Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Erlangung der Staatsbürgerschaft; Staatsbürgerschaft eines Kindes einer pakistanischen Mutter und eines afghanischen Vaters [a-10814-1]

8. Jänner 2019

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Global Citizenship Observatory (GLOBALCIT), ein Programm zur faktenbasierten und unparteiischen Analyse von Staatsbürgerschaftsgesetzen und -richtlinien auf der ganzen Welt, veröffentlicht im März 2017 gemeinsam mit dem Robert Schuman Center für weiterführende Studien (Robert Schuman Centre for Advanced Studies, RSCAS), einem interdisziplinären Forschungszentrum des European University Institute (EUI), einen Bericht zum Staatsbürgerschaftsrecht in Afghanistan. Laut dem Bericht würden Staatsangehörigkeitsangelegenheiten von dem im Jahr 2000 erlassenen Gesetz des Islamischen Emirats Afghanistan (Gesetz aus Zeit der Talibanherrschaft, Anm. ACCORD) geregelt. Im Mai 2015 habe Präsident Aschraf Ghani das Justizministerium angewiesen, das Gesetz zur Staatsangehörigkeit zu überarbeiten. Seither habe die Gesetzgebungskommission mehrere Sitzungen abgehalten, in denen verschiedene Gesetze zur Staatsbürgerschaft, darunter die derzeitige Fassung sowie internationale Konventionen, diskutiert worden seien, um den Ausarbeitungsprozess eines neuen Gesetzes zur Staatsbürgerschaft zu verbessern:

„Presently, citizenship issues are covered by the 2000 law on citizenship of the Islamic Emirate of Afghanistan. However, on 13 May 2015 President Ashraf Ghani instructed the Ministry of Justice to amend the law on citizenship. Since then, the legislative commission of the Ministry of Justice has held several meetings in which various laws on citizenship have been investigated, including both the previous one and international conventions, in order to improve the process of drafting a new law on citizenship.“ (GLOBALCIT / RSCAS, März 2017, S. 1)

Der Bericht führt fort, dass die afghanische Staatsbürgerschaft durch Geburt, durch Abstammung, durch Einbürgerung und auf Basis internationaler Abkommen erlangt werde. Die afghanische Staatsbürgerschaft werde hauptsächlich über das Prinzip der Abstammung (ius sanguinis) übertragen. Laut diesem Prinzip erhalte ein Kind eines Vaters und einer Mutter afghanischer Staatszugehörigkeit, das innerhalb oder außerhalb Afghanistans geboren worden sei, automatisch die afghanische Staatsbürgerschaft (Artikel 9.2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes aus dem Jahr 2000). Artikel 11 desselben Gesetzes lege fest, dass ein Kind, unabhängig davon, ob es im In- oder Ausland geboren worden sei, als afghanischer Staatsbürger gelte, wenn ein Elternteil die afghanische Staatsbürgerschaft besitze oder die Staatsangehörigkeit des Kindes nicht bestimmt werden könne. Wenn zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes ein Elternteil die afghanische Staatsbürgerschaft und ein Elternteil die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates habe, dann erhalte das Kind die afghanische Staatsbürgerschaft, 1) wenn es in Afghanistan geboren worden sei, 2) wenn es außerhalb Afghanistans geboren worden sei aber ein Elternteil permanent in Afghanistan lebe, oder 3) wenn es außerhalb Afghanistans geboren worden sei, die Eltern außerhalb Afghanistans leben würden und sich gemeinsam dazu entschlossen hätten, die afghanische Staatsbürgerschaft für das Kind zu beantragen. Die Staatsbürgerschaft werde an „legitime“ Kinder von Eltern, die nach den rechtlichen Bestimmungen der islamischen Scharia verheiratet seien, übertragen. Dies bedeute, dass ein außerhalb einer Ehe geborenes Kind beziehungsweise ein Kind einer Ehe, die nicht nach den Regeln der Scharia geschlossen worden sei, nicht die afghanische Staatsbürgerschaft erhalte. Eltern müssten folglich beweisen können, dass ihre Ehe nach den Regeln der Scharia geschlossen worden sei und das betreffende Kind aus dieser Ehe hervorgegangen sei:

„Afghan citizenship is acquired by descent, birth, naturalisation and on the basis of international treaties. Ius sanguinis has always been the primary ground for granting Afghan citizenship. On the basis of the principle of descent, a child who is born in or outside the territory to a father and mother holding Afghan citizenship automatically acquires Afghan citizenship (Article 9 (2)). Article 11 also explains that ‘a child will be considered a citizen of Afghanistan regardless of whether he or she was born inside or outside the territory of Afghanistan if one of his or her parents is a citizen of Afghanistan and the other is not or his or her citizenship is not established.’ If at the time of the child’s birth one of the parents holds the citizenship of Afghanistan and the other holds the citizenship of another country, the child is considered a citizen if s/he is born 1) in the territory of Afghanistan; 2) outside the territory of Afghanistan but one of his or her parents permanently resides in Afghanistan; 3) outside the territory of Afghanistan and the parents also live outside the territory of Afghanistan and by mutual consent they select the citizenship of Afghanistan for the child. […]

Citizenship is granted to a legitimate baby whose parents married according to Sharia jurisprudence because the Afghan Civil Code relates a child to the husband in cases where the child is born via a ‘true marriage.’ This means that if a child is born outside of a marriage relationship and if the marriage does not occur according to Sharia jurisprudence, the baby can acquire neither Afghan citizenship nor a national identity card unless the parents prove that the marriage was conducted according to Sharia and the child is that of the parents. Thus, according to the law on citizenship of Afghanistan, being a legitimate child is the basis for citizenship by origin.“ (GLOBALCIT und RSCAS, März 2017, S. 8-9)

Was die Erlangung der Staatsbürgerschaft durch Geburt (ius soli) betreffe, so der Bericht weiters, könne ein in Afghanistan geborenes Kind ausländischer Eltern diese erlangen, wenn 1) das Kind die Absicht habe, nach Erreichen eines Alters von 18 Jahren permanent in Afghanistan zu leben und 2) das Kind nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem 18. Geburtstag die Staatsbürgerschaft seiner Eltern beantrage. Kinder von Eltern, die bei diplomatischen Vertretungen oder internationalen Organisationen in Afghanistan angestellt seien, hätten laut dem Gesetz nicht das Anrecht auf Staatsbürgerschaft durch Geburt:

„Citizenship of a person born to foreign citizens: children who are born to foreign parents in Afghanistan can obtain the citizenship of Afghanistan provided that: 1) the child intends to permanently reside in Afghanistan after reaching the age of eighteen; and 2) the child does not apply for his or her parents’ citizenship within six months of reaching the age of eighteen. Apart from this conditional application of the ius soli principle, there is an exceptional rule covering children born in Afghanistan to persons working in diplomatic missions, foreign consulates and international organisations. The second clause of Article 13 stipulates that children of delegates, heads and members of foreign diplomatic and consular missions and international organisations are excluded from acquisition iure soli.“ (GLOBALCIT und RSCAS, März 2017, S. 9)

Eine inoffizielle englische Übersetzung des Gesetzes von 2000 findet sich unter folgendem Link:

In einer Anfragebeantwortung der BFA Staatendokumentation vom Juli 2018 wird ein Rechtsanwalt aus Kabul zitiert, laut dem das Gesetz aus dem Jahr 2000 weiterhin in Kraft sei:

„Dem in Kabul ansässigen lokalen Rechtsanwalt zufolge gilt weiterhin das afghanische Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahr 2000. (...) There is no new law, and based on the Ministry of Justice information, the 2000 law is still in force. (…) Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (5.7.2018): Auskunft, per E-Mail“ (BFA Staatendokumentation, 9. Juli 2018)

Das innerhalb der schwedischen Migrationsbehörde angesiedelte Zentrum für Länderinformation und Länderanalyse im Migrationsbereich (Lifos) fasst in einem im Jänner 2018 erschienenen Bericht zu Staatsbürgerschaft, Meldewesen und Identitätsdokumenten die Gesetzeslage in Bezug auf Staatsbürgerschaft zusammen. So sei das erste Gesetz dazu im Jahr 1936 verabschiedet worden. Ein neues Gesetz zur Staatsbürgerschaft sei 1986 angekündigt und in einer novellierten Fassung während der Talibanherrschaft im Juni 2000 angenommen worden. Die Gesetzesfassungen von 1936 und 2000 würden großteils auf den gleichen Prinzipien fußen und seien daher weitgehend identisch. Es gebe jedoch auch deutliche Unterschiede, unter anderem bei der Regulierung der Staatsangehörigkeit von Kindern. Es herrsche teilweise Uneinigkeit dahingehend, welches der Gesetze angewandt werde, jedoch sei laut Angaben des Büros des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) das Gesetz aus dem Jahr 2000 in Anwendung. Ein afghanischer Rechtsanwalt, den das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo 2015 kontaktiert habe, habe ebenfalls bestätigt, dass das Gesetz aus dem Jahr 2000 gültig sei. Die weiteren Ausführungen des Lifos-Berichts würden sich daher auf die Bestimmungen dieses Gesetzes konzentrieren:

Afghanistans första medborgarskapslag antogs 1936. En ny lag kungjordes 1986 vilken sedan reviderades under Taliban-styret i juni 2000. De två lagarna bygger på samma principer och mycket av innehållet är identiskt. Det finns också betydande skillnader, bland annat regleringen av barns medborgarskap (se avsnitt 3.2.1). Lagen från år 2000 är mer detaljerad och reglerar frågor som var oreglerade i lagen från 1936. Det råder viss oenighet om vilken lag som gäller, men enligt United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) är det lagen från 2000 som gäller och lagen från 1936 är upphävd. Även en afghansk jurist som Landinfo varit i kontakt med gör bedömningen att det är lagen från 2000 som är den gällande. I denna rapport refereras därför till medborgarskapslagen från 2000.“ (Migrationsverket, 24. Jänner 2018, S. 6)

Lifos schreibt weiters in Bezug auf die Staatsangehörigkeit von Kindern, dass Afghanistan sowohl das Prinzip ius soli (Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land) als auch das Prinzip ius sanguinis (Staatsbürgerschaft durch Abstammung) anerkenne. Laut Artikel 9.2 des Gesetzes von 2000 erhalte ein Kind afghanischer Eltern die afghanische Staatsbürgerschaft, unabhängig davon, ob die Eltern zur Zeit der Geburt im In- oder Ausland ansässig seien. Artikel 12 lege fest, dass ein in Afghanistan geborenes Kind, dessen Eltern keinen Zugang zu Dokumenten hätten, die ihre Staatsangehörigkeit beweisen würden, ebenfalls die afghanische Staatsbürgerschaft erhalten könne. Lifos schreibt unter Bezugnahme auf den Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums (United States Department of State, USDOS) von 2016 jedoch auch, dass der Vater des Kindes seine Staatsbürgerschaft an das Kind weitergeben könne. Allein die Geburt im Land oder eine afghanische Staatsbürgerin als Mutter seien nicht ausreichend:

„Afghanistan tillämpar både jus sanguinis eller härstamningsprincipen (medborgarskap bestäms av biologiska föräldrars medborgarskap) och jus soli eller territorialprincipen (medborgarskap bestäms av födseln på ett lands territorium oavsett föräldrarnas medborgarskap).

Medborgarskapslagen fastställer bland annat att ett barn av afghanska föräldrar anses vara afghansk medborgare oavsett om föräldrarna vid barnets födelse är bosatta inom eller utanför afghanskt territorium (artikel 9 (2)).

Vidare stipuleras i artikel 12 att ett barn som föds i landet, och vars föräldrar inte har tillgång till handlingar som styrker deras medborgarskap, kan erhålla medborgarskap i Afghanistan (se vidare avsnitt 3.2.5).

Emellertid överförs medborgarskap till ett barn från en fader med afghanskt medborgskap. Födelse i landet eller att enbart modern är afghansk medborgare är inte tillräckligt.“ (Migrationsverket, 24. Jänner 2018, S. 7)

Die oben erwähnte Information, dass nur der Vater seine Staatsbürgerschaft an das Kind weitergeben könne, findet sich auch im aktuellen USDOS-Bericht von April 2018 (Berichtszeitraum: 2017): „A citizen father transmits citizenship to his child. Birth in the country or to a citizen mother alone does not transfer citizenship. Adoption is not legally recognized“ (USDOS, 20. April 2018, Section 6).

 

Abdullah Athayi, ein Forscher zu den Themen Menschen- und Frauenrechten in Afghanistan und Autor des oben zitierten Berichtes von GLOBALCIT und RSCAS, teilte in einer Email-Auskunft vom Dezember 2018 mit, dass die Information, dass allein der Vater die Staatsbürgerschaft weitergeben könne, im Paragraph 218 des afghanischen Zivilgesetzbuches begründet liege. Dort heiße es, dass die Abstammung eines Kindes über den Vater definiert sei. FrauenrechtsaktivistInnen würden daher die Frage aufwerfen, warum ein Kind nicht offiziell mit seiner Mutter verwandt sei. Man bekomme nur schwer Einsicht in Gerichtsdokumente und gerichtliche Entscheidungen, da diese nicht öffentlich gemacht würden. Es sei daher schwierig nachzuvollziehen, in welcher Weise und wann die beiden Gesetze (Staatsbürgerschaftsgesetz oder Zivilgesetz) angewandt würden. Generell könne man jedoch sagen, dass das afghanische Zivilgesetzbuch über dem Staatsbürgerschaftsgesetz stehe. (Athayi, Dezember 2018)

 

 

 
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