Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Belarus

Zwischen Februar und April 2017 gingen die Behörden massiv gegen friedliche Proteste vor. Die Regierung weigerte sich noch immer, das Mandat des UN-Sonderberichterstatters über die Menschenrechtssituation in Belarus anzuerkennen. Mehrere Personen, die in Belarus um internationalen Schutz ersucht hatten, wurden in Länder zurückgeführt, in denen ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten. Die starken Einschränkungen für Medien, NGOs, politische Parteien und öffentliche Versammlungen galten weiter. 2017 wurden vier Todesurteile verhängt; eine Person wurde hingerichtet.

Hintergrund

Nach mehreren Jahren ohne größere Proteste kam es im Februar und März 2017 zu Massendemonstrationen gegen eine Sondersteuer für Arbeitslose, die im Jahr 2015 durch ein Dekret des Staatspräsidenten eingeführt worden war. Die Behörden gingen rücksichtslos gegen die Protestierenden vor. Im März 2017 wurden 35 Männer beschuldigt, sie hätten mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland Massenunruhen organisiert, dabei wurde ein Zusammenhang mit den Demonstrationen angedeutet. Die Festnahmen wurden im Fernsehen ausführlich dargestellt; im Juli befanden sich die Inhaftierten alle wieder auf freiem Fuß.

Der Annäherungsprozess zwischen Belarus und seinen westlichen Nachbarn ging 2017 weiter. Im Juli fand die Parlamentarische Versammlung der OSZE in der Hauptstadt Minsk statt.

Todesstrafe

Im April 2017 wurde Siarhei Vostrykau hingerichtet, der sich seit Mai 2016 im Todestrakt befunden hatte. Das Regionalgericht Homel erhielt am 29. April eine Bestätigung, dass das Todesurteil vollstreckt worden sei. Der letzte Brief, den seine Mutter von ihm erhalten hatte, war auf den 13. April datiert.

Mindestens fünf Männern drohte die Hinrichtung. Am 30. Juni 2017 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Todesurteil gegen Aliaksei Mikhalenya, das am 17. März ergangen war. Ihar Hershankou und Siamion Berazhnoy wurden am 21. Juli zum Tode verurteilt. Ihr Rechtsmittel gegen die Entscheidung wurde am 20. Dezember 2017 vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. Viktar Liotau wurde am 22. September 2017 zum Tode verurteilt. Der am 28. Dezember 2016 zum Tode verurteilte Kiryl Kazachok verzichtete darauf, Rechtsmittel einzulegen.

Gewaltlose politische Gefangene

Zahlreiche Protestierende wurden wegen friedlicher Aktivitäten verurteilt. Am 7. April 2017 wandelte das Bezirksgericht Zavodski in Minsk die 2016 gegen Dzmitry Paliyenka verhängte Bewährungsstrafe in eine zweijährige Gefängnisstrafe um, nachdem er in der Zwischenzeit zwei Verwaltungshaftstrafen erhalten hatte. Die erste siebentägige Verwaltungsstrafe erging am 10. März 2017 wegen Rowdytum und Widerstand gegen die Staatsgewalt, weil er als Zuschauer in einem Gerichtsverfahren Kritik am Urteil geäußert hatte, die zweite von 15 Tagen wurde am 20. März 2017 wegen „Organisation oder Beteiligung an nicht genehmigten Massenveranstaltungen“ verhängt, weil er am 25. Februar friedlich gegen eine Baumaßnahme im Zentrum von Minsk protestiert hatte. Seine ursprüngliche Bewährungsstrafe hatte Dzmitry Paliyenka erhalten, weil er im April 2016 in Minsk bei einer friedlichen Radfahrerdemonstration einen Polizisten tätlich angegriffen haben soll.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Im Februar und März 2017 protestierten bei friedlichen Kundgebungen im ganzen Land Tausende von Menschen gegen eine Sondersteuer für Arbeitslose. Einige Organisatoren und Teilnehmer berichteten von Polizeischikanen wie kurzzeitigen Inhaftierungen und Vorladungen zur Vernehmung. Am 25. März hinderte die Polizei Protestierende daran, sich im Zentrum von Minsk friedlich zu versammeln, und nahm Hunderte von ihnen fest, in einigen Fällen unter unverhältnismäßiger Gewaltanwendung. Mehrere Protestierende wurden von Polizisten bei der Festnahme und im anschließenden Gewahrsam verprügelt.

Zwischen Februar und April 2017 wurden im Zusammenhang mit den Protesten mehr als 900 Personen festgenommen, darunter auch Journalisten und politische Aktivisten, die auf diese Weise daran gehindert wurden, an den Kundgebungen teilzunehmen. Mindestens 177 von ihnen wurden wegen vermeintlicher Ordnungswidrigkeiten für schuldig befunden und zu Geldbußen oder Haftstrafen von fünf bis 25 Tagen verurteilt. In allen Fällen außer einem ergingen die Schuldsprüche in Schnellverfahren; die Gerichte erkannten die Polizeiberichte stets ohne weitere Nachfragen als Beweise gegen die Beschuldigten an.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die strengen Auflagen für NGOs blieben 2017 weiter in Kraft. Nach Artikel 193 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs drohten für die Gründung einer nicht zugelassenen Organisation oder die Beteiligung an deren Aktivitäten weiterhin Haftstrafen von bis zu zwei Jahren.

Am 25. März stürmten vermummte Polizisten die Büros der Menschenrechtsgruppe Vyasna und nahmen alle 57 Anwesenden fest, darunter Menschenrechtsverteidiger und Journalisten aus dem In- und Ausland, die an einer Schulung zum Thema „Beobachtung von Demonstrationen“ teilnahmen. Sie wurden auf der örtlichen Polizeiwache drei Stunden lang festgehalten und anschließend ohne jede Erklärung und ohne Anklage wieder freigelassen. Ein Mann musste sich wegen der Kopfverletzungen, die er bei der Festnahme erlitten hatte, im Krankenhaus behandeln lassen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalisten, die für ausländische Medien arbeiteten, mussten nach wie vor beim Außenministerium eine Akkreditierung einholen, die ihnen häufig willkürlich verweigert wurde. Mehr als 100 für Zeitungen und Radio- und Fernsehstationen tätige Journalisten und Blogger wurden, teilweise mehrfach, festgenommen und mit Geldstrafen belegt, weil sie keine Akkreditierung vorlegen konnten. In mindestens acht Fällen wurden Journalisten, die über Protestkundgebungen berichteten, als Teilnehmer festgenommen und zu fünf bis 15 Tagen Verwaltungshaft verurteilt. 

Die Journalistin Larysa Schyryakova aus Homel im Südosten von Belarus wurde wiederholt festgenommen und mit einer Geldstrafe belegt, weil sie über Proteste berichtete. Sie erklärte, die Polizei habe sie gewarnt, dass sie im Falle weiterer Ordnungswidrigkeiten als „sozial unverantwortlich“ eingestuft werden könne und man möglicherweise ihren elfjährigen Sohn in einem Kinderheim unterbringen werde.

Gesetzliche, verfassungsrechtliche und institutionelle Entwicklungen

Die Sondersteuer für Arbeitslose wurde weiterhin erhoben, und wer sie nicht bezahlte, musste mit einer Geldstrafe und verpflichtendem Sozialdienst rechnen. Nach den Protesten gegen die Steuer wies der Präsident im März 2017 die Regierung an, bis 2018 darauf zu verzichten, sie einzuziehen. Im August 2017 versprach er, „Kinderreiche, Kranke und Behinderte“ von der Steuer zu befreien. Im Oktober wurden entsprechende Änderungen eingeführt.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Belarus besaß kein funktionierendes Asylsystem und schob wiederholt Menschen, die um internationalen Schutz nachsuchten, in Länder ab, in denen ihnen Folter oder anderweitige Misshandlungen drohten.

Rückführungen

Am 5. September 2017 wurde der Tschetschene Imran Salamov, der angab, in Tschetschenien wiederholt gefoltert worden zu sein, nach Russland abgeschoben. Er war gerade dabei, Rechtsmittel gegen die Ablehnung seines Asylantrags einzulegen. Am 11. September bestätigten die tschetschenischen Behörden, dass er sich in Grosny im Polizeigewahrsam befinde. Seitdem hatte er weder Kontakt zu seinem Anwalt noch zu seiner Familie, und Ende 2017 war sein Verbleib unklar. Nach seiner Rückführung leiteten die belarussischen Behörden eine Untersuchung ein, die ergab, dass ein Verstoß gegen belarussisches Recht vorlag und Imram Salamov zu früh abgeschoben worden war. Gegen eine Reihe von Staatsbediensteten, die mit seinem Fall befasst waren, wurden Disziplinarmaßnahmen eingeleitet, die am Jahresende noch nicht abgeschlossen waren.

Der russisch-ukrainisch-israelische Blogger Aleksandr Lapshin, der im Dezember 2016 auf Ersuchen der aserbaidschanischen Behörden in Belarus inhaftiert worden war, wurde im Februar 2017 an Aserbaidschan ausgeliefert. Dort wurde er wegen seines Blogs, in dem er die aserbaidschanischen Behörden kritisierte, willkürlich inhaftiert, strafrechtlich verfolgt und zu drei Jahren Haft verurteilt. Am 11. September kam er durch einen Gnadenerlass des Präsidenten frei (siehe Länderbericht Aserbaidschan).

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