Anfragebeantwortung zum Irak: Anwerbung von sunnitischen Arabern durch schiitische Milizen (insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq) im Jahr 2014; Folgen 2019 für Personen, die sich 2014 Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen widersetzten; Gebietskontrolle von Asa'ib Ahl al-Haqq [a-11083-2]

19. September 2019

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Anwerbung von sunnitischen Arabern durch schiitische Milizen (insbesondere Asa‘ib Ahl al-Haqq) im Jahr 2014

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Zuge der Recherche zu diesem Thema keine Berichte aus dem Jahr 2014 gefunden werden. Im Folgenden finden sich einige spätere Berichte:

 

Die Jamestown Foundation ist eine Denkfabrik mit Sitz in Washington, D.C, deren Ziel es ist, politischen Entscheidungsträgern Informationen über außenpolitische Entwicklungen zur Verfügung zu stellen, die für die Vereinigten Staaten von strategischer oder taktischer Bedeutung sind. In einem Bericht zu schiitischen Milizen im Irak vom April 2015 erwähnt die Jamestown Foundation, dass die meisten der Milizen einen explizit schiitisch-religiösen und schiitisch-politischen Charakter hätten und sie keine nennenswerten Zahlen von sunnitischen Mitgliedern aufweisen würden:

„It is also worth noting that most militias have an explicitly Shi’a religious and political identity, and they do not have Sunni recruits in significant numbers.” (Jamestown Foundation, 17. April 2015)

In einem im März 2015 veröffentlichten Artikel des wöchentlich erscheinenden US-amerikanischen Nachrichtenmagazins Time zum Kampf gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) steht in einer Bildbeschreibung, dass es sich bei der im dazugehörenden Foto abgelichteten Person um einen sunnitischen Kämpfer handle, der sich den schiitischen Milizen der Volksmobilisierung (Popular Mobilization Forces, PMF) angeschlossen habe:

„A Sunni fighter who has joined Shi'ite militia groups known collectively as Hashid Shaabi (Popular Mobilization), allied with Iraqi forces against ISIS [Islamic State in Iraq and Syria], looks at an Islamic State flag and ammunition displayed in al-Alam Salahuddin province, March 15, 2015.” (Time Magazine, 30. März 2015)

Die in London ansässige Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Think Tanks veröffentlicht, hält in einem Artikel vom Juni 2015 fest, dass sich tausende sunnitisch-muslimische Iraker den schiitischen bewaffneten Gruppen angeschlossen hätten. Diese schiitischen Gruppen würden in den sunnitischen Gebieten militante sunnitische Gruppen bekämpfen, nachdem im Sommer 2014 im sunnitisch dominierten Norden und Westen des Landes ein Drittel des irakischen Gesamtterritoriums dem IS in die Hände gefallen sei. Seitdem würden schiitische Milizen wie die Badr Organisation, Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) und Kata'ib Hezbollah-Irak das Rückgrat der PMF bilden. Die PMF seien von der irakischen Regierung im vergangenen Juni als Dachorganisation der gegen den IS kämpfenden bewaffneten Gruppen gebildet worden. Die Volksmobilisierung bestehe aus bereits bekannten schiitischen Milizen sowie neuen schiitischen und multi-konfessionellen bewaffneten Gruppen. In den sunnitischen Gebieten der Provinz Diyala, der sunnitisch dominierten Provinz Anbar und der Provinz Salahaddin seien viele neue sunnitische Bataillone, jeweils bestehend aus 250-600 Kämpfern gebildet worden. Khalid Abdullah, Kommandant eines zur AAH gehörenden sunnitischen Battalions in Salahaddin, habe gesagt, dass er und seine Kämpfer sich Anfang des Jahres 2015 den AAH angeschlossen hätten und dass sie nun Seite an Seite mit ihnen für die Befreiung ihrer Gebiete kämpfen würden. Die AAH hätten seine 600 Kämpfer bedingungslos bewaffnet und ausgebildet. Laut Experten sei es ein langfristiges Ziel, zu einer Polarisierung unter den sunnitischen Kämpfern beizutragen und sie davon zu überzeugen, sich einer der schiitischen Gruppen anzuschließen. Darüber hinaus sollten gemäßigte bewaffnete sunnitische Gruppen etabliert werden, die mit Schiiten in Verbindung stehen würden, um damit den extremistischen sunnitischen Gruppen in den sunnitischen Gebieten etwas entgegen setzen zu können:

„[T]housands of Sunni Muslim tribesmen have joined the Shia armed factions which are fighting militant Islamists in the Sunni areas to get the required moral and logistical support to liberate their areas. A third of the Iraqi territories in the Sunni-dominated north and western parts of the country fell into the hands of IS's [Islamic State] militants last summer after the dramatic collapse of the Iraqi army. Since then, Shia militias including Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq and Kataib Hezbollah-Iraq have been representing the backbone of the Popular Mobilisation force which was formed by the Iraqi government last June as the governmental umbrella for the armed factions which are fighting IS. The Popular Mobilisation consists of prominent Shia militias in addition to all the new Shiiite and multi-sectarian armed formations. Many new Sunni battalions, each one consisting of 250-600 fighters, have been formed in the Sunni areas in Diyala province east of Baghdad, the Sunni-dominated province of Anbar and Salahudeen province, the home town of the former Iraqi president, Saddam Hussein. […]

Early this year, we joined Asaib Ahl al-Haq and since then we have been fighting, shoulder by shoulder to liberate our areas … they unconditionally armed, equipped and trained my 600 fighters," Abdullah [Khalid Abdullah, commander of Asaib Ahl al-Haq Sunni Battalion in Salahudeen] said.

Analysts said polarising the Sunni fighters and convincing them to join one of the Shia armed factions is a long-term goal to change the Sunni political map, and establishing moderate armed Sunni factions linked to Shias to counter the extremist Sunni armed groups in the Sunni areas. […]

Analysts said polarising the Sunni fighters and convincing them to join one of the Shia armed factions is a long-term goal to change the Sunni political map, and establishing moderate armed Sunni factions linked to Shias to counter the extremist Sunni armed groups in the Sunni areas.” (MEE, 15. Juni 2015)

The New Arab (Al Araby Al Jadeed), ein 2014 in London gegründetes Medienunternehmen, berichtet in einem Artikel vom Mai 2015, dass Flüchtlinge, die vor dem IS aus der Provinz Anbar fliehen würden, laut Angaben einer Menschenrechtsgruppe und eines lokalen Politikers gezwungen würden, Milizen beizutreten und in die Provinz zurückgeschickt würden, um gegen den IS zu kämpfen. Aus Anbar fliehenden Männern im Alter zwischen 18 und 50 Jahren, die im Distrikt Babil angekommen seien, sei laut einem Mitglied des Distriktrats von Babil gesagt worden, dass sie entweder einer Miliz beizutreten oder in ihre Heimatprovinz zurückzukehren hätten. Laut einem irakischen Oberstleutnant im militärischen Geheimdienst hätten sich die Provinzregierungen von Babil, Nadschaf, Karbala und Basra darauf geeinigt, Vertriebene zu rekrutieren und sie an die Frontlinien im Kampf gegen den IS „zu drängen“. Der Oberstleutnant habe gesagt, dass hinter dieser illegalen und verfassungswidrigen Entscheidung die Milizen stehen würden. Viele der Milizen seien schiitisch, während die meisten aus Anbar stammenden Flüchtlinge Sunniten seien. Der Stammesrat von Anbar habe die Entscheidung als Versuch kritisiert, die Geflohenen aus den südlichen Provinzen zu vertreiben:

„Refugees fleeing the Islamic State [IS] group in Iraq's Anbar are being forced into militias and sent back to the province to fight, a human rights group and a local politician have said. Men aged between 18 and 50 who arrived in the Babylon local district were being told they must either join a militia or would be sent back to their home province, said Mohammad al-Hali, a member of the Babylon local council. ‘The council held a closed session to discuss how to manage the large numbers displaced from Anbar,’ he said. ‘Anyone who refuses to be conscripted will be returned to Anbar and not allowed to leave again,’ he said. An Iraqi lieutenant colonel in military intelligence told al-Araby: ‘Local governments in Babylon, Najaf, Karbala, and Basra have all agreed to conscript displaced men and push them into the frontlines of battles against the IS group, even though they fled IS rather than joining the group.’ The colonel said that the militias were behind the illegal and unconstitutional decision. Many of the militias were Shia, whereas most refugees from Anbar were Sunni. The Anbar tribal council criticised the decision as an attempt to push the displaced people out of the southern provinces.” (The New Arab, 8. Mai 2015)

Global Security, eine US-amerikanische Denkfabrik, die sich mit Sicherheitsthemen beschäftigt, hält auf ihrer Webseite in einem zuletzt im Juli 2019 aktualisierten Eintrag zu den PMF fest, dass es Berichte über lokale Räte gebe, die Vertriebene dazu zwingen würden, „freiwillig“ den PMF beizutreten. Laut der NGO Masarat habe der Provinzrat von Wasit am 21. April 2015 eine Erklärung abgegeben, laut der Vertriebene im Alter von 18 bis 50 Jahren zum Beitritt gezwungen würden. Die in Wasit lebenden Vertriebenen der Minderheitengruppe der Schabak (mehrheitlich schiitisch mit einer sunnitischen Minderheit, Anm. ACCORD) hätten gegenüber Masarat angegeben, dass die lokale Polizei ihre Ausweispapiere beschlagnahmt und ihnen mitgeteilt habe, dass sie den Sicherheitskräften beizutreten oder die Provinz zu verlassen hätten. Letztendlich sei nach Intervention von Menschenrechtsaktivisten, einem Parlamentsabgeordneten, religiösen Führungspersönlichkeiten und Mitgliedern des Wasit-Provinzrats die Entscheidung, Schabak-IDPs zwangseinzugliedern, widerrufen worden, und die lokale Polizei habe den Betroffenen ihre Ausweispapiere zurückgegeben. Internationale Menschenrechtsorganisationen hätten den zunehmenden konfessionellen Charakter der Aktivitäten der PMF sowie den Mangel an staatlicher Aufsicht kritisiert:

„There were also reports of local councils forcing displaced persons to volunteer for the PMF. According to religious freedom NGO Masarat, on April 21, the Wasit Provincial Council issued a statement forcing displaced persons between the ages of 18 and 50 to enlist. Shabak IDPs [Internal Displaced Persons] living in Wasit told Masarat that local police confiscated their identity documents and told them they had to enlist in security forces or leave the province. Ultimately, after intervention from human rights activists, a member of parliament, religious authorities, and members of the Wasit provincial council, the decision to forcibly enlist Shabak IDPs was revoked, and local police returned their identity documents. International human rights organizations criticized the increasingly sectarian nature of Shia PMF activity and the lack of sufficient government oversight.” (Global Security, 18. Juli 2019)

Der US-amerikanische Nachrichtensender NBC News hält in einem Artikel vom Juni 2015 fest, dass sich die USA bezüglich des Ausbildens von Kämpfern gegen den IS im Irak bis vor kurzem auf schiitische und kurdische Kämpfer beschränkt hätten. Nun aber habe das Weiße Haus letzten Monat angekündigt, dass 450 militärische Ausbildner in die Provinz Anbar geschickt würden, um mit sunnitischen Stämmen zu arbeiten, die sich von der schiitischen Regierung vertrieben fühlen würden und sich nicht enthusiastisch dem Kampf gegen den IS angeschlossen hätten. Experten zufolge gebe es Teile in der sunnitischen Bevölkerung, die bereit seien gegen den IS kämpfen. Aber die Frage sei, ob sie bereit seien, zusammen mit den schiitischen Milizen in den Kampf zu ziehen, von denen einige Menschenrechtsverletzungen begangen hätten. Es sei unklar, was die irakische Regierung den Sunniten bezüglich der Integration mit den Schiiten auf dem Schlachtfeld abverlangen werde. Hochrangige US-Beamte hätten angedeutet, dass verschiedene Kampfeinheiten letztendlich zusammengelegt würden:

„Until recently, U.S. training in Iraq has focused on Shiite and Kurdish fighters battling ISIS [Islamic State in Iraq and Syria]. But the White House last month announced that 450 military trainers would be sent to Anbar province to work with Sunni tribes that feel displaced by the Shiite-led government and have not joined the fight against ISIS enthusiastically. The Sunnis are being trained at Taqqadum air base — alongside what the Pentagon describes as a "low double digit" number of Shiites serving as liaisons between militia units and the Iraqi government. Experts say there is a portion of the Sunni population that remains anti-ISIS and is willing to fight. But the question is whether they'll be prepared to go into combat alongside the Shiite militias, including some which have a record of human-rights abuses. It’s unclear what the Iraqi government will ask of the Sunnis regarding integration with Shia on the battlefield, but senior U.S. officials have indicated that various forces would ultimately be consolidated.” (NBC News, 23. Juni 2015)

Folgen 2019 für Personen, die sich 2014 Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen widersetzten; Folgen für männlicher Geschwister des Verweigerers

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine Informationen zu aktuellen Folgen bei Widersetzung von Zwangsrekrutierung gefunden werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass derartige Vorfälle nicht vorkommen könnten.

Gesucht wurde mittels ecoi.net, Refworld und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Asa‘ib Ahl al-Haqq, PMF, Rekrutierung, Verweigerung, Folgen und Sunniten auf Deutsch, Englisch und Arabisch.

 

Allgemeine Informationen zur Rekrutierung von schiitischen Milizen (insb. Asai‘b Ahl al-Haqq), finden sich in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Rekrutierung von schiitischen Milizen (insb. Asai’b Ahl al-Haqq), Konsequenzen bei Weigerung [a-10893-2], 27. Februar 2019
    https://www.ecoi.net/de/document/2003356.html

Gebietskontrolle durch Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH)

Das Wilson Center, ein unabhängiges Forschungszentrum in Washington, D.C., hält in einem Artikel vom April 2018 fest, dass Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) die drittgrößte schiitische Miliz im Irak und ein „Stellvertreter des Irans“ sei. Sie sei auch in Syrien aktiv gewesen und habe dort an der Seite der Hisbollah die Assad-Regierung unterstützt. Laut dem irakischen Geheimdienst habe der Iran der Miliz seit 2014 monatlich bis zu 2 Millionen Dollar (etwa 1,8 Mio Euro, Anm. ACCORD) zur Verfügung gestellt. Als AAH an Größe gewonnen habe, habe sie das Modell der Hisbollah im Libanon kopiert und politische Büros, religiöse Schulen und Sozialdienste eingerichtet, insbesondere im irakischen Süden und in Bagdad. Außerdem betreibe sie einen eigenen Fernsehsender namens Al-Ahed. Ihr politischer Flügel Al-Sadiqoon habe erstmals im Jahr 2014 an Parlamentswahlen teilgenommen, nachdem der (damalige, Anm. ACCORD) Premierminister Nouri al-Maliki sie eingeladen habe, daran teilzunehmen:

„Asaib Ahl al Haq (AAH), or the League of the Righteous, is an Iranian proxy and the third largest Shiite militia in Iraq. Also known as the Khazali Special Groups Network, it has also operated in Syria, fighting alongside Hezbollah to prop-up the Assad regime. […] As of 2014, Iraqi intelligence reported that Tehran provided AAH up to $2 million a month. It became one of the largest and most prominent militias in the PMF. As it grew, the Iraqi militia copied Hezbollah’s model in Lebanon. It established political offices, religious schools and social services, largely in the Iraqi south and Baghdad. It also launched its own television channel, al Ahed. Its political wing, al Sadiqoon (or, the Honest Ones), first competed in parliamentary elections in 2014, when Shiite Prime Minister Nouri al Maliki invited it to participate.” (Wilson Center, 27. April 2018)

Die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Post schreibt in einem im Jänner 2019 veröffentlichten Artikel, dass die großen und gut ausgestatteten schiitischen Milizen des Irak nun viele der sunnitischen Gebiete, in denen sie bei der Befreiung vom IS geholfen hätten, verwalten würden. Dies würde lokale Ressentiments fördern, was wiederum zum Wiederaufflammen der Unterstützung für den IS führen könne. Nachdem die schiitischen Milizen, darunter mehrere, die ideologisch mit dem Iran verbunden seien, im vergangenen Jahr fast ein Drittel der Sitze bei den Parlamentswahlen gewonnen hätten, besäßen sie eine beispiellose militärische und politische Macht im Irak. Ihr Aufstieg habe unter irakischen Politikern, sunnitischen Bewohnern und US-Beamten zu der Sorge geführt, dass die Milizführer einen Parallelstaat schaffen würden, der die Position der irakischen Zentralregierung untergrabe. Dies, so die Sorge, könne erneut zu Missständen in der sunnitischen Bevölkerung führen, ähnlich jenen, die bereits vor ein paar Jahren zu dem dramatischen Aufstieg des IS geführt hätten.

Die schiitischen Milizen seien im sunnitischen Kernland Iraks verbreitet, einschließlich der Provinzen Anbar, Salahaddin und Ninawa. In sunnitischen Städten hätten die Milizen politische und Rekrutierungsbüros eingerichtet und würden entlang von Hauptstraßen, sowie entlang von kleineren Straßen, Checkpoints betreiben und Steuern auf Lastwagentransporte von Öl, Haushaltswaren und Lebensmittel erheben. Einige Milizionäre hätten sich laut mehrerer irakischer und US-amerikanischer Beamte an „mafiösen Praktiken“ beteiligt. Sie würden Schutzgeld von großen und kleinen Unternehmen fordern und an Checkpoints das Passieren von Autofahrern für Erpressungstaktiken benutzen:

„Iraq’s large and well-armed Shiite militias are now running many of the Sunni areas they helped liberate from the Islamic State, fostering local resentments that could fuel a resurgence of support for the extremist group. After winning nearly a third of the seats in parliamentary elections last year, the Shiite militias, including several ideologically aligned with Iran, are enjoying unprecedented military and political power in Iraq. Their ascension has raised concerns among Iraqi politicians, Sunni residents and U.S. officials that the militia leaders are creating a parallel state that undermines Iraq’s central government and revives the kind of Sunni grievances that underpinned the Islamic State’s dramatic rise three years ago. […]

They are fanned out across Iraq’s Sunni heartland, including the provinces of Anbar, Salahuddin and Nineveh, home to Iraq’s most-populous Sunni city of Mosul. In Sunni towns, the militias have established political and recruitment offices and operate checkpoints along major roads (and even smaller interior pathways), levying taxes on truckers moving oil, household goods and food. Some militiamen have engaged in ‘mafia-like practices,’ several Iraqi and U.S. officials said, demanding protection money from both large and small businesses, while shaking down motorists at checkpoints to permit them to pass.” (Washington Post, 9. Jänner 2019)

Michael Knights ist ein in Boston ansässiger Militär- und Sicherheitsexperte für die Länder Irak, Iran und die Staaten des Persischen Golfs. In einem Bericht zu den sich ausbreitenden Milizen im Irak, der im August 2019 in einer Publikation des Combating Terrorism Center, einer akademischen Einrichtung an der United States Military Academy in West Point, New York, veröffentlicht wurde, schreibt Knights unter Verweis auf verschiedene Quellen Folgendes zur Präsenz der AAH: Die AAH, bestehend aus den PMF-Brigaden 41, 42 und 43, seien von einer kleinen sadristischen (nach dem schiitischen Kleriker Muqtada al-Sadr, Anm. ACCORD) Splittergruppe von weniger als 3.000 Mitgliedern im Jahr 2011 zu einer aus drei Brigaden bestehenden Streitkraft von etwa 10.000 Mitgliedern herangewachsen.

„AAH (PMF brigades 41, 42, 43) has likewise swollen from a small Sadrist splinter militia of under 3,000 members in 2011 to an equivalent KH-size three-brigade force of around 10,000.” (CTC, August 2019, S. 2)

Zur Präsenz der AAH im Norden Bagdads und in der Provinz Salahaddin hält der Bericht folgendes fest: AAH habe in den Gebieten nördlich Bagdads („in the swathe of northern Baghdad belts“) und im Süden der Provinz Salahaddin, einschließlich Tadschi, Dudschail und Balad eine dominierende Stellung. In diesem Gebiet leite der zur AAH gehörende Ali Hadsch Safa al-Saadi das PMF-Einsatzkommando für Salahaddin, das nach offiziellen Angaben das gesamte Tigris-Tal innerhalb Salahaddins abdecke. In der Praxis überlasse die AAH-Führung anderen Milizen ihre eigenen Subsektoren innerhalb der Provinz Salahaddin - so kontrolliere die Miliz von Moqtada al-Sadr, Saraya al-Salam, exklusiv die Stadt Samarra. AAH sei nur zwischen den Städten Samarra und Bagdad der dominierende wirtschaftliche und politische Akteur. Im Juli 2018 hätten sich sunnitische Stammesgruppen in diesem Gebiet gezwungen gesehen, sich gegen Einschüchterung und Erpressung durch die AAH zur Wehr zu setzen. Kriminelle Netzwewrke der AAH hätten durch Plünderungen zur vollständigen Zerstörung der größten Raffinerie des Irak geführt. Es sei vonseiten der AAH auf mit den USA kooperierende Firmen abgezielt worden und Großgerät zur Unterstützung des irakischen F-16-Programms auf dem Luftstützpunkt Balad sei gestohlen worden. Im Mai 2019 seien Raketen auf den US-amerikanischen Beratungsstützpunkt in Tadschi geschossen worden, die nach Einschätzung der US-Behörden von den AAH abgefeuert worden seien. Zwei AAH-Mitglieder seien von lokalen Sicherheitskräften im Zusammenhang mit diesem Angriff verhaftet worden:

„Asa’ib Ahl al-Haq [AAH] is dominant in the swathe of northern Baghdad belts and southern Salah al-Din, including Taji, Dujail, and Balad. Within this area, AAH’s Ali Haj Safa al-Saadi leads the PMF [Popular Mobilization Forces] Salah al-Din Operations Command, nominally covering all of the Tigris River Valley inside Salah al-Din. In practice, AAH allows other militias their own sub-sectors of Salah al-Din. Moqtada al-Sadr’s militia, Saraya Salam, exclusively controls the shrine city of Samarra. […] AAH is the dominant economic and political actor only from Samarra to Baghdad. In July 2018, Sunni tribal groups were forced to push back muscularly on AAH intimidation and extortion in this area. AAH criminal rackets resulted in the complete destruction by looting of Iraq’s largest refinery and have even targeted U.S. contractors and stolen major equipment supporting the Iraqi F-16 program at Balad airbase. Rockets are assessed by U.S. government agencies to have been fired by AAH at the U.S. advisor sites in Taji on May 1, 2019, with two AAH operatives arrested by local security forces in connection with the attack.” (CTC, August 2019, S. 4-5)

Zur Präsenz der AAH in der Stadt Bagdad hält der Bericht folgendes fest: Innerhalb der Stadt hätten sich einzelne Milizen Zonen einverleibt, in denen sie eine dominierende Stellung einnehmen würden. Für die Miliz Kata‘ib Hisbollah sei dies die Palästina Straße, für Saraya al-Salam und AAH das Viertel Sadr City und für Badr und Kata‘ib al-Imam Ali die Viertel Karrada und Dschadiriya. In diesen Bereichen würden die jeweils dominierenden Milizen die meisten der dort stattfindenden Immobilientransaktionen und Wirtschaftsunternehmen besteuern:

„Within Baghdad, individual militias have carved out zones of dominance: Palestine Street for Kata’ib Hezbollah, Sadr City for Saraya Salam and Asa’ib Ahl al-Haq, Badr and Kata’ib Al-Imam Ali for Karradah and Jadiriyah. Within these areas, most real estate transactions and business enterprises are taxed by the dominant militias.” (CTC, August 2019, S. 5-6)

ACCORD hält in der im Juli 2019 veröffentlichten Ausgabe seines Themendossier zu schiitischen Milizen im Irak unter Verweis auf verschiedene Quellen folgendes zu Präsenz und Einfluss der PMF und konkret der AAH fest:

„Al-Araby Al-Jadeed berichtet im Oktober 2018, dass sich PMF-Milizen im Norden und im Westen des Landes ohne spezielle Anordnung der irakischen Regierung wieder ausbreiten. Laut einem ranghohen Mitarbeiter von Premierminister Al-Abadi sind 80 Prozent der PMF-Milizen im Norden und Westen des Irak stationiert. Der Artikel erwähnt, ohne dabei Quellen zu nennen, die Präsenz von Milizen in 20 Städten und Distrikten, insbesondere in den Provinzen Anbar, Diyala Salahaddin, Kirkuk und Ninawa sowie an der Grenze zu Syrien. Zudem gibt es Stützpunkte in Tadschi (bei Bagdad) sowie in Nasiriya zum Schutz schiitischer Pilger. Die Milizen stellen Checkpoints und Sicherheitsbarrieren auf, führen Hausdurchsuchungen und Razzien durch und übernehmen damit Aufgaben aus dem Zuständigkeitsbereich der irakischen Armee. Genannt werden die Milizen Asa’ib Ahl Al-Haqq, Kata’ib Hisbollah, Saraya Al-Khorasani; Badr, Hisbollah Al-Nudschaba, Kata’ib Imam Ali, die Abbas-Kampfdivision und weitere (Al-Araby Al-Jadeed, 18. Oktober 2018).“ (ACCORD, 22. Juli 2019, Abschnitt 2)

„Asa’ib Ahl al-Haqq mit ihrem Anführer Qais Al-Khazali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer und zwölf Sitze im Parlament.“ (The Soufan Center, 20. März 2019).“ (ACCORD, 22. Juli 2019, Abschnitt 1.2)

Das Themendossier enthält darüber hinaus in den Abschnitten 2.1, 2.2, 2.3, 2.4, 2.5 und 2.7 Informationen zu Vorfällen in den Provinzen Bagdad, Anbar, Salahaddin, Ninawa und im Südirak, bei denen die AAH beteiligt gewesen seien. Das Themendossier ist unter folgendem Link abrufbar:

 

Ältere Informationen zur Präsenz der PMF finden sich in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Schiitische Milizen: Mechanismen der Gebietskontrolle; Konkurrrenz zur Polizei; Unterwanderung der Polizei; Einfluss auf die Ministerien, die Justiz und andere staatliche Institutionen [a-10698-3 (10700)], 7. September 2018
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1452502.html

 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 19. September 2019)