Anfragebeantwortung zu Somalia: Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen [a-11248]

30. April 2020

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Gesellschaftliche Wahrnehmung und Deutungsmuster sowie Stigmatisierung

Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) veröffentlichte 2016 einen Bericht zu Kultur, Kontext und psychischer Gesundheit somalischer Flüchtlinge für MitarbeiterInnen in psychischen Gesundheitsdiensten und psychosozialen Unterstützungsprogrammen.

Dem Bericht zufolge würden sich Somali die Gründe für psychische Krankheiten oftmals spirituell erklären, etwa als Gottes Wille, als vorbestimmtes Schicksal. Krankheiten könnten als Bestrafung Gottes oder Test interpretiert werden. Sie könnten auch als Ergebnis einer unzureichenden Frömmigkeit angesehen werden. In diesem Sinne könnten psychische Erkrankungen als Strafe Allahs wahrgenommen werden, was die Gemeinschaft zur Annahme bringen könnte, dass die betroffene Person kein guter Muslim oder Muslimin gewesen sei. Die Bestrafung könne auch auf schlechte Taten zurückgeführt werden. Die endgültige Entscheidung über Krankheiten liege laut Ansichten der Gesellschaft immer in Gottes Händen:

„Somalis often consider the cause of mental illness in spiritual terms: God’s will is about pre-destination, one’s pre-determined fate. […] Illnesses may be interpreted as punishment from God or a test. It might be also seen as a consequence of not having been good enough in following one’s faith. In that sense, mental illness can also be perceived as a punishment from Allah, which can lead the community to assume that the person has not been a good Muslim. The punishment can also be due to having done something bad. The ultimate decision on illness is always in God’s hands.” (UNHCR, 2016, S. 38)

Es würde zudem angenommen, dass psychische Krankheiten auf „böse Geister“ zurückzuführen seien. Somali halten sich an muslimische Glaubensvorschriften und würden glauben, dass Gott verschiedene Lebensreiche, darunter körperliche, spirituelle und metaphysische Welten geschaffen habe. Es gebe demnach unterschiedliche Kreaturen: Menschen, Engel, Geister (gut oder böse) oder Teufel sein. Böse Geister würden im Allgemeinen mit dem Begriff Dschinn (auch jinn, gin, geni) bezeichnet werden. Diese würden im Koran genannt. Dschinn würden im Allgemeinen als Gründe für psychische Gesundheitsprobleme von MuslimInnen angesehen, darunter auch von Somali. Aufgrund der Anerkennung durch die islamische Theologie könnte dies zu sehr beständigen Zuschreibungen führen:

„Mental illness is also thought to come from evil spirits. Somalis conform to the Muslim faith, believing that God created multiple realms of life including physical, spiritual and metaphysical worlds. Creatures can be human beings, angels, spirits - good or bad - or devils. Evil spirits are generally known by the generic term jinn (jinn is plural and jinni is singular, also spelled gin/gini/geni). They are mentioned in the Qur’an. […] Jinn are commonly seen as causes for mental health problems among many Muslims, including Somali, and these can be relatively stable attributions due to their acknowledgement by Islamic theology.” (UNHCR, 2016, S. 38-39)

Elemente der prä-islamischen somalischen Kultur bestünden in Form von „sar“ (auch saar, zar, zaar), spiritueller Besessenheit, fort. Der Begriff sar beschreibe sowohl den Zustand der besessenen Person (der Geist nehme Besitz einer Person und wolle auf bestimmte Art befriedigt werden), als auch den heilenden Kult. In verschiedenen Teilen Somalias seien Sar-Geister unter verschiedenen Namen bekannt, als mingis, boorane, sharah, ayaamo, wadaado/ardooyin, luumbi/nuumbi, barkiin/ba’alwaan, sowie als saar-gedo, saar-habashi and beebe. „Mingis“ werde im Nordosten Somalia von einigen Autoren als bedeutendster Ausdruck einer sar-Besessenheit eingestuft.

Sar-Geister würden am häufigsten von verheirateten Frauen Besitz ergreifen. Die Art des Sar-Geistes stehe in Zusammenhang mit ihrer Clanzugehörigkeit und ihrer Heimatregion. Eine besessene Frau müsse versuchen, den Geist zu besänftigen und falls es ihr gelinge, eine friedliche Beziehung zum Sar-Geist herzustellen, werde sie wieder einen guten Gesundheitszustand und Wohlbefinden erlangen. Die Besessenheit durch einen Sar-Geist könne dem Bericht zufolge ein Weg zur Konkretisierung und Externalisierung psychologischer Schwierigkeiten sein, auf einem Weg der kulturell verständlich und akzeptiert sei:

„Elements of pre-Islamic Somali culture persist in the form of sar (also written as saar, zar or zaar) spirit possession. The term sar denotes both the condition of the person possessed (the spirit enters a person and wants to be satisfied in particular ways) and the healing cult. In different parts of Somalia sar spirits are known by various other names such as mingis, boorane, sharah, ayaamo, wadaado/ ardooyin, luumbi/nuumbi, barkiin/ba’alwaan, as well as saar-gedo, saar-habashi and beebe. Mingis, believed to be autochthonous from northeast Somalia, are considered by some authors as the most significant expression of sar possession in Somalia. […] Sar spirits most often possess married women. The kind of sar spirit may be related to her clan affiliation and region. A woman possessed by a sar spirit has to try to ‘pacify’ the spirit and if she succeeds in restoring peaceful relations with the sar spirit, she will regain good health and wellbeing. Sar spirit possession may be a way to concretise and externalise psychological difficulties in a way that is culturally understandable and acceptable.” (UNHCR, 2016, S. 39)

Sar-Besessenheit und die begleitenden Rituale könnten die Unterstützung seitens Familie und Freunden wachrütteln und Frauen eine Möglichkeit bieten, Gefühlen in einer Form Ausdruck zu verleihen, die ansonsten gesellschaftlich nicht akzeptiert werde. Während weiterhin über Sar-Besessenheit und damit verbundene Zeremonien in Somalia und in der Diaspora berichtet werde, scheine die kulturelle Toleranz hinsichtlich der Praxis abzunehmen, teilweise aufgrund von Modernisierung und Globalisierung, aber auch aufgrund des steigenden Einflusses des fundamentalistischen Islam, der Sar-Rituale als unislamisch und bestrafungswürdig ansehe. Da der Sar-Kult daher weitgehend zurückgewiesen werde, könnten Sar-Geister stattdessen in sitaat-Ritualen von Sufi-Frauen auftreten, die einigen Quellen zufolge leichter innerhalb der islamischen Rahmenbedingungen akzeptiert werden könnten:

„Sar possession and the accompanying rituals may galvanise the support of family and friends and provide women an opportunity to express emotions in ways that otherwise would have been socially unacceptable. […] While sar possessions and related ceremonies continue to be reported both in Somalia as well as in diaspora, the cultural tolerance towards the practice has appeared to decrease, partially due to processes of modernisation and globalisation, but also due to the increasing influence of fundamentalist Islam that views sar rituals as un-islamic and punishable. As the sar cult has been widely rejected as being at odds with Islam, sar spirits may instead appear in Sufi women’s sitaat rituals that, according to some, may be more easily accepted within the framework of Islam.” (UNHCR, 2016, S. 39)

Das Böse Auge” (ishan, il-dad, ishan, il-dad, or il cayn, cawri) repräsentiere Unglück oder Krankheit. Es zeige den Wunsch an, einer Person, auf die man neidisch sei, Unglück zuzufügen. Es sei verbreitet, zum Schutz gegen das böse Auge mit Meerwasser gefüllte Flaschen im Haus aufzuhängen. Ilcayn sei hier eine der am weitesten verbreiteten Formen und es werde angenommen, dass es unabsichtlich zwischen Menschen übertragen werde. Die Übertragung erfolge mittels Augenkontakt und werde oft aufgrund von Neid (xasad) auf den Erfolg oder die Liebe anderer, aber auch aufgrund nicht erwiderter Liebe, Eifersucht oder Wut ausgelöst. Von Flüchen (habaar/inkaar) seitens falsch behandelter und/oder missachteter Personen, darunter Eltern, sowie von Armen und Älteren werde angenommen, dass sie das fürchterlichste Unglück bringen würden. Der Begriff sixir/sexir verweise auf Zauberei und Magie bei Verhängung eines Fluches (sixirtay) mithilfe des Teufels (sheydaan) oder Magie. Es deute eine freiwillige, absichtliche Handlung an, beispielsweise seitens einer Person, die möchte, dass sich eine andere Person in sie verliebe. Andere Gründe für eine Anwendung seien Eifersucht, Neid, Vergeltung, etwas von jemand anderem zu erhalten oder jemanden krank oder verrückt zu machen oder sogar zu töten. Derartige Zauberei werde von Hexen, die als sixiroole bezeichnet würden, ausgeführt, die spezielle Wörter über Wasser sprechen würden, das später unwissentlich vom Opfer getrunken oder in sein Essen gemischt oder auf seiner Kleidung verteilt würde. Jedoch habe es dem Bericht zufolge oftmals den Anschein, dass es rückblickend als Erklärung für Ereignisse gebraucht werde und weniger als Strategie, die von Personen angewendet werde, um Schaden anzurichten:

„Evil eye, curses and witchcraft The ‘evil eye’ (ishan, il-dad, ishan, il-dad, or il cayn, cawri) represents misfortune or illness, meaning that it indicates the desire to cause misfortune to a person one is jealous of. It is common to hang bottles of sea water in the house for protection against the evil eye. Ilcayn is one of the most common forms and is thought to be conveyed unintentionally between humans: transmission happens from one person to another through the eye and is often triggered by envy (xasad) of someone else’s possessions, success or love, but also unrequited love, jealousy or anger. Curses (habaar/inkaar) from wrongly treated and/or disregarded people, including parents, the poor, and the elderly, are thought to bring about the most dreadful misfortune in life. The term sixir/sexir refers to sorcery/magic, sending someone a curse (sixirtay) helped by the devil (sheydaan), or magic.

It indicates a voluntary, intentional action, for example by a person who wants someone else to fall in love with him/her. Other reasons to use it are jealousy, envy, revenge, to get something from someone or to make someone sick or mad or even to kill the person. Such sorcery is performed by a witch called sixiroole who reads specific words over water that is later unknowingly drunk by the victim or placed in his/her food or on their clothes. However, it often seems to work as a retrospective explanation of a course of events, rather than a strategy used by people with the intention to cause harm.” (UNHCR, 2016, S. 40)

Während spirituelle Faktoren eine wichtige Rolle bei der Erklärung schwerer psychischer Störungen spielen würden, sei es falsch anzunehmen, dass Somali psychische Störungen immer auf spirituelle Gründe zurückführen würden. Die Menschen würden auch eine Verbindung zwischen waali (Bezeichnung für psychisch beeinträchtigte Personen, „Verrücktheit“, vgl. UNHCR, 2016, S. 30) und dem exzessiven Gebrauch von Khat oder zwischen waali und belastenden Ereignissen sehen (natürliche waali würde sich von böser waali oder jinn unterscheiden):

„Natural causes While spiritual factors play an important role in the explanation of severe mental disorders, it is incorrect to assume that Somalis would always attribute mental disorder to spiritual causes. People also see a link between waali and excessive use of khat, or between waali and stressful life events (‘natural waali’ are different from ‘evil waali’ or jinn).” (UNHCR, 2016, S. 40)

In einer 2011 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie zu Konzepten psychischer Erkrankungen seitens SomalierInnen wurden SomalierInnen in Schweden befragt. Viele der Befragten hätten angegeben, dass, solange eine Person keinen körperlichen Schaden anrichte, ihr Zustand innerhalb der Familie geheim gehalten werde. Das Lesen des Koran sei eine wichtige Strategie beim Umgang mit psychischer Erkrankung. Diese Leserunden würden entweder in kleineren Gruppen von Freunden und Familie stattfinden oder mit religiösen Gelehrten, die spezielle Koransuren und -verse lesen würden. Viele Befragte hätten angegeben, dass der Koran die Macht habe zu heilen:

„Many informants agreed that as long as a person is not causing any physical harm, his condition is kept a secret within the family. Reading of the Koran is a key strategy to deal with mental ill health. This reading takes place either in smaller groups of friends and family or by religious scholars who read special suras, verses in the Koran. Several interviewees explained that the Koran has the power to heal:” (Johnsdotter, 2011, S. 725)

Eine ältere, im Jahr 2010 veröffentlichte Studie der WHO zur Lage der psychischen Gesundheit in Somalia erwähnt, dass der Diskurs zu psychischer Gesundheit in Somalia streng innerhalb eines ganz besonderen Kontextes eingebettet sei und von spezifischen soziokulturellen Mustern beeinflusst werde. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen würden stigmatisiert, diskriminiert und gesellschaftlich isoliert. Herabwürdigende und gefährliche kulturelle Praktiken, wie das Anketten von Personen, seien nicht nur weit verbreitet, sondern auch gesellschaftlich und medizinisch akzeptiert. Traditionelle HeilerInnen würden eine bedeutende Rolle spielen, jedoch seien diese nicht medizinisch an einer tatsächlichen Rehabilitation der PatientInnen beteiligt. Neue Störungen seien im Land aufgetaucht und müssten erst untersucht und angesprochen werden. Frauen und ehemalige Kämpfer seien in einem höheren Ausmaß der Entwicklung schwerer Formen von Störungen („distress“) ausgesetzt:

Mental health discourse in Somali is strictly embedded in a peculiar context and is influenced by specific socio-cultural patterns. Mentally challenged people are stigmatized, discriminated and socially isolated. Degrading and dangerous cultural practices such as being restrained with chains are not only widespread but also socially and medically accepted. Traditional healers play an important role; however, they are not medically involved in any real rehabilitation of the patients. New forms of distress and disorders have started to appear in the country that needs to be further investigated and addressed. Women and ex-combatants are exposed to a higher extent of development of severe forms of distress.” (WHO, 2010, S. 8)

Viele Somali mit psychischen Erkrankungen seien der WHO-Studie von 2010 zufolge gesellschaftlich isoliert. Der Schmerz dieser Isolation werde intensiv gefühlt, da die somalische Kultur traditionell gemeinde- und familienorientiert sei. Während eine Person mit psychischen Erkrankungen von der Gemeinde geächtet werde, könne die Angst vor Stigmatisierung noch stärker wiegen. Dadurch könne sich die psychische Erkrankung noch verschlimmern und der Heilsvorgang erschwert werden. Die Situation werde noch verschlimmert, weil Somali annehmen würden, dass eine einmal psychisch erkrankte Person sich nie wieder erholen werde. Einem somalischen Sprichwort zufolge könne sich der Zustand einer psychisch beeinträchtigten Person nur verbessern, aber die Person könne sich nicht erholen:

„Many Somalis with mental illness are socially isolated. The pain of this isolation is felt intensely because Somali culture is traditionally communal and family oriented. While a person with mental illness may be ostracized from the community, their fear of stigma may be even more powerful. Whether the ostracism is created by the community or self-imposed due to anticipated negative responses, the social isolation creates a profound worsening of the mental illness. This social isolation can be very disorienting and can make the process of healing very difficult. In fact, even without prior mental health problems, isolation from the community alone can contribute to the development of depression. The situation of the mentally ill people is worsened by the fact that Somalis believe that once a person becomes mentally ill, he/she will never recover. A Somali proverb says that a mentally challenged person can only improve but never recover (nin waashay wuu ladnaaday mooyee wuu bogsaday maleh). Significant stigma shrouding mental health issues prevents many Somalis from seeking treatment or assistance.” (WHO, 2010, S. 21)

Ein Artikel des offiziellen staatlichen Auslandssenders der USA, Voice of America (VOA), zitiert die Psychotherapeutin Rowda Abdullahi Olad, die aus den USA nach Somalia zurückgekehrt sei und sich dort mit der von ihr gegründeten Organisation „Maandeeq Mental Health Without Borders“ für ein Ende der Stigmatisierung in Verbindung mit psychischer Gesundheit einsetze. Personen, die an psychischen Erkrankungen leiden, würden oftmals von der Gesellschaft und sogar ihren Familien gemieden. Schädliche Praktiken, darunter die Nutzung von Ketten, um PatientInnen ruhig zu stellen, würden im Land weiterhin angewendet. Die Stigmatisierung komme daher, weil die Menschen annehmen würden, dass man entweder verrückt sei oder nicht, entweder man sei wahnsinnig oder nicht, es gebe kein Dazwischen:

Rowda Abdullahi Olad is a psychotherapist and founder of Maandeeq Mental Health Without Borders. After practicing in the United States, she returned to her home country with the intention of offering clinical services. She quickly realized the need was far greater. […]

Olad’s organization is working to erase the stigma around mental health in Somalia. People suffering from mental illness are often shunned by society and even their families. Harmful practices, including using chains to restrain patients, are still used in the country. ‘There is a stigma because [people believe] either you are crazy or you’re not crazy. You are insane or you’re not, there’s nothing in between, she said.” (VOA, 5. März 2020)

Ein Artikel der finnischen NGO Finn Church Aid zitiert im August 2019 ebenfalls Rowda Olad. Personen, die psychisch schwer erkranken würden, würden ins Krankenhaus gebracht und dort vergessen. Rowda erwähnt zudem, dass Therapie an sich ein neues Konzept in Somalia sei. PatientInnen, denen sie eine Therapie anbiete, würden von ihr Medikamente erwarten, nicht Diskussionen:

Rowda got involved in politics and initially worked in regional administration, but mental health care became more and more attractive. She dreams of founding a national mental health system in Somalia, entailing the entire structure, creating the foundations and the missing words for the work. ‘For us, a person is either insane, waali, or not insane. There is no in-between, there are no other words. People who become seriously mentally ill are put in the hospital and forgotten there.’ ‘It is shocking,’ she says. […]

Even therapy is a completely new concept in Somalia. There are only doctors and psychiatrists who work in hospitals and prescribe medication. If a doctor gives a person medicine, the person gets better. ‘When I tell a patient I am offering them treatment, they expect medication, not discussion.’” (Finn Church Aid, 28. August 2019)

In einem im Februar 2020 veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsatz zu psychischer Gesundheit in Somaliland wird ebenfalls erwähnt, dass Somali psychische Gesundheit binär wahrnehmen würden: jemand sei verrückt oder nicht verrückt. Das Konzept eines Spektrums psychischer Erkrankung und Gesundheit bestehe nicht. Sobald eine Person als psychisch krank abgestempelt sei, werde die Krankheit – und eigentlich das damit verbundene Stigma – als beständig und unumkehrbar betrachtet. Als Ergebnis sei die Stigmatisierung tief verwurzelt und weit verbreitet. PatientInnen und deren Familien würden mit negativen Einstellungen seitens der Gesellschaft und körperlichem Schaden konfrontiert sein. Viele seien gesellschaftlich isoliert und vulnerabel:

„The Somali perception of mental health is binary; one is mad (waali) or not mad. The concept of a spectrum of mental illness and health simply does not exist. Once an individual is labelled as having a mental illness, the illness – and indeed the associated stigma – is considered permanent and irreversible. As a result, stigma is deeply rooted and all pervasive. Patients and their families face negative attitudes and physical harm from society, leaving many socially isolated and vulnerable.“ (Fatumo, Februar 2020)

Psychisches Gesundheitssystem

The New Humanitarian (TNH), eine institutionell unabhängige Nachrichtenagentur, die schwerpunktmäßig über Krisen berichtet und sich für eine Verbesserung humanitärer Hilfsmaßnahmen einsetzt, erwähnt in einem Artikel vom Juni 2019, dass Somalia nur über fünf von der WHO anerkannte Zentren für psychische Gesundheit verfüge. Im ganzen Land gebe es nur drei PsychiaterInnen, darunter Abdurahman Ali Awale (auch bekannt als Dr. Habeeb, Anm. ACCORD):

„Somalia has been at war for close to 40 years. It has suffered three famines, waves of displacement, and currently 5.4 million people – more than one third of the population – rely on aid to survive. Despite these trauma-inducing conditions, Somalia has only five WHO-recognised mental health centres – basic at best – and just three psychiatrists for the entire country. Abdurahman Ali Awale is one of them, working out of the hospital in the capital, Mogadishu, serving a population of 2.8 million.” (TNH, 26. Juni 2019)

Der aktuellste Überblick zu psychischer Gesundheit (Mental Health Atlas) in Somalia von 2018 erwähnt jedoch nur eine ambulante psychische Gesundheitseinrichtung innerhalb eines Krankenhauses, sowie ein (stationäres) Krankenhaus für psychische Gesundheit. Hinsichtlich der Rate der PsychiaterInnen pro 100.000 EinwohnerInnen erwähnt der Überblick, dass es keine gebe oder keine berichtet worden seien. PflegerInnen im Bereich psychische Gesundheit sind mit einer Rate von 0,16 auf 100.000 EinwohnerInnen angeführt, PsychologInnen mit 0,02 (WHO, 2018, S. 1).

 

Auf einem undatierten Länderprofil des zuständigen Regionalbüros der WHO zu Somalia wird jedoch die von TNH erwähnte Anzahl der Zentren und PsychiaterInnen genannt:

„Currently, Somalia has five mental health centres situated in Berbera, Bossaso, Garowe, Hargeisa and Mogadishu. These provide basic care to people suffering from mental health conditions. However, only three psychiatrists are working in the mental health facilities in the country. Often the limited resources available are spent on large mental hospitals and not on services delivered through the community and primary health care.“ (WHO, ohne Datum)

Ein Artikel der britischen Zeitung The Guardian vom April 2012 berichtet unter anderem über das einzige öffentliche psychische Krankenhaus in Somalia mit ausgebildeten PsychiaterInnen, das Habeb-Krankenhaus. Das Krankenhaus in Mogadischu sei mit einer hohen Anzahl von PatientInnen belegt und täglich würden mindestens 20 neue PatientInnen das Krankenhaus aufsuchen. Das Krankenhaus betreibe in Mogadischu zudem drei weitere Einrichtungen. Die Anzahl der weiblichen und männlichen PatientInnen halte sich großteils die Waage, mit überwiegend jungen PatientInnen. Einige weibliche PatientInnen hätten ihre Kinder bei sich, da sie niemanden hätten, der sich um diese kümmere:

Along the main road in Mogadishu, traders are busy selling goods, including second-hand T-shirts and jeans to passing customers. You could almost miss Habeb public mental hospital sitting 5-metres beyond the road. It's the only medical institution in Somalia with trained psychiatric professionals. […]

The compound housing the hospital seems claustrophobic, probably because of the large number of patients. Almost every little space in the compound is occupied. […]

At least 20 new patients are brought in every day, with some transferred to its other facilities elsewhere in the Somali capital. The hospital runs three other institutions in Mogadishu. On the day I visited, 333 patients were being treated in the four facilities. […]

There is an almost equal ratio of male to female patients in the hospital. Most are young, and come from all walks of life – from former preachers to ex-combatants. Some of the young women in the hospital have brought their children, as they have no one to care for them at home.” (The Guardian, 5. April 2012)

Dem bereits erwähnten, älteren WHO-Bericht von 2010 zufolge seien die Gesundheitsdienste in Somalia in nicht ausreichender Zahl verfügbar, von einem Mangel an Ausrüstung gekennzeichnet und die geografische Abdeckung sei für die Deckung der Bedürfnisse des Landes nur eingeschränkt vorhanden. Berichten zufolge würden acht Einrichtungen existieren und diese seien für den Bericht untersucht worden:

Mental health services in Somalia are insufficient in number, lack proper equipment and geographical coverage is limited for addressing all the needs of the country. Eight facilities were reported to exist and were assessed. They all have a different nature and offer various services according to their locations, qualifications of staff and extent of support from external actors.” (WHO, 2010, S. 8)

Mithilfe von UnterstützerInnen habe Dr. Habeeb (Dr. Abdirahman Ali Awale) im Jahr 2005 das Habeeb Mental Hospital eröffnet, dass auf die Behandlung von psychischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen spezialisiert sei, so die Mission der Vereinten Nationen in Somalia (United Nations Assistance Mission in Somalia, UNSOM) im April 2018. Seither seien medizinische Praxis und Dienste über Mogadischu hinaus ausgeweitet worden. Er betreibe nun zehn weitere psychiatrische Zentren landesweit, in Buhoodle, Caabudwaaq, Gaalkayo, Cadaado, Belet Weyne, Marka, Beled Hawo und Kismaayo:

„With the help of supporters, he opened the Habeeb Mental Health Hospital in 2005, specializing in the treatment of mental illness and personality disorders – and one of Somalia’s first such establishments since the start of the civil war in 1991. He admitted 30 patients soon after opening. Since then, Dr. ‘Habeeb’s’ medical practice and services have grown, expanding beyond Mogadishu. He now runs ten other psychiatric centres throughout the country, in Buhoodle, Caabudwaaq, Gaalkayo, Cadaado, Belet Weyne, Marka, Beled Hawo and Kismaayo.“ (UNSOM, 7. April 2018)

Ein BBC-Artikel vom Oktober 2013 erwähnt ebenfalls das Habeeb Mental Hospital in Mogadischu:

·      BBC News: Where hyenas are used to treat mental illness, 17. Oktober 2013
https://www.bbc.com/news/magazine-24539989

Psychisches Gesundheitssystem in Somaliland

Ein im Jänner 2016 veröffentlichter Artikel von The Guardian zitiert den für psychische Gesundheit zuständigen Projektmanager der italienischen NGO Gruppo Relazioni Transculturali, Abdirisak Mohamed Warsame. Psychische Erkrankungen würden sich in der Gesellschaft Somalilands explosionsartig ausdehnen, jedoch verfüge die Gemeinde über keine formellen Methoden für den Umgang mit psychisch Kranken. Erst kürzlich sei von der Regierung ein Büro für psychische Gesundheit eigerichtet worden. Die Regierung habe mit anderen, besser behandelbaren gesundheitlichen Themen zu kämpfen. In der Region Somaliland gebe es nur zwei PsychiaterInnen für eine Bevölkerung von 3,5 Millionen Menschen, obwohl mittlerweile mehr Ausbildungsarbeit erfolge. Es gebe vier Abteilungen für psychische Gesundheit in allgemeinen Krankenhäusern. In Hargeisa, der Hauptstadt Somalilands, würden sich die Familien auf mindestens neun private Einrichtungen verlassen, die etwa 100 bis 150 US-Dollar monatlich kosten würden:

„Amina’s dilemma is one that many families in Somaliland face amid a substantial mental health crisis. Many people are ill-informed about psychosocial disorders, which are widely stigmatised in Somali culture. ‘There is an explosion of mental illness in this society,’ says Abdirisak Mohamed Warsame, mental health project manager for the Italian NGO Gruppo Relazioni Transculturali, and one of just a handful of professionals working in the sector in Somaliland. ‘The community has no formal ways to provide for the mentally ill,’ he adds. ‘The government is struggling with other health issues that are more treatable; the ministry of health only recently established a mental health office.’ […]

In Somaliland, there are only two psychiatric doctors for an estimated population of 3.5 million, although more training is taking place. ‘Psychiatry is now taught by myself and my colleague as a one semester course as part of general undergraduate medicine,’ says Dr Liban Ahmed Hersi, one of the two psychiatric doctors. ‘Before, tutors would come in for short trips and there was no local supervisor – it was very rushed and difficult to grasp.’ There are only four mental health wards in general hospitals across the country [Somaliland], while in Hargeisa many families rely on the privately run residential centres. Families usually pay $100-$150 (£70-£100) a month to place relatives in the private facilities – there are at least nine in the capital.” (The Guardian, 22. Jänner 2016)

TNH erwähnt im Juni 2019 ebenfalls, dass es in der Region Somaliland nur zwei PsychiaterInnen gebe, darunter Djibril Ibrahim, der sich täglich um 20 bis 50 PatientInnen kümmere:

„In the self-declared independent republic of Somaliland, psychiatrist Djibril Ibrahim somehow manages to see anywhere between 20 to 50 patients a day. There is only one other psychiatrist working in a region of four million people.” (TNH, 26. Juni 2019)

Der bereits oben genannte wissenschaftlichen Aufsatz zu psychischer Gesundheit in Somaliland vom Februar 2020 enthält zudem weitere Informationen zur Lage des psychischen Gesundheitssystems in Somaliland:

·      Fatumo, Abdi Abdillahi et al: Mental Health in Somaliland: a critical situation, Februar 2020
https://www.cambridge.org/core/journals/bjpsych-international/article/mental-health-in-somaliland-a-critical-situation/A7522141E3EC79E2ACBCC6DD43843813/core-reader

Diskriminierung seitens der Familie, der Gesellschaft und in öffentlichen Einrichtungen

Im April 2018 erwähnt ein Artikel der UNSOM, dass wie in vielen anderen Ländern psychische Erkrankungen in Somalia von starker gesellschaftlicher Stigmatisierung betroffen seien. Dies bedeute, dass viele PatientInnen weiterhin an Vernachlässigung und Zwangsinternierung innerhalb ihrer Häuser und anderer Einrichtungen leiden würden. Es sei eine sehr verbreitete Praxis psychisch kranke Personen in Ketten und Fesseln zu legen. Der Artikel erwähnt Dr. Abdirahman Ali Awale. Dessen Angaben zufolge könnten diese PatientInnen nur angemessen behandelt und versorgt werden, wenn die Stigmatisierung, die mit psychischer Gesundheit assoziiert würde, beendet würde:

„As in many other countries, mental illness in Somalia is associated with a strong social stigma, which means that many patients continue to suffer neglect and forced confinement inside their homes and other institutions. Keeping mentally ill people in chains and shackles has been an all too common practice. ‘Unless we stop the stigma associated with mental health issues, we will not be able to properly treat and care for these patients,’ Dr. ‘Habeeb’ [Dr. Abdirahman Ali Awale] says.” (UNSOM, 7. April 2018)

Der oben bereits zitierte TNH-Artikel beruft sich ebenfalls auf Abdurahman Ali Awale, der angegeben habe, dass manchmal traumatisierte PatientInnen auf den Straßen Mogadischus von Mobs verfolgt und beleidigt würden. Es sei schmerzlich, die grausame Behandlung zu sehen, die diese PatientInnen seitens einiger Bevölkerungsteile erfahren würden. In der Region Somaliland sei dies ähnlich. Laut Angaben des Psychiaters Djibril Ibrahim sei die Stigmatisierung und Diskriminierung gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen unvorstellbar. Den Personen würde eine Behandlung verweigert oder sie würden sogar davon abgehalten. Dies würde sich auch auf Drogenentzugseinrichtungen erstrecken. Awale habe angegeben, dass er in eine Einrichtung zu einer/m PatientIn gerufen worden sei. Der oder die PatientIn habe hohes Fieber gehabt und sei angekettet und gefesselt gewesen. Ibrahim zufolge würden in Somaliland einige Personen, die an psychischen Problemen leiden würden, von ihren Verwandten ins Gefängnis gebracht. Er habe im Jahr 2014 eine Studie im Gefängnis Borama durchgeführt. Dort seien 143 der 200 InsassInnen psychische GesundheitspatientInnen gewesen, die nicht kriminell gewesen seien („with no criminal record“). Ibrahim und seine MitarbeiterInnen hätten sich in Gesprächen mit AnwältInnen und PolizistInnen dafür einsetzen müssen, um sicherzustellen, dass diese freigelassen würden:

„’You see patients who are sometimes traumatised and need some sort of support are being chased and insulted on the streets of Mogadishu by a mob,’ said Awale. ‘It’s painful to see the cruel treatment meted out to these patients by some parts of society.’ It’s a similar case in Somaliland. ‘The stigma and discrimination towards people [with mental illnesses] is beyond imagination in this country,’ said Ibrahim. ‘People are denied treatment or even prevented from receiving treatment.’ This extends to some drug rehabilitation facilities. “There was a rehabilitation centre I was called [to] for a patient. I was shocked to see the mentally ill patient who had a high fever kept in chains and shackles,’ Awale recalled. In some cases in Somaliland, relatives take their kin suffering from mental health issues to prison, Ibrahim told TNH. ’You can’t believe it, but I did a study in 2014 at Borama Prison where 143 of the 200 inmates were mental health patients with no criminal record,’ said Ibrahim. ‘We had to advocate for them, talking to lawyers and police, to ensure they were released.’ Last year Awale and other volunteers took part in WHO’s Chain Free Initiative, a campaign that aims to achieve dignity for the mentally ill. The goals include chain-free hospitals, chain-free homes, and a chain-free environment that can offer an improved quality of life for patients. ‘Mental illness should be seen as a normal illness,’ said Awale. ‘Sometimes patients may need only a short counselling period.’” (TNH, 26. Juni 2019)

Ein Artikel des US-amerikanischen, nicht-profitorientierten Borgen Magazine vom Dezember 2018 erwähnt ebenfalls die Stigmatisierung von psychischer Gesundheit in Somalia, sowie die Anwendung von Ketten gegenüber PatientInnen und deren Internierung. Der Artikel erwähnt, dass es gegenwärtig fünf psychische Gesundheitszentren in Berbera, Bossano, Garowe, Hargeisa und Mogadischu gebe, die PatientInnen grundlegend versorgen würden. Zudem wird auch Dr. Habeeb genannt:

„Mental health in Somalia is incredibly stigmatized. Many patients suffer neglect and abuse from caretakers at home and in hospitals. The mentally ill are traditionally chained or imprisoned: a form of treatment the Somalis believe will fix an individual with mental health problems. This is due to the lack of awareness and lack of therapy/treatment for mentally ill people. As a result, many who need help will feel less inclined to reach out for help fearing being chained and/or taken away from their families. […]

Presently only five mental health centers situated in Berbera, Bossano, Garowe, Hargeisa, and Mogadishu are treating patients with basic care. Many who suffer from mental illnesses, such as post traumatic stress disorder (PTSD), depression, anxiety, and others as a result of ongoing conflict and instability in the country, do not receive necessary medical care that could improve their mental health […]

Dr. Abdirahman Ali Awale, known popularly as Dr. Habeeb, is a well-known advocate for mental health awareness. He is also one of the few psychiatrists with multiple practices in Somalia. With facilities that provide outpatient consultations and treatment for those suffering from illnesses such as schizophrenia, PTSD, substance abuse and depression, Dr. Habeeb is battling mental illness along with his many colleagues. They believe mental illness needs to be officially addressed in the country.” (Borgen Magazine, 14. Dezember 2018)

In seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom März 2020 (Berichtszeitraum 2019) erwähnt das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS), dass wegen der fehlenden öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur nur wenige Dienste zur Unterstützung oder Bildung für Personen mit psychischen Behinderungen gegeben habe. Es sei weit verbreitet, dass diese Personen an einen Baum gekettet oder innerhalb ihrer Häuser festgehalten würden:

„Without a public health infrastructure, few services existed to provide support or education for persons with mental disabilities. It was common for such persons to be chained to a tree or restrained within their homes.

Local organizations advocated for the rights of persons with disabilities with negligible support from local authorities.“ (USDOS, 11. März 2020, Section 6)

The Guardian zitiert in einem Artikel vom April 2012 Dr. Habeeb, den Betreiber des Habeb-Krankenhauses in Mogadischu. Die Arbeit seines Krankenhauses umfasse auch Aufklärung der BewohnerInnen über psychische Krankheiten. Die Menschen würden traditionelle HeilerInnen aufsuchen, die ihnen erklären würden, dass es sich um Hexerei und Dschinn handle. Menschen mit psychischen Problemen würden stigmatisiert, diskriminiert und seien gesellschaftlich isoliert. Zudem seien sie herabwürdigenden und gefährlicher Praktiken ausgesetzt, etwa der Anlegung von Ketten. Psychische Gesundheit sei in Somalia nicht in das primäre Gesundheitswesen integriert. Eine kurze Autofahrt vom Habeb-Krankenhaus entfernt liege das größte Gesundheitszentrum Somalias, das Krankenhaus Benadir. Ein/e dort vom Autor des Artikels befragte(r) PflegerIn habe angegeben, dass im Benadir-Krankenhaus keine „verrückten“ Leute behandelt würden, nur „normale“ Leute:

„Some of hospital's work involves educating locals about mental health illnesses. ‘Somalis don't think mental illness can be cured by scientific methods,’ says Habeeb [Abdi Rahman Habeeb]. ‘They go to traditional healers, who tell them it's caused by witchcraft and jinn [supernatural creatures].’ People with mental health problems are stigmatised, discriminated against and socially isolated. They're also subjected to degrading and dangerous practices, such as being restrained with chains. Mental health isn't integrated into primary healthcare in Somalia. A short drive from Habeb hospital is country's biggest health centre, Benadir hospital. ‘We don't treat mad people here, only normal people,’ a nurse told me.” (The Guardian, 5. April 2012)

Ein für die bereits erwähnte Johnsdotter-Studie von 2011 befragter Somali habe sich an die traditionelle Behandlung, die er in Somalia erfahren habe zurückerinnert, darunter an einen Zeitraum währenddessen er in Ketten in einem Krankenhaus inhaftiert gewesen sei („in einem Raum voll mit Verrückten“) und Ritualen mit Koranlesungen und Kräuterbehandlung durch einen traditionellen Heiler:

„In contrast, the man with schizophrenia was very pleased with the treatment he received from psychiatrists in Sweden. He did not understand the term ‘schizophrenia’ (‘I don’t understand what it is, they haven’t explained that to me’), yet he was grateful for the medication they administered, since his everyday life had changed so much for the better. With abhorrence, he recalled the traditional treatment he received in Somalia: including a period of being detained with chains in hospital (‘in a room full of crazy people’) and rituals with Koran reading and herbal treatment performed by a traditional healer. He trusted the Swedish psychiatric care system without reservations.” (Johnsdotter, 2011, S. 749)

Die oben genannte ältere, im Jahr 2010 veröffentlichte Studie der WHO zur Lage der psychischen Gesundheit in Somalia erwähnt, dass man sich psychischen Erkrankungen weitgehend nur auf unterdrückende und altmodische Art widme. Psychisch Kranke würden im Allgemeinen in Ketten gelegt und/oder weggesperrt. Neben extremer Isolation würden Diskriminierung und Stigmatisierung mittels gewaltsamer Handlungen, wie Steinewerfen, die am weitesten verbreiteten Verhaltensweisen gegenüber psychisch Kranken bilden. Diese Handlungen würden Barrieren hinsichtlich gesellschaftlicher Wiedereingliederung und Akzeptanz der Praxis einer medizinischen Behandlung selbst darstellen. Der WHO-Bericht zitiert zudem eine Studie der italienischen NGO Gruppo per le Relazioni Transculturali (GRT) im nordöstlichen und südlich-zentralen Landesteil, laut der die Stigmatisierung psychischer Störungen mittels der ungeeigneten Kategorisierung als „Verrücktheit“ offensichtlich und schwer sei. Psychisch beeinträchtigte Personen würden weitgehend nur als Gefahr und als „immer aggressiv“ und „Unruhestifter“ wahrgenommen:

Mental illnesses are widely addressed solely in a repressed and outmoded manner. The mentally ill are generally chained and/or confined. Next to extreme isolation, discrimination and stigmatism, expressed through violent actions, such as throwing of stones, represent the most common behavioural attitudes towards the mentally ill. Those actions constitute barriers to societal reintegration and acceptance of the practice of medical treatment itself. […]

According to the assessment of GRT [Gruppo per le Relazioni Transculturali] in the North East zone as well as in South Central Somalia, the stigmatisation of mental disorders improperly labeled as ‘madness’ is evident and severe. Once the person gets mental problems the stigma of ‘mad’ will accompany him/her even after a possible recovery. Understanding when a person is considered mentally disturbed is very important for mental health education and awareness purposes. The signs of arising madness are similar in northern and southern regions of Somalia: ‘disoriented speech, too much thinking (brooding over problems)’, or actions such as ‘running, escaping, crying, undressing oneself in public without shame, throwing stones’, and ‘refusing of food, lack of hygiene’. The mentally challenged people are widely recognized only as a danger and described as ‘always aggressive, (…) troublemaking and those who create problems to the community’. This stigma associated with the mentally challenged people results in them being imprisoned in the police station or restrained at home with chains (see following section).” (WHO, 2010, S. 22)

Die Anwendung von Ketten gegenüber psychisch beeinträchtigten Personen sei unabhängig des Geschlechts sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten verbreitet, so der WHO-Bericht weiters. In vielen Einrichtung zur psychischen Gesundheitsversorgung werde die Praxis als lokal akzeptierte medizinische Behandlung angewendet. Die Anwendung von Ketten werde als alternative Medizin angesehen. Die betroffenen Personen seien gewöhnlicherweise nicht nur während einer “akuten Krise” angekettet, sondern lebenslang. Die GRT sei auf PatientInnen getroffen, die ununterbrochen seit acht Jahren in Ketten gelegen seien oder zusammengerechnet 13 Jahre ihres Lebens:

The containment with chains of mentally challenged people is prevalent in both urban and rural areas and is widespread regardless of gender. This is also used as a locally accepted medical treatment in many mental health facilities. GRT intervention in the last decade reveals that 90% of the treated patients were subjected at least once in their lifetime to chaining. Chaining patients is seen as an alternative medication, with not only leaving the patients stigmatised but also causing physical injuries on their hands and legs. Some of the chained patients end up committing suicide. It should be noticed that the person is usually chained not only during the ‘acute crisis’ but throughout his/her life. The GRT encountered patients who have been chained for up to 8 consecutive years or even a total of 13 years in different times of their lives. ” (WHO, 2010, S. 22)

Psychisch beeinträchtigte Personen seien Angaben im WHO-Bericht zufolge von Menschenrechtsverletzungen wie Internierung betroffen, die sowohl auf Ansuchen der Familie als auch der lokalen Behörden hinsichtlich obdachloser Personen erfolge. Der für das regionale Gefängnis in Merka verantwortliche Beamte habe gegenüber MitarbeiterInnen von GRT erklärt, warum psychisch gestörte Personen im Gefängnis festgehalten würden. Laut dem Beamten würde die Polizei Personen, die als “verrückt” eingestuft würden, auf Anfrage der überforderten Familie festhalten, oder die Polizei würde sie inhaftieren, weil diese „Unruhe stiften“ und Probleme in der Gemeinde verursachen würden. Laut Angaben des Beamten dauere die Inhaftierung nicht weniger als sechs Monate, könne jedoch auch zwei Jahre andauern, wie im Falle des „letzten Verrückten“, der wegen Sicherheits- und Drogenproblemen (Haschisch) aufgegriffen worden sei:

Another form of Human Rights violation experienced by the mentally challenged is the practice of imprisonment, both at the request of the family and by the local authorities for homeless people. The officer responsible for the regional jail of Merka once explained to GRT staff why mentally disturbed people are kept in prison: ’(…) there are two ways a person considered mad is captured:

the family asks the police to keep them because they are not able to manage the situation at home;

the police directly puts them in jail because they are ‘troublemaking’, so that they create problems to the community (disturbing, security)’. Usually the detention ‘doesn’t last for less than 6 months, but it can last even for two years, as it has happened to the last madmen we captured because of security and drug problems (hashish)’.” (WHO, 2010, S. 23)

Diskriminierung in Somaliland

Die Bedingungen in den öffentlichen und privaten Einrichtungen in Somaliland seien einem Artikel von The Guardian vom Jänner 2016 zufolge schlecht. Mehrere PatientInnen würden in einem Raum schlafen. Einige Räume seien sehr unhygienisch und Aktivitäten würden praktisch nicht existieren. In der Abteilung im Krankenhaus in Hargeisa würden keine Ketten angewendet, jedoch würden die PatientInnen im Großteil der anderen Einrichtungen in Ketten gelegt. Der Zugang zu Medikamenten sei eingeschränkt und die Diagnosen oft unklar. Es gebe keine Versorgungssysteme auf Gemeindeebene, obwohl sich einige Familien für eine Behandlung an traditionelle HeilerInnen wenden würden. Laut Angaben eines somaliländischen Psychiaters seien psychisch kranke PatientInnen in Somaliland innerhalb der Gemeinde von sehr negativen Einstellungen betroffen und würden stigmatisiert und erniedrigt. Kinder würden Steine auf sie werfen und sie beleidigen. Die Familien würden die Verwandten in verschiedene Einrichtungen bringen, monatliche Zahlungen leisten und die PatientInnen würden dort solange behalten, wie die Familie es wünsche. Private Einrichtungen würden damit „gutes Geld“ verdienen, daher seien in den vergangenen Jahren viele dieser Einrichtungen entstanden. Laut Angaben des Psychiaters nehme die Gesellschaft in Somaliland an, dass psychische Erkrankungen nicht heilbar seien und sich der Zustand der PatientInnen nicht bessern könne. Daher würden die Menschen zuhause und innerhalb der weiteren Gemeinde ihre Freiheit verlieren. Sie würden misshandelt und schwer leiden:

 „Conditions in both the public and private facilities are often poor. Patients sleep several to a room – some of which are highly unsanitary – and activities are nearly non-existent.

While the mental health ward in the Hargeisa group hospital is chain-free, patients are chained in most other facilities. Access to drugs is limited and diagnoses are often unclear. Community-based care systems are absent, although some families turn to traditional Islamic healers to try to cure patients. ‘Within the community, mentally ill patients in Somaliland face very negative attitudes,’ says Hersi. ‘They are stigmatised, they are humiliated. Children throw stones at them, as well as insults. ‘Family caretakers take relatives to various asylums, pay monthly fees and patients are kept there as long as the family wants. Private centres make good money out of this and that is why so many have emerged in recent years,’ he says. […]

 ’There is a belief that mental illness is not curable, that patients won’t get better,’ says Hersi. ‘So they lose their freedom – at home and within the wider community, they are abused, they really suffer greatly.’” (The Guardian, 22. Jänner 2016)

Im Oktober 2015 veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen detaillierten Bericht zur Lage von Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen in Somaliland:

·      HRW - Human Rights Watch: “Chained Like Prisoners” Abuses Against People with Psychosocial Disabilities in Somaliland, 25. Oktober 2015
https://www.hrw.org/sites/default/files/report_pdf/somaliland1015_forupload_0.pdf

 

Weitere allgemeine Informationen zum psychischen Gesundheitssystem entnehmen Sie bitte auch folgenden Dokumenten:

·      Abbasi, Yasir et al: Mogadishu calling: mental health awareness in Somalia via an innovative, live video-based mental health teaching programme established between Liverpool and Mogadishu, Mai 2019
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6520532/

Princeton Public Health Review: An Overlooked Consequence of Civil War: Mental Illness in Somalia, 24. August 2017
https://pphr.princeton.edu/2017/08/24/an-overlooked-consequence-of-civil-war-mental-illness-in-somalia-and-the-somali-diaspora/

·      Syed Sheriff, Rebecca J.: Mental health in Somalia, November 2011
https://www.researchgate.net/publication/322374478_Mental_health_in_Somalia/fulltext/5a56e376a6fdcc30f86d67a1/Mental-health-in-Somalia.pdf

·      WHO – World Health Organization: Somalia; Mental health, ohne Datum
http://www.emro.who.int/som/programmes/mental-health.html

 

Daten zum psychischen Gesundheitssystem (die in einigen Dokumenten allerdings für mehrere Indikatoren nicht vorhanden sind) finden sich in folgenden Dokumenten der Weltgesundheitsorganisation:

·      WHO – World Health Organization: Mental Health Atlas 2017 Member State Profile; Somalia, 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2002839/SOM.pdf

·      WHO – World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2014 - Somalia, 2014
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles-2014/som.pdf?ua=1

·      WHO – World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2011 - Somalia, 2011
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles/som_mh_profile.pdf

·      WHO – World Health Organization: WHO-AIMS Report on Mental Health System in Mogadishu and South/Central Somalia, 2009
https://www.ecoi.net/en/file/local/1123217/1788_1308391740_mogadishu-south-central-somalia-who-aims-report.pdf

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 30. April 2020)

·      Abbasi, Yasir et al: Mogadishu calling: mental health awareness in Somalia via an innovative, live video-based mental health teaching programme established between Liverpool and Mogadishu, Mai 2019
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6520532/

·      BBC News: Where hyenas are used to treat mental illness, 17. Oktober 2013
https://www.bbc.com/news/magazine-24539989

·      Borgen Magazine: Addressing Effects of Mental Health in Somalia, 14. Dezember 2018
https://www.borgenmagazine.com/addressing-effects-of-mental-health-in-somalia/

·      Fatumo, Abdi Abdillahi et al: Mental Health in Somaliland: a critical situation, Februar 2020
https://www.cambridge.org/core/journals/bjpsych-international/article/mental-health-in-somaliland-a-critical-situation/A7522141E3EC79E2ACBCC6DD43843813/core-reader

·      Finn Church Aid: ”A person either is or is not insane” – in Somalia, there are no words for mental health care, 28. August 2019
https://www.kirkonulkomaanapu.fi/en/latest-news/articles/person-either-is-or-is-not-insane-in-somalia-there-are-no-words-for-mental-health-care/

·      HRW - Human Rights Watch: “Chained Like Prisoners” Abuses Against People with Psychosocial Disabilities in Somaliland, 25. Oktober 2015
https://www.hrw.org/sites/default/files/report_pdf/somaliland1015_forupload_0.pdf

·      Johnsdotter, S. et al: Koran reading and negotiation with jinn: strategies to deal with mental ill health among Swedish Somalis, 2011
https://www.researchgate.net/profile/Sara_Johnsdotter/publication/233108116_Koran_reading_and_negotiation_with_jinn_Strategies_to_deal_with_mental_ill_health_among_Swedish_Somalis/links/0deec52402385f2c38000000/Koran-reading-and-negotiation-with-jinn-Strategies-to-deal-with-mental-ill-health-among-Swedish-Somalis.pdf

·      Princeton Public Health Review: An Overlooked Consequence of Civil War: Mental Illness in Somalia, 24. August 2017
https://pphr.princeton.edu/2017/08/24/an-overlooked-consequence-of-civil-war-mental-illness-in-somalia-and-the-somali-diaspora/

·      Syed Sheriff, Rebecca J.: Mental health in Somalia, November 2011
https://www.researchgate.net/publication/322374478_Mental_health_in_Somalia/fulltext/5a56e376a6fdcc30f86d67a1/Mental-health-in-Somalia.pdf

·      The Guardian: Somali capital struggles to provide mental healthcare, 5. April 2012
https://www.theguardian.com/global-development/2012/apr/05/fighting-mental-health-somalia

·      The Guardian: Somaliland faces ‘explosion’ of mental health conditions, 22. Jänner 2016
https://www.theguardian.com/global-development/2016/jan/22/somaliland-explosion-mental-health-conditions

·      TNH – The New Humanitarian (ehemals: IRIN News): Inside Somalia’s mental health emergency, 26. Juni 2019
http://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2019/06/26/somalia-mental-health-emergency

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Culture, context and mental health of Somali refugees; A primer for staff working in mental health and psychosocial support programmes, 2016
https://data2.unhcr.org/en/documents/download/52624

·      UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia: Dr. Habeeb: Raising the standard for mental health care in Somalia, 7. April 2018
https://unsom.unmissions.org/dr-habeeb-raising-standard-mental-health-care-somalia

·      USDOS – US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, 11. März 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2026344.html

·      VOA – Voice of America: Somali Therapist Sees Mental Health as Key to Rebuilding the Country, 5. März 2020
https://www.voanews.com/africa/somali-therapist-sees-mental-health-key-rebuilding-country

·      WHO – World Health Organization: Somalia; Mental health, ohne Datum
http://www.emro.who.int/som/programmes/mental-health.html

·      WHO – World Health Organization: WHO-AIMS Report on Mental Health System in Mogadishu and South/Central Somalia, 2009
https://www.ecoi.net/en/file/local/1123217/1788_1308391740_mogadishu-south-central-somalia-who-aims-report.pdf

·      WHO – World Health Organisation: A Situation Analysis Of Mental Health In Somalia, 2010
http://applications.emro.who.int/dsaf/EMROPUB_2010_EN_736.pdf?ua=1

·      WHO – World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2011 - Somalia, 2011
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles/som_mh_profile.pdf

·      WHO – World Health Organization: WHO Mental Health Atlas 2014 - Somalia, 2014
http://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles-2014/som.pdf?ua=1

·      WHO – World Health Organization: Mental Health Atlas 2017 Member State Profile; Somalia, 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2002839/SOM.pdf