Deutschland 2019

Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019

In einer Mehrheit der Bundesländer erhielt die Polizei weitreichende neue Befugnisse, einschließlich umfangreicher Überwachungsmaßnahmen. Es gab vermehrt antisemitische und rassistische Hassverbrechen. Deutschland nahm 25 % der im Mittelmeerraum geretteten Migrant_innen und Flüchtlinge auf. Die Regierung überarbeitete ihre Grundsätze für den Waffenexport.

Internationale Strafgerichtsbarkeit

Der Generalbundesanwalt ermittelte 2019 weiterhin gegen Angehörige der syrischen Militärpolizei und verschiedener syrischer Geheimdienste wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Juni 2018 hatte der Bundesgerichtshof einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan erlassen, der bis Juli 2019 den syrischen Luftwaffengeheimdienst leitete. 

Im Februar 2019 wurden in Deutschland zwei frühere Angehörige des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes festgenommen, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere völkerrechtliche Straftaten zur Last gelegt werden. Im Oktober erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Polizei und Sicherheitskräfte

Die Mehrheit der Bundesländer hatte 2018 und 2019 ihre Landespolizeigesetze geändert und die Befugnisse der Polizei auf Grundlage der jüngsten Änderung des Bundespolizeigesetzes erheblich ausgeweitet.

In den meisten Bundesländern konnten gegen sogenannte "Gefährder" verschiedene behördliche Maßnahmen ergriffen werden, auch wenn kein begründeter Verdacht auf Beteiligung an einer Straftat bestand und sie keine unmittelbare Bedrohung darstellten. Auf Grundlage einer sehr vagen Definition konnten die Behörden gegen Personen, die als "Gefährder" eingestuft wurden, weitreichende polizeiliche Maßnahmen wie Telekommunikationsüberwachung oder Auflagen bezüglich des Wohnorts verhängt werden. Außerdem galten in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Niedersachsen und weiteren Bundesländern die neuen umfangreiche Überwachungsmaßnahmen, die auch gegen "Gefährder" eingesetzt werden können, wie z. B. die Installation von Spyware zur Überwachung von Mobiltelefonen und Computern oder zum Mitlesen verschlüsselter Kommunikation. 

In Nordrhein-Westfalen konnten Personen bis zu einer Woche in Präventivgewahrsam genommen werden, wenn sie sich der Identitätsfeststellung widersetzen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen meldeten auch im Jahr 2019 diskriminierende Identitätskontrollen von Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten durch die Polizei. Weder auf Landes- noch auf Bundesebene wurden unabhängige Beschwerdestellen eingerichtet, um rechtswidriges Verhalten der Polizei zu untersuchen. 

Im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Misshandlung von Demonstrant_innen beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg durch die Polizei gab es mit Stand November 2019 keine Anklagen, obwohl 168 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt_innen eingeleitet worden waren. In mehreren Fällen wurden die Verfahren eingestellt, weil die Namen der verdächtigten Polizeibeamt_innen nicht ermittelt werden konnten. 

Im Oktober 2019 führte Hamburg eine Kennzeichnungspflicht für Polizeikräfte ein. In sechs Bundesländern gab es weiterhin keine Kennzeichnungspflicht. 

Recht auf Privatsphäre

Viele Bundesländer weiteten die Möglichkeit der Videoüberwachung an öffentlichen Orten aus. In Baden-Württemberg und Sachsen wurde in bestimmten Situationen mit Gesichtserkennung gearbeitet, um zum Beispiel Verhaltensmuster zu erkennen, die auf Straftaten hindeuten. 
Das Geheimdienstrecht genügte internationalen Menschenrechtsstandards weiterhin nicht. Vor allem der Bundesnachrichtendienst, aber auch andere Geheimdienste agierten weiter auf der Grundlage allzu breit und vage gefasster Bestimmungen und wurden nicht ausreichend kontrolliert.

Flüchtlinge, Asylsuchende und Migrant_innen

Im August 2018 wurde ein neues Verfahren zur Zusammenführung subsidiär Schutzberechtigter mit ihren Familien eingeführt, das auf einer monatlichen Quote von 1.000 Personen basiert. 

Im Juni 2019 verabschiedete der Bundestag das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das die Inhaftierung ausreisepflichtiger Asylbewerber_innen erleichtert. Die entsprechenden Kriterien wurden über das Fluchtrisiko hinaus erweitert, die mögliche Haftdauer wurde verlängert, und die Unterbringung von Migrant_innen in regulären Gefängnissen bis zu ihrer Abschiebung erlaubt. 2019 wurden insgesamt 360 afghanische Staatsangehörige abgeschoben. 

Deutschland nahm auf der Grundlage von Ad-hoc-Vereinbarungen 25 % der im zentralen Mittelmeerraum geretteten Flüchtlinge und Migrant_innen auf und plädierte auf EU-Ebene für einen vorläufigen Verteilungsmechanismus.

Für den Zeitraum 2018/2019 hatte Deutschland 10.200 Aufnahmeplätze im Rahmen des UNHCR-Resettlement-Programms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge zugesagt. Bis Ende 2019 wurden 7.974 Flüchtlinge neu angesiedelt, darunter 4.987 syrische Flüchtlinge aus der Türkei im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens.

Diskriminierung – Hassverbrechen

Am 11. Juli 2018 fällte das Oberlandesgericht München ein Urteil zu den rassistischen Morden und anderen Straftaten, die von der rechtsextremen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im Laufe eines Jahrzehnts begangen worden waren. Das Gericht verurteilte Beate Zschäpe wegen Mordes, Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu lebenslanger Haft. Vier Mittäter wurden wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Zwei weitere Hauptverdächtige hatten 2011 Suizid begangen.

Das Bundesinnenministerium registrierte von Januar bis Dezember 2018 insgesamt 8.113 Hassverbrechen. Antisemitische und rassistische Hassverbrechen hatten im Vergleich zum Vorjahr um 19 % zugenommen. Dennoch entwickelten die Bundes- und Landesbehörden keine umfassende Strategie gegen diese Straftaten.

Im Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke durch einen Kopfschuss getötet. Ein verdächtiger Neonazi gestand den Mord. Als Motiv gab er an, Lübcke habe Angela Merkels Politik der Aufnahme von Flüchtlingen im Jahr 2015 ausdrücklich unterstützt. Später widerrief er sein Geständnis, blieb aber in Untersuchungshaft. 

Im Oktober versuchte ein schwer bewaffneter Mann in Halle/Saale die Tür zur Synagoge aufzuschießen, in der sich am jüdischen Feiertag Jom Kippur viele Menschen versammelt hatten. Als er scheiterte, erschoss er vor der Synagoge eine Passantin und kurz darauf in einem nahe gelegenen Imbiss einen Mann. Er gestand, die Tat aus antisemitischen und rassistischen Motiven verübt zu haben. 

Waffenhandel

Im Juni 2019 revidierte die Regierung nach 19 Jahren die unverbindlichen "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". Demnach sollen künftig keine Kleinwaffen mehr an Drittstatten exportiert werden, also Staaten, die nicht der EU, der NATO oder der Gruppe der NATO-gleichgestellten Länder (Australien, Neuseeland, Japan und Schweiz) angehören. Die überarbeiteten Grundsätze beinhalteten die Möglichkeit der Kontrolle der extraterritorialen Waffenproduktion und Vor-Ort-Kontrollen des Endverbleibs von exportierten Gütern. Sie fördern europäische Kooperationen im Rüstungsbereich, was befürchten ließ, dass die strengeren deutschen Exportkontrollen weiterhin umgangen werden könnten.

Im Oktober 2019 schlossen Deutschland und Frankreich ein Abkommen, das die Lieferung deutscher Teile und Komponenten für gemeinsame Rüstungsprojekte mit Endfertigung in Frankreich erleichterte. Damit können Rüstungsgüter mit aus Deutschland gelieferten Bauteilen in Länder exportiert werden, für die nach den deutschen Ausfuhrbestimmungen keine Genehmigung erteilt würde, solange der Wert der von Deutschland gelieferten Bauteile nicht mehr als 20 % des Gesamtwerts der ausgeführten Güter beträgt.

Der Rüstungs-Exportstopp für Saudi-Arabien wurde 2019 zweimal verlängert und war Ende des Jahres weiter in Kraft. Das Moratorium galt nur für Saudi-Arabien, nicht aber für andere am Jemen-Konflikt beteiligte Länder. Der Export deutscher Bauteile für gemeinsame europäische Rüstungsprojekte blieb weiterhin erlaubt.

Im September 2019 eröffnete die Staatsanwaltschaft München I gegen Verantwortliche der deutschen Firmengruppe FinFisher ein Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlichen illegalen Exports von Späh-Software in die Türkei.

Nach der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien im Oktober stoppte die Regierung die Erteilung von Exportgenehmigungen an die Türkei für Rüstungsgüter, die in dem Konflikt eingesetzt werden könnten. Ausfuhren, für die bereits Genehmigungen vorlagen, waren davon nicht betroffen.

Unternehmensverantwortung

Die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte in Geschäftstätigkeiten und Lieferketten basierte 2019 weiterhin auf Freiwilligkeit. Nach einer Debatte über die Notwendigkeit einer verbindlichen Regelung startete die Regierung im Juli ein sogenanntes Monitoring, um herauszufinden, inwieweit menschenrechtliche Sorgfaltspflichten erfüllt werden. Dazu wurde ein Fragebogen an rund 3.000 zufällig ausgewählte deutsche Großunternehmen versandt. Nach dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte prüft die Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen, wenn nicht mindestens die Hälfte der großen deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten menschenrechtliche Sorgfaltspflichten erfüllt. Von den 464 Unternehmen, die den Fragebogen beantworteten, hatten dies nur rund 20 % getan. Es gab zudem Bedenken, dass die tatsächlichen Zahlen noch niedriger sein könnten, und Zweifel an der Aussagekraft der Antworten, da die Teilnahme an der Umfrage freiwillig war und es kein Verfahren gab, um zu überprüfen, ob alle Angaben den Tatsachen entsprachen. Im Dezember 2019 gaben das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt, mit der Erarbeitung eines verbindlichen Gesetzes begonnen zu haben.

Der Zugang zur Justiz blieb für Opfer von Menschenrechtsverstößen durch oder unter Beteiligung deutscher Unternehmen im Ausland beschwerlich. 
 

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Der Prozess der rechtlichen Anerkennung von Geschlecht und Namen transgeschlechtlicher Menschen verstieß weiterhin gegen die Menschenrechte der Betroffenen. Noch immer waren demütigende Verfahren wie psychiatrische Diagnosen, Sachverständigengutachten und die Untersuchung eines geschlechtsstereotypen Rollenverhaltens im Alltag erforderlich. Im März 2018 hatten die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Operationen an intergeschlechtlichen Kindern nur noch bei Lebensgefahr erlaubt. Ende 2019 gab es aber noch kein entsprechendes Gesetz. Die invasiven und irreversiblen schädlichen medizinischen Verfahren wurden fortgesetzt, darunter auch "normalisierende" chirurgische Eingriffe an Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale.
 

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