Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von Personen, die vom islamischen Glauben abgefallen sind, von KonvertitInnen, von Personen, die sich nicht an islamische Regeln halten und von Personen, die öffentlich Kritik am Islam üben: Behandlung durch Gesellschaft und Staat; Möglichkeiten zur Ausübungen christlicher Religion; Veränderungen hinsichtlich der Lage von ChristInnen; Gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa [a-11271]

15. Juni 2020

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Hintergrundinformationen

Die staatliche US-amerikanische Kommission für Internationale Religionsfreiheit (US Commission on International Religious Freedom, USCIRF), eine staatliche Körperschaft zur Beobachtung des Zustands der Meinungs- und Gewissens-, sowie der Religions- und Glaubensfreiheit im Ausland, hält fest, dass Afghanistan neben seiner ethnischen Vielfalt historisch gesehen auch eine religiöse Diversität aufgewiesen habe. Allerdings sei die überwiegende Mehrheit der nicht-muslimischen Bevölkerung aus Afghanistan geflohen, nachdem es den Taliban im Jahr 1996 gelungen sei, ihre Kontrolle über die Regierung zu festigen. Die Anzahl der Hindu und Sikh beispielsweise sei von 220.000 in den frühen 1990er Jahren auf nur noch etwa ein Tausend gesunken. Die derzeitige Bevölkerung Afghanistans bestehe zu etwa 99,7 Prozent aus Muslimen. Davon seien 84,7-89,7 Prozent sunnitisch und 10-15 Prozent schiitisch (einschließlich Ismailiten), während die restlichen 0,3 Prozent Nicht-Muslime seien, darunter vor allem Hindus, Sikhs, Baha'is, Christen, Buddhisten und Zoroastrier.

Laut dem Bericht seien die kleinen religiösen Minderheiten, darunter Hindus, Sikhs, Christen, Ahmadi-Muslime und Baha’i, während der Talibanherrschaft massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt gewesen und seien im Berichtsjahr 2019 nach wie vor bedroht gewesen. Aus Angst vor gewaltsamen Repressalien durch terroristische Gruppen und die Gesellschaft sei es ihnen nicht möglich, ihren Glauben öffentlich auszuüben. Viele Mitglieder der schrumpfenden nicht-muslimischen Gemeinschaften würden sich aufgrund sozialer, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung, anhaltender Angriffe extremistischer Gruppen und der von ihnen wahrgenommenen mangelnden Bereitschaft der Regierung, für angemessene Sicherheit zu sorgen, unter Druck gesetzt sehen, Afghanistan zu verlassen:

„Afghanistan has a diverse array of ethnic groups, including Pashtuns (42 percent), Tajiks (27 percent), Hazaras (9 percent), Uzbeks (9 percent), Turkmen (3 percent), and Baloch (2 percent). Historically, the nation also had a religiously diverse population; however, the vast majority of non-Muslims fled the country after the Taliban consolidated control of the government in 1996. The Hindu and Sikh population, for example, dropped from 220,000 in the early 1990s to just around 1,000 today. Afghanistan’s current population is approximately 99.7 percent Muslim (84.7–89.7 percent Sunni and 10–15 percent Shi’a, including Ismailis), with non-Muslims (Hindus, Sikhs, Baha’is, Christians, Buddhists, Zoroastrians, and others) comprising the remaining 0.3 percent.” (USCIRF, April 2020, S. 49)

[T]he small communities of religious minorities—including Hindus, Sikhs, Christians, Ahmadi Muslims, and Baha’is, who experienced egregious human rights violations under Taliban rule—remained endangered, without the ability to observe their faith publicly for fear of violent reprisal by terrorist groups or society at large. […] Despite an expressed commitment to their homeland, many members of the dwindling non-Muslim communities have felt pressured to leave Afghanistan due to social, political, and economic discrimination, ongoing attacks by extremist groups, and the government’s perceived unwillingness to provide adequate security. (USCIRF, April 2020, S. 48-49)

Melissa Kerr Chiovenda, Dozentin für Anthropologie am College für Geistes- und Sozialwissenschaften der Zayed Universität in Abu Dhabi, erwähnt in einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass es im heutigen Afghanistan neben den Muslimen auch Sikhs, Hindus, Christen und eine extrem geringe Anzahl von Juden gebe (möglicherweise nur eine Person). Personen, die sich nicht zum muslimischen Glauben bekennen würden, würden versuchen auszuwandern, da sie unter starker Diskriminierung leiden würden. Nicht-sunnitische Muslime würden ebenfalls unter Diskriminierung leiden, allerdings in einem vergleichsweise geringeren Ausmaß. Die Christen in Afghanistan seien alle KonvertitInnen/ApostatInnen, da es dort keine autochthonen christlichen Gruppen gebe:

To answer your first question, no, there are no autochthonous Christian groups in Afghanistan. There are of course Muslims (Shi'a, Sunni, Ismaili), Sikhs, Hindus, and Jews (although the Jewish population is EXTREMELY small, perhaps one person). Non-Muslims are trying to immigrate as they suffer from a large amount of discrimination, as do non-Sunni Muslims to a lesser extent. So all Christians are converts/apostates.” (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Rechtliche Bestimmungen zu Apostasie, Konversion und Blasphemie; Anwendung in der Praxis; Haftbedingungen

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als „Weggehen“ vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer anderen Glaubensrichtung anschließe (Landinfo, 4. September 2013, S. 10). Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Bericht vom Juni 2020, dass Konversion vom Islam zu einer anderen Religion nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtslehre Apostasie darstelle (USDOS, 10. Juni 2020, Section II).

 

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die „heilige Religion des Islam“ als Religion Afghanistans fest. Angehörigen anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten:

„Article Two

The sacred religion of Islam is the religion of the Islamic Republic of Afghanistan. Followers of other faiths shall be free within the bounds of law in the exercise and performance of their religious rituals.” (Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, 26. Jänner 2004, Artikel 2)

„Article Three

No law shall contravene the tenets and provisions of the holy religion of Islam in Afghanistan.” (Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, 26. Jänner 2004, Artikel 3)

„Article Seven

The state shall observe the United Nations Charter, inter-state agreements, as well as international treaties to which Afghanistan has joined, and the Universal Declaration of Human Rights.” (Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, 26. Jänner 2004, Artikel 7)

„Article One Hundred Thirty

In cases under consideration, the courts shall apply provisions of this Constitution as well as other laws. If there is no provision in the Constitution or other laws about a case, the courts shall, in pursuance of Hanafi jurisprudence, and, within the limits set by this Constitution, rule in a way that attains justice in the best manner.” (Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, 26. Jänner 2004, Artikel 130)

Auch im USCIRF-Bericht vom April 2020 findet sich die Information, dass die afghanische Verfassung den Gerichten abverlange, sich auf die Rechtsprechung der hanafitischen Scharia zu stützen, wenn zu einem juristischen Sachverhalt keine geltenden verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Bestimmungen vorliegen würden. Dies habe zur Folge, dass Blasphemie, Abfall vom Glauben und Missionieren durch Nicht-Muslime unter Strafe gestellt sei:

[T]he constitution requires the courts to rely on Hanafi Shari’a jurisprudence in the absence of governing constitutional or legal provisions, which has the effect of criminalizing blasphemy (subject to the death penalty), apostasy, and proselytizing by non-Muslims.” (USCIRF, April 2020, S. 49)

Laut USDOS-Bericht vom Juni 2020 sei der Straftatbestand Apostasie im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich vorgesehen. Vielmehr falle er unter die sieben Straftatbestände, die in der Scharia Hudud (Arabisch für „Grenzen“, Anm. ACCORD) genannt würden. Nach dem Strafgesetzbuch würden Personen, die sich Hudud-Verbrechen schuldig gemacht hätten, nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung bestraft. Gemäß dieser sei für männliche Apostaten Enthauptung die angemessene Bestrafung, während für weibliche lebenslange Haft das angemessene Strafmaß sei. Es sei denn, die Person tue Buße. Einem Richter stehe es auch frei, mildere Strafen zu verhängen, wie etwa kurzfristige Haftstrafen oder Peitschenhiebe, wenn Zweifel am tatsächlichen Vorliegen eines Abfalls vom Glauben bestehen würden. Nach der hanafitischen Rechtsprechung könne die Regierung auch das Eigentum von ApostatInnen konfiszieren oder Abtrünnige daran hindern, Eigentum zu erben. Diese Bestimmungen würden für volljährige Personen gelten, die bei klarem Verstand seien. Das Zivilrecht besage, dass das Volljährigkeitsalter 18 Jahre betrage, während es für Frauen im Hinblick auf die Eheschließung bei 16 Jahren liege. Das islamische Recht definiere Volljährigkeit als jenen Moment, an dem bei einer Person die Anzeichen der Pubertät erkennbar seien, der wiederum – vor allem bei Mädchen - üblicherweise als Zeitpunkt des heiratsfähigen Alters angesehen werde:

„While apostasy is not specifically provided for under the penal code, it falls under the seven offenses making up the hudood as defined by sharia. According to the penal code, perpetrators of hudood are punished according to Hanafi jurisprudence. According to Sunni Hanafi jurisprudence, which the constitution states shall apply ‘if there is no provision in the constitution or other laws about a case,’ beheading is appropriate for male apostates, while life imprisonment is appropriate for female apostates, unless the individual repents. A judge may also impose a lesser penalty, such as short-term imprisonment or lashes, if doubt about the apostasy exists. Under Hanafi jurisprudence, the government may also confiscate the property of apostates or prevent apostates from inheriting property. This guidance applies to individuals who are of sound mind and have reached the age of maturity. Civil law states the age of maturity for citizens is 18, although it is 16 for females regarding marriage. Islamic law defines it as the point at which one shows signs of puberty, and puberty is usually applied as the marriageable age, particularly for girls.” (USDOS, 10. Juni 2020, Section II)

Das USDOS schreibt weiters, dass Personen, die der Blasphemie oder der Apostasie beschuldigt würden, drei Tage Zeit hätten zu wiederrufen, andernfalls sei die Todesstrafe vorgesehen. Allerdings gebe es keinen klaren von der Scharia festgelegten Prozess, wie das Widerrufen auszusehen habe. In einigen Hadithe (Sprüche bzw. Traditionen, die als rechtliche Leitlinien im Islam fungieren) würden Diskussionen und Verhandlungen mit der vom Glauben abgefallenen Person vorgeschlagen, im Zuge derer das Wiederrufen angeregt werden solle:

Accused blasphemers, like apostates, have three days to recant or face death, although there is no clear process for recanting under sharia.  Some hadiths (sayings or traditions that serve as a source of Islamic law or guidance) suggest discussion and negotiation with an apostate to encourage the apostate to recant.” (USDOS, 10. Juni 2020, Section II)

Das australische Außen- und Handelsministerium (Department of Foreign Affairs and Trade, DFAT) veröffentlicht mit dem Zweck der Verwendung in Verfahren zum internationalen Schutz im Juni 2019 einen Länderbericht zu Afghanistan. Darin wird festgehalten, dass die für Hudud-Verbrechen vorgeschriebenen Strafen üblicherweise extrem hart seien und bis hin zur Todesstrafe reichen würden. Allerdings seien die Beweisanforderungen in solchen Fällen hoch. Für die meisten der Verbrechen gelte, dass sie durch Zeugenaussagen untermauert werden müssten, damit die Schuld nachgewiesen werden könne. Zu den Faktoren, die den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen bestimmen würden, würden das Geschlecht der/des Zeugen/Zeugin gehören (zum Nachteil der Frauen), deren/dessen gesellschaftliche Stellung, der Inhalt der Zeugenaussage und die Anzahl der anwesenden ZeugInnen:

Mandatory sentences for hudud crimes have tended to be extremely harsh — up to and including the death penalty. However, the standard of proof in such cases is demanding. For most crimes, witnesses must corroborate claims before guilt can be established. Factors determining the veracity of witnesses include gender (disadvantaging women), community standing, the content of the statement, and the number of witnesses present.” (DFAT, 27. Juni 2019, S. 28)

Zum Thema Konversion führt das USDOS im Bericht vom Juni 2020 an, dass Konversion vom Islam zu einer anderen Religion nach der in den Gerichten anzuwendenden sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung Apostasie darstelle. Wenn jemand vom Islam zu einer anderen Religion konvertiere, so habe Der- oder Diejenige drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerrufe die Person nicht, so solle die Strafe für Apostasie angewendet werden:

„Conversion from Islam to another religion is apostasy according to the Hanafi school of jurisprudence applicable in the courts. If someone converts to another religion from Islam, he or she shall have three days to recant the conversion. If the person does not recant, then he or she shall be subject to the punishment for apostasy.” (USDOS, 10. Juni 2020, Section II)

Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (AAN), antwortet in einer E-Mail-Auskunft vom Mai 2020 wie folgt auf die Frage, ob es überhaupt ApostatInnen oder KonvertitInnen gebe, die offen über ihren Glauben bzw. Nicht-Glauben sprechen würden: Ruttig verneint und hält fest, dass eine derartige Äußerung die Person außerhalb der (muslimischen) Gemeinschaft stelle. Etwas derartiges zu äußern sei auch gefährlich, weil selbst im „Mainstream-Islam“ Apostasie abgelehnt werde und nach orthodoxem Scharia-Verständnis mit der Todesstrafe geahndet werden könne. Ruttig betont das Wort „könne“ und bemüht diesbezüglich das Sprichwort „Wo kein Kläger da kein Richter“ und fährt weiter fort, dass aus diesem Grund etwa afghanische Christen alles versuchen würden, zu vermeiden, dass sich ein Kläger finde.

Auf die Frage wie staatliche Behörden vom Glauben Abgefallene oder KonvertitInnen behandeln würden, antwortet Ruttig, dass diese Frage üblicherweise nicht relevant sei, weil vom Glauben Abgefallene und KonvertitInnen wie erwähnt nicht als solche in Erscheinung treten würden oder die Möglichkeit hätten, dies zu tun. Falls es doch zu einer offiziellen Anklage kommen sollte, sei die Rechtsauslegung oft ziemlich willkürlich und vom jeweiligen Richter oder Staatsanwalt, etc. abhängig, sowie von dessen Verankerung in der Scharia. In der Vergangenheit habe es ja tatsächlich Anklagen wegen Apostasie gegeben. (Ruttig, 29. Mai 2020)

 

Melissa Kerr Chiovenda hält in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 fest, dass Apostasie in Afghanistan illegal sei und mit dem Tode bestraft werde. Es habe zwar einige wenige Fälle gegeben, in denen Menschen verurteilt worden seien, es sei ihr jedoch kein Fall bekannt, in dem der Staat das Todesurteil vollstreckt habe. Ihr sei bekannt, dass es mindestens einen Fall gegeben habe, in dem eine Person verurteilt worden sei, dann aber vor der Vollstreckung des Urteils in Italien Asyl beantragen hätte dürfen. Die gesellschaftlichen Konsequenzen des Bekanntwerdens von Apostasie, auf die sie weiter unten noch näher eingehen werde, seien so gravierend, dass die meisten Menschen, die konvertieren würden, dies streng geheim halten würden. Daher würden sich diese Personen in der Regel so unauffällig verhalten, dass der Staat oder die staatlichen Behörden nie etwas davon erfahren würden. Diskriminierung von ApostatInnen durch staatliche Behörden sei daher auch ein weniger großes Problem, da dem Staat der Glaubensstatus der Person gar nicht bekannt sei. Zum Thema Schutzwilligkeit des Staates hält Kerr Chiovenda fest, dass es für ApostatInnen, die angegriffen würden oder unter Diskriminierung leiden würden, mit Sicherheit keinen staatlichen Schutz gebe:

As for the question about the state's reactions, apostasy is illegal in Afghanistan and is punishable by death. However, while there have been a few cases in which people have been convicted, I do not know of any case in which the government has carried out the death sentence. I know there has been at least one case in which a person was convicted but then allowed to seek asylum in Italy before the sentence was carried out. I can say that the societal repercussions, which I will address more below, are so severe that most people who do convert […] keep it very much a secret. So usually these cases are quiet enough that the state or state authorities never find out, and hence discrimination by state authorities is less of a problem simply because the state is unaware of the person's status. There is surely no state protection for a person who is attacked or suffering discrimination in such a case.” (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Friederike Stahlmann antwortet im Rahmen der im Mai 2020 von ACCORD organisierten Online-Veranstaltung wie folgt auf die Frage, ob KonvertitInnen und Personen, die sich nicht an islamische Regeln halten, staatlicherseits Sanktionen zu befürchten hätten: Solche Personen hätten laut Stahlmann vonseiten des Staates sehr wohl Sanktionen zu befürchten, in der Regel würden allerdings die von der Gesellschaft verhängten Sanktionen schneller greifen als die staatlichen. Aber wenn Apostasie bekannt werde, dann stelle diese natürlich auch rechtlich eine Straftat dar und es gebe dafür auch von staatlicher Seite keine Toleranz. Eine Inhaftierung sei aber trotz der wahrscheinlichen Folter und Gewalt durch Mitgefangene vermutlich die beste Überlebenschance. (Stahlmann, 11. Mai 2020)

 

Die schwedische Einwanderungsbehörde (Migrationsverket) fasst die Situation betreffend rechtliche Verfolgung von Apostasie in der Praxis in einem Bericht vom Dezember 2017 wie folgt zusammen: Seit dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 seien nur wenige Fälle von Apostasie vor Gericht gebracht worden. Die afghanische Regierung scheine zumindest auf höchster Ebene nicht daran interessiert zu sein, Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken. In der Vergangenheit sei es nach derartigen rechtlichen Fällen zu Druck vonseiten konservativer Teile der afghanischen Gesellschaft einerseits, sowie zu Druck vonseiten liberalerer Kräfte auf internationaler Ebene andererseits gekommen. Allerdings sei es möglich, dass es einzelne Regierungsbeamte auf lokaler Ebene gebe, die nicht zögern würden, hart gegen vermeintliche Abtrünnige vorzugehen. Zeitweise könne es auch im Interesse einiger politischer Persönlichkeiten liegen, derartige Fälle, bei denen es um Konversion oder Blasphemie gehe, aufzugreifen und für persönliche politische Ziele auszunutzen. Auch wenn es keine Anzeichen dafür gebe, dass die afghanische Regierung an einer aktiven Suche nach ApostatInnen interessiert sei, so wäre sie dennoch wahrscheinlich gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, wenn ein Fall bekannt würde:

[V]ery few cases of apostasy have been brought to court since the fall of the Taliban regime in 2001 and the Afghan government, at the highest levels, does not seem interested in awakening the negative attention and pressure from either conservative parts of Afghan society or from more liberal powers internationally, that have followed with such cases before. There could however be individual government officials at the local level who would not be hesitant to act harshly against perceived apostates. It may also, intermittently, be in the interest of some political figures to pick-up and exploit a conversion or blasphemy case for personal political goals. Even if there is no indication that the Afghan government is interested in actively searching for apostates it would nevertheless likely be compelled to take action if such a case becomes public.” (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 4)

Auch das DFAT schreibt im Bericht vom Juni 2019, dass rechtliche Verfolgung und Verurteilungen aufgrund von Apostasie oder Blasphemie seit 2001 relativ selten seien. Die letzten Verhaftungen oder Strafverfolgungen in Zusammenhang mit Apostasie oder Blasphemie, von denen das DFAT Kenntnis habe, hätten im Jahr 2014 stattgefunden (DFAT, 27. Juni 2019, S. 28). Ebenso hält auch das USDOS im Bericht vom Juni 2020 fest, dass es in den vorangegangenen fünf Jahren keine Berichte über vonseiten des Staates durchgeführte rechtliche Verfolgung wegen Blasphemie oder Apostasie gegeben habe (USDOS, 10. Juni 2020, Section II).

 

Im Rahmen der Recherche konnten keine Berichte über eine rechtliche Verfolgung von Apostasie oder Konversion in den letzten fünf Jahren gefunden werden. Informationen zu älteren Vorfällen, einschließlich dem oben von Kerr Chiovenda erwähnten, können in der folgenden ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juni 2017 nachgelesen werden:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) [a-10159], 1. Juni 2017
https://www.ecoi.net/de/dokument/1400930.html

Es konnten keine Informationen zu den Haftbedingungen von ApostatInnen, KonvertitInnen, ChristInnen, Personen, die den Islam öffentlich kritisiert oder sich nicht an die Regeln des Islam gehalten haben, gefunden werden.

Behandlung durch die Gesellschaft

In einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 schreibt Noah Coburn, ein am Bennington College im US-Bundesstaat Vermont tätiger Sozial- und Kulturanthropologe mit Forschungsschwerpunkt Afghanistan, dass ApostatInnen oder KonvertitInnen im Allgemeinen von der afghanischen Gesellschaft als Geächtete behandelt würden. Coburn gehe davon aus, das die meisten KonvertitInnen versuchen würden, außerhalb ihres Hauses als Muslime durchzugehen, um dies zu vermeiden. Wenn aber ihre Konversion bekannt werde, könnten sie Übergriffen ausgesetzt sein und würden potentiell Gefahr laufen, getötet zu werden:

How does the Afghan society treat apostates/converts? […] They are generally treated as pariahs and shunned.  My sense is most converts try and pass as Muslims outside their own homes to avoid this, but they can be assaulted and potentially killed if exposed.”  (Coburn, 1. Juni 2020)

Das DFAT hält in seinem Bericht vom Juni 2019 fest, dass jene, denen Blasphemie oder Apostasie vorgeworfen werde, äußerst vulnerabel in Bezug auf gesellschaftliche Diskriminierung seien, die auch die Form von extremer Gewalt annehmen könne. In einem sehr bekannten Fall vom März 2015 habe eine große Gruppe von Menschen im Zentrum Kabuls eine Frau zu Tode geprügelt, ihre Leiche in Brand gesteckt und sie an einem Flussufer abgeladen, nachdem ein Mullah sie (fälschlicherweise) beschuldigt habe, eine Kopie des Korans verbrannt zu haben (Zu diesem Fall siehe auch weiter unten in dieser Anfragebeantwortung, sowie in ACCORD, 1. Juni 2017, Anm. ACCORD). Vom Islam abgefallene und zu einer anderen Religion konvertierte Personen hätten berichtet, dass sie damit die Annullierung ihrer Ehen, die Verstoßung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren würden. Das DFAT hält dazu fest, dass es über keine weiteren Informationen zu diesen Behauptungen verfüge, sowie auch über keine Informationen zur Anzahl von Personen, die versuchen würden, zu konvertieren:

Those accused of blasphemy or apostasy are, however, highly vulnerable to societal discrimination, which may take the form of extreme violence. In one notorious case in March 2015, a large group of people in central Kabul beat a woman to death, set her body on fire, and dumped it on a riverbank after a mullah had (falsely) accused her of burning a copy of the Koran. […] Individuals converting from Islam have reported that they risked the annulment of their marriages, rejection by their families and communities, loss of employment, and possibly the death penalty. DFAT does not have any additional information in relation to these assertions, or in relation to the number of individuals attempting to convert.” (DFAT, 27. Juni 2019, S. 28)

Die Anthropologin Melissa Kerr Chiovenda schreibt in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass im Falle einer bekannt gewordenen Konversion die afghanische Gesellschaft oder zumindest die Menschen in der Umgebung der konvertierten Person mit Sicherheit stark auf diesen Umstand reagieren würden. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Person getötet würde. Wenn nicht, dann würde sie zumindest schikaniert und stark eingeschüchtert. Wahrscheinlich würde sie aus ihrer Gemeinschaft vertrieben. Kerr Chiovenda habe persönlich eine afghanische Person gekannt, die verdächtigt worden sei, konvertiert zu sein. Der Verdacht sei aufgrund ihrer Interaktionen mit einem kanadischen Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation aufgekommen, der tatsächlich versucht habe, AfghanInnen zu konvertieren. Die verdächtigte Person sei öffentlich denunziert worden, ein Denunziationsbrief sei am Eingang der Universität aufgehängt worden, an der der Afghane in Dschalalabad studiert habe. Er habe nach Kabul umziehen müssen und seine gesamte Familie sei ebenfalls nach Kabul gezogen, da auch sie von der Gesellschaft bedroht worden sei. Schlussendlich sei er dann in die USA umgezogen. Die hier beschriebene Reaktion der Gesellschaft sei genau das, was Kerr Chiovenda in einem solchen Fall erwarte. Sie weist weiters darauf hin, dass sich diese Geschichte zwar in Dschalalabad ereignet habe, dass jedoch die Gesellschaft überall in Afghanistan auf solche Weise reagieren würde. Der erwähnte Afghane habe das Land letztlich verlassen, aber Kerr Chiovenda vermutet, dass für ihn selbst ein Leben in Kabul schwierig gewesen wäre. Die Angelegenheit hätte ihn wahrscheinlich verfolgt, und er wäre in Gefahr gewesen:

Society, or those in a person's community, would surely act out if they find someone had converted. There is a high likelihood they would be killed. If not, they would be harrassed and feel so much fear, they would likely be driven away from their community should a conversion be heard of. I have personally known someone who was suspected of having converted (due to his interactions with a Canadian NGO worker who was, in fact, seeking to convert Afghans). The Afghan individual was denounced publicly - a denunciation letter was posted on the entry of the university where he was studying in Jalalabad. He had to move to Kabul, and his whole family also moved to Kabul as they were also threatened by association. He ultimately relocated to the US. This response on the part of the community was exactly what I expected would happen. I should also point out that while this was in Jalalabad, the reaction would have been the same anywhere in Afghanistan. This person ultimately left Afghanistan, but I believe it would be difficult for him to have remained even in Kabul. The story would likely have followed him and he would have been in danger.” (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Migrationsverket geht in seinem Bericht vom Dezember 2017 unter Verweis auf verschiedene Quellen ebenfalls auf die möglichen Konsequenzen von Apostasie ein und schreibt, dass mehrere Quellen angegeben hätten, dass es kein Mitgefühl für Muslime gebe, die "ihren Glauben verraten“ würden. ApostatInnen würden riskieren, von ihren Familien vertrieben zu werden. Darüber hinaus könne es in einigen Fällen vorkommen, dass Menschen in der Umgebung der abtrünnigen Person die Sache selbst in die Hand nehmen und die Person töten würden, ohne dass der Fall vor Gericht komme. Das Ansehen des Einzelnen sei eng mit dem Ansehen der Familie in der afghanischen Gesellschaft verflochten. Wenn eine Familie daher beschließe, die Person wegen des Verdachts der Abwendung vom Islam zu vertreiben, gerate die Person in eine sehr vulnerable Situation. Mehrere Quellen würden andeuten, dass die Hauptbedrohung für eine vom islamischen Glauben abgefallene Person nicht in erster Linie von den afghanischen Behörden ausgehe, sondern von der eigenen Familie der Person oder anderen Personen innerhalb der Gemeinschaft der Person:

Åtskilliga källor menar att det afghanska samhället generellt sett inte tolererar kränkningar av islam. Det finns ingen medkänsla med muslimer som har ”förrått sin tro”, och en apostat riskerar att bli förskjuten av sin familj. Även andra personer i samhället kan i vissa fall ta saken i egna händer och döda personen utan att fallet når en domstol. En familj som vill skydda en familjemedlem som misstänks för apostasi kommer att förbjuda personen att tala öppet om sin syn på islam då en individs rykte är nära sammanflätat med familjens rykte i det afghanska samhället. Om en familj istället väljer att förskjuta personen på grund av misstanke om att denne lämnat islam så kommer personen att hamna i ett mycket utsatt läge. Flera källor framhåller att det huvudsakliga hotet mot en apostat inte i första hand kommer från afghanska myndigheter utan istället från personens familj eller andra individer i samhället.“ (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 17)

Zusammenfassend hält Migrationsverket in dem Bericht fest, dass es schwierig sei, allgemeingültige Schlussfolgerungen zur Situation von Personen, denen Apostasie vorgeworfen wird, zu ziehen. Die individuellen Umstände seien in den meisten Fällen entscheidend, Faktoren wie persönliche Beziehungen und Konflikte, der familiäre Hintergrund und der Herkunftsort seien diesbezüglich von Bedeutung:

„It’s difficult though to draw general conclusions about the situation and specific risks for people who are accused of apostasy or blasphemy. Individual circumstances will most often be decisive, and factors like personal relations and conflicts, family background and place of origin or return are of importance.” (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 4)

Friederike Stahlmann gibt in der Online-Veranstaltung vom Mai 2020 zum Thema Konversion, Apostasie und unterstellter Apostasie (großteils in Zusammenhang mit RückkehrerInnen aus Europa) an, dass es eine Erwartungshaltung gegenüber den Familien solcher Personen gebe, dieses Fehlverhalten zu sanktionieren. Es handle sich um eine traditionelle soziale Erwartung zur Sanktionierung, die dem Umkreis einer solchen Person entgegengebracht würde, auch um zu verhindern, dass diese extreme Form von Tabubruch noch weiter bekannt würde. Stahlmann seien Fälle von Rückkehren bekannt, die gerade noch hätten entkommen können. So etwa der Fall von einem kürzlich Abgeschobenen, der überzeugter Konvertit sei und der gerade in Kabul angekommen sei und nicht habe beten wollen. Als er von anderen in seiner Unterkunft dazu aufgefordert worden sei, habe er gemeint, er würde zu einem späteren Zeitpunkt beten. Sie hätten ihm erwidert, dass er jetzt beten solle und hätten ihn mit einem Messer bedroht. Daraufhin habe er gemeint, er werde sich für das Gebet waschen gehen und sei dann durch das Fenster der Toilette geflohen. Stahlmann ergänzt, dass diese Personen vermutlich nicht zur Polizei gegangen und ihn angezeigt hätten, sondern das vermutlich „direkt sanktioniert“ hätten. Stahlmann seien mehrere Fälle bekannt, bei denen es darum gegangen sei, Unterkünfte und Verstecke für KonvertitInnen zu finden. Kurzfristig sei das aber selbst bei den ausländischen Christen in Kabul nicht möglich gewesen, weil die Angst zu groß gewesen sei, dass sie sich als Unterstützer in Gefahr bringen würden.

Aber auch Desinteresse an Religion könne laut Stahlmann als Apostasie gewertet werden. So könne es in Afghanistan als Hinweis auf bzw. Merkmal von Apostasie wahrgenommen werden, wenn jemand die religiösen Rituale nicht pflege. Und in vielen der von RückkehrerInnen in Anspruch genommenen Unterkünfte werde man sehr stark sozial überwacht, ob und wie häufig man zum Beispiel bete. Also gerade an solchen halb-öffentlichen Orten, oder an Orten, an denen es Zeugen gebe, die man nicht gut kenne, brauche es ein überzeugendes Bekenntnis zum Islam und das Einhalten der damit verbundenen Rituale. Praktisch würden jedoch auch Alltagsregeln religiös legitimiert und damit sei auch deren Einhaltung zentral, um den Vorwurf der Apostasie zu vermeiden. Dies seien Dinge, die gerade zurückkehrende Flüchtlinge, die Afghanistan jung verlassen hätten oder Afghanistan nicht kennen würden, häufig falsch machen würden. Für den Vorwurf würden mitunter Kleinigkeiten ausreichen. Ihr sei der Fall eines Afghanen bekannt, der Mitte der 2000er nach Kabul zurückgekehrt sei und der genügend Geld gehabt habe, um sich eine Wohnung zu mieten. Er habe sich eine westliche Toilettenschüssel eingebaut, worauf ihn der Vermieter verprügelt und hinausgeworfen habe, weil die Toilettenschüssel aus Versehen nach Mekka ausgerichtet gewesen sei. Auch dies sei vom Vermieter als Apostasie gewertet worden. (Stahlmann, 11. Mai 2020)

 

Humanists International (vormals International Humanist and Ethical Union, IHEU) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in London, die aus zahlreichen nichtreligiösen, humanistischen und säkularen Organisationen aus vielen Ländern der Welt besteht. In einem Bericht vom November 2019 erwähnt die Organisation, dass in Bezug auf Ungläubige und ApostatInnen nur sehr wenige Vorfälle dokumentiert seien. Allerdings geht die Organisation davon aus, dass dies vermutlich eher daran liege, dass viele KonvertitInnen und vom Islam Abgefallene einfach zu viel Angst davor hätten, offen über ihre Geisteshaltung zu sprechen:

„With regard to non-believers and apostates, very few incidents are recorded, though this probably means that many converts and dissenters from Islam generally are simply too afraid to speak out.” (Humanists International, 13. November 2019, S. 6)

Open Doors, ein überkonfessionelles christliches Hilfswerk mit evangelikaler Ausrichtung, das sich in über 50 Ländern der Welt für ChristInnen einsetzt, erwähnt in seinem Weltverfolgungsindex 2020, dass es Berichte über einige ChistInnen gebe, die im Berichtszeitraum (1. November 2018 – 31. Oktober 2019) getötet worden seien, dass aber aus Sicherheitsgründen keine Einzelheiten veröffentlicht werden könnten. (Open Doors, 2019)

Kerr Chiovenda antwortet in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 wie folgt auf die Frage, warum es wenige dokumentierte oder veröffentlichte Fälle von Übergriffen gegenüber KonvertitInnen und ApostatInnen gebe: Zunächst, so Kerr Chiovenda, gebe es in Afghanistan nur wenige Menschen, die konvertieren würden. Dies liege daran, dass Afghanistan ein fast vollständig muslimisches soziales Umfeld aufweise, und es nur einige wenige AusländerInnen gebe, die insgeheim daran arbeiten würden, AfghanInnen zum Christentum zu bekehren. In den meisten Fällen würden AfghanInnen einfach nicht in Kontakt mit Personen anderer Religionen kommen. Wenn jemand als Flüchtling nach Europa gehe, sei er natürlich plötzlich einem sozialen Umfeld mit vielen ChristInnen ausgesetzt und würde daher viel eher zum Christentum konvertieren. Dazu komme, dass Konversion so gefährlich und die Auswirkungen so schwerwiegend seien, dass KonvertitInnen ihren diesbezüglichen Status geheim halten würden. Kerr Chiovenda betont, dass für jemanden wie sie, die in Afghanistan arbeite, die Sorge bestehe, dass man sie für eine Missionarin halten könnte. Versuche jemand mit ihr über das Christentum zu sprechen, würde sie das Gespräch im Allgemeinen sofort in eine andere Richtung lenken, weil sie nicht wollte, dass ihre Arbeit und ihre Forschung durch Anschuldigungen gefährdet würden:

„[F]irst there are few people within Afghanistan who do convert. The reason for this is twofold. First, Afghanistan is almost completely a Muslim social environment. There are a few foreigners who secretly work to convert Afghans to Christianity, but for the most part there is simply not exposure. Of course once someone goes to Europe as a refugee, they are all of a sudden exposed to a social environment with many Christians, and so therefore would be much more likely to convert. […] The other point is, it is SO VERY dangerous if one does convert, and the repercussions are so severe, that people who do, keep it a secret. […] I also want to stress that for someone like me working in Afghanistan, there is a concern of being mistaken for a missionary. If anyone even tried to talk to me about Christianity, I generally immediately redirected the conversation because I did not want my work and research to be put in jeopardy by suspicions.” (Kerr Chiovenda, 10. Juni 2020)

Laut E-Mail-Auskunft von Friederike Stahlmann vom Juni 2020 betreffe die Tabuisierung islamkritischen Verhaltens auch JournalistInnen. InterviewpartnerInnen zu Fällen von Apostasie oder Übergriffen auf vermeintliche ApostatInnen zu bekommen, würden mit Stahlmann befreundete JournalistInnen als nahezu unmöglich einschätzen, sofern nicht bereits eine öffentliche Sanktionierung stattgefunden hätte, die - wie im Fall des Lynchmordes an Farkhunda Malikzada im März 2015[1] - ohnehin öffentliche Reaktionen provoziert habe. Zudem sei im Gegensatz zu den zumindest in kleinen Teilen der Gesellschaft umstrittenen außergerichtlichen Hinrichtungen von vermeintlichen EhebrecherInnen der gesellschaftliche Konsens bezüglich der Ermordung von vermeintlichen Apostaten so groß, dass kritische Berichterstattung auch kaum Chance auf Veröffentlichung habe. Es gebe schlicht keine Lobby für ApostatInnen oder deren Grundrechte, wie etwa rechtsstaatliche Verfahren. Mit Berichten über derartige Vorfälle würde man sich zudem in Gefahr einer Vergeltung für die Rufschädigung durch die betroffenen Familien und Nachbarschaften bringen. JournalistInnen seien zudem dem Risiko ausgesetzt, dass ihnen der medienrechtliche Vorwurf gemacht werde, sie hätten über unislamisches Verhalten berichtet oder dieses befördert, denn dies sei laut Mediengesetz untersagt (Weitere Informationen zum Mediengesetz siehe Abschnitt zu öffentlicher Kritik am Islam, Anm. ACCORD). (Stahlmann, 11. Juni 2020)

 

Friederike Stahlmann führt in ihrer vom Informationsverbund Asyl und Migration im September 2019 veröffentlichten Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener AfghanInnen die folgenden Informationen und konkreten Fälle an:

„Auch vermeintlich unislamisches Verhalten in Europa kann durch die Taliban zu einem Verfolgungsgrund werden. So hatte ein Abgeschobener in Deutschland bei einem Frühjahrsputz in einer Kirche mitgeholfen. Dies war durch die Verlinkung eines regionalen Zeitungsartikels auf Facebook in Afghanistan bekannt geworden. Kurz nach seiner Abschiebung wurde seine Familie unter Verweis auf die – aufgrund des Facebook-Links unterstellte – Konversion des Abgeschobenen unter Gewaltandrohung aufgefordert, ihn auszuhändigen, und musste fliehen. Ein weiterer Abgeschobener wurde durch den eigenen Vater bedroht, der auch bei den Taliban ist, und durch Informanten in der afghanischen Community in Deutschland herausgefunden hatte, dass sein Sohn in Deutschland eine Freundin hatte. Insgesamt waren so knapp 20 Prozent der 31 Abgeschobenen aufgrund ihres Aufenthalts in Europa direkt von den Taliban bedroht oder wurden mit angedrohtem Verrat an die Taliban erpresst. Rund 26 Prozent der 31 haben Gewalt erlebt, die durch die allgemeine Bevölkerung aufgrund »westlicher Merkmale« oder der Vergangenheit in Deutschland ausgeübt wurde. Für den zugrunde liegenden Vorwurf, vom Glauben abgefallen und damit Ungläubiger (kafir) zu sein, genügt schon die Verletzung der jeweils geltenden religiösen und sozialen Erwartungen. Auch soziale Umgangsformen werden in Afghanistan nämlich in der Regel religiös legitimiert. Wie in qualitativen Studien schon ausführlich dokumentiert wurde, reichen die Konsequenzen von sozialem Ausschluss aufgrund der Stigmatisierung bis zu Mord. So wurde ein Abgeschobener von seinem Vater wie auch von Nachbarn in seinem Heimatdorf körperlich misshandelt, weil »sie gemerkt haben, dass ich anders bin«. Sechs Abgeschobene berichteten jedoch auch von insgesamt acht Vorfällen, bei denen sie auf der Straße, in der Moschee und bei der Arbeitssuche von Fremden als »Verräter« oder »Ungläubige« bedroht, gejagt oder sogar angegriffen wurden.“ (Stahlmann, September 2019, S. 279-280)

Im Rahmen der Recherche konnten für die letzten Jahre keine weiteren dokumentierten Vorfälle von Übergriffen auf ApostatInnen oder KonvertitInnen durch die afghanische Gesellschaft gefunden werden. Informationen über ältere Vorfälle, darunter auch den vom DFAT erwähnten Fall der im Jahr 2015 erschlagenen Frau, können in der bereits erwähnten ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juni 2017 abgerufen werden. (ACCORD, 1. Juni 2017)

Möglichkeiten zur Ausübungen christlicher Religion; Veränderungen hinsichtlich der Lage von ChristInnen

Thomas Ruttig erklärt in seiner E-Mail-Auskunft vom April 2020, dass es in Afghanistan keine autochthonen ChristInnen mehr gebe, seitdem Mitte des 19. Jahrhunderts die Armenier das Land verlassen hätten. Bei afghanischen ChristInnen handle es sich um relativ rezente KonvertitInnen. (Ruttig, 29. Mai 2020)

 

In ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 teilt Melissa Kerr Chiovenda mit, dass es keine autochthonen christlichen Gruppen in Afghanistan gebe. Alle ChristInnen seien KonvertitInnen beziehungsweise ApostatInnen:

„To answer your first question, no, there are no autochthonous Christian groups in Afghanistan. There are of course Muslims (Shi'a, Sunni, Ismaili), Sikhs, Hindus, and Jews (although the Jewish population is EXTREMELY small, perhaps one person). Non-Muslims are trying to immigrate as they suffer from a large amount of discrimination, as do non-Sunni Muslims to a lesser extent. So all Christians are converts/apostates.“ (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Noah Coburn schreibt in seiner Email-Auskunft vom Juni 2020, dass es seines Wissens keine autochthonen christlichen Gemeinschaften im Land gebe, obwohl manche dies vielleicht behaupten würden. Die meisten AfghanInnen würden jedoch annehmen, dass es sich bei einem christlichen Afghanen um einen Konvertiten handle und würden das Konzept eines afghanischen Christen als widersprüchlich erachten, da in den Augen der Gesellschaft alle AfghanInnen MuslimInnen seien:

„There are not any autochthonous groups to my understanding, though some may claim this.  Most Afghans, however, would assume that any Afghan Christian is a convert (and would also view Afghan Christian as something of an oxymoron, since, in popular views, all Afghans are Muslims.  This is more of an issue for Hindu and Sikh Muslims, of which there are a more significant number.)” (Coburn, 1. Juni 2020)

Die USCIRF schreibt in ihrem Jahresbericht zu Afghanistan vom April 2020 (Berichtszeitraum: 2019), dass Afghanistan in den letzten Jahren Bemühungen unternommen habe, sich der mangelnden Gleichstellung religiöser Minderheiten anzunehmen. Trotz dieser Bemühungen seien kleine religiöse Gemeinschaften wie Hindus, Sikhs, Christen, Ahmadi Muslime und Baha’i weiterhin gefährdet gewesen und hätten aus Angst vor gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen durch terroristische Gruppen oder durch die Gesellschaft ihren Glauben nicht öffentlich ausleben können. USCIRF merkt zudem an, dass nichtmuslimische Gruppierungen (darunter Christen) etwa 0.3 Prozent der afghanischen Bevölkerung ausmachen würden, davon seien etwa 1.000 Hindus und Sikhs:

„In recent years, Afghanistan has made efforts to address inequalities facing religious minority communities […]

Despite such efforts, the small communities of religious minorities—including Hindus, Sikhs, Christians, Ahmadi Muslims, and Baha’is, who experienced egregious human rights violations under Taliban rule—remained endangered, without the ability to observe their faith publicly for fear of violent reprisal by terrorist groups or society at large.” (USCIRF, April 2020, S. 1)

„The Hindu and Sikh population, for example, dropped from 220,000 in the early 1990s to just around 1,000 today. Afghanistan’s current population is approximately 99.7 percent Muslim (84.7–89.7 percent Sunni and 10–15 percent Shi’a, including Ismailis), with non-Muslims (Hindus, Sikhs, Baha’is, Christians, Buddhists, Zoroastrians, and others) comprising the remaining 0.3 percent.” (USCIRF, April 2020, S. 2)

Das USDOS schreibt in seinem Bericht zur Lage der Religionsfreiheit vom Juni 2020 (Berichtszeitraum: 2019), dass laut internationalen Quellen Baha’i und ChristInnen in ständiger Furcht leben würden, entdeckt zu werden und daher zurückhaltend dabei seien, ihre Identität zu offenbaren. Ein christlicher Bürger habe beschrieben, wie sich seine Familie von ihm distanziert habe, als seine Konversion zum Christentum ans Licht gekommen sei. Christliche und andere religiöse Minderheiten hätten über fortdauernde verbale Schikanen durch einige MuslimInnen berichtet. Laut christlichen Gruppen sei die öffentliche Einstellung, die über soziale Medien und anderweitig verbreitet werde, weiterhin feindlich gegenüber KonvertitInnen und Missionierungstätigkeit eingestellt gewesen. ChristInnen und Ahmadi MuslimInnen hätten angegeben, dass sie ihren Glauben im Privaten ausleben würden, um gesellschaftliche Diskriminierung und Verfolgung zu vermeiden. Der Bericht erwähnt außerdem, dass es keine verlässlichen Schätzungen zur Größe der christlichen Gemeinschaft in Afghanistan gebe:

„According to international sources, Baha’is and Christians lived in constant fear of exposure and were reticent to reveal their identities to anyone. One Christian citizen described being disowned by his family after they learned he had converted to Christianity. Sikhs, Hindus, Christians, and other non-Muslim minority groups reported continued verbal harassment by some Muslims, although Hindus and Sikhs stated they were able to practice their respective religions in public. […] Christian groups reported public sentiment, as expressed in social media and elsewhere, remained hostile towards converts and to Christian proselytization. They said individuals who converted or were studying Christianity reported receiving threats, including death threats, from family members. Christians and Ahmadi Muslims reported they continued to worship privately, sometimes in nondescript places of worship, to avoid societal discrimination and persecution. (USDOS, 10. Juni 2020, Executive Summary)

„Reliable estimates of the Baha’i and Christian communities are not available.“ (USDOS, 10. Juni 2020, Section 1)

Öffentliche Kritik am Islam und Verstoß gegen islamische Verhaltensregeln

Laut dem Bericht von USCIRF vom April 2020 verbiete ein vage formuliertes Mediengesetz das Verbreiten „anti-islamischer Inhalte". Die Durchsetzung des Gesetzes sei dabei an eine Kommission von RegierungsbeamtInnen und JournalistInnen delegiert worden:

„A vaguely worded media law also criminalizes ‘anti-Islamic content’ with its enforcement delegated to a commission of government officials and journalists.” (USCIRF, April 2020, S. 49)

Die angesprochene Bestimmung findet sich unter anderem in Artikel 45 Absatz 1 des afghanischen Gesetzes zu Massenmedien von 2009 (in englischer Übersetzung), laut dem das Produzieren, Reproduzieren, der Druck und die Veröffentlichung von Berichten und Materialien, die den Prinzipien der heiligen Religion des Islam zuwiderlaufen, durch die Massenmedien bzw. sonstige Agenturen verboten ist. Weiters verbietet Absatz 6 desselben Artikels das Publizieren und Verbreiten (Propagieren) anderer Religionen als der heiligen Religion des Islam durch die Massenmedien bzw. sonstige Agenturen. (Strafmaße werden

 hierzu jeweils keine genannt, Anm. ACCORD) (Gesetz zu Massenmedien, 2009, Artikel 45, Absatz 1 und 6).

DFAT gibt in seinem Bericht vom Juni 2019 an, dass die Artikel 323-325 des afghanischen Strafgesetzbuches von 2017 das Beleidigen von Religionen, die Störung von Riten oder Zeremonien und den Angriff auf Anhänger einer Religion durch Worte oder Handlungen verbiete. Das Beleidigen oder Entstellen des Glaubens oder der Bestimmungen des Islam werde mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und fünf Jahren geahndet:

„Articles 323-325 of the 2017 Penal Code prohibit the acts of insulting religion, disturbing rites or ceremonies, and attacking the followers of any religion through words or actions. […] Insulting or distorting the beliefs or provisions of Islam is punishable by between one and five years’ imprisonment.” (DFAT, 27. Juni 2019, S. S. 28)

Die Organisation Humanists International schreibt in ihrem Bericht vom November 2019, dass das Strafgesetz sich nicht konkret auf Blasphemie beziehe, weshalb Gerichte in Bezug auf dieses Thema das islamische Recht heranziehen würden. Blasphemie - wozu auch anti-islamische Schriften oder Reden gehören könnten - sei nach einigen Auslegungen des islamischen Rechts ein Kapitalverbrechen. Infolgedessen seien Atheisten und Freidenker gezwungen, ihre Überzeugungen zu verbergen. Die einzige Möglichkeit, ihre Gedanken auszudrücken, sei die anonyme Nutzung sozialer Medien. Für Männer ab 18 und Frauen ab 16 Jahren, die bei klarem Verstand seien, könne ein islamischer Richter ein Todesurteil wegen Blasphemie verhängen. Ähnlich wie Abtrünnige hätten die der Blasphemie Beschuldigten drei Tage Zeit, um zu widerrufen oder aber die Todesstrafe zu erhalten. Wenn Anschuldigungen der Blasphemie oder der Verleumdung der Religion erhoben würden, könne es passieren, dass Menschen gewalttätig angegriffen würden:

„The criminal code makes no specific references to blasphemy; courts therefore rely on Islamic law to address this issue. Blasphemy – which can include anti-Islamic writings or speech – is a capital crime under some interpretations of Islamic law. As a result atheists and freethinkers are forced to hide their beliefs and the only way they can express their thoughts are anonymously through social media. For males over age 18 and females over age 16 of sound mind, an Islamic judge may impose a death sentence for blasphemy. Similar to apostates, those accused of blasphemy are given three days to recant or face death. When accusations of blasphemy or defamation of religion are made people can be violently targeted.” (Humanists International, 13. November 2019, S. 6)

Das DFAT schreibt im Bericht vom Juni 2019, dass rechtliche Verfolgung und Verurteilungen aufgrund von Blasphemie ebenso wie jene von Apostasie seit 2001 relativ selten seien. Die letzten Verhaftungen oder Strafverfolgungen in Zusammenhang mit Apostasie oder Blasphemie, von denen das DFAT Kenntnis habe, hätten im Jahr 2014 stattgefunden. (DFAT, 27. Juni 2019, S. 28)

 

Melissa Kerr Chiovenda schreibt in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass den Islam zu kritisieren oder nicht nach dessen Regeln zu leben Auswirkungen haben könne. Erstens gebe es ein Blasphemie-Gesetz[2], das Gefängnis- oder Todesstrafen vorsehe und das gegen JournalistInnen und andere Personen angewandt worden sei, die den Islam, wie er in Afghanistan praktiziert werde, in Frage gestellt hätten. AfghanInnen, die säkularer seien, seien in der Regel sehr darauf bedacht, in der Öffentlichkeit den Anschein der Frömmigkeit aufrechtzuerhalten, und seien sehr vorsichtig mit dem, was sie sagen würden. Die öffentliche Zurschaustellung der Frömmigkeit sei für Menschen in Machtpositionen notwendig. Gegen Menschen, die den Islam kritisieren würden, könne das Blasphemie-Gesetz angewendet werden. Aber vergleichbar mit dem Thema Apostasie sei es auch hier so, dass es wahrscheinlicher sei, dass Personen eher gesellschaftliche Auswirkungen zu spüren bekommen würden, es sei denn, es handle sich um jemanden, der eine öffentliche Rolle in der Gesellschaft einnehme:

„[C]riticizing or not living by Islam can have repercussions. First, there is a blasphemy law [provisions of the sharia law] which can carry the sentence of jail time and death, and this has been used against journalists and others who have questioned Islam as it is practiced in Afghanistan. Afghans who are more secular are usually very careful to publicly uphold appearances of piety and are very careful about what they say. Making public displays of piety is necessary for people in positions of power. People who criticize Islam may have the blasphemy law used against them. But again, as with apostasy, it is more likely that societal repercussions be felt by the individual unless they were someone with a public role.” (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Friederike Stahlmann antwortet im Rahmen der im Mai 2020 von ACCORD organisierten Online-Veranstaltung wie folgt auf die Frage, inwieweit Aktivitäten in sozialen Netzwerken wie etwa islamkritische Facebook-Beiträge für die Urheber der Beiträge problematisch seien: Gemäß ihren Erhebungen müsse man davon ausgehen, dass alles, was man im Exil oder Online gesagt und getan habe, bekannt würde. Wenn man sich in sozialen Medien islamkritisch geäußert habe, stelle dies dann ein akutes Risiko dar. Die Tabuisierung von Blasphemie und Apostasie bestehe auch in der Exilcommunity und islamkritische Einträge würden großes Aufsehen erregen. Außerdem würden Geflüchtete auch von Afghanistan aus beobachtet und deren Verhalten im Exil sozial kontrolliert. Man erlebe das hier in Europa, dass viele Mädchen oder junge Frauen sich viel weniger frei bewegen würden, als sie dies eigentlich wollen würden, weil sie Sorge hätten, dass dann Fotos von ihnen im Netz landen würden, die dann in Afghanistan gesehen werden könnten. Wenn man als Flüchtling zu einer Gemeinschaft wie der Familiengemeinschaft zurückkehren wolle, dann müsse man davon ausgehen, dass Einträge schon bekannt seien. Wenn man in einem fremden Ort nur eine Nacht in einem Teehaus verbringe und dann schon wieder weiterreise, dann sei aufgrund des kurzen Aufenthalts das Interesse meist noch nicht so groß. Aber wenn man so etwas wie eine Ansiedlung anstrebe oder wenn man arbeiten wolle, dann werde relevant, wer man sei und ob man vertrauenswürdig sei, und dies werde dann überprüft. Dabei werde entweder in der Herkunftsgemeinschaft nachgefragt, oder man sei eben auch gezwungen, Facebook-Accounts offen zu legen. Insofern sei egal, ob in Social-Media-Accounts der Klarname aufscheine oder nicht. (Stahlmann, 11. Mai 2020)

 

Noah Coburn schreibt in seiner E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 , dass Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten würden oder den Islam kritisieren würden, in manchen ländlichen Regionen des Landes dafür getötet werden könnten. In anderen Regionen könne ein derartiges Verhalten etwa zu einer Verhaftung oder zu Übergriffen führen. Dass eine Person in Afghanistan öffentlich den Islam kritisiere, sei allerdings äußerst selten und Coburn vermutet, dass es in solchen Fällen dann oft so sei, dass die Mitmenschen diese Person für geisteskrank halten würden:

„What is the situation of persons who do not adhere to Islamic rules, or of persons who publicly criticize Islam in Afghanistan? Certainly in some rural areas this can lead to death.  In other areas, perhaps just arrest or assault.  It is very rare to ‘publicly criticize’ Islam in Afghanistan and I think in many instances, people might consider the person mentally deranged for doing such a thing.” (Coburn, 1. Juni 2020)

Tolo News berichtet im Dezember 2019 über den Fall Zaman Ahmadi. Dieser sei im Jahr 2012 verhaftet und für schuldig befunden worden, Blasphemie begangen zu haben (Tolo News, 4. Dezember 2019). Grund sei gewesen, dass der Schriftsteller einen Artikel über die Zerstörung einer Buddha-Statue in der Provinz Bamyan verfasst habe, wie Tolo News im Jänner 2020 schreibt (Tolo News, 10. Jänner 2020). Zaman sei daraufhin von einem erstinstanzlichen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans habe nun im Dezember 2019 die 20-jährige Gefängnisstrafe aufgehoben (Tolo News, 4. Dezember 2019). Im März 2020 sei Zaman laut einem Artikel der afghanischen Onlinezeitung Kabul Now freigelassen worden, nachdem der Fall an die erste Instanz zurückverwiesen worden sei, die ein neues Urteil erlassen habe. Gemäß diesem Urteil sei die Zeit, die er bereits im Gefängnis abgesessen habe, ausreichend, um die gegen ihn erhobenen Blasphemie-Anschuldigungen zu tilgen (Kabul Now, 11. März 2020).

 

Informationen zu älteren Vorfällen finden sich auch in der bereits erwähnten ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juni 2017 (ACCORD, 1. Juni 2017)

Behandlung der genannten Personengruppen in Gebieten unter Kontrolle oder mit Präsenz der Taliban bzw. der Gruppe Islamischer Staat (IS); Unterschiede Stadt - Land

Die schwedische Einwanderungsbehörde (Migrationsverket) hält in ihrem Bericht vom Dezember 2017 unter Verweis auf verschiedene Quellen fest, dass die wenigen im Land lebenden Christen isoliert seien und ihre Religion im Verborgenen ausüben würden. Am ehesten finde man sie in den Städten und nicht tief in den von den Taliban kontrollierten Gebieten. Eine Forscherin mit langjähriger Afghanistan-Erfahrung würde angeben, dass sie während ihres dortigen Aufenthalts auf einen Fall in Dschalalabad gestoßen sei, bei dem ein paar junge Menschen gezwungen gewesen seien, aus der Stadt zu fliehen und nach Kabul zu gehen, nachdem sie aufgrund ihres Aufenthalts bei ausländischen Missionaren Probleme mit den Taliban gehabt hätten. Keiner der Jugendlichen habe damals angegeben, konvertiert zu sein, aber die Taliban hätten dennoch an der Universität eine Botschaft ausgehängt, in der die Jugendlichen verurteilt worden seien. Weiters erwähnt Migrationsverket, dass sowohl die Taliban-Bewegung als auch der IS das Ziel hätten, sich einen Namen als wahrer Verteidiger des Islam und als die stärkste Kraft gegen die Ungläubigen zu machen:

Afghanistan är ett i det närmaste totalt muslimskt land, och avsaknaden av en öppet kristen minoritet innebär att det inte finns någon utbredd fruktan för ett ”kristet hot” i landet. De fåtal kristna individer som finns i landet är isolerade samt utövar sin religion i det fördolda. De återfinns troligen företrädesvis i städerna, och inte djupt inne talibankontrollerade områden. En forskare, med flerårig erfarenhet av fältarbete i Afghanistan, beskriver hur hon under sin vistelse där stötte på ett fall i Jalalabad där ett par ungdomar tvingades fly från staden och bege sig till Kabul, efter att de fått problem med talibanrörelsen till följd av att de umgåtts med utländska missionärer. Ingen av ungdomarna hade bekänt sig ha konverterat, men talibanerna satte upp anslag vid universitetet, i vilka personerna fördömdes. […] Hos både talibanrörelsen och ISKP återfinns en målsättning att synliggöra sig själva som den sanna försvararen av islam och den starkaste kraften mot de otrogna.“ (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 19-20)

Friederike Stahlmann gibt im Rahmen der Online-Veranstaltung vom Mai 2020 an, dass ein Problem von Rückkehren aus westlichen Ländern sei, dass ihnen unterstellt werde, dass sie sich „im ungläubigen Westen“ nicht an die Regeln gehalten hätten. Das bedeute, dass sie ihren Glauben und religiös legitimierte Alltagsregeln besonders überzeugend leben müssten, um den Vorwurf zu entkräften. Gegenüber den Taliban sei dieses Entkräften jedoch kaum möglich. Denn da gehe es bei dem Vorwurf von Apostasie auch um die politische Gegnerschaft, also darum, dass alle jene, die nicht „mitspielen würden“, oder jene, die sich mit ihren Feinden zusammentun würden, ob in Afghanistan oder im Exilland, politische Feinde und damit per se Apostaten seien. Die Bezeichnung „Ungläubiger“ habe dann nicht unbedingt etwas mit Religion zu tun, sondern es handle sich um einen politischen Vorwurf, der aber auch mit dem Risiko einer Morddrohung oder Mordankündigung verbunden sei. Stahlmann glaube, dass man beim Thema Apostasie zwischen Personen unterscheiden müsse, die in Bezug auf Religion und Glauben ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen würden und der von den Taliban zugeschriebenen Gegnerschaft, die auch als Apostasie bezeichnet würde. Bei Rückkehrern kämen beide Varianten zusammen. (Stahlmann, 11. Mai 2020)

 

Der vom US-amerikanischen Kongress finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) veröffentlicht im Mai 2020 eine ebenfalls vom Mai 2020 stammende Karte der US-amerikanischen Nachrichtenwebsite Long War Journal, die nach eigenen Angaben „über den globalen Krieg gegen den Terrorismus berichtet“. Die Karte zeigt an, welche Distrikte Afghanistans umkämpft seien, welche unter Taliban-Kontrolle stehen oder IS-Präsenz aufweisen würden. Aus der Karte geht hervor, dass der IS aus Sicht des Long War Journals mit Stand Mai 2020 keine Kontrollgebiete in Afghanistan habe, dass er jedoch in fünf Distrikten der Provinz Kunar präsent sei. Die Karte kann unter dem folgenden Link abgerufen werden:

·      RFE/RL – Radia Free Europe/Radio Liberty: The Taliban, The Government, And Islamic State: Who Controls What In Afghanistan?, 31. Mai 2020
https://www.rferl.org/a/taliban-government-islamic-state-who-controls-what-in-afghanistan-/30644646.html

 

Die Anthropologin Melissa Kerr Chiovenda antwortet in einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 wie folgt auf die Frage, ob sich die Reaktion der Gesellschaft auf KonvertitInnen oder andere ApostatInnen unterscheide, je nachdem, ob man sich im ländlichen oder im städtischen Bereich befinde. Laut Kerr Chiovenda rufe das Bekanntwerden solcher Fälle im ländlichen Bereich eine schlimmere Reaktion hervor, jedoch solle diese Bemerkung in keiner Weise die Gefahr in städtischen Gebieten herunterspielen. Zum Teil lasse sich dies damit erklären, dass es in der letzten Zeit eine enorme Migration vom Land in die Stadt gegeben habe, so dass die sozialen Unterschiede zwischen Stadt und Land deutlich abgenommen hätten. Der Fall Farkhunda (Fall vom März 2015, siehe dazu auch ACCORD, 1. Juni 2017, Anm. ACCORD) sei ein gutes Beispiel dafür. Diese Frau sei beschuldigt worden, einen Koran verbrannt zu haben - was gar nicht gestimmt habe. Dies habe einen Mob dazu veranlasst, sie mitten im Zentrum von Kabul zu töten. Es gebe keinen Grund, warum ein ähnliches Schicksal nicht auch jemanden treffen könnte, von dem bekannt sei, dass er konvertiert sei:

The reaction would be worse in rural areas, but that in no way minimizes the danger in urban areas. Part of this is because there has been so much rural-urban migration in different years, the social divisions between the two have become much less meaningful. The case of Farkhunda might be a good example for this, even though she did not actually convert she was accused of burning a Quran (which she also didn't do) which is what incited a mob to kill her right in the center of Kabul. There is no reason a similar fate might not find someone who is known to convert.“ (Kerr Chiovenda, 10. Juni 2020)

In einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 hält Friederike Stahlmann fest, dass sofern Apostasievorwürfe im Raum stehen würden – und sei es auch nur als Gerücht -, nicht davon ausgegangen werden könne, dass es bezüglich der Reaktion des sozialen Umfelds und der Öffentlichkeit Stadt-Land-Unterschiede gebe. Die soziokulturellen Differenzen, die in Vorkriegszeiten einen Stadt-Land-Unterschied geprägt hätten, hätten in vielerlei Hinsicht an Bedeutung verloren. Dies sei zum einen den Migrations- und Fluchtbewegungen geschuldet. Zum anderen sei das soziopolitische Interesse, sich gegen vermeintlich anti-islamische Einflüsse zur Wehr zu setzen, nicht auf militärische Opposition wie die Taliban beschränkt, sondern stelle einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens dar.

In Städten wie Herat, Kabul oder Mazar-e Sharif mag die Wahrscheinlichkeit geringer sein als in entlegenen ländlichen Regionen, dass Personen, die wegen Apostasie angeklagt würden, von staatlichen Gerichten zum Tode verurteilt würden, und die Chance größer, dass ein Todesurteil durch eine international unterstützte Ausreise abgewandt würde. Ein weiterer minimaler Unterschied sei, dass Städte eher Nischen für eine wenn auch meist nur sehr diskret gelebten liberale Szene bieten würden. Diese setze jedoch die Unterstützung eines sozialen Umfeldes voraus, das weniger konservative Haltungen toleriere und einen vorsichtigeren Umgang mit Vorwürfen wie Apostasie pflege. Voraussetzung dafür sei jedoch zumindest der potente sozio-ökonomische Schutz der erweiterten Familie, der erlaube, sich zum Beispiel durch eigene Fahrer oder Wächter zu schützen, aber auch über die Mittel verfüge, im Notfall eine Ausreise zu ermöglichen. Es setze jedoch auch die Bereitschaft des sozialen Umfelds voraus, das Risiko derart provozierter Übergriffe in Kauf zu nehmen. In einem derartigen Setting könne es möglich sein, privat weniger oder gar nicht zu beten, oder bei Veranstaltungen in Kleidung aufzutreten, die in vielen ländlichen Gebieten ausgeschlossen wäre. Doch auch die kleine liberale Elite investiere viel, um in der Öffentlichkeit die Form zu wahren und möglichst wenig Angriffsfläche für Vorwürfe der Ungläubigkeit zu bieten. Denn nicht zuletzt seien diese auch ein beliebtes Mittel der Diskreditierung durch die politisch machthabende Elite gegenüber der kleinen Opposition, die rechtsstaatliche Standards fordere. Wer jedoch nicht schon Teil dieser Szene sei und deren Schutz genieße, müsse auch in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif damit rechnen, dass sich die Bewertung von Auftreten, Verhalten und Äußerungen nicht von ländlichen Regionen unterscheide. (Stahlmann, 11. Juni 2020)

Diskriminierung

Thomas Ruttig antwortet in seiner E-Mailauskunft vom Mai 2020 wie folgt auf die Frage, ob Personen, von denen bekannt geworden sei, dass sie vom Glauben abgefallen seien, in Bezug auf den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen diskriminiert würden: Wenn sich die Personen tatsächlich als solche zu erkennen geben würden, so würden sie laut Ruttig diskriminiert werden. (Ruttig, 29. Mai 2020.)

 

Noah Coburn antwortet in seiner E-Mailauskunft vom Juni 2020 in ähnlicher Weise auf diese Frage, er meint, dass tatsächliche Interaktionen zwischen KonvertitInnen und dem Staat ziemlich selten seien. Sollte eine solche Interaktion jedoch stattfinden, so komme es zu signifikanter Diskriminierung gegenüber diesen KonvertitInnen:

„Actual interactions between converts and the state are rather rare, for the most part, since converts would attempt to avoid authorities, and authorities would rather not deal with them (is my sense), but certainly when these interactions take place there is significant discrimination.” (Coburn, 1. Juni 2020)

Das USDOS schreibt in seinem Bericht vom Juni 2020, dass Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert seien, berichten würden, dass ihnen die Annullierung ihrer Ehe drohe, die Verstoßung durch ihre Familien, der Verlust ihres Arbeitsplatzes, sowie möglicherweise auch die Todesstrafe:

[I]ndividuals converting from Islam reported they continued to risk annulment of their marriages, rejection by their families and communities, loss of employment, and possibly the death penalty.”  (USDOS, 10. Juni 2020, Section II)

Open Doors hält in seinem Bericht von 2019 Folgendes zum Thema Diskriminierung von Christen fest:

„Christen werden nur Arbeit finden, solange man sie für afghanische Muslime hält. Sobald entdeckt wird, dass sie sich auch nur mit dem christlichen Glauben befassen, etwa indem sie sich im Internet darüber informieren, wird sofort gehandelt, indem man sie indoktriniert, bis sie (und ihre Kontaktpersonen) sich fügen. Das kann Folter einschließen.

Ehepartner von Christen muslimischer Herkunft werden (erfolgreich oder nicht erfolgreich) von anderen unter Druck gesetzt, sich scheiden zu lassen: Es wird Druck auf die Ehepartner ausgeübt, sich scheiden oder eine Ehe mit einem christlichen Ehepartner annullieren zu lassen. Dem stärksten Druck sind Frauen ausgesetzt, deren Ehemänner sich zum christlichen Glauben hingewandt haben. Ihre Eltern werden versuchen, eine Scheidung durchzusetzen und große Streitigkeiten in der Familie zu verursachen. Manchmal werden ehemalige Muslime in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen, weil die Familien davon überzeugt sind, dass niemand mit gesundem Verstand jemals den Islam verlassen würde. […] Jeder entdeckte Christ muslimischer Herkunft verliert den Zugang zu den gemeinschaftlich genutzten Ressourcen und zur Gesundheitsversorgung.“ (Open Doors, 2019, S. 322)

Nichtregierungsorganisationen und Hilfsorganisationen

Melissa Kerr Chiovenda gibt in ihrer E-Mail-Auskunft an, dass sie noch nie von einer Nichtregierungsorganisation in Afghanistan gehört habe, die KonvertitInnen unterstütze. Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan seien, um in Afghanistan tätig werden zu dürfen, auf eine staatliche Genehmigung angewiesen, die sie natürlich verlieren würden, wenn sie aktiv versuchen würden, ApostatInnen zu unterstützen. Es handle sich also um ein Tabuthema, das nicht angesprochen werde. Menschenrechtsorganisationen würden möglicherweise bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen Einzelpersonen wegen Konversion oder Blasphemie verurteilt würden, versuchen, sich zu dem jeweiligen Fall und zur verhängten Strafe zu äußern. Ein Eingreifen auf gesellschaftlicher Ebene würde jedoch die Tätigkeit jeder Nichtregierungsorganisation gefährden, die weiterhin in Afghanistan tätig sein wolle:

„I have never heard of an NGO that supports people who convert. […] NGOs in Afghanistan must work with the permission of the government, which they would of course lose should they actively seek to help apostates. So this is a taboo subject that is not addressed. Human rights organizations may seek to make statements about the punishment on the few occasions that individuals have been convicted, and also in cases when individuals are convicted by the blasphemy law. But intervening on a societal level would endanger the operations of any NGO to continue working in Afghanistan.” (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Noah Coburn erwähnt in seiner E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass es in Afghanistan einige im Untergrund tätige christliche Nichtregierungsorganisationen (und vielleicht einige Menschenrechtsorganisationen) gebe, die möglicherweise versuchen würden, KonvertitInnen zu unterstützen. Aber die meisten Nichtregierungsorganisationen würden KonvertitInnen meiden, da sie in den Verdacht geraten würden, missionarisch tätig zu sein, wenn sie dabei beobachtet würden, wie sie solche Personen unterstützen. Ein solches Gerücht könne zur Schließung einer Nichtregierungsorganisation führen:

„There are some underground Christian NGOs that may try and support these converts, and perhaps some human rights groups, but most NGOs also avoid converts, since if they are seen as helping them there is the suspicion that they too are proselytizing and this type of rumor can shut down an NGO.” (Coburn, 1. Juni 2020)

Gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa

In ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 teilt Melissa Kerr Chiovenda mit, dass viele AfghanInnen, die aus dem Westen zurückkehren würden, mit Misstrauen konfrontiert seien. Das Ausmaß dieses Misstrauens hänge von der Herkunftsregion und der gesellschaftlichen Stellung des jeweiligen Rückkehrers ab. So sei es zum Beispiel für eine Person aus Kabul leichter als für eine Person aus Dschalalabad. Eine Person, die aus einer gebildeten Familie stamme, die bereits Mitglieder zum Studieren in den Westen geschickt habe, habe es leichter als ein Bauer. Das Misstrauen hänge stark mit der Befürchtung einer möglichen Konversion zusammen und dessen Ausmaß könne sich in manchen Regionen sogar dann steigern, wenn eine Person einfach Kontakt mit AusländerInnen gehabt habe. In manchen Regionen Afghanistans könne es vorkommen, dass eine Person, die längere Zeit mit AusländerInnen verbracht habe, von ihrer Gemeinschaft bestraft werde. Man könne sich also vorstellen, dass die Folgen für eine Person, die im Westen gelebt habe, noch schlimmer sein könnten:

„[M]any Afghans who return from the West certainly are viewed with suspicion, and the degree to which they experience this depends upon where they are from and their social class. (ie someone from Kabul would have an easier time than someone from Jalalabad, someone from an educated class that has sent a lot of people to study in the West would have an easier time than someone who was a farmer). A lot of this has to do with fear about possible conversion. This level of suspicion can, among certain areas, even be elevated when someone has simply spent time with foreigners. People in certain areas of Afghanistan who spend extended time with foreigners may be chastised by their communities, so you can imagine that in such places, the effect is even worse for those who have spent time in the West.” (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020)

Noah Coburn antwortet in seiner Auskunft vom Juni 2020 auf die Frage, ob afghanische RückkehrerInnen aufgrund einer wahrgenommenen „Verwestlichung“ mit Misstrauen konfrontiert seien, dass dies bestimmt nicht alle RückkehrerInnen betreffe, da es so viele AfghanInnen gebe, die einmal Flüchtlinge gewesen seien. Es komme aber mit gewisser Regelmäßigkeit vor und betreffe insbesondere schiitische Hazara, die bereits von vielen als nicht als „echte Muslime“ wahrgenommen würden.

„Certainly not all, since there are so many Afghans who have been refugees at this point, though it does happen with some regularity, particularly to Shiah Hazaras, who are already considered by many to ‘not be real Muslims’". (Coburn, 1. Juni 2020)

Friederike Stahlmann erwähnt im Rahmen der ACCORD Online-Veranstaltung vom Mai 2020 die Gefahr für RückkehrerInnen, als „verwestlicht“ und damit als Ungläubiger wahrgenommen zu werden. In Afghanistan sei hier das Wort „gharbzadeh“ für „verwestlicht“ gebräuchlich. Dieses beschreibe Veränderungen im Auftreten, im Umgang, hinsichtlich der Alltagsregeln und anderen sozialen Regeln. Dieser Habitus, diese Veränderung sei etwas, was die betreffende Person nicht einfach auf Befehl ablegen könne. Es sei frappierend, wie man aus westlichen Ländern Abgeschobene sofort erkenne. Hier drohe auch durch die eigene Familie Gefahr. Die bei der betroffenen Person bemerkten sozialen Veränderungen würden häufig auch religiöse Erwartungen verletzen. Dies werde als Abfall vom Glauben gewertet und man werde als Ungläubiger kategorisiert, was wiederum sehr gefährlich sei. Auch aus der Nachbarschaft drohe Gefahr. Die politisch motivierten Übergriffe aufgrund von Verwestlichung, von denen sie in Kabul gehört habe, seien fast alle aus der Nachbarschaft gekommen, darunter auch im großen Hazara-Viertel Dascht-e-Bartschi, das nicht dafür bekannt sei, besonders konservativ zu sein. Auch der Leiter der kleinen Nichtregierungsorganisation AMASO, die Abgeschobene berate, habe mehrfach sowohl seinen Privatwohnsitz, das Büro der NGO als auch ein für Notfälle angemietetes Zimmer verlegen müssen, da es Morddrohungen aus der Nachbarschaft gegeben habe. Diese Drohungen seien mit dem Vorwurf, Ungläubige, Christen, und vom Glauben Abgefallene zu sein, verbunden gewesen. Es drohe zudem auch in den großen Städten Kabul, Herat, Masar-e Scharif und Dschalalabad der Verrat an die Taliban aufgrund der Flucht nach Europa. Da brauche es gar nicht irgendein auffälliges Verhalten, sondern die Gefahr liege tatsächlich auch in der Flucht begründet. Die Taliban würden Unterstützung einfordern und erwarten, dass man für sie Steuern zahle, loyal sei und im Zweifelsfall für sie kämpfe. Hier habe sie einen großen Unterschied zwischen Rückkehrern aus Europa und denen aus dem Iran festgestellt. Wenn man nicht gerade in der Vergangenheit den Taliban gegenüber oppositionell eingestellt gewesen sei, werde es nicht als Flucht vor den Taliban wahrgenommen, in den Iran gegangen zu sein, um seine Familie zu versorgen. Wenn jemand aber mehrfach sein Leben riskiere, um in die westlichen Länder der „ungläubigen Besatzer“ zu kommen, dann werde das als eine Form von Überlaufen gewertet. Ein weiterer Vorwurf, der sich dann anschließen könne und auch in Drohschreiben an Abgeschobene oder ihre Familie auftauche, sei Spionage.

Das Problem von Rückkehren sei aber auch, dass ihnen ohnehin unterstellt würde, dass sie sich im ungläubigen Westen nicht an die Regeln gehalten hätten. Das bedeute, dass sie ihren Glauben und religiös legitimierte Alltagsregeln besonders überzeugend leben müssten, um den Vorwurf zu entkräften. (Stahlmann, 11. Mai 2020)

 

Weitere Informationen finden sich in der folgenden Studie von Friederike Stahlmann zu RückkehrerInnen nach Afghanistan vom September 2019:

·      Stahlmann, Friederike: Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen, September 2019 (veröffentlicht von Informationsverbund Asyl und Migration)
https://www.ecoi.net/en/file/local/2017434/AM19-8-9_beitrag_stahlmann.pdf

 

Die unabhängige internationale Kinderrechtsorganisation Save the Children veröffentlicht im Oktober 2018 einen Bericht zu Erfahrungen von Kindern bei der Rückkehr nach Afghanistan, der sich unter anderem auch auf Interviews mit afghanischen Kindern in Schweden und Norwegen stützt. Die befragten Kinder seien sich sowohl des Stigmas bewusst gewesen, das mit einem Auslandsaufenthalt einhergehe, als auch mit den Fragen über ihre religiösen Überzeugungen und Praktiken, denen sie (bei einer Rückkehr) ausgesetzt sein würden. Sie hätten angegeben, dass wenn man in Europa gelebt habe, man nicht mehr als Afghane angesehen werde. Man werde auch nicht mehr als Muslim wahrgenommen sondern als Abtrünniger (Kafir), den man töten müsse:

„They were aware of the stigma that comes with having spent time abroad, and of questions they would be exposed to around their religious beliefs and practices. 'If you have lived in Europe, you are not considered an Afghan. You are not a Muslim anymore. You are an infidel (kafir) and you have to be killed.‘” (Save the Children, 16. Oktober 2018)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im Dezember 2017 einen Bericht zu Personengruppen in Afghanistan, die auf Basis gesellschaftlicher und rechtlicher Normen ins Visier genommen werden. Ein Unterkapitel geht auf die Lage von RückkehrerInnen aus dem Westen ein. Die konsultierten Quellen würden unterschiedliche Auffassungen davon haben, wie RückkehrerInnen aus dem Westen wahrgenommen würden. Ali M. Latifi, ein Journalist aus Kabul, habe angemerkt, dass AfghanInnen, die sich in irgendeiner Form auffällig verhalten würden, als „verwestlicht wahrgenommen werden könnten, unabhängig davon, ob diese Personen jemals im Ausland gewesen seien. Es gehe darum, wie sich eine Person verhalte („carries themselves“), wenn sie in Afghanistan sei. Dr. Liza Schuster, eine unter anderem zu Afghanistan forschende Soziologin an der City University of London, habe erklärt, dass eine Person sich jederzeit bewusst sein müsse, wie ihre Handlungen, ihre Körpersprache und ihr Gesagtes wahrgenommen würden. Jemand, der aus Europa zurückkomme und diese unausgesprochenen Regeln nicht kenne, sie vergessen habe oder Fehler mache, könne als aufmüpfig, unhöflich oder respektlos wahrgenommen werden. Mehreren Quellen zufolge würden abgeschobene AfghanInnen und RückkehrerInnen mit Misstrauen gesehen und würden manchmal von ihrer Familie oder von ihrer Gemeinschaft als „vom Westen kontaminiert“ und als Personen, die in Europa „verwestlicht“ und „unislamisch“ geworden seien, wahrgenommen. Darunter würden unter anderem Jugendliche und junge Erwachsene mit sichtbaren und unsichtbaren Anzeichen kultureller Veränderung fallen, mit andersartiger Kleidung, Verhalten und sprachlichen Akzenten. Laut Dr. Schuster werde ein junger Mann, der aus Europa zurückkehre, von seiner Familie und seinen Verwandten empfangen und Männer aus der Nachbarschaft würden mehrere Tage lang vorbeikommen und mit ihm Tee trinken. Dies diene dazu, herauszufinden, wie sich der junge Mann verändert habe. Die Schwierigkeit sei das hohe Ausmaß an Gerede in der Gemeinschaft. Personen würden sich einen gewissen Eindruck machen und leicht Gerüchte verbreiten und es sei schwer für eine einzelne Person, die über sie entstandenen Eindrücke bezüglich ihrer Rückkehr zu kontrollieren. In Afghanistan sei es laut Dr. Schuster sehr schwierig, sich gegen Anschuldigungen –ob falsch oder wahr- zu wehren, darunter Vorwürfe, ein Spion zu sein, lockere Moralvorstellungen zu haben oder kein guter Muslim mehr zu sein. Abubakar Siddique, ein Korrespondent des amerikanischen Rundfunkveranstalters RFE/RL, habe erklärt, dass RückkehrerInnen nicht allein aufgrund der Tatsache ins Visier genommen würden, dass sie aus dem Westen zurückgekehrt seien. Anschuldigungen zu einem Aufenthalt im Westen könnten jedoch als Vorwurf instrumentalisiert werden, wenn eine Person aus anderen Gründen ins Visier genommen werde. Wenn ein Nachbar beispielsweise über einen vergangenen Aufenthalt der betreffenden Person im Westen wisse, dann könne er dies ausnutzen, um Gerüchte über die Person zu streuen oder sie wegen etwas zu beschuldigen. Die Anthropologin Marieke van Houte habe angemerkt, dass Misstrauen innerhalb der Gemeinschaft Angst unter RückkehrerInnen hervorgerufen habe, dass Nachbarn aus Neid oder Eifersucht die Migrationsgeschichte der Rückkehrenden gegen sie verwenden würden, indem sie unter anderem die Taliban darüber informieren würden. Ähnlich habe auch Masood Ahmadi von der International Organisation für Migration (IOM) berichtet, dass Gerüchte innerhalb der lokalen Gemeinschaften für Rückkehrende ein Problem darstellen würden, IOM habe jedoch keine speziellen Fälle registriert, in denen RückkehrerInnen aus dem Westen aufgrund von „Verwestlichung“ ins Visier genommen worden seien. Eine Quelle habe berichtet, dass AfghanInnen, die aus dem Westen zurückkehren würden, angesehen seien und eine weitere Quelle habe über die positive Aufnahme der RückkehrerInnen durch Familie und Gemeinschaft gesprochen. Neamat Nojumi von der School for Conflict Analysis der George Mason University habe angegeben, dass eine Rückkehr von einem Studium im Westen eine deutliche Bedeutung für die Familie und die Gemeinschaft habe, wohingegen eine Abschiebung nach Afghanistan eine deutliche Niederlage darstelle und sich negativ auf die betroffenen Person und dessen Familie auswirke. Laut Ali Latifi gebe es Kommentare, Witze oder Zweifel, wenn eine Person nach einem Auslandsaufenthalt zurückkehre. Solche Sticheleien und Witze seien normal, jedoch müsse ein Rückkehrer, um Ausgrenzung zu vermeiden, sich den lokalen Gepflogenheiten und Bräuchen anpassen. Um tatsächlich als verwestlicht zu wirken, müsse sich eine Person laut Latifi schon sehr sichtbar und hörbar darum bemühen, anders zu wirken und richtiggehend Anstrengungen unternehmen, als verwestlicht zu gelten. Eine Person, die sich auffällig kleide und eine Menge ausländischer Wörter benutze, werde als verwestlicht wahrgenommen. In ländlichen Gegenden falle eine Person, die sich den lokalen Gepflogenheiten und Bräuchen nicht anzupassen bemühe, umso mehr auf:

„8.7 Appearances, reputation, suspicion and rumours after return from the West

Sources held contrasting views how returnees are perceived by their families and society, which may depend on the context. In correspondence with EASO for this report, Ali M. Latifi, a Kabul-based Afghan journalist who has reported on Afghan refugees in Greece and Istanbul since 2013, stated that Afghans who make themselves stand out in one way or another can be perceived as ‘Westernised,’ whether that is people who have lived their entire lives in Afghanistan and never left, Afghans who leave to study and return, or Afghans who left as children and returned as adults. The issue, he stated, is how a person ‘carries themselves’ while in Afghanistan. Afghans who grew up in Iran may be seen as ‘Iranised’ or ‘not Afghan’ enough by society, according to the programme officer. Afghans of Iranian upbringing are reportedly teased and face difficulties obtaining work because of having a particular accent. For instance, an article by Afghanistan Today about a young Afghan who used to live in Iran and who started a clothing design group in Kabul explains that his ‘Western’ appearance and style, which is nevertheless popular among Afghan youth, has sometimes drawn sarcastic and offensive comments, or being called ‘gay’, or ‘Iranian’ (Iranigak). Dr. Schuster remarked that in Afghanistan, a person must be constantly conscious about one’s actions, body language and how and what one is saying and how one is perceived. Someone who comes back from Europe and does not know the unspoken rules, forgets, errs, or makes mistakes, could be perceived to be ‘cheeky’, rude, or disrespectful.

According to some sources, Afghan deportees and returnees are seen with suspicion and sometimes seen by their family and community as ‘contaminated’ by the West, having become ‘Westernised’, or ‘un-Islamic’ whilst in Europe, such as teenagers and young adults with ‘visible and invisible signs of their cultural change’ through differences in clothing, behaviours, and accents. Several sources explained that local mistrust and community gossip generate fear of problems. Dr. Schuster said that when a young man returns from Europe, family and relatives will welcome the person, and everyone from the neighbourhood (men) will come and sit and drink tea for several days; they are in effect watching to see how this person has changed. She explained that the difficulty is the high level of community gossip which means that people make assumptions or spread rumours easily, and it becomes difficult for someone to control the perceptions around them about their return. She explained that in Afghanistan, it is very difficult to defend oneself against accusations, false or not, of being a spy, having loose morals, or having lapsed as a good Muslim. Abubakar Siddique expressed the view that returnees are not targeted solely because they have returned from the West; he said it may be used against someone for individualistic disputes, explaining that accusations about one’s past in the West can be instrumentalised to target a person for other, different reasons. For example, a neighbour knows about a person’s past in a Western country and this can be used to start a negative rumour about someone or to accuse them of something.

Marieke van Houte also noted that mistrust in the community generated fear for returnees that neighbours might use their migration history against them, such as informing the Taliban because of jealousy or envy. In a similar way, Masood Ahmadi said that rumours from the local population were problematic for those returning, though IOM had not documented any specific cases of targeting of Afghans returned from the West on the basis of ‘Westernisation’. Other sources state that Afghans who return from the West are looked up to and positively received by their communities and families. According to Neamat Nojumi, returning from a study in the West is a significant gain for the family and as well as for the community; by contrast, being deported is a significant loss, and the impact on the person and his family is seen negatively. Ali Latifi explained that there will always be comments, jokes, or doubts when a person returns to Afghanistan after an absence, giving examples of Afghans who leave to go study and upon return are teased by family for becoming ‘Americanised’ after going to the US. He added such teasing and joking is ‘natural’ after an Afghan returns; however, to avoid abuse or ostracisation, a person needs to adapt to the customs and practices of the local culture. He gave the opinion that a person would have to be ‘very visible and very vocal’ in ‘trying to seem different’ to be perceived as ‘Westernised’ and would have to go ‘out of your way’ to make oneself seem Westernised. He stated that a person who makes themselves stand out by the way they dress or by using a lot of excessive foreign words will be seen as ‘Westernised’. He said that in rural areas, if a person does not try to adhere to local customs and standards, a person will stand out even more.“ (EASO, Dezember 2014, S. 101-102)


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 15. Juni 2020)

ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) [a-10159], 1. Juni 2017
https://www.ecoi.net/de/dokument/1400930.html

·      Coburn, Noah: Email-Auskunft, 1. Juni 2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade: DFAT Country Information Report Afghanistan, 27. Juni 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2014349/country-information-report-afghanistan.pdf

·      EASO – European Asylum Support Office: Afghanistan - Individuals targeted under societal and legal norms, Dezember 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1419802/90_1513325370_easo-201712-afghanistan-targeting-society.pdf

Gesetz zu Massenmedien (Afghanistan), 2009 (verfügbar auf Refworld)
https://www.refworld.org/docid/5ddce5604.html

Humanists International: Freedom of Thought Report 2019 – Afghanistan: 13. November 2019
https://fot.humanists.international/countries/asia-southern-asia/afghanistan/?print=pdf

·      Kabul Now: Zaman Ahmadi released after serving eight years of imprisonment, 11. März 2020
https://kabulnow.af/2020/03/zaman-ahmadi-released-after-serving-eight-years-of-imprisonment/

·      Kerr Chiovenda, Melissa: Auskunft per E-Mail, 2. Juni 2020

·      Kerr Chiovenda, Melissa: Auskunft per E-Mail, 10. Juni 2020

·      Kerr Chiovenda, Melissa: Auskunft per Email, 15. Juni 2020

Migrationsverket – Schwedische Einwanderungsbehörde: Afghanistan - Kristna, apostater och ateister, 21. Dezember 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf 

Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre: Afghanistan: Situasjonen for kristne og konvertitter, 4. September 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1383062872_landinfoafg.pdf

Open Doors: Weltverfolgungsindex 2019 - Wo Christen am stärksten verfolgt werden, 2019
https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/afghanistan

·      RFE/RL – Radia Free Europe/Radio Liberty: The Taliban, The Government, And Islamic State: Who Controls What In Afghanistan?, 31. Mai 2020
https://www.rferl.org/a/taliban-government-islamic-state-who-controls-what-in-afghanistan-/30644646.html

·      Ruttig, Thomas: Auskunft per E-Mail, 29. Mai 2020

·      Save The Children: From Europe to Afghanistan; Experiences of Child Returnees, 16. Oktober 2018
https://www.savethechildren.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Berichte_Studien/2018/Report_Afghanistan_original_20181000.pdf

Stahlmann, Friederike (Autor), veröffentlicht von Informationsverbund Asyl und Migration: Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen, September 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2017434/AM19-8-9_beitrag_stahlmann.pdf

·      Stahlmann, Friederike: Aussagen im Rahmen einer Online-Veranstaltung organisiert von ACCORD, 11. Mai 2020

·      Stahlmann, Friederike: Auskunft per E-Mail, 11. Juni 2020

Tolo News: Court Reverses 20-Year Sentence, But Process Not Over, 4. Dezember 2019
https://tolonews.com/afghanistan/court-reverses-20-year-sentence-process-not-over

Tolo News: Zaman Ahmadi, in Prison for Blasphemy Since 2012, May Be Released, 10. Jänner 2020
https://tolonews.com/afghanistan/zaman-ahmadi-prison-blasphemy-2012-may-be-released

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom: United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watch List: Afghanistan, April 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2028946/Afghanistan.pdf

USDOS – US Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, 10. Juni 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2031186.html

Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, 26. Jänner 2004 (veröffentlicht auf der Website des französischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und internationale Entwicklung)
http://www.diplomatie.gouv.fr/IMG/pdf/The_Constitution_of_the_Islamic_Republic_of_Afghanistan.pdf

 

 

 

 



[1] Farkhunda Malikzada sei im März 2015 in Kabul von einer Menschenmenge aufgrund fälschlicher Anschuldigung, einen Koran verbrannt zu haben, zu Tode geschlagen worden (siehe ACCORD, 1. Juni 2017)

 

[2] In einer Ergänzung per E-Mail erläutert Kerr Chiovenda, dass mit „Blasphemie-Gesetz“ die (weiter oben bereits erwähnte) Anwendung der Scharia in Fällen von Blasphemie gemeint gewesen sei. (Kerr Chiovenda, 15. Juni 2020)