Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Lebanon

 

Sicherheitskräfte lösten Demonstrationen gewaltsam auf und gingen mit exzessiver Gewalt gegen protestierende Gefangene vor. Frauen wurden nach wie vor durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert. Arbeitsmigranten litten unter Ausbeutung und Misshandlung durch ihre Arbeitgeber. Die Behörden unternahmen nichts, um das Schicksal Tausender Menschen aufzuklären, die während des libanesischen Bürgerkriegs (1975-90) entführt wurden und "verschwanden". Palästinensische Flüchtlinge, die teilweise seit Jahrzehnten im Libanon leben, wurden weiterhin diskriminiert. Das Land beherbergte etwa 1,2 Mio. syrische Flüchtlinge. Mit neuen Visabestimmungen, die im Januar 2015 in Kraft traten, endete die Politik der offenen Grenzen. Palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien wurde die Einreise verweigert. Gerichte verhängten mindestens 28 Todesurteile, es gab jedoch keine Berichte über Hinrichtungen.

Hintergrund

Interne politische Machtkämpfe verhinderten die Wahl des Nachfolgers von Staatspräsident Michel Suleiman, dessen Amtszeit im Mai 2014 abgelaufen war. Im Juni 2015 beteiligten sich in der Hauptstadt Beirut Tausende Menschen an Protestdemonstrationen gegen die Regierung, weil die Abfallentsorgung nicht sichergestellt war. Angesichts wachsender Müllberge in den Straßen warfen die Demonstrierenden den Behörden Korruption, Verantwortungslosigkeit und mangelnde Transparenz vor.

Der bewaffnete Konflikt in Syrien hatte enorme Auswirkungen auf den Libanon. Die Sicherheit des Landes wurde nicht nur durch Gefechte im Grenzgebiet bedroht, sondern auch durch Mitglieder der Hisbollah, die in Syrien aufseiten der Regierung kämpften. Bis Ende 2015 hatten rund 1,2 Mio. Syrer im Libanon die Anerkennung als Flüchtling beantragt. Im Januar 2015 beendete das Land seine Politik der offenen Grenzen und verlangte von Flüchtlingen bei der Einreise ein Visum.

Im August 2015 starben in Ain el-Helweh, dem größten palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, drei Menschen bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen. Die Sicherheitslage in Tripoli war wegen des Syrienkonflikts nach wie vor angespannt. In Syrien hielt die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS) immer noch libanesische Soldaten und Angehörige der Sicherheitskräfte fest, die sie 2014 entführt hatte, während die bewaffnete Gruppe Al-Nusra-Front (Jabhat al-Nusra) ihre Geiseln freiließ.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Sicherheitskräfte, insbesondere der Innere Sicherheitsdienst, wendeten mehrfach exzessive Gewalt an. Im August 2015 gingen Angehörige des Inneren Sicherheitsdienstes und der Armee in Beirut brutal gegen die Protestbewegung "Ihr stinkt" vor, die eine funktionierende Müllabfuhr und andere grundlegende Versorgungsleistungen forderte. Die Beamten setzten scharfe Munition, Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstrierenden ein. Dabei wurden Berichten zufolge mehr als 300 Personen verletzt. Nach Angaben des Innenministers wurde nach diesem Vorfall gegen acht Angehörige des Inneren Sicherheitsdienstes ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

Folter und andere Misshandlungen

Nachdem in den sozialen Medien zwei Videos veröffentlicht worden waren, auf denen zu sehen war, wie Angehörige des Inneren Sicherheitsdienstes Häftlinge im Roumieh-Gefängnis schlugen, wurden im Juni fünf Beamte angeklagt.

Obwohl der Libanon im Jahr 2000 das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert hatte, war der darin vorgeschriebene Nationale Präventionsmechanismus zum Schutz vor Folter Ende 2015 immer noch nicht eingesetzt worden.

Flüchtlinge und Asylsuchende

2015 lebten im Libanon etwa 300 000 palästinensische und rund 1,2 Mio. syrische Flüchtlinge. Tausende palästinensische Flüchtlinge, von denen viele schon seit Jahrzehnten im Land sind, wurden weiterhin durch Gesetze und Bestimmungen diskriminiert und ihrer Grundrechte beraubt. So war es ihnen u. a. verwehrt, Grundbesitz zu erben und kostenlose Schulbildung in Anspruch zu nehmen. Außerdem durften sie in etwa 20 Berufen nicht arbeiten. Mindestens 3000 Palästinenser hatten keine amtlichen Ausweisdokumente, was zu Problemen führte, wenn sie Geburten, Hochzeiten oder Todesfälle registrieren lassen wollten.

Im Januar 2015 beendete die Regierung ihre Politik der offenen Grenzen und begann, die Einreise von syrischen Flüchtlingen zu beschränken. Palästinenser, die wegen des Syrienkonflikts in den Libanon fliehen wollten, bekamen keine Einreiseerlaubnis. Im Mai 2015 wiesen die Behörden das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) an, vorläufig keine neuen syrischen Flüchtlinge mehr zu registrieren. Flüchtlinge aus Syrien, die vor Januar 2015 in den Libanon eingereist waren, hatten Probleme, ihre Aufenthaltsgenehmigungen verlängern zu lassen. Personen, die die Gebühren für eine Verlängerung der Aufent-haltsgenehmigung nicht bezahlen konnten, verloren ihren regulären Aufenthaltsstatus und liefen Gefahr, festgenommen, inhaftiert und des Landes verwiesen zu werden.

Die internationale Gemeinschaft kam ihren Versprechen nicht nach, den Libanon in der Flüchtlingskrise angemessen zu unterstützen. Die Mittel für humanitäre Hilfe reichten nicht aus, und nur wenige Länder erklärten sich bereit, Aufnahmeplätze im Rahmen des Resettlement-Programms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge bereitzustellen.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen wurden weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert. Dies betraf vor allem Familienangelegenheiten wie Scheidung, das Sorgerecht für die Kinder und Erbschaftsfragen. Libanesischen Frauen, die mit ausländischen Staatsbürgern verheiratet waren, war es nach wie vor gesetzlich verboten, ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weiterzugeben. Für libanesische Männer, die mit ausländischen Staatsbürgerinnen verheiratet waren, galt diese Regelung nicht. Die Behörden stellten weder Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit noch Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe.

Rechte von Arbeitsmigranten

Arbeitsmigranten waren weiterhin von den gesetzlichen Schutzbestimmungen ausgenommen, was dazu führte, dass sie von ihren Arbeitgebern ausgebeutet und misshandelt wurden. Dies galt insbesondere für weibliche Hausangestellte, die durch das Sponsorensystem (kafala) vertraglich an ihre Arbeitgeber ("Sponsoren") gebunden waren. Im Januar 2015 verweigerte der Arbeitsminister einer von Arbeitsmigranten gegründeten Gewerk-schaft die Zulassung.

Internationale Strafverfolgung

Der in den Niederlanden angesiedelte Sondergerichtshof für den Libanon (Special Tribunal for Lebanon) setzte den Prozess gegen fünf Männer fort, denen die Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri zur Last gelegt wird. Das Verfahren fand in Abwesenheit der Angeklagten statt. Rafiq Hariri sowie weitere Personen waren im Jahr 2005 in Beirut durch eine Autobombe getötet worden. Im September 2015 sprach der Sondergerichtshof die libanesische Journalistin Karma Khayat und ihren Arbeitgeber, den Fernsehsender Al-Dschadid, vom Vorwurf der Justizbehinderung frei. Karma Khayat wurde jedoch wegen Missachtung des Gerichts zur Zahlung einer Geldstrafe von umgerechnet 10000€ verurteilt, weil sie vertrauli-che Informationen über Zeugen in dem Verfahren enthüllt hatte.

Straflosigkeit

Das Schicksal Tausender Menschen, die während des libanesischen Bürgerkriegs entführt wurden oder "verschwanden", blieb weiterhin ungeklärt. Es gab nach wie vor keine unabhängige nationale Stelle, die das Schicksal der "verschwundenen" und vermissten Personen untersuchte.

Todesstrafe

Gerichte verurteilten 2015 mindestens 28 Menschen wegen Mordes und terroristischer Straftaten zum Tode, einige von ihnen in Abwesenheit. Seit 2004 wurden jedoch keine Todesurteile mehr vollstreckt.

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