a-4932 (ACC-RUS-4932)

Nach einer Recherche in unserer Länderdokumentation und im Internet können wir Ihnen zu oben genannter Fragestellung Materialien zur Verfügung stellen, die unter anderem folgende Informationen enthalten:
Tschetschenischer Separatistenführer namens Fatchi
Auf der Seite Chechen.org, die den tschetschenischen Separatisten nahe steht, ist eine Analyse aus dem Jahr 2001 veröffentlicht, in der erwähnt wird, dass an den Kämpfen in Grosny im Winter 1995 auch eine „Islamisches Bataillon“ oder „Dschamaat“ genannte Gruppe teilgenommen habe, die von Fatchi aschSchischani geleitet worden sei, einem Tschetschenen jordanischer Herkunft, der auch als Prediger aufgetreten sei:
[Russisches Zitat entfernt] (Chechen.org, 2001, S. 6)
 Auf der Seite Dawah.ru, die sich an russischsprachige Moslems richtet, ist ein Artikel über den Tschetschenien-Krieg veröffentlicht, in dem ein „religiöser Lehrer Scheich Fatchi al-Schischan“ erwähnt wird. Fatchi sei ein Tschetschene aus Jordanien, der die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitze. Fatchi habe sich früher in Afghanistan aufgehalten. Er sei 1992 nach Tschetschenien gekommen und habe dort den „Tschetschenischen islamischen Dschamaat“ gegründet. Er habe die städtische Jugend um sich gesammelt und islamische Kampfeinheiten gebildet, die zu den besten Kampfgruppen des tschetschenischen Widerstandes gehört hätten:
[Russisches Zitat entfernt] (Dawah.ru, nach Jänner 2004)
Auch die tschetschenischen Separatisten nahe stehende Seite Chechenpress veröffentlichte im Jänner 2006 einen Artikel, in dem ein „jordanischer Tschetschene Scheich Fatchi“ erwähnt wird. Die tschetschenische Jugend habe im Jahr 1992 die Gruppe „Islamischer Dschamaat Tschetschenien“ gegründet, die nach einigen Jahren den erfahrenen Scheich Fatchi zu ihrem Führer gewählt habe:
[Russisches Zitat entfernt]  (Chechenpress, 19. Jänner 2006)
Auf Zamanaonline, einer russischsprachigen Informationsseite über den Islam, ist eine Dissertation von Abusagir Mantajew zum Thema „Wahabismus in Dagestan“ aus dem Jahr 2002 veröffentlicht. Der Autor gibt an, dass im ersten Tschetschenien-Krieg 1994-1996 an praktisch allen Fronten Kämpfer teilgenommen hätten, die zum Dschamaat gehört hätten, einer von Scheich Fatchi organisierten Gruppe. Viele größere Kriegsoperationen seien vom Dschamaat geplant und durchgeführt worden, und das Dschamaat sei die stärkste und disziplinierteste bewaffnete Formation gewesen:
[Russisches Zitat entfernt]  (Mantajew, 2002, S. 176)
Das Institute for Humanities and Political Studies (IGPI) schreibt in einem Überblick zur Tschetschenischen Republik Itschkeria [Bezeichnung der Separatisten für ihren von Russland nicht anerkannten Staat, Anm. von ACCORD] vom Oktober 1997, dass im Frühling 1995 vom Separatisten-Präsidenten Dudajew eine Kommission gegründet worden sei, die Schariatsgerichte (islamische Gerichte) einrichten sollte. Der Vorsitzende dieser Kommission sei Scheich Fatchi gewesen:
[Russisches Zitat entfernt] (IGPI, Oktober 1997, Abs. 4.3)
Das Norwegian Defence Research Establishment erwähnt in einer Analyse der tschetschenischen Separatistenführer vom Februar 2004, dass ein Jordanier tschetschenischer Herkunft namens Fatkhi im Jahr 1995 nach Tschetschenien gekommen sei. Über diesen Mann heiße es, dass er ein Abgesandter von Bin Laden sei (Norwegian Defence Research Establishment, 2. Februar 2004; S. 28; Anm. 93).
 
Außerdem wollen wir Sie auf drei Videoaufnahmen hinweisen, die auf Google Video veröffentlicht sind und alle den Titel „Scheich Fatchi“ tragen. Alle drei Videos zeigen einen älteren Mann mit langem Bart, der einen Vortrag hält. Auch das Publikum ist teilweise zu sehen. Die Sprache konnte nicht identifiziert werden, es handelt sich aber nicht um Russisch und – laut Auskunft eines ACCORD-Mitarbeiters mit Arabisch-Kenntnissen – nicht um Arabisch (Chechen Cultural Centre, 28. September 1996, 17. Jänner 1997 und 16. März 1997).
Verbindung von Fatchi zu den Wahabiten
In der oben erwähnten Disseration zum Thema „Wahabismus in Dagestan“ aus dem Jahr 2002 wird angegeben, dass sich Scheich Fatchi aktiv um die Verbreitung des Salafismus unter den tschetschenischen Kämpfern bemüht habe, und nach dem Ende des Krieges auch salafitische Gruppierungen, die Dschamaate, gegründet habe (Mantajew, 2002, S. 176). Laut Angaben des Autors der Dissertation ist Wahhabismus eine abwertende Fremdbezeichnung für den „Salafismus“ (Mantajew, 2002, S. 15).
Scheich Fatchi sei eine der beiden Personen gewesen, die bei der Verbreitung des Salafismus in Tschetschenien die wichtigste Rolle gespielt hätten (Mantajew, 2002, 179).
 
Hingegen wird in der staatlichen russischen Tageszeitung „Rossijskaja Gaseta“ von Gegensätzen zwischen Fatchi und den Wahabiten berichtet: Am 1. November 2001 wurde ein Interview mit einem tschetschenischen Brigadegeneral veröffentlicht, in dem dieser angibt, dass der damalige Separatisten-Präsident Maschadow sich mit den Wahabiten zusammengetan habe, dass Fatchi aber nicht damit einverstanden gewesen sei, die von ihm geleitete Organisation „Dschamaat“ in eine wahabistische Organisation umzuwandeln:
[Russisches Zitat entfernt] (Rossijskaja Gaseta, 1. November 2001)
Zum Begriff des Wahabismus schreibt das US Department of State (USDOS) in seinem im November 2005 erschienen Bericht zur Religionsfreiheit in Russland, dass die Regierung, Journalisten und die Öffentlichkeit muslimische Organisationen sehr schnell als „Wahabiten“ bezeichnen würden. Diese Bezeichnung würde zunehmend als Synonym für „Extremisten“ gebraucht (USDOS, 8. November 2005, Sek.III).
 
Die Menschenrechtsorganisation Memorial schreibt in ihrem im August 2005 erschienen Bericht über die Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation folgendes über die Bezeichnung als Wahabit:
„Die Beschuldigung Wahabit zu sein (häufig, wenn nicht sogar in den meisten Fällen entbehrt sie jeglicher Grundlage) ist ein beliebtes Mittel in den Auseinandersetzungen der einen oder anderen Richtungen der moslemischen Gläubigen. […]
Wer einmal als Wahabit verdächtigt ist, kann leicht terroristischer Absichten beschuldigt und bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit verhaftet werden. […]
Die Kampagne, Moslems Extremismus und Terrorismus vorzuwerfen, hat inzwischen in allen Regionen Russlands, in denen die moslemische Bevölkerung einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmacht, um sich gegriffen. […] Besonders im Nordkaukasus werden Menschen häufig beschuldigt Wahabiten zu sein.“ (Memorial, August 2005, S. 11 u. 12)
Todesursache von Fatchi
Die vorliegenden Angaben zum Tod von Fatchi widersprechen sich teilweise. In mehreren Fällen wird erwähnt, dass Fatchi eine Herzkrankheit gehabt habe, zugleich wird aber auch immer darauf hingewiesen, dass Fatchi gewissen Personen im Weg gestanden sei. In mehreren Beiträgen heißt es, dass Fatchi vergiftet worden sei, allerdings sind die Angaben zu den Tätern nicht einheitlich:
 
Im oben erwähnten Interview der „Rossijskaja Gaseta“ gibt der interviewte General an, dass es im Zusammenhang mit der Diskussion über die Umwandlung der Gruppe Dschamaat in eine wahabistische Organisation zu einer Uneinigkeit zwischen Maschadow und Fatchi gekommen sei, worauf „aus unverständlichen Gründen einfach Fatkhis Herzklappe zu funktionieren aufgehört“ habe:
[Russisches Zitat entfernt] (Rossijskaja Gaseta, 1. November 2001)
Auf Kawkazchat, einer Chat-Seite zum Kaukasus, wird in einem Beitrag angegeben, dass Fatchi viele Menschen gestört habe, unter anderem auch die Separatistenführer Maschadow und Basajew. Fatchi sei vergiftet worden. Es stimme nicht, dass er einen Herzinfarkt erlitten habe, weil er eine neue Herzklappe gebraucht habe. Der Autor des Beitrages gibt an, zu wissen, wer der Fahrer des Autos war, in dem Fatchi gestorben sei, und was Fatchi vorher gegessen habe:
[Russisches Zitat entfernt] (Kavkazchat, 7. Jänner 2005)
In dem oben erwähnten Beitrag auf Chechenpress wird angegeben, dass die von Fatchi geleitete Gruppe Dschamaat eine Art Gegenspieler der Partei „Islamische Wiedergeburt“ („Islamskoje Wosroschdenije“, inoffizielle Übersetzung von ACCORD) gewesen sei. Deren Führer hätten den Herzkranken Fatchi vergiftet und die Tat dann dem Separatisten-Präsidenten Maschadow in die Schuhe geschoben:
[Russisches Zitat entfernt] (Chechenpress, 19. Jänner 2006)
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine Informationen zum Todesjahr von Fatchi gefunden werden.
Verfolgung von ehemaligen Rebellen
Da in den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen keine Informationen dazu gefunden werden konnten, ob Leibwächter von Scheich Fadchi verfolgt werden, übermitteln wir Ihnen folgende Informationen zur Lage ehemaliger Rebellen:
 
Das britische UK Home Office schreibt in seiner Operation Guidance Note zur Russischen Föderation vom Oktober 2005, dass Personen, die sich mit den Rebellen eingelassen haben, oder dessen zumindest verdächtigt werden, einem ernsten Verfolgungsrisiko ausgesetzt seien (UK Home Office, Oktober 2005).
 
In einem gemeinsamen Bericht von mehreren Menschenrechtsorganisationen, der im November 2005 von der International Federation for Human Rights (FIDH) veröffentlicht worden ist, wird angegeben, dass Ramsan Kadyrow, der Sohn des getöteten Präsidenten Achmat Kadyrow, den Sicherheitsdienst des Präsidenten geleitet habe, eine paramilitärische Truppe von zeitweise über 3000 Mann, die zum Großteil aus ehemaligen Rebellen bestünde, die die Seiten gewechselt hätten, und dafür eine Amnestie bekommen hätten:
“Ramzan Kadyrov, the son of the deceased Akhmat Kadyrov, while the latter was still alive headed the republic’s strongest paramilitary force – the President’s Security Service. At that time it comprised more than three thousand men, mostly former militants who crossed over to the side of the pro- Moscow administration in exchange for amnesty as well as openly criminal elements.” (FIDH, November 2005, S. 11).
An anderer Stelle wird in diesem Bericht angegeben, dass in den Sicherheitsdienst ehemalige separatistische Kämpfer aufgenommen worden seien, die nun dafür verwendet würden, ihre ehemaligen Kollegen zu „eliminieren“. Rebellen hätten eine Amnestie als Möglichkeit genutzt, in ein friedliches Leben zurückzukehren, stattdessen sei ihnen aber angeboten worden, in den Sicherheitsdienst zu wechseln, nicht selten seien dazu Folter oder Drohungen genutzt worden. Wer das Angebot angenommen habe, hätte Waffen, Autos und ein regelmäßiges Einkommen erhalten, wer es dagegen abgelehnt habe, sei „verschwunden“ oder Opfer von extralegalen Tötungen geworden.
Überläufer seien in so genannten „antiterroristischen Operationen“ eingesetzt worden und müssten in ihren Heimatgebieten, in denen sie früher auf der Seite der Separatisten gekämpft hätten, nun ihre ehemaligen Kameraden „eliminieren“:
“Security Service initially consisted of relatives and co-villages of Kadyrov and was formed on the basis of personal loyalty. Inside the structure were “legalized” former fighters-participants of armed groups of Ichkeria, who were now used for elimination of their former colleagues from “irreconcilable” supporters of independence. “Legalization” became possible due to the amnesties, announced by the federal center. Rebels, injured or disappointed in war, tried to use this amnesty as a way to return to peaceful life, instead they were offered to join the Security Service, not infrequently under torture or threats to eliminate their relatives. Those who joined the Security Service received weapons, cars and stable income. Those who refused - “disappeared” or became victims of extrajudicial executions.
A fighter who changed sides and joined Kadyrov’s army was used in the so-called “anti-terrorist operations”, after which “tied with the blood”, he was unable to return to the hills. Subsequently, he could be ordered to his native village or region where he had been previously fighting on the side of the separatists, so that he would help reveal and eliminate his yesterday’s comrades remaining there.“ (FIDH, November 2005, S. 32)
Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR) berichtet in einer Reportage vom Juni 2005, dass es laut ehemaligen Rebellen für sie keine andere Möglichkeit gebe, sicher zu leben, als sich selbst den Sicherheitsdiensten anzuschließen.
Ehemalige Rebellen hätten zwar eine Amnestie bekommen, würden aber dennoch von den Sicherheitsdiensten „gequält“. IWRP zitiert ehemalige Rebellen, die angeben, dass sie trotz der Amnestie ständig in Furcht leben müssten, da ihre Vergangenheit jederzeit gegen sie verwendet werden könne und sie jeden Augenblick verhaftet werden könnten. Für viele sei es daher der beste Schutz, sich dem Sicherheitsdienst des Präsidenten anzuschließen, der dem stellvertretenden Premier Ramsan Kadyrow unterstünde. Diese sogenannten „Kadyrowzy“ würden 15.000 Männer umfassen, deren Hauptaufgabe es sei, separatistische Kämpfer – also ihre ehemaligen Kameraden – zu finden und zu „eliminieren“. Laut ehemaligen Rebellen, die sich den Kadyrowzy angeschlossen haben, sei das ihre einzige Möglichkeit, da ihre Angehörigen sonst gefährdet seien.
 
Doch auch wenn sich ehemalige Kämpfer den Kadyrowzy anschließen, sei damit ihre Sicherheit nicht garantiert. Ehemalige Rebellen würden von ihren neuen Kollegen erniedrigt. In einem extremen Fall sei ein ehemaliger Rebell, obwohl er sich als Mitglied des Sicherheitsdienstes ausweisen konnte, von maskierten Männern abgeholt worden, und erst am nächsten Tag „halbtot“ von Familienmitgliedern und ehemaligen Kameraden aus einer Haftanstalt befreit worden (IWPR, 9. Juni 2005).
 
Diese Informationen beruhen auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen. Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines bestimmten Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Wir empfehlen, die verwendeten Materialien zur Gänze durchzusehen.
 
Quellen:
 
Quellen zu Scheich Fatchi
Verfolgung von ehemaligen Rebellen