Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke) [a-10976-1]

25. April 2019

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Dr. John Campbell, ein Nigeria-Experte der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR), hält in einer telefonischen Auskunft fest, dass Juju ein Ausdruck für verschiedene Kultpraktiken sei, die in Teilen Nigerias in einer Sphäre von Religion, Kriminalität und Politik praktiziert würden. Da Juju hauptsächlich im Verborgenen ausgeübt werde und es unterschiedliche lokale Praktiken gebe, lägen zu Juju-Kulten nur wenige Informationen vor, und diese wiederum würden sich häufig voneinander unterscheiden.

Juju könne nicht als Netzwerk oder als kohäsive Gemeinschaft bezeichnet werden. Juju-Praktizierende würden zwar in Kontakt miteinander stehen und sich austauschen. Dies als Netzwerk zu bezeichnen, würde jedoch zu weit gehen, da dies die Existenz einer formalen Organisation voraussetze:

Juju is an expression for various cult practices exercised in parts of Nigeria in a mixed sphere of religion, crime and politics. As juju mainly remains in the dark and the specific practices differ on a local level, there is not much information available about juju cults that often vary.

Juju cannot be referred to as a network or as a cohesive community. Juju practitioners are indeed in contact with each other and exchange themselves, however, calling this a network would go too far, as this would imply the existence of a formal organisation.” (Campbell, 19. April 2019)

Im Folgenden finden sich allgemeine Informationen zum Thema Juju-Kult, Informationen zu sogenannten Studentenkults, zu Gewalt in Zusammenhang mit Kulten, zu Menschenschmuggel unter Verwendung von Juju, sowie zum Umgang mit Personen, denen Hexerei vorgeworfen wird.

 

Laut einem Bericht von Anthony W. Dunkerley vom Institute of Criminal Justice Studies an der University of Portsmouth vom Juli 2017, der auf unterschiedliche Quellen verweist, könne der Begriff „Juju“ nicht einfach definiert werden. Der Großteil der NigerianerInnen akzeptiere, dass Juju in einer Unzahl von Formen auftrete. Im Konzept Juju gebe es zwei Welten, die sichtbare und die unsichtbare, oder die reale und die spirituelle Welt. Es würde angenommen, dass Gottheiten und Geister als Vermittler zwischen der Menschheit und einem aus sich selbst existierenden Wesen oder Gott vermitteln würden. Mittels Prophezeiungen und Opfern seitens Medizinmänner würden Objekte, Wörter und Gesten mit der Macht dieser Geister erfüllt, um jenen, die Hilfe suchen würden, ihre Wünsche zu erfüllen. Sobald diese Gegenstände mit spiritueller Macht erfüllt seien, könnten sie verwendet werden, um Wohlstand zu bringen oder eine sichere Reise zu gewährleisten und um vor Feinden zu schützen oder diesen Schaden zuzufügen:

„The term juju is not easily defined, with most Nigerians accepting that it may come in a myriad of forms. Ellis and Ter Haar (2004, p. 54) explain that there are effectively two worlds, the visible and the invisible, or the real and the spiritual. Divinities and spirits are believed to act as intermediaries between mankind and a self-existent being, or God (Abioje, 2013, p. 46). Through divination and sacrifice at the hands of medicine men; objects, words and gestures are imbued with the power of these spirits to bring about the desires of those who seek their assistance (Cherti et al., 2013, p. 42). Once infused with spiritual power, these items can be used to bring wealth or ensure a safe journey, and more interestingly to protect from, or do harm to their enemies (Adams & Dzokoto, 2005, p. 53).” (Dunkerley, 3. Juli 2017, S. 85)

Auf Legit.ng, einer Onlineplattform mit Sitz in Nigeria, auf der Informationen und Nachrichten zu unterschiedlichen Themen mit Fokus Nigeria veröffentlicht werden, findet sich ein Artikel aus dem Jahr 2017, der das Thema schwarze Magie behandelt. Gemäß dem Artikel gebe es in den unterschiedlichen Regionen Nigerias viele unterschiedliche Begriffe, die für Hexerei stehen würden. Alle afrikanischen Hexer bzw. Hexen hätten eines gemeinsam, nämlich, dass die Menschen diese fürchten und respektieren würden. Das Thema Hexerei sei so präsent in der Gesellschaft, dass es sogar Paragraphen im nigerianischen Strafgesetzbuch gebe, die Strafen für Hexerei, den Besitz oder das Aufbewahren von „Juju-Gegenständen“ vorsehen würden, welche „eine Person dazu bringen könnten, etwas Illegales zu tun oder sie davon abhalten könnte, etwas zu tun, wozu sie berechtigt sei".

Juju bedeute Magie, Hexerei oder Zauberei und habe seinen Ursprung in den alten traditionellen Religionen und Überzeugungen. Juju habe seine Wurzeln im französischen Wort „joujou" [auf Deutsch: „mit etwas spielen“, Anmerkung ACCORD] und werde verwendet, um Objekten übernatürliche Kräfte zu verleihen. Ein Juju-Objekt könne alles sein, angefangen von einer Vogelfeder bis hin zum getrockneten Kopf eines Menschen. Einer der Stammesführer, der Juju praktiziere, behaupte, dass jeder Mensch magische Fähigkeiten besitze und, dass MagierInnen gewöhnliche Menschen seien, die diese Fähigkeiten weiterentwickelt hätten.

Zauberer hätten eine regelrechte Jagd auf Albinos ausgelöst, weil sie glauben würden, dass aus Körperteilen von Albinos angefertigte Glücksbringer eine große magische Kraft besäßen. Der Artikel hält fest, dass nicht nur Albino-Kinder in Afrika in Gefahr seien und erwähnt einen Fall, in dem ein nigerianischer Zauberer einen kleinen Buben entführt habe, um seine Organe für magische Rituale zu verwenden. Das Kind sei jedoch gerettet und der Zauberer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden:

There are many names of witchcraft in different regions of Nigeria, but all African wizards have one thing in common – people fear and respect them. Even the Nigerian criminal code contains articles providing the punishment for the witchcraft, the possession, and storage of ‘JuJu’ items that can ‘make a person do anything illegal or encourage him not to commit acts for which he is entitled.’ […]

JuJu means magic, witchcraft, or sorcery and has its origins in the old traditional religions and beliefs. JuJu has its roots in the French word ‘joujou’ and it is used to give supernatural powers to some object. The object of JuJu can be anything you want, from a bird’s feather to a human’s dried head. One of the tribe leaders that practices JuJu claims that each of us has the ability for magic and the magicians are the ordinary people who intensified and developed these skills. […]

Wizards have unleashed a real hunt for albinos because they believe that charms made from their body parts have a great magic power. However, not only albinos children are in danger in Africa. For example, a Nigerian sorcerer Abdullahi Mohammed attempted to abduct a little boy to use his organs in the magical rituals. However, he didn't use usual kidnaper weapons. As a sorcerer, he took a ‘magic chicken’ with him. Abdullahi whacked the poor kid with that chicken. However, instead of submitting to the sorcerer, the boy wailed loudly. The people who were passing by rescued the child and twisted the sorcerer. According to the laws of Nigeria, Mohammed was put to death by hanging, but the court sentenced him to imprisonment.” (Legit.ng, 2017)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) ist eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt. In einem Bericht zu Nigeria vom Februar 2019 hält EASO zum Thema Studentenkulte fest, dass diese kriminellen Banden ähneln würden. Einige der bekanntesten Kulte seien „Black Axe“ und „Eiye“. Studentenkulte seien von gewalttätigen Initiationsriten und illegalen Aktivitäten wie Tötungen, Menschenhandel, Drogenhandel, Schmuggel, Erpressung, Entführung und Zwangsrekrutierung geprägt. Zwischen 2006 und 2014 habe es in Zusammenhang mit Studentenkulten vermutlich etwa 1.863 Todesfälle gegeben. Im Jahr 2017 habe es Berichten zufolge 442 Todesopfer und 290 Opfer von Entführungen gegeben. Politische Parteien würden häufig Kultmitglieder rekrutieren und diese benutzen, um politische Gegner zu töten oder anzugreifen oder um sie bei Wahlen Gewalt ausüben zu lassen. Einige Quellen würden berichten, dass es extrem schwierig sei, einen solchen Kult zu verlassen, nachdem man aufgenommen worden sei. Personen, die die Bruderschaften oder Kulte verlassen hätten, könnten getötet werden, um zu verhindern, dass sie die Geheimnisse des Kultes preisgeben. Studentenkulte seien hauptsächlich in den südlichen Bundesstaaten Nigerias aktiv, insbesondere in den Bundesstaaten Rivers, Bayelsa, Delta und Edo:

Student cults in Nigeria, also referred to as ‘university cults’ or ‘confraternities’, resemble criminal gangs. Some of the most well-known cults are the Black Axe and Eiye. Student cults are characterised by violent initiation rites and conduct illegal activities such as: killings, human trafficking, drug trafficking, smuggling, extortions, kidnapping, forced recruitment, etc. Approximately 1 863 deaths are likely to be connected to student cults between 2006 and 2014. Cult-related violence in 2017 reportedly resulted in 442 fatalities and 290 victims of kidnapping. Political parties often recruit cult members and use them to kill or attack political opponents or to exercise violence during elections […]. Some sources report that it is ‘extremely difficult’ to leave a cult after being initiated. Persons who quit the confraternities or cults may be killed, out of fear of revealing the cult’s secrets […]. Student cults mostly operate in the southern states of Nigeria and are particularly strong in Rivers, Bayelsa, Delta and Edo.” (EASO, Februar 2019, S. 42)

Das australische Außen- und Handelsministerium (Department of Foreign Affairs and Trade, DFAT) veröffentlichte mit dem Zweck der Verwendung in Verfahren zum internationalen Schutz im März 2018 einen Länderbericht zu Nigeria. Darin wird erwähnt, dass sowohl in den höheren Schulen, als auch auf den Straßen Nigerias mehrere Kulte präsent seien, deren Handlungsweisen eher jenen von Banden als jenen von religiösen Gruppen ähneln würden. Vor allem junge Männer seien angehalten, sich zu ihrem eigenen Schutz diesen Kulten anzuschließen, beziehungsweise würden sie durch Gruppenzwang dazu gebracht, dies zu tun. Viele junge Männer und Frauen würden sich jedoch freiwillig anschließen, da die Zugehörigkeit zu einem Kult den Zugang zu Geld und Macht bedeuten könne. Die Mitgliedschaft beinhalte in der Regel einen gewalttätigen Initiationsritus, der Schläge und Vergewaltigung beinhalten könne. Die Pfingstkirchen, die Misserfolge und Unglück dem Teufel zuschreiben würden, hätten den bereits existierenden traditionellen Glauben an die Existenz von Kinderhexen noch weiter verstärkt. Das Phänomen, Kinder als Hexer oder Hexen zu bezeichnen, nehme seit Mitte der 1990er Jahre zu. Berichten zufolge würden Menschenhändler Juju und andere traditionelle Schwur-Rituale benutzen, um Opfer von Menschenhandel, einschließlich Kinder, zu kontrollieren:

DFAT understands several ‘cults’ now have a presence in high schools as well as the streets, operating more like gangs rather than religious cults. Young men in particular are targeted to join cults for protection and because of peer pressure. However, many young men and women voluntarily join – cult membership can mean access to money and power. Membership generally involves a violent initiation, which can include beatings and rape. […] The Pentecostal movement, which attributes failures and misfortune to the devil, has heightened traditional beliefs that child witches exist. The phenomenon of labelling children as witches has been rising since the mid - 1990s. Human traffickers reportedly utilise juju and traditional oath-taking rituals to control trafficking victims, including children.” (DFAT, 9. März 2018, S. 24)

Dunkerley schreibt im oben bereits angeführten Bericht vom Juli 2017 unter Verweis auf eine Dokumentation des Regisseurs James Jones, dass durch den starken traditionell bedingten Glauben vieler nigerianischen Gemeinschaften an Juju, eine entführte Person glaube, dass der geleistete Juju-Schwur bzw. -Fluch an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt in Kraft sei. Die Verwendung solcher Schwüre oder Flüche im Bereich des Menschenhandel habe zu einer lukrativen Zusammenarbeit zwischen nigerianischen Menschenhändlern und lokalen Medizinmännern geführt, die die entsprechenden Rituale durchführen würden:

Because of this strong traditional belief in many Nigerian communities, a trafficked person believes that the oath will continue to have power for all time and anywhere. The fear that the juju oath invokes has now established a profitable relationship between Nigerian traffickers and the indigenous medicine men they pay to conduct the ritual (Jones, 2011).” (Dunkerley, 3. Juli 2017, S. 86)

Weitere Informationen zum Thema Menschenschmuggel in Zusammenhang mit Juju finden sich unter dem folgenden Link:

 

Mail & Guardian, eine südafrikanische Wochenzeitung, veröffentlicht im Februar 2019 einen aktuelleren Artikel, der das Thema Menschenschmuggel in Zusammenhang mit Juju näher beleuchtet und unter folgendem Link abrufbar ist:

 

In dem oben erwähnten EASO-Bericht findet sich eine Analyse des Risikos, dem Personen in Nigeria ausgesetzt seien, die der Hexerei beschuldigt würden, oder die in Gefahr stünden, Opfer eines Ritualmordes zu werden. Laut dem Bericht könne es passieren, dass Menschen bezichtigt würden, Hexe oder Hexer zu sein. Besonders gefährdet seien ältere Frauen oder Kinder, oder Personen, die sich auf irgendeine Art von ihren Mitmenschen unterscheiden würden, oder solche, die gefürchtet oder unbeliebt seien. Dieses Phänomen werde im Süden Nigerias häufiger beschrieben, würde aber auch im Norden existieren. Es werde berichtet, dass den Kirchen, insbesondere jenen, die der Pfingstkirche und der prophetischen Bewegung angehören würden, eine gewichtige Rolle bei der Legitimierung von Ängsten vor Hexerei, insbesondere vor Kinderhexen, zukommen würden. So würden etwa während Gottesdiensten Exorzismen böser Geister betrieben. Hexerei-Anschuldigungen würden sich häufig gegen Verwandte oder Bekannte wie Nachbarn, Großfamilienmitglieder, oder sogar gegen die eigenen Kinder oder Eltern richten. Zu den Strafen würden schwere Prügel, Verbrennungen, Steinigung oder die Zurschaustellung ohne Kleider gehören, oder man werde gezwungen, tödliche „Medikamente" zu trinken oder würde einem Lynchmob ausgesetzt. Kinder, die der Hexerei beschuldigt würden, könnten von Kindesmord, Aussetzung, körperlicher und sexueller Gewalt und Stigmatisierung betroffen sein. Darüber hinaus könne ihnen die Schulbildung verweigert werden und sie seien dem Risiko von Drogenmissbrauch und Prostitution ausgesetzt. Möglicherweise müssten sie darüber hinaus illegale Arbeit verrichten oder betteln.

Ritualmorde würden mit dem Ziel verübt, menschliche Körperteile für deren Einsatz in Ritualen zu erhalten. Es scheine ein zunehmendes Phänomen zu sein. Berichten zufolge habe es 72 in Zusammenhang mit rituellen Morden stehende Todesfälle innerhalb der ersten fünf Monate des Jahres 2018 gegeben. Ritualmorde könnten jeden treffen, obwohl häufiger über rituelle Tötungen von Frauen, insbesondere Jungfrauen, und von Babys berichtet werde:

Accusations of witchcraft: People, and in particular elderly women, children, or those ‘who are somehow ‘different’, feared or disliked’ might be accused of being witches. The phenomenon is more widely reported in the South of Nigeria, but also exists in the North. It is reported that churches, especially those belonging to the Pentecostal and prophetic movement, play an important role in the legitimisation of fears related to witchcraft, and in particular, child witches. Exorcism of evil spirits is practiced during services. Witchcraft accusations are often directed towards persons who are related, such as neighbours, extended family members, even own children or parents. […] Punishment may involve severe beating, burning or stoning, naked parading, being compelled to drink lethal ‘medicines’, lynch mob. Children accused of witchcraft may face infanticide, abandonment, physical and sexual violence, stigmatisation. They may be denied schooling and risk being exposed to drugs and prostitution. They may also have to do illegal work or beg. […]

Ritual killing: Ritual killings occur in order to obtain human body parts for use in rituals. It appears to be an increasing phenomenon. It is reported that in the first five months of 2018, there have been 72 deaths related to ritual killings. Victims of ritual killings can include anyone, although reports often concern the ritual killing of women (specifically virgins) and babies.” (EASO, Februar 2019, S. 56)

Weitere allgemeine Informationen zu Juju und anderen Kulten in Nigeria entnehmen Sie bitte den Abschnitten 1 und 2 des folgenden bereits älteren Berichts von ACCORD aus dem Jahr 2011. Informationen zu Kindern und Jugendlichen, die der Hexerei beschuldigt werden finden sich in Abschnitt 4.5. und Informationen zu Opfern von Ritualmorden in Abschnitt 5 desselben Berichtes. Allgemeine Informationen zu Kulten, Geheimorganisationen und Studentenkulten finden sich in den Abschnitten 6 und 7 des Berichtes:

 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 25. April 2019)