Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Haiti

Gewalt gegen Frauen und Mädchen war nach wie vor weit verbreitet, vor allem sexualisierte Gewalt. Es gab Pläne, Gesetze zu verabschieden, die Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche offen diskriminieren würden.

Hintergrund

Im Februar 2017 trat Jovenel Moïse das Amt des Präsidenten an, nachdem er im November 2016 im Anschluss an eine Wahlkrise gewählt worden war. Auch ein neuer Ministerpräsident wurde ernannt.

Im März 2017 endete auf Veranlassung der haitianischen Regierung das Mandat des Unabhängigen UN-Experten für die Menschenrechtssituation in Haiti.

Im Oktober 2017 wurde durch Entschließung 2350 des UN-Sicherheitsrats das Mandat der UN-Stabilisierungsmission in Haiti (MINUSTAH) nach 13 Jahren beendet. Die Angehörigen der UN-Friedenstruppen verließen nach einer jahrelangen Kontroverse über ihre Verantwortung für den Ausbruch der Cholera im Jahr 2010 und zahlreichen Berichten über ihnen zugeschriebene sexualisierte Gewalt das Land. An ihre Stelle trat die UN-Mission zur Unterstützung der Justiz in Haiti (MINUJUSTH), die den Auftrag hat, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. 

Die Behörden unternahmen Anstrengungen zum Wiederaufbau der im Jahr 1995 aufgelösten Armee. Angesichts der weitverbreiteten Vorwürfe gegen die ehemaligen Streitkräfte, Menschenrechtsverletzungen verübt zu haben, war es jedoch noch nicht klar, welche Überprüfungsverfahren bei der Rekrutierung der Soldaten angewandt werden sollten.

Binnenvertriebene

Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration konnten im Juni 2017 noch immer 37867 durch das Erdbeben von 2010 obdachlos gewordene Menschen nicht in ihre Heimatorte zurückkehren; die meisten von ihnen lebten in Übergangslagern.

Diskriminierung – staatenlose Personen

Im März 2017 stimmte das Parlament dem Beitritt zum UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 sowie zum UN-Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 zu und kam hiermit entsprechenden Empfehlungen der im Jahr 2016 durchgeführten Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung der Lage der Menschenrechte durch den UN-Menschenrechtsrat nach. Bis zum Ende des Jahres 2017 hatte Haiti jedoch die Übereinkünfte weder unterzeichnet noch ratifiziert.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Im Juli 2017 berichtete das UN-Amt für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) über einen Anstieg von Abschiebungen an der Grenze zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti. 

Im Oktober bat die haitianische Regierung das US-Ministerium für Innere Sicherheit, den zeitweiligen Schutzstatus (TPS) für fast 60000 Haitianer, die von Abschiebung aus den USA bedroht waren, erneut zu verlängern. Im November kündigte das US-Ministerium jedoch an, den Schutzstatus nicht verlängern zu wollen. Für haitianische Staatsangehörige sollte der zeitweilige Schutzstatus im Januar 2018 auslaufen, allerdings mit einer verzögerten Frist von weiteren 18 Monaten, um bis zum endgültigen Auslaufen des Status am 22. Juli 2019 einen „geordneten Übergang“ zu gewährleisten. Der TPS-Status wird Staatsangehörigen bestimmter Länder gewährt, deren sichere Rückkehr in ihre Herkunftsländer aufgrund der dort herrschenden Situation nicht möglich erscheint. 

Recht auf Gesundheit – Cholera-Epidemie

Zwischen Januar und Juni 2017 gab es 7623 neue Cholera-Verdachtsfälle und 70 mit der Krankheit zusammenhängende Todesfälle. Dies entsprach einem Rückgang um mehr als 60 % im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum. Laut Behördenangaben haben sich seit dem Ausbruch der Cholera im Jahr 2010 mehr als 800000 Menschen mit der Krankheit infiziert, fast 10000 sind daran gestorben.

Der 2016 von der UN angekündigte „neue Ansatz im Umgang mit der Cholera in Haiti“ war extrem unterfinanziert. Es fanden auch keine der geplanten Konsultationen mit Überlebenden der Cholera statt. Infolgedessen wurde die individuelle Hilfe für Opfer der Krankheit vorübergehend eingestellt. Personen, die sich für die Opfer einsetzten, protestierten gegen diese Situation, die sie als unvereinbar mit dem Recht auf Wiedergutmachung bezeichneten.

Laut Regierungsangaben hatten fast 70 % der Bevölkerung keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen Frauen und Mädchen war weit verbreitet, kam jedoch nur selten zur Anzeige.

Im April 2017 legte die Regierung dem Parlament umfassende Vorschläge zur Reform des Strafgesetzbuchs vor, in denen neue Bestimmungen zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt – u. a. auch die Definition von Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand – enthalten waren. Im Juli gab die NGO Ärzte ohne Grenzen bekannt, dass von den Überlebenden sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, die zwischen Mai 2015 und März 2017 in ihrer Spezialklinik in der Hauptstadt Port-au-Prince behandelt worden waren, 77 % jünger als 25 Jahre und 53 % jünger als 18 Jahre waren.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Die Abgeordnetenkammer hatte Ende 2017 einigen vom Senat unterstützten Gesetzesvorhaben, die LGBTI diskriminierten, noch nicht zugestimmt. Im Juli 2017 stimmte der Senat für die Einführung von Zertifikaten, in denen der „gute moralische Ruf“ einer Person bescheinigt werden sollte. Jedwede als „homosexuell“ eingestufte Person sollte davon ausgeschlossen werden. Im August 2017 stimmte der Senat für einen Gesetzentwurf, mit dem gleichgeschlechtliche Ehen und die öffentliche Unterstützung oder Befürwortung von „Homosexualität“ für gesetzeswidrig erklärt werden sollen.

Menschenrechtsverteidiger

Die Menschenrechtsverteidiger David Boniface und Juders Ysemé gaben an, nach dem im März 2017 erfolgten plötzlichen Tod ihres Kollegen Nissage Martyr um ihr Leben zu fürchten. Er starb einen Tag nachdem die drei Männer in den USA Klage gegen Jean Morose Viliena, den ehemaligen Bürgermeister ihrer Heimatstadt Les Irois in Haiti, wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen eingereicht hatten. Jean Morose Viliena war 2009 aus Haiti in die USA geflohen. Die Männer gaben an, dass sie seit 2007 mehrfach von dem ehemaligen Bürgermeister bzw. in dessen Auftrag Morddrohungen erhalten hätten und tätlich angegriffen worden seien. Obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission im Jahr 2015 für die drei Männer Schutzmaßnahmen angeordnet hatte, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, waren die Behörden dieser Aufforderung nicht nachgekommen. 

Die Frauenrechtlerin Sanièce Petit Phat berichtete über Morddrohungen in Verbindung mit ihrem Einsatz für die Rechte von Frauen und Mädchen.

Recht auf Bildung

Im Juni 2017 kritisierte die Ad-hoc-Beratungsgruppe des UN-Wirtschafts- und Sozialrats für Haiti die Ineffizienz im Bildungssektor. Sie wies darauf hin, dass die meisten Schulen privat geführt würden, wodurch „Bildung zu einem teuren, auf Profiterzielung ausgerichteten System“ geworden und dehalb für viele haitianische Familien unbezahlbar sei. Die Analphabetenrate unter den über 15-Jährigen lag bei über 50 %.

Berichte von Amnesty International

Following political crisis Haiti must urgently advance human rights agenda (AMR 36/5899/2017)

Haiti: Human rights defenders’ lives in danger (AMR 36/6045/2017)

Associated documents