Anfragebeantwortung zu Pakistan: Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen [a-11252]

30. April 2020

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Allgemeiner Überblick: psychiatrische Versorgung in Pakistan, gesellschaftliche Wahrnehmung und Deutungsmuster von psychischen Erkrankungen

Ein Artikel von BBC News vom September 2016 berichtet unter Bezugnahme auf Schätzungen der Non-Profit-Organisation Pakistan Association for Mental Health, dass über 15 Millionen PakistanerInnen an einer psychischen Krankheit leiden würden. Der Artikel fährt fort, dass in dem Land mit circa 180 Millionen EinwohnerInnen nur fünf von der Regierung betriebene psychiatrische Spitäler zur Verfügung stünden und weniger als 300 qualifizierte PsychiaterInnen praktizieren würden.

„More than 15 million people in Pakistan suffer from some form of mental illness, according to the latest estimate by the Pakistan Mental Health Association. But there are only five government-run psychiatric hospitals for a population of 180 million. And there are fewer than 300 qualified psychiatrists practising in Pakistan.“ (BBC News, 29. September 2016)

Die englischsprachige pakistanische Tageszeitung Dawn zitiert in einem bereits 2014 erschienenen Artikel zum Thema Vernachlässigung psychisch Erkrankter Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und geht davon aus, dass zehn bis 16 Prozent der Bevölkerung Pakistans von psychischen Erkrankungen betroffen seien, die große Mehrheit davon Frauen. Es gebe nur 400 PsychiaterInnen und fünf psychiatrische Spitäler, was ein alarmierendes Verhältnis von einem oder einer PsychiaterIn pro 500.000 EinwohnerInnen ergebe:

„The most shamefully neglected health field in Pakistan, mental illness afflicts 10 – 16 per cent of the population; with a large majority of those affected being women. According to the WHO, only 400 psychiatrists and 5 psychiatric hospitals exist within the entire country for a population exceeding 180 million. This roughly translates to an alarming psychiatrist-to-person ratio of 1 to half a million people.“ (Dawn, 20. September 2014)

Detaillierte Informationen zur Situation des pakistanischen Gesundheitssystems im Hinblick auf psychische Erkrankungen finden sich in einem bereits 2009 von der WHO und dem pakistanischen Gesundheitsministerium herausgegebenen Bericht:

·      WHO – World Health Organisation, Ministry of Health Pakistan: WHO-AIMS Report on Mental Health System in Pakistan, 2009
https://www.who.int/mental_health/pakistan_who_aims_report.pdf

 

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) veröffentlichte am 17. Juni 2018 eine Schnellrecherche zum Thema Zugang zu psychiatrischer Versorgung in Pakistan:

SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Pakistan: Zugang zu psychiatrischer Versorgung, 27. Juni 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2018164/180627-pak-soins-psychiatriques-d.pdf

 

In einem Beitrag des Routledge Handbook of Psychiatry in Asia zu Pakistan, das 2016 herausgegeben wurde, beruft sich der Autor Rizwan Taj auf eine Quelle aus dem Jahr 2004 und beschreibt, dass in der pakistanischen Gesellschaft, verstärkt durch den Glauben traditioneller Wunderheiler („faith healers“), weithin angenommen werde, dass psychische Erkrankungen durch übernatürliche Kräfte wie Inbesitznahme durch Geister oder durch eine Prüfung Gottes verursacht würden. Familien von Betroffenen würden normalerweise als erstes religiöse Heiler aufsuchen. PakistanerInnen würden großes Vertrauen in religiöse Heiler und die von ihnen verwendeten koranischen Texte haben, was die Heiler in eine mächtige Position bringen würde, den Menschen bei der Lösung ihrer psychologischen Probleme zu helfen. Die traditionellen Heiler würden Talismane verwenden und sie den Familien der PatientInnen geben. Der Autor berichtet von einer Studie aus dem Jahr 2000, die ergeben habe, dass Heiler („faith healers“) eine Klassifizierung verwenden würden, die auf der Unterscheidung nach den unterschiedlichen mystischen Ursachen einer Störung basiere, wie etwa die Verursachung der Störung durch einen bösen Fluch („saya“), durch die Besessenheit von einem bösen Geist („jinn“) oder einer Hexe („churail“):

„It is widely perceived by members of the community, reinforced by the beliefs of traditional faith healers, that mental illness is caused by supernatural forces such as spirit possession or testing by God [...]. Religious healers are usually the first group of practitioners sought out by families of the mentally ill. Pakistani people have strong faith in religious healers and the Quranic texts used by them, which places these healers in a powerful position to help people solve their psychosocial problems. The traditional healers use talismans and give them to the families of the patients. [...] In a study that investigated mental disorders among attenders at faith healers, it was found that the classification used by faith healers was based on the mystic cause of disorders: saya (27 per cent), jinn possession (16 per cent) or churail possession (14 per cent). Jinn or churail are considered supernatural creatures.“ (Taj, 2016, S. 113)

The News on Sunday ist ein wöchentlich erscheinendes Magazin der englischsprachigen pakistanischen Tageszeitung The News International. The News on Sunday veröffentlichte am 16. Februar 2020 einen Artikel zum Thema Mythen über psychische Gesundheit, in dem es heißt, dass psychische Erkrankungen oft mit übernatürlichen Kräften wie Hexerei, Besessenheit und schwarzer Magie assoziiert würden. Es gebe viele Mythen über psychisch Erkrankte. So würden etwa Menschen mit Psychosen gemieden, weil sie für gewalttätig gehalten würden. Es werde auch geglaubt, dass psychische Störungen ansteckend seien, in dem Sinn, dass der im Patienten befindliche böse Geist auch mit diesem interagierende Personen plagen könne. Viele Menschen würden das Gefühl haben, dass Schreine die beste Chance auf Genesung von einer solchen Erkrankung bieten würden. Nachdem ein funktionierendes formelles Gesundheitswesen fehle, würden traditionelle spirituelle Heiler in Pakistan das Sagen haben. Gemeinhin bekannt als Baba, Pir oder Sufi, seien die spirituellen Heiler in der Gemeinschaft sehr angesehen. Sie würden in ihren Residenzen, Kliniken, Schreinen oder Moscheen praktizieren und psychische Erkrankungen mit Besessenheit von bösen Geistern oder von Feinden ausgehende magische Einflüssen erklären:

„Mental illness is often associated with supernatural forces such as witchcraft, possession, and black magic. [...] There are many myths regarding the mentally ill. People who have psychosis are shunned as violent. Secondly, it is believed that mental disorders are communicable, that is, the evil spirit of the patient can afflict the persons interacting with the patient. Thirdly, many people feel that shrines offer the best chance of recovery from the affliction. [...] In the absence of a formal functioning health system that is adequate for the needs of the population, traditional spiritual healers call the shots in Pakistan. Popularly known as baba, pir, or Sufi, the spiritual healers are well respected in the community. They practice at their residences, clinics, shrines or mosques and explain mental illness in terms of possession by an evil spirit, or by magical influences cast by enemies.“ (The News on Sunday, 16. Februar 2020)

Stigmatisierung durch die Gesellschaft, schädigende Praktiken, Wunderheiler, religiöse Aspekte

Der oben erwähnte BBC Artikel vom September 2016 berichtet, dass in konservativen Regionen oft schon dem bloßen Sprechen über psychische Erkrankungen ein soziales Stigma anhafte und psychische Erkrankungen als Charakterschwäche abgetan würden. Der Artikel zitiert einen Psychiater eines Privatspitals in Lahore, der beschreibt, dass die pakistanische Gesellschaft versuchen würde, Personen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, herabzuwürdigen, indem Betroffene entfremdet („alienated“) oder lächerlich gemacht würden. Der Psychiater erklärt weiter, dass auch die, die es sich leisten könnten, Hilfe zu suchen, Angst haben würden zuzugeben, dass sie leiden würden. Für entmachtete Arme gebe es keine Hoffnung außer auf Heilige und Aberglauben zurückzugreifen:

„In conservative areas, there is often a social stigma attached to even talking about mental illness and it is dismissed as a ‚weakness of character’. [...] Dr Usman Rasheed is the director of Fountain House, a private mental health hospital, based in Lahore. [...] ‚Our society tries to degrade anyone who is suffering from this, by alienating or ridiculing them,’ he said. ‚Even those who can afford to seek help are afraid to admit that they are suffering. What hope is there for the disempowered poor but to resort to saints and superstition?’“ (BBC News, 29. September 2016)

Der Artikel schildert weiters das Beispiel eines zwanzigjährigen Mannes mit psychischer Erkrankung, der nach der Erzählung seiner Mutter zwei Jahre lang immer wieder fortgelaufen sei und sie ihm immer nachlaufen habe müssen. Er sei durch die Straßen gezogen und die Kinder hätten ihn mit Steinen beworfen, das habe sie nicht mehr mitansehen können. Sie hätten kein Geld gehabt, um Medikamente für seine Behandlung zu bezahlen, als ihnen jemand erzählt habe, dass es nahe der Stadt Burewala, in der Provinz Punjab, einen Baba gebe, zu dem sie ihren Sohn bringen sollten. Dort würde er angekettet werden und wenn es ihm besser ginge, würde Gott die Ketten lösen, sie würden sich von selbst lösen. Die Eltern hätten ihren psychisch kranken Sohn zu diesem alten Schrein im Punjab gebracht, wo er nun [zum Zeitpunkt der Recherche der BBC, Anmerkung ACCORD] an einen alten Baum angekettet sei:

„Ahmad, 20, keeps looking to his mother as if for reassurance, his eyes wide and scared. [...] The chains around his ankle which bind him to an old tree rattle with every movement. The last of her borrowed money has been spent in travelling from her native town of Gujranwala to this ancient Punjabi shrine in the south of the province. ‚For two years, he kept running away and I ran after him until the soles of my feet were bleeding,’ she said. ‚He used to roam the alleys and children would pelt him with stones until I couldn't take it any more.’ [...] ’But then someone told us that there's a baba in Punjab, you people are poor, take your son there, they will bind him with chains and when he gets better, God will undo the chains, they will open by themselves.’ Dozens of desperate families scattered around the courtyard of Sufi saint Haji Sher Baba near the city of Burewala share the same belief.“ (BBC, 29. September 2016)

Der Artikel fährt fort, dass hunderte psychisch Kranke aus verarmten Familien ihr Leben an Bäume gekettet und auf Heilung wartend in diesem Schrein verbringen würden. In einer Gesellschaft, in der eine psychische Erkrankung oft nicht anerkannt und häufig verhöhnt werde, würde der Schrein laut den Familien einen Zufluchtsort bieten. Psychiatrische ExpertInnen würden sagen, dass die meisten Menschen, die zu dem Schrein gebracht würden, an diagnostizierbaren und behandelbaren Krankheiten leiden würden, aber dass die Familien, die hierher kämen kein Geld haben würden, um Zugang zu einer Behandlung zu bekommen, oder es ihnen am dafür nötigen Bewusstsein fehle:

„Hundreds of mentally ill individuals from impoverished families spend every season of their life here, chained to trees and waiting for a cure. In a society where mental illness is often not acknowledged and frequently ridiculed, the families say the shrine offers a sanctuary. Psychiatric experts say that most of the people brought here appear to be suffering from diagnosable and treatable mental conditions. But the people who come here do not have the money or the awareness to access this treatment.“ (BBC, 29. September 2016)

Der Wächter des Schreins würde die Lebensbedingung im Schrein gegen Anschuldigungen, dass sie zu brutal wären, verteidigen, setzt der BBC-Artikel fort. Er wird mit den Worten zitiert, dass die Betroffenen Essen und einen Platz zum Schlafen erhalten würden und man ansonsten für die Verrückten („insane“) nichts tun könne. Der Wächter beteuert, dass er einige wundersame Heilungen mit eigenen Augen gesehen habe, die Ketten würden sich automatisch öffnen, wenn die PatientInnen geheilt seien. Sie müssten aufgrund des Schwurs gegenüber Sufi Baba auf Matten schlafen und auf dem Boden sitzen. Die Zahl der „Patienten“ habe sich in den letzten Jahren verdoppelt:

„Atta Muhammad, who has been the custodian of the shrine for two decades, defends the living conditions of the people against accusations they are too harsh. ‚We give them food and a place to sleep. What else can we provide for the insane?’ He claims to have seen several of the miracle cures with his own eyes. ‚Their chains open automatically when they are cured. It's their vow to Sufi Baba that they must sleep on the mat and sit on the floor.’ He also says the number of ‚patients’ appears to have doubled over the past few years [...]“ (BBC, 29. September 2016)

Im Zeitraum November bis Dezember 2015 führten Nashi Khan et al. eine Studie durch, für die 38 Personen mit der Diagnose einer schweren depressiven Störung in Pakistan untersucht wurden. Die Studie, die Unterschiede aufgrund des sozialen Geschlechts („gender“) im Hinblick auf Diskriminierung und Stigmatisierung bei PatientInnen in Pakistan untersucht, ergab, dass unter den StudienteilnehmerInnen sowohl Männer als auch Frauen in hohem Maße aufgrund ihrer psychischen Erkrankung stigmatisiert und diskriminiert würden. Frauen würden jedoch im Vergleich zu Männern ein signifikant höheres Maß an internalisierter Stigmatisierung erfahren, insbesondere in den Bereichen Diskriminierungserfahrung und sozialer Rückzug:

Both Men and Women experience considerably high level of associated Stigma and Discrimination due to their Mental Illness. However, Women in comparison to Men experience significantly greater level of Internalized Stigma especially in domains of Discrimination Experience and Social Withdrawal.“ (Khan, November – Dezember 2015)

Der bereits oben zitierte Artikel des Wochenmagazins The News on Sunday vom Februar 2020 berichtet, dass Familien psychische Erkrankungen oft verheimlichen würden, um die PatientInnen vor negativer Stereotypisierung zu schützen. Es werde oft berichtet, dass Betroffene als Teil einer Therapie körperlich verletzt würden. Auch Massenmedien würden psychische Erkrankungen stigmatisieren. Verstörende Enthüllungen über spirituelle Heiler in Live-Sendungen würden die Probleme bei der Behandlung von psychischen Störungen übertreiben:

„Families often hide mental illness to prevent the patient from adverse stereotyping. [...] It is frequently reported that patients are physically harmed as part of their treatment. Mass media also stigmatizes mental illness. Disturbing revelations about the spiritual healers in live telecasts exaggerate the problems in the treatment of mental disorders.“ (The News on Sunday, 16. Februar 2020)

Umgang von Institutionen/staatlichen Stellen mit psychisch Erkrankten

 Der englischsprachige Nachrichtensender Al Jazeera America veröffentlichte im Oktober 2015 einen Artikel, der vom problematischen Umgang Pakistans mit psychisch Erkrankten handelt. Darin wird erläutert, dass im Jahr 2001 der bis dahin gültige und noch aus Zeiten der britischen Kolonialherrschaft stammende Lunacy Act des Jahres 1912 durch die Verordnung zur psychischen Gesundheit („The Mental Health Ordinance 2001“, MHO) ersetzt worden sei (Al Jazeera America, 7. Oktober 2015). In einem Bericht der pakistanischen Regierung an den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) vom 31. März 2020 stellt die pakistanische Regierung dar, dass die Verordnung auf bessere Versorgung, Behandlung und Rehabilitation abziele, indem Gemeinden mobilisiert und ermutigt würden. Durch die Verordnung sei die Bundesbehörde für psychische Gesundheit dafür verantwortlich, die Behandlung von Personen mit psychischen Störungen, die Dauer der Festsetzung („detention“) von Personen mit psychischen Störungen zu regeln, Gerichtsverfahren für die Ernennung eines Vormunds der Person vorzusehen und Vorkehrungen zu treffen, damit grundlegende Menschenrechte von Personen mit psychischen Erkrankungen geschützt würden:

‘The Mental Health Ordinance 2001’, repeals the Lunacy Act, 1912 with amendment in the laws relating to the treatment and care of mentally disordered persons. It emphasizes on better care, treatment, and rehabilitation service by mobilizing and encouraging communities. Through this, the federal mental health authority is responsible to regulate treatment of persons with mental disorders, duration of periods of detention of persons with mental disorders, provides for judicial proceedings for appointment of guardian of person, as well as to make provision for protection of basic human rights of persons with mental disorders.” (CRPD, 31. März 2020)

Al Jazeera America bringt in dem bereits erwähnten Artikel vom Oktober 2015 vor, dass die neue Verordnung zwar eine große Verbesserung zum rechtlichen Vorgänger von 1912 darstelle, aber nur schlecht implementiert sei. Außerdem müsse die Verordnung zur psychischen Gesundheit abgeändert werden, um sicherzustellen, dass Behörden die psychische Gesundheit von Angeklagten sowie von bereits Verurteilten untersuchen würden, um damit von der WHO festgelegten internationalen Standards zu genügen:

In order to meet international standards set by the World Health Organization, the MHO will have to make be amended to ensure that authorities will investigate the mental health of those under trial as well as those who have been convicted.“ (Al Jazeera America, 7. Oktober 2015)

Laut einem Onlinebeitrag der international tätigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) vom 29. November 2018 seien in Pakistan viele Personen mit schweren psychischen Erkrankungen zum Tode verurteilt worden. Der Beitrag schildert das Beispiel eines 50-jährigen Gefängnisinsassen, der seit über 17 Jahren inhaftiert sei. Seine Exekution, die für November 2017 angesetzt gewesen war, sei aufgehoben worden, da ein medizinischer Ausschuss festgestellt habe, dass er an chronischer Schizophrenie leide. Der 50-Jährige sei einer von vielen in der Todeszelle sitzenden Gefangenen mit psychosozialen Behinderungen. Im April 2018 habe der Oberste Gerichtshof Pakistans die Todesurteile von zwei weiteren Inhaftierten mit psychosozialen Behinderungen untersucht, wobei der Oberste Richter angemerkt habe, dass er aus Gründen der Vernunft und des Gefühls („sensibility“) nicht glaube, dass eine psychisch kranke Person hingerichtet werden solle. Die beiden betroffenen Personen würden laut HRW weiterhin in der Todeszelle sein. Einer dieser beiden Fälle betreffe eine der wenigen Frauen, die in Pakistan zum Tode verurteilt seien. Laut ihren Anwälten soll sie seit 12 Jahren nicht mehr gesprochen haben und weder essen noch trinken oder auf andere Weise ohne Hilfe für sich selbst sorgen können. Sie sei bereits seit 29 Jahren im Gefängnis:

„This week, a medical board confirmed that Saleem Ahmad, a prisoner on death row for 14 years, has chronic schizophrenia. Ahmad, 50, had been scheduled to be executed in November 2017, but a court suspended his execution and ordered a medical board to assess his mental health. Ahmad – who was convicted of murder – has been in prison for more than 17 years. [...] Ahmad is one of many prisoners with psychosocial disabilities on death row. In April, the Supreme Court of Pakistan reviewed the death sentences of Kaniz Fatima and Imdad Ali, death row convicts with psychosocial disabilities. During the proceedings, the Chief Justice of the Supreme Court remarked: “Neither reason nor sensibility allow me to believe that we can execute a mentally ill or disabled person.” Kaniz Fatima and Imdad Ali remain on death row. Kaniz Fatima is one of the few women on death row in Pakistan. According to her lawyers, she has not spoken for 12 years and is unable to eat, drink, or take care of herself without assistance. She has been in prison for 29 years.“ (HRW, 29. November 2018)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) veröffentlichte am 21. Dezember 2016 einen Bericht zum Missbrauch der Blasphemie-Gesetze. Nachforschungen für diesen Bericht haben laut AI ergeben, dass Personen mit psychischen Behinderungen einem besonderen Risiko ausgesetzt seien, der Blasphemie angeklagt zu werden. Beispielhaft führt der Bericht den Fall eines 14-jährigen, christlichen Mädchens mit Lernschwäche an, das im Jahr 2012 verhaftet und wegen Gotteslästerung angeklagt worden sei, nachdem ein muslimischer Geistlicher behauptet habe, sie habe Seiten des Koran verbrannt. Das Gericht habe den Fall aufgrund fehlender Beweise aufgehoben:

„Research gathered for this report has shown that individuals with mental disabilities are at particular risk of being accused of blasphemy. In one such example, Rimsha Masih, a 14-year-old Christian girl with a learning disability, was arrested and charged with blasphemy in 2012, following allegations by a Muslim cleric that she had burned pages of the Quran. The High Court accepted the petition and quashed the case against her for lack of evidence.“ (AI, 21. Dezember 2016)

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 30. April 2020)

AI – Amnesty International: "As Good as Dead": The Impact of the Blasphemy Laws in Pakistan, 21. Dezember 2016
https://www.ecoi.net/en/file/local/1262829/1226_1482307099_asa3351362016english.pdf

·      Al Jazeera America: Pakistan’s mental health problem, 7. Oktober 2015
http://america.aljazeera.com/opinions/2015/10/pakistans-mental-health-problem.html

BBC News: Why Pakistan's poor seek mental health cure at shrine, 29. September 2016
https://www.bbc.com/news/world-asia-37495538

CRPD – UN Committee on the Rights of Persons with Disabilities, Government of Pakistan (Autor): Initial report submitted by Pakistan under article 35 of the Convention, due in 2013 [18 October 2019] [CRPD/C/PAK/1], 31. März 2020
https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CRPD/Shared Documents/PAK/CRPD_C_PAK_1_6997_E.docx

·      Dawn: Mental illness in Pakistan: The toll of neglect, 20. September 2014
https://www.dawn.com/news/1133196

·      HRW – Human Rights Watch: Pakistan Should Remove People with Mental Disabilities From Death Row, 29. November 2018
https://www.hrw.org/news/2018/11/29/pakistan-should-remove-people-mental-disabilities-death-row

Khan, Nashi, et al: Gender differences among discrimination & stigma experienced by depressive patients in Pakistan. In: Pakistan Journal of Medical Sciences, November - Dezember 2015
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4744295/

SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Pakistan: Zugang zu psychiatrischer Versorgung, 27. Juni 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2018164/180627-pak-soins-psychiatriques-d.pdf

·      Taj, Rizwan: Mental Health in Pakistan. In: Routledge Handbook of Psychiatry in Asia (Hg: Bhugra, Dinesh et.al), 2016, S. 103 – 114 (verfügbar auf Google Books)
https://books.google.at/books?hl=de&lr=&id=VLZmCgAAQBAJ&oi=fnd&pg=PP1&dq=Routledge+Handbook+of+Psychiatry+in+Asia&ots=H2ioD6v7Yn&sig=3dXV6uyJd6TsPNzzLQNqmVkgRBY#v=onepage&q=Routledge%20Handbook%20of%20Psychiatry%20in%20Asia&f=false

The News on Sunday: Dispelling myths about mental health, 16. Februar 2020
https://www.thenews.com.pk/tns/detail/614383-dispelling-myths-about-mental-health

·      WHO – World Health Organisation, Ministry of Health Pakistan: WHO-AIMS Report on Mental Health System in Pakistan, 2009
https://www.who.int/mental_health/pakistan_who_aims_report.pdf