der Arbeiterpartei entstanden Bürgerwehren, deren Patrouillen sich gegen Roma richteten.

Der Europäische Ausschuss gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wies in einem Bericht vom September mit Besorgnis auf vermehrte Hassreden gegen Roma im öffentlichen Diskurs sowie auf wiederholte Demonstrationen rechtsextremer Gruppierungen hin. Der Ausschuss empfahl eine rigorose Anwendung von Gesetzen, die rassistisch motivierte Gewalt und Volksverhetzung unter Strafe stellen.

  • Rechtsextreme Gruppierungen veranstalteten am 4. April 2009 einen Marsch durch das vornehmlich von Roma bewohnte Viertel der Stadt Prerov. Die Arbeiterpartei, die zu dem Marsch ursprünglich aufgerufen hatte, distanzierte sich später davon. Etwa 500 Demonstranten marschierten durch den Ort und die Roma-Siedlung und skandierten dabei romafeindliche Parolen. Ihnen schlossen sich Bewohner aus Prerov an. Ein Aufgebot von etwa 700 Polizisten verhinderte tätliche Angriffe auf Roma. Später kam es dann doch zu Ausschreitungen, als Demonstranten Angehörige der Bereitschaftspolizei und der berittenen Polizeistaffel angriffen.
  • Am 18. April 2009 wurden in dem Dorf Vítkov Molotowcocktails in die Wohnung einer Roma-Familie geworfen, in der Pavel Kudrik mit seiner Lebensgefährtin, vier Töchtern und zwei weiteren Familienangehörigen lebte. Die Wohnung wurde durch den Brand völlig zerstört, und das Ehepaar erlitt schwere Verletzungen. Ihre zweijährige Tochter Natálka musste wegen Verbrennungen an 80% ihres Körpers für drei Monate in ein künstliches Koma versetzt und sieben Monate lang im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei nahm im August zwölf Verdächtige fest, von denen vier in Zusammenhang mit dem Brandanschlag angeklagt und die übrigen acht ohne Anklage wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Nach Polizeiangaben handelte es sich bei den Tatverdächtigen um Anhänger rechtsextremer Gruppierungen. Das tschechische Fernsehen berichtete, dass sie den Autonomen Nationalisten (Autonomní nacionalisté) nahestanden, einer Organisation, die Verbindungen zur Arbeiterpartei unterhalten soll.

Im Oktober nahm die Polizei acht Personen fest, die unter dem Verdacht standen, im November 2008 Angriffe auf Roma in Havírov verübt zu haben. Der Fall wurde Ende des Jahres vor dem Regionalgericht in Ostrava (Ostrau) verhandelt.

Recht auf Bildung

Auch zwei Jahre nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dem zufolge die Tschechische Republik Roma-Kinder durch die Einweisung in Sonderschulen diskriminiert hatte, wurde diese Praxis der Ausgrenzung beibehalten. Ihre Zahl in den Grundschulen und Klassen für Schüler mit "leichten geistigen Behinderungen" oder in gesonderten Regelschulen und -klassen für Roma war nach wie vor unverhältnismäßig hoch, obwohl seit 2005 ein Schulgesetz in Kraft ist, das die Kategorie der "Sonderschulen" für Schüler mit leichten geistigen Behinderungen abgeschafft hat. In diesen Klassen und Schulen war das Bildungsangebot oft schlechter als in den Regelschulen.

Die tschechische NGO "Menschen in Not" (Clovek v tísni) stellte im Februar in einem Bericht fest, dass das Bildungssystem des Landes dazu neige, Schüler mit besonderen Bildungsdefiziten auszugrenzen. Eine vom Erziehungsministerium in Auftrag gegebene und im April veröffentlichte Studie zur Segregation von benachteiligten Kindern kam zu dem Schluss, dass fast die Hälfte der Grundschüler aus Roma-Familien entweder keinen Abschluss erlangten oder in Sonderschulen eingewiesen wurden.

  • Das Stadtgericht von Prag wies im April 2009 eine Beschwerde von Jaroslav Such gegen das Bildungsministerium zurück, in der er geltend machte, man habe ihn diskriminiert und ihm das Recht auf Bildung vorenthalten. Jaroslav Such hatte nach eigenen Angaben wegen seiner Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Roma eine Sonderschule besuchen müssen. Das Gericht folgte seiner Argumentation jedoch nicht und verwies darauf, dass die Einweisung in die Sonderschule durch ein psychologisches Gutachten gerechtfertigt gewesen sei.
  • Der Stadtrat von Valasské Mezirící kündigte im Mai 2009 Pläne an, in der örtlichen Regelschule im ersten Schuljahr gesonderte Klassen für Roma und für die übrigen Schüler einzurichten, was mit den besonderen Bildungsbedürfnissen von Roma-Schulkindern begründet wurde. Nach Kritik vonseiten des Ministers für Menschenrechte und des Erziehungsministeriums gab der Stadtrat sein Vorhaben wieder auf.

Recht auf angemessenen Wohnraum

Auch was ihre Wohnsituation anging, hatten Roma weiterhin unter Ausgrenzung zu leiden. In seinem Bericht vom September verzeichnete ECRI keine positiven Entwicklungen zur Lösung dieses Problems und hob das Versäumnis der Regierung hervor, Kommunalbehörden zur Rechenschaft zu ziehen, die das Recht auf angemessenen Wohnraum nicht achteten.

  • Die NGO Zvule práva, eine tschechische Rechtsberatungsstelle für Roma, reichte Klagen gegen kommunale Behörden ein. So beschuldigte sie im Juli 2009 die Stadt Kladno, Roma im Zusammenhang mit Wohnungen ausgegrenzt zu haben. Der Stadt Ostrava warf die Organisation im August vor, Roma bei der Beantragung eines dauerhaften Wohnberechtigungsscheins zu diskriminieren.

Zwangssterilisierung von Roma-Frauen

Es gab Schritte in Richtung des Eingeständnisses der Verantwortung für vergangene Zwangssterilisierungen. So äußerte der Ministerpräsident im November sein Bedauern über rechtswidrige Sterilisierungen und forderte den Gesundheitsminister auf, über die Durchsetzung bestehender Verbotsbestimmungen Bericht zu erstatten. Nach Angaben der Vereinigung der durch Zwangssterilisierungen geschädigten Frauen (Spolek ÿzen postiÿzench neoprávnenou sterilizací), einer tschechischen NGO, sind möglicherweise nicht weniger als 100 Frauen gegen ihren Willen sterilisiert worden. Die meisten dieser Zwangssterilisierungen waren zwar in den 1970er und 1980er Jahren durchgeführt worden, der jüngste berichtete Fall ereignete sich jedoch 2007.

  • Das Verfassungsgericht wies den Antrag einer Roma-Frau, die rechtswidrig sterilisiert worden war, auf finanzielle Entschädigung im Oktober 2009 mit der Begründung zurück, dass ihre Ansprüche verjährt seien. Sie erhielt eine Entschuldigung eines Krankenhauses in Vítkovice, nachdem das Regionalgericht in Ostrava 2005 festgestellt hatte, dass die dortigen Ärzte rechtswidrig handelten, als sie die Sterilisierung ohne Einverständniserklärung der Frau vornahmen. Der Minister für Menschenrechte erklärte daraufhin, dass der Staat trotzdem die Pflicht habe, einen Standpunkt einzunehmen, der den unumkehrbaren Folgen der Sterilisierungen für die betroffenen Frauen Rechnung trägt.

Folter und andere Misshandlungen

Die tschechische Ombudsperson wies in ihrem Bericht vom März darauf hin, dass einige psychiatrische Einrichtungen immer noch Fixierbetten einsetzten, selbst wenn von den Patienten keine Gefahr für sie selbst oder ihre Umgebung ausging. In einigen Fällen waren diese Betten im Inventar der Kliniken aufgeführt. Das Gesundheitsministerium gab im September einen Leitfaden für die Anwendung von Fixierungsmethoden einschließlich des Einsatzes von Betten mit Netzvorrichtung heraus. Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter hatte 2004 die Empfehlung ausgesprochen, umgehend auf Käfigbetten zu verzichten, sowie so rasch wie möglich Betten mit Netzvorrichtung abzuschaffen, die eingesetzt werden, um emotional stark erregte Patienten oder Heimbewohner unter Kontrolle zu bringen.

Amnesty International: Missionen und Bericht

Vertreter von Amnesty International besuchten im Februar und April die Tschechische Republik.

Injustice renamed: discrimination in education of Roma persists in Czech Republic (EUR 71/003/2009)

© Amnesty International

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