Anfragebeantwortung zu Marokko: Rückkehr für unverheiratete alleinstehende Frauen mit Kindern [a-11154-1]

19. Dezember 2019

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Situation unverheirateter, alleinstehender Frauen mit Kindern

Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schreibt in einem Länderreport zu Marokko (Stand: November 2018), dass ledige Mütter von der marokkanischen Gesellschaft rechtlich verfolgt werden könnten und diskriminiert würden:

„Gemäß Art. 490 des marokkanischen Strafgesetzbuches wird außerehelicher Verkehr zwischen nicht verheirateten Personen strafbar. Somit können alle ledigen schwangeren Frauen strafrechtlich verfolgt werden. Trotz der neuen Gesetze die Frauen schützen und ihnen mehr Gleichberechtigung garantieren sollen, werden ledige Mütter von der Gesellschaft diskriminiert, da diese nach traditionellen Familienbildern lebt. […] Nichtregierungsorganisationen wie ‚Frauensolidarität‘ oder das Selbsthilfeprojekt ‚Amal‘ unterstützen ledige Mütter juristisch, geben ihnen Wohnungen und bieten ihnen Ausbildungen an, z.B. als Köchin.“ (BAMF, November 2018, S. 3-4)

Der deutsche Auslandsrundfunksender Deutsche Welle berichtet in einem Artikel über alleinstehende Mütter vom 18. September 2018, dass diese in einer prekären Lage seien. Geschiedene und alleinstehende Frauen müssten ohne Unterstützung einer Familie auskommen und seien von Diskriminierung betroffen. Bis in die 1980er Jahre sei dieses Thema in Marokko ein komplettes Tabu gewesen. Mittlerweile habe sich einiges geändert, es gebe Medienberichte und Nichtregierungsorganisationen, die ihre Unterstützung anbieten würden. Trotzdem müssten diese Frauen mit Vorurteilen kämpfen und seien von der Gesellschaft ausgeschlossen. Auch heutzutage würden sie manchmal von ihren Familien verstoßen und mittellos zurückgelassen:

„[…] single women […] have a particularly precarious position in Moroccan society. Not only do they have to get by without the support of a family; divorced and single mothers also face discrimination. Until the 1980s the subject was completely taboo in Morocco. Meanwhile, things have changed, with reports appearing in the media and non-governmental organisations offering to help. But the women still have to deal with prejudice and being excluded from society. Even today they are sometimes abandoned by their families and left completely destitute.” (DW, 18. September 2018)

In einem Bericht zu Gewalt gegen Frauen vom März 2018 beruft sich EuroMed Rights (EMHRN), ein Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen mit dem Ziel, Menschenrechte und demokratische Reformen in Europa und dem Mittelmeerraum zu stärken, auf einen Bericht vom Juli 2016 des Observatoire National de la Violence à l'Égard des Femmes (ONVEF), das 2014 im marokkanischen Ministerium für Soziale Entwicklung, Familien und Solidarität eingerichtet wurde. Demnach seien unverheiratete Frauen in der marokkanischen Gesellschaft stigmatisiert und es bestehe für sie ein erhöhtes Risiko, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Da die Arbeitslosigkeit unter Frauen hoch sei, und die Zahl der Frauen mit Bildungsabschluss, die in den Arbeitsmarkt eintreten würden, sinke, seien sie außerdem anfälliger für Armut:

„Unmarried women are stigmatised in Moroccan society and run a higher risk of suffering sexual violence according to the ONVEF’s report. They are more vulnerable to poverty, given that unemployment is high among women and the number of female graduates entering employment is in decline.” (EMHRN, März 2018, S. 4-5)

Der oben von EMHRN erwähnte Bericht von ONVEF aus dem Jahr 2016 konnte nicht gefunden werden.

Die französische Tageszeitung L’humanité veröffentlicht am 5. April 2017 einen Artikel über alleinstehende Mütter in Marokko unter dem Titel „Marokko. Die soziale Verdammnis alleinerziehender Mütter“ (im französischen Original: Maroc. La damnation sociale des mères célibataires). Geschildert wird eine soziale Organisation mit dem Namen Solidarité féminine, die alleinerziehende Mütter aufnehme, die von ihren Familien rausgeworfen worden seien. Die Organisation sei ein wertvoller Zufluchtsort für diese jungen Frauen, die als ‚schuldig‘ bezeichnet und als Geächtete betrachtet würden:

„L’association Solidarité féminine accueille, à Casablanca, les mères célibataires jetées à la rue par leur famille. Un refuge précieux pour ces jeunes femmes désignées comme « coupables » et considérées comme des parias.” (L’Humanité, 5. April 2017)

Der Artikel von L’Humanité berichtet weiter, dass die Sexualität außerhalb der Ehe ein absolutes Tabu in der patriarchalen und von religiösen Normen geprägten marokkanischen Gesellschaft sei und die Gesellschaft sich gegenüber unverheirateten Müttern mit unerbittlicher Grausamkeit (französisch: implacable cruauté) verhalte. Unter anderem wird in dem Artikel eine junge Frau zitiert, deren älterer Bruder habe gedroht sie umzubringen, wenn sie nicht aus der Nachbarschaft der Familie verschwinde.

 

Der soziale Abstieg sei für manche so grausam, dass sie Gewalt gegen sich oder ihre Kinder anwendeten und Fälle von Kindesaussetzung, Selbstmord und Kindesmord keine Seltenheit seien:

„Pour certaines, cette relégation est si douloureuse qu’elles retournent la violence contre elles-mêmes ou contre leurs enfants. Les cas d’abandon, de suicide et d’infanticide ne sont pas rares.” (L’Humanité, 5. April 2017)

Ältere Informationen zu dieser Fragestellung finden sich in folgendem Bericht des schweizerischen Staatssekretariats für Migration vom Dezember 2015:

·      SEM – Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (ehemals: Bundesamt für Migration): Focus Marokko; Frauen in der marokkanischen Gesellschaft Teil 2: Situation lediger Mütter, 24. Dezember 2015
https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/mar/MAR-frauen-muetter-d.pdf

Situation unehelicher Kinder

Laut dem Social Institutions and Gender Index (SIGI) 2019 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für Marokko, könnten unverheiratete Frauen zwar ihre Staatsangehörigkeit laut Gesetz an ihre Kinder übertragen, allerdings seien die Rechte des Kindes eingeschränkt, selbst wenn die Vaterschaft anerkannt würde. Nach Artikel 149 des Familienkodex besitze Adoption keine Rechtswirkung und resultiere in keiner Weise in gesetzmäßiger Abstammung. Diese Klausel hat eine spezifische Auswirkung auf die Kinder unverheirateter Frauen, die als solche auf den Geburtsurkunden der Kinder genannt würden, weshalb die Kinder für staatliche Unterstützung nicht berechtigt seien:

„An unmarried woman can confer her citizenship to her children (Nationality Code, Art. 6). However, the rights of the child are limited, even if paternity is recognised. Article 149 of the Family Code states that ‘adoption has no legal value and does not result in any of the effects of legitimate filiation.’ This clause has a specific effect on children born to single mothers, categorized as such on their birth certificates, and making them ineligible for state assistance.” (OECD, Dezember 2018, Punkt 4)

Das deutsche BAMF beschreibt im oben genannten Länderreport, dass uneheliche Kinder unter Umständen nicht registriert würden. Weist die Geburtsurkunde den Eintrag auf, dass die Mutter ledig sei, würden die Kinder ihr Leben lang benachteiligt:

„Obwohl inzwischen die Staatsangehörigkeit beider Elternteile an die Kinder weitergegeben werden können, kommt es in ländlichen Gebieten oder bei Müttern mit geringerem Bildungsstand, wegen fehlender Kenntnis der Rechtslage dazu, dass uneheliche Kinder bei der Geburt nicht registriert werden. Wird das Kind registriert, wird auf der Geburtsurkunde vermerkt, dass die Mutter ledig war. Die Kinder lediger Mütter werden ihr Leben lang benachteiligt, in der Schule, Ausbildung, Studium oder Anstellung.“ (BAMF, November 2018, S. 4)

Auch das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) berichtet in seinem Bericht zur Menschenrechtslage vom März 2019 (Berichtszeitraum: 2018), dass obwohl es gesetzlich vorgeschrieben sei, dass alle Kinder, unabhängig vom Familienstand, einen Personenstand haben, es trotzdem Fälle gebe, in denen die Behörden den Kindern Identitätsdokumente verweigert hätten, weil ihre Eltern nicht verheiratet gewesen seien. Dies betreffe besonders ländliche Gegenden oder Fälle von schlecht ausgebildeten Müttern, die sich ihrer Rechte nicht bewusst seien:

„Birth Registration: The law permits both parents to pass nationality to their children. The law establishes that all children have civil status regardless of their family status. There were, nonetheless, cases in which authorities denied identification papers to children because they were born to unmarried parents, particularly in rural areas or in the cases of poorly educated mothers unaware of their legal rights.“ (USDOS, 13. März 2019, Section 6)

Rückkehr

Laut dem Länderinformationsblatt Marokko 2019 der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es in Marokko derzeit keine speziellen nationalen Reintegrations-programme. Gibt es in der jeweiligen Rückkehrregion eine IOM Mission, bietet diese Informationen und Beratungsleistungen an. (IOM, 2019, S. 16)

Auf S. 20 des Länderinformationsblatts, unter der Überschrift Kontaktinformationen und nützliche Links,, sind Kontaktdaten von NGOs, die sich für Frauen und Kinder einsetzen, angegeben:

·      IOM – International Organization for Migration (Author), published by ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung: Länderinformationsblatt Marokko 2019, 2019
https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Morocco_DE.pdf

 

 

 
 

 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 19. Dezember 2019)

·      BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland): Länderreport 2 – Marokko, November 2018
https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_2_Marokko_Nov-2018.pdf

·      DW - Deutsche Welle: The single mothers of Marrakesh, 18. September 2018
https://blogs.dw.com/womentalkonline/2018/09/18/latest-on-the-page-42/

·      EMHRN – EuroMed Rights (ehemals: Euro-Mediterranean Human Rights Network, EMHRN): Situation report on violence against women, März 2018
https://euromedrights.org/wp-content/uploads/2018/03/Factsheet-VAW-Morocco-EN-Mar-2018.pdf

·      IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung: Länderinformationsblatt Marokko 2019, 2019

https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Morocco_DE.pdf

·      L’Humanité: Maroc. La damnation sociale des mères célibataires, 5. April 2017
https://www.humanite.fr/maroc-la-damnation-sociale-des-meres-celibataires-634301

·      OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development: SIGI - Social Institutions & Gender Index 2019 - Morocco, Dezember 2018
https://www.genderindex.org/wp-content/uploads/files/datasheets/2019/MA.pdf

·      SEM – Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (ehemals: Bundesamt für Migration): Focus Marokko; Frauen in der marokkanischen Gesellschaft Teil 2: Situation lediger Mütter, 24. Dezember 2015
https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/mar/MAR-frauen-muetter-d.pdf

·      USDOS – US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2018 - Morocco, 13. März 2019
https://www.ecoi.net/de/dokument/2004244.html