Anfragebeantwortung zum Kosovo: Informationen zu Blutrache (Bedeutung des Wortes Besa, Dauer des Schutzes; Verbreitung von Blutrache im Kosovo, welche männlichen Verwandten der Familie des Täters sind von Blutrache betroffen und welche besonders) [a-10772-2 (10773)]

7. November 2018

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Die von Renovabis und dem Zentralkomittee der deutschen Katholiken herausgegebene, vierteljährlich erscheinende Zeitschrift OST-WEST Europäische Perspektiven (OWEP) veröffentlicht 2010 einen Artikel der Theologin Hildegard Sühling, die von 2002 bis 2007 bei einer europäischen Organisation im Kosovo und in Albanien gearbeitet hat. Darin wird Folgendes berichtet:

„Bei der Blutrache gilt folgender Ablauf: Jemand begeht eine Mordtat oder Totschlag; auch Grundstückskonflikte, Ehrverletzungen oder Eifersucht sind klassische Ausgangslagen. Nach dem Prinzip ‚Blut wird mit Blut vergolten‘ verlangt ein Toter der einen Familie einen Toten der anderen Familie. Blutrache gilt als ethische Handlung, um das Gleichgewicht innerhalb einer Gesellschaft wieder herzustellen. Das Instrument dazu ist die Rache. Die Familie, die einen Toten zu beklagen hat, wählt ein männliches Familienmitglied aus, das den Rachemord begehen muss. Er steht unter hohem gesellschaftlichen und familiären Druck. Dabei werden er und seine Familie von der Gemeinschaft privilegiert und dürfen von der Täterseite nicht beleidigt oder provoziert werden. Die Täterfamilie wird gemieden, ihre Männer sind nur im eigenen Haus vor dem Rachemord sicher. Dieses ist für den Rächer tabu. Frauen und Minderjährige sind von Racheakten nicht betroffen. Sie übernehmen außerhäusliche Arbeiten wie die Feldarbeit.

Die Familie des Täters versucht in der Regel, den Gegenmord zu verhindern. Sie schickt schnellstmöglich einen Vermittler zur Familie des Opfers, um eine Friedenszeit bzw. einen Waffenstillstand (Besa) zu erbitten. Diese gewährt entweder keine Besa oder nur für kurze Zeit. In der Zeit der Besa müssen die männlichen Familienmitglieder keine Rache fürchten. Sie können sich frei bewegen, meiden aber die andere Familie, um sie gütig zu stimmen. Die Besa wird unter allen Umständen eingehalten. Läuft sie ab, werden wieder Vermittler geschickt, die eine weitere Besa-Zeit erbitten, die gewährt werden kann. Das kann oft Jahre dauern. Vermittler sind Autoritätspersonen mit viel Erfahrung und ohne eigenes Interesse. Nach erfolgreichem Erbitten einer Reihe von Besa-Zeiten erfassen die Vermittler eine günstige Stimmung für den Vorschlag zur Versöhnung (pajtim) oder zur Verzeihung (falje). Versöhnung geschieht unter Bedingungen. Die Opferfamilie verlangt etwa Kompensation oder fordert, dass die Gegenseite aus der Dorfgemeinschaft ziehen muss. Wird keine Besa gewährt, muss jederzeit mit einem Rachemord gerechnet werden. Er wird nicht geheim ausgeübt. Der Rächer muss sein Opfer vorher warnen und darf es auf keinen Fall von hinten überfallen. Der Rächer braucht die Öffentlichkeit, um zu beweisen, dass er seine familiäre und gesellschaftliche Pflicht erfüllt hat. Nach der Tat lässt er die Familie verständigen und den Toten zu ihr bringen. Nach dem Mord gilt die Tat als ausgeglichen und erledigt.“ (OWEP, 2010)

Die kostenlose Schweizer Pendlerzeitung 20 Minuten berichtet in einem Artikel vom Mai 2013 Folgendes:

„Die Blutrache

Wird heute vom Kanun gesprochen, liegt das Augenmerk allerdings meist nicht auf der Gesamtheit der Regeln für das Zusammenleben in einer kargen, abgelegenen Bergregion, sondern auf jenem Aspekt des Strafrechts, der die Blutrache vorsieht. Tötet ein Mann ein Mitglied einer anderen Familie sieht der Kanun zunächst eine Busse für den Täter vor. Gleichzeitig fällt er mit der Tötung ‚in das Blut des Opfers‘. Er verliert seine körperliche Integrität und läuft Gefahr, selbst getötet zu werden. Der Teufelskreis der Blutrache beginnt. Ursprünglich galt die Blutrache nur für den Täter, später wurde sie auf alle männlichen Angehörigen der Familie ausgedehnt. Kinder und Frauen sind im Kanun von der Blutrache ausgenommen.

Da ‚das Blut nie verloren geht‘, folgt auf eine Blutrache zwingend eine neue Blutrache. Ist die Familie des Opfers nach der ersten Tötung ‚Herr des Blutes‘, fällt sie nach vollzogener Blutrache ihrerseits ins Blut der Familie des ersten Täters. Wer getötet hat, ist der Familie des Opfers bekannt, da sie informiert werden muss. Ihr bleibt kaum etwas anderes übrig, als zur Blutrache zu schreiten, da ein Verzicht von der Gemeinschaft als unehrenhaft angesehen wird.

Im Falle einer fahrlässigen Tötung sieht der Kanun nicht zwingend die Blutrache vor. Kommt eine Untersuchung zum Schluss, dass die Tötung unbeabsichtigt war, kommt der Täter mit einer Busse davon. Bei Körperverletzung ist auch eine Busse für den Täter vorgesehen, wobei dem Opfer das Recht zufällt, ihm nach dem Prinzip von ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘ die gleiche Verletzung zuzufügen. Grundsätzlich hält der Kanun fest, dass Blutrache nur im Fall von Mord oder Totschlag erlaubt ist. Andere Vergehen ziehen eine Strafe, aber nicht den Tod durch Blutrache nach sich.

Die zentrale Stellung der Ehre

Es gibt aber auch Möglichkeiten, die Blutrache – zumindest für eine bestimmte Zeit – auszusetzen. Dabei ist das Prinzip der ‚Besa‘ wichtig. Der Begriff kann auf Deutsch nicht mit einem Wort übersetzt werden und bedeutet unter anderem Friedenspakt, Ehrenwort und Sicherheitsgarantie. Ein Aspekt der Besa ist, dass sie von der Blutrache Bedrohte für gewisse Zeiten schützt und gleichzeitig den zur Blutrache Verpflichteten davon entbindet, ein Verbrechen zu rächen. Die Besa kann entweder von der Opferfamilie gewährt werden oder im Falle einer allgemeinen Besa, die nicht unbedingt zeitlich beschränkt ist, von der Versammlung beschlossen werden. Wird trotz einer Besa Blutrache genommen, gilt das als grobe Ehrverletzung und Mord.

Neben einer Tötung wird auch eine Verletzung der persönlichen Ehre meist mit dem Tod gesühnt. Die Ehre ist das zentrale Element des Kanun. Wem die Ehre geraubt wird, dem gesteht der Kanun das Recht zu verzeihen zu, aber auch das Recht, sein ‚schwarzes Gesicht‘ der Unehre wieder rein zu waschen. Dies geschieht meist durch eine Tötung, die wiederum eine Blutrache nach sich zieht. Was alles einen Raub der persönlichen Ehre konstituiert, listet der Kanun auch auf. Dazu gehören unter anderem die Schändung oder Entführung der Frau, die Zerstörung der Waffe, die öffentliche Bezichtigung der Lüge oder auch der Bruch der Treue.“ (20 Minuten, 22. Mai 2013)

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), der unabhängige Dachverband der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen in der Schweiz, veröffentlichte im Juli 2016 eine Anfragebeantwortung zu Blutrache im Kosovo. Darin finden sich folgende Informationen:

„Klassische Definition von Blutrache. Der Kanun sieht vor, dass ein Mord durch die Tötung eines männlichen Familienmitglieds des Täters bestraft wird. Das staatliche Strafsystem konnte aus traditioneller Sicht nicht den durch eine Tötung entstandenen Ehrverlust ausgleichen. Eine Gefängnisstrafe schob die Rache nur auf, bis die bestrafte Person das Gefängnis verlassen hatte. Es ist nicht erlaubt, ein Familienmitglied in seinem Haus oder in seiner Wohnung zu töten. Frauen oder Kinder dürfen in der Regel ebenfalls nicht getötet werden. Daher ziehen sich männliche Mitglieder einer ‚Täterfamilie‘ nach einem Mord sofort in die ‚Selbstisolierung‘ zurück und verlassen ihr Heim nicht. Eine Unterbrechung der Blutrache ist nur durch einen in der Regel zeitlich begrenzten Waffenstillstand (‚besa‘) möglich. Die Blutrache endet erst, sobald das vergossene Blut gerächt ist oder sobald die ‚Opferfamilie‘ der ‚Täterfamilie‘ vergibt. Dies geschieht meist nach langwieriger Konfliktmediation und wird durch eine Versöhnungszeremonie formalisiert. […]

Betroffene Personen. Bernd Fischer, Professor für Geschichte an der Indiana University-Purdue University Fort Wayne, gab gegenüber der SFH an, laut den traditionellen Regeln der Blutrache seien alle männlichen Familienmitglieder der ‚Täterfamilie‘ ab einem bestimmten Alter (normalerweise zwischen zehn und 16 Jahren) einschliesslich der Neffen des Täters mögliche Zielpersonen einer Blutrache. Es sei meist üblich, auf die ‚nützlichsten‘ Familienmitglieder abzuzielen, also Männer im Alter zwischen 20 und 40, von denen erwartet werden kann, dass sie in den nächsten Jahrzehnten für ihre Familie sorgen werden. Die Auskunft von Sladjana Djuric, Professorin an der Faculty of Security Studies der Universität Belgrad, bestätigt dies. So werde gemäss traditionellem Gewohnheitsrecht das prominenteste Mitglied der anderen Familie als Opfer ausgewählt: verheiratet, mit vielen Kindern, einen Beruf ausübend, gebildet, respektvoll. Dadurch soll die andere Familie möglichst hart getroffen werden. In der Praxis hat das Opfer oft einen ähnlichen sozialen Status wie die zuvor getötete Person. Wenn das Opfer einen höheren sozialen Status hat als die zuvor getötete Person, hat die ‚Opferfamilie‘ das Recht auf ‚Doppelrache‘. Generell sind engere Familienmitglieder einem höheren Risiko von Blutrache ausgesetzt als entferntere, wobei die Verwandtschaft durch die männliche Linie massgeblich ist. Gemäss Robert Muharremi von der NGO Kosovar Centre for Security Studies gibt es regionale Unterschiede in der Interpretation des Kanun. Allerdings würde der Begriff ‚Familie‘ generell weit definiert und schliesse zusätzlich zum Vater, den Brüdern und den Söhnen des Täters auch andere männliche Verwandte wie Onkel, Neffen und Cousins ein. In einer ‚moderneren‘ Version der Blutrache sind laut Bernd Fischer auch Knaben, die jünger als 10 Jahre alt sind, oder Frauen Zielpersonen von Blutrache. Ferner gebe es Fälle, in denen Auftragskiller eine einzige Tötung durchführten, während in anderen Fällen je nach Schwere der zu rächenden Tat zwei oder sogar drei Personen der ‚Täterfamilie‘ getötet würden.“ (SFH, 1. Juli 2016, S. 3-4)

Die Anfragebeantwortung der SFH führt weiters aus:

„2.2 Verbreitung in Kosovo

Versöhnungsbewegung in den 1990er Jahren und neue Fälle von Blutrache seit Ende des Kosovokriegs. In den Jahren 1990 und 1991 organisierten Schriftsteller und Intellektuelle um Anton Çetta, Professor an der Universität Pristina, eine gross angelegte Versöhnungsbewegung in den verschiedenen Regionen des Kosovo, um den Brauch von Blutrache zu beenden und die Kosovaren im Widerstand gegen die serbische Repression zu einen. Zwar ist die Zahl der Blutfehden in den 1990er Jahren dadurch stark zurückgegangen; allerdings gibt es seit dem Ende des Kosovokrieges 1999 immer wieder Fälle von Blutrache.

Keine systematische Sammlung von Informationen zu Fällen von Blutrache. Laut Auskunft von Bernd Fischer, Professor an der Universität von Indiana, der zum Westbalkan forscht, gab es in den letzten Jahren Berichte von Tötungen aus Blutrache. Allerdings gebe es seines Wissens keine Organisation, die systematisch entsprechende Informationen sammelt. Während die kosovarische Presse nicht sehr verlässlich sei, tendiere die Regierung dazu, das Thema zu ignorieren, da sie es als primitiv und eines die EU-Mitgliedschaft anstrebenden Staates unwürdig ansehe. Wie in Albanien unterschätzten offizielle Berichte das Ausmass des Phänomens. Die Ombudsperson von Kosovo gab im Juni 2016 gegenüber der SFH an, in der Datenbank der kosovarischen Polizei existiere die Kategorie ‚Blutrache‘ offenbar nicht und entsprechende Fälle würden unter ‚Mord‘ aufgeführt, wobei das Mordmotiv jeweils in den Entscheiden der Justiz erwähnt sei.

Unterschiedliche Angaben zur Zu- oder Abnahme von Fällen von Blutrache in den letzten Jahren. Ein Artikel des Informationsportals Zëri.info vom 23. März 2014 berichtet von einem Anstieg von Fällen von Blutrache in den letzten Jahren. So hätten die Behörden auch sechs Jahre nach der Unabhängigkeit des Kosovo nichts unternommen, um die Sitte der Blutrache zu bekämpfen. Im Vergleich zu der Zeit vor dem Kosovokrieg habe das Phänomen in der Nachkriegszeit sogar noch zugenommen. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, Mitglieder des Organisationskomitees der Versöhnungsbewegung in den 1990er Jahren sowie Vertreter der Religionsgemeinschaften beobachteten laut dem Artikel eine Zunahme von Fällen von Blutrache und riefen die Behörden auf, rasch zu handeln, um diese Praxis einzudämmen. Sladjana Djuric gab im Mai 2016 gegenüber der SFH an, dass ihrer Einschätzung nach die Zahl der Morde im Zusammenhang mit Blutrache nicht abnimmt. Während eine im Bericht des IRB Canada vom Oktober 2013 zitierte Quelle von einer Zunahme solcher Fälle in den Jahren 2010 bis 2013 ausging, berichteten andere im selben Bericht zitierte Quellen, Blutrache käme weiterhin vor, es gebe aber keine Zunahme von Fällen. […]

Verschiedene Quellen berichten von Blutrache sowohl auf dem Land als auch in den Städten. Einige der im Bericht des IRB Canada vom Oktober 2013 zitierten Quellen gaben an, Blutrache sei auf dem Land weiter verbreitet. Dagegen sagten andere Quellen aus, sowohl ländliche als auch städtische Gebiete seien von Blutrache betroffen.“ (SFH, 1. Juli 2016, S. 5-7)

In der Anfragebeantwortung der SFH wird auch berichtet:

„Bewegungsfreiheit einer von Blutrache bedrohten Person stark eingeschränkt. Laut mehreren Quellen ist eine von Blutrache bedrohte Person stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Gemäss Angaben von Florent Hajrizi, Mediationsprogrammleiter bei der NGO Partners Kosova – Center for Conflict Management, sowie von Robert Muharremi [von der NGO Kosovar Centre for Security Studies] sind von Blutrache bedrohte Personen, die ihr Haus verlassen, mit dem Tode bedroht und riskieren, angegriffen zu werden.

Ältestenrat kann Bewegungsfreiheit ermöglichen, sofern beide Familien zustimmen. Die Ombudsperson von Kosovo gab im Juni 2016 an, in einigen Fällen von Blutrache würden die verfeindeten Familien einen Ältestenrat einschalten, der mit ihnen bestimmte Übereinkünfte träfe, wie beispielsweise die Garantie von Bewegungsfreiheit der ganzen Familie oder bestimmter Familienmitglieder.“ (SFH, 1. Juli 2016, S. 9)

In einer Anfragebeantwortung der BFA Staatendokumentation vom Mai 2018 finden sich folgende Informationen:

„Einem Bericht des BM.I-Verbindungsbeamten-Büros für Kosovo vom September 2017 ist zu entnehmen, dass Blutrachefälle, die durch den Kanun geregelt werden, immer weniger werden. Die Gründe dafür sind, dass die Tötungen gerichtlich verfolgt und die Täter zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt werden. Die geringere Anzahl der Blutrachenfälle ist auch mit dem Einsatz von Mediatoren zu erklären. Sie versuchen die Versöhnung von Familien zu arrangieren, die in Blutfehde miteinander leben. Während der Mediation ist die Bedeutung der sog. Besa zu erörtern. Die Besa schützt von der Blutrache Bedrohte für gewisse Zeiten (ein, sechs Monate, 2 Jahre oder länger) vor Verfolgung. Während der Besa dürfen sich die gefährdete Person und deren Familie frei bewegen. Im Falle einer bestehenden Blutrache ist es möglich, dass die Familie des Opfers Rache ausübt, auch wenn sich der Täter im Ausland/Europa befindet. Dem befragten Mediator sind jedoch solche Fälle nicht bekannt:

Wie wird heutzutage die Blutrache in Kosovo behandelt?

Answer: ‘Blood-feud phenomenon is being handled according to ‘KANUN’. However, It is to be pointed out that nowadays, the cases that people ‘revenge’ are very low. Reasons behind this are: they want authorities (legal system) to deal with that issue, Kosovo families are getting very small (3-5 members within a family), which makes them differ from the past and whoever kills someone will end up for many years in prison. The low number of cases that would take revenge is linked also with the fact that ‘Mediators’ in Kosovo help families to ‘forgive’. Mediators would do their best to convince the family of the victim to forgive the ‘other side’ the committed crime. We say and try to convince people that it is court that deals with the issue. […] During the mediation time, the family of the victim can give a time ‘BESA’ to the family of the killer, for example: 1, 6 months, 2 years or more. During this period, the family of the killer is allowed to move freely anywhere and nothing would happened to them from the family of the victim.

Ist die folgende Aussage über die Schutzmöglichkeiten von einem ehemaligen Bericht des VB für Kosovo vom 2015 noch gültig? Answer: It is possible that the family of the victim would revenge against the other side, even if the ‘other side’ is living somewhere in Europe. However, this possibility is very low and I have never heard of any such case.’ VB-Büro des BM.I in Pristina (29.9.2017): Bericht des VB-Büros, per E-Mail” (BFA Staatendokumentation, 14. Mai 2018, S. 5)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, schreibt in einem Bericht vom November 2016, dass die traditionelle Praxis der Blutfehde durch die Versöhnungskampagnen zwischen 1990 und 1997 stark zurückgegangen sei, dass aber in der Zeit vor der Veröffentlichung des Berichts über ein paar Fälle im ländlichen Raum berichtet worden sei. Die Behörden würden bei derartigen Angelegenheiten oft nicht eingreifen, aber ein Team, das dem Ombudsmann unterstellt sei, könne eingreifen, und Familien, denen eine Blutfehde drohe, unterstützen. Bei einer im Juni 2015 durchgeführten Fact-Finding-Mission hätten lokale AnwohnerInnen über die beständige Praxis von Versöhnungszeremonien zwischen Familien unter Einbeziehung religiöser Personen berichtet:

„5.3.5. Persons exposed to blood feud (vendetta)

The traditional practice of vendetta has declined significantly since the reconciliation campaigns throughout 1990-1997, although some recent cases have been reported in rural areas. The authorities do not often intervene in these matters but a team reporting to the Ombudsman can intervene to help families at risk of vendetta. Local people interviewed by the joint mission of the OFPRA [Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides], CNDA [Cour nationale du droit d'asile] and BAMF [Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] in June 2015 reported the persistent practice of reconciliation ceremonies between families involving religious persons.“ (EASO, November 2016, S. 34)

Balkan Insight, die Onlinepublikation des Balkan Investigative Reporting Networks (BIRN), die analytischen und investigativen Journalismus über politische, ökonomische und soziale Themen betreibt, schreibt in einem Artikel vom November 2016, dass man davon ausgehe, dass Blutrache der Grund für zahlreiche Todesfälle sei. Es gebe aber keine Schätzungen bezüglich der Opfer, da die lokalen Behörden üblicherweise und häufig absichtlich vermeiden würden, Statistiken zu diesen Fällen zu führen und die Toten zu den anderen Todesfällen zu rechnen. Kanuni i Leke Dukagjinit, dem zufolge die Familie einer ermordeten Person eine männliche Person des Familie des Mörders, die über 18 Jahre alt sei, töten solle, erlaube es aber auch, dessen Leben zu verschonen und „das Blut zu vergeben“, was als Zeichen höchster Moral gelte. In manchen Teilen des Kosovo würden Dorfälteste, die sich zu informellen Versöhnungsräten zusammengeschlossen hätten, dabei helfen, das Blutvergießen zu verhindert, indem sie bei der Versöhnung der Familien helfen würden, die in einer Blutfehde gefangen seien. Einer der aktuellsten Fälle sei die Versöhnung der Familien Malaj und Lufaj. Direkt nach der unabsichtlichen Tötung eines 9-jährigen Jungen sei der lokale Versöhnungsrat aktiv geworden und habe die Familie des Jungen gebeten, der Familie des Mörders „Besa“ zu gewähren, eine Ehrenwort, das der Familie des Mörders garantiere, dass man für eine bestimmte Zeit nicht mit Gewalt reagiere. In der Zwischenzeit hätten die Mitglieder des Rats die Familie des Opfers besucht und davon zu überzeugen versucht, das „Blut zu vergeben“, was letzten Ende auch geschehen sei. Die Mitglieder des Rates hätten nicht angeben können, wie viele ähnliche Fälle es in der Region Decan genau gebe, aber der Leiter des Rats habe zugegeben, dass es alleine im Dorf Strellc zu diesem Zeitpunkt neun Blutrachefälle gegeben habe. Er habe angegeben, dass es auch Fälle gebe, in denen die Familien der Opfer nicht zustimmen würden, der Familie des Mörders „Besa“ zu gewähren. In diesen Fällen seien die Mitglieder der Familie des Opfers, insbesondere die Männer, bis zu einer möglichen Versöhnung eingesperrt:

„About a year ago, in the town of Decan in the Western part of Kosovo, Donard Lufaj has accidentally killed 9 year old boy Ylber Malaj. Lufaj is currently in prison and his trial is ongoing, but the Malaj family was initially not counting on the local court to bring them justice.

The Kanuni i Leke Dukagjinit, a code of law instituted in the 15th century among the tribes of northern Albania by a local nobleman Lekë Dukagjini, in such a case authorizes an eye-for-an-eye revenge. According to this code, the family of a murdered person should kill a male member of the murderer's family older than 18 years of age.

Over the centuries, the ‘blood- for- blood’ tradition spread across Albania, Kosovo and even parts of Montenegro, and is still present in some local communities in the 21st century. This phenomenon is believed to be the cause of numerous deaths, as entire families vanished in this circle of killing. Yet even rough estimates of its casualties are not available since local authorities usually - and often deliberately - avoid keeping the track of these disturbing statistics, but add those deaths with all the others.

The Kanuni i Leke Dukagjinit, however, also allows the family whose member was killed to spare the life and ‘forgive the blood,’ which is considered to be the sign of the highest morality. In some parts of Kosovo, village elders gathered in informal reconciliation councils, have taken up a mission to prevent the bloodshed by helping reconciliation among those families locked in a blood feud.

One of the most recent such cases was reconciliation between Malaj and Lufaj families. Right after the killing, a local reconciliation council sprang into the action. In line with the code, the most respected local elder has asked the boy’s family to give ‘Besa’ - a word of honor, to the murderer’s family, guaranteeing them that they will not respond with violence for a certain period. Meanwhile, the reconciliation council members continuously visited the family of murdered boy, trying to convince them to ‘forgive the blood’. […] When Malaj family finally decided to ‘forgive the blood’, men from that area gathered in the reconciliation ceremony. The reconciliation process and the ceremony carefully followed the Code of Leke Dukagjini. […]

The Council members could not tell the exact number of similar cases in region of Decan, but Kamaj admitted that only in Strellc village, there are currently nine blood feud cases. He said there are also cases in which families of victims do not agree to give Besa to the murderer’s families. In such cases, members of the murderer’s family - especially men - are locked, until a moment of a possible reconciliation.“ (Balkan Insight, 4. November 2016)

In einem Entscheidungstext des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom Dezember 2017 finden sich folgende Informationen aus dem Länderinformationsblatt der BFA Staatendokumentation:

„4.1. Exkurs: Blutrache

Auch wenn traditionelle Lebensformen im modernen Kosovo an Bedeutung verlieren, ist die kosovarische Gesellschaft noch patriarchalisch und ländlich geprägt. Gerade bei der ländlichen Bevölkerung sind althergebrachte Sitten, Tradition und Kultur noch sehr lebendig (Clan-Struktur, Patriarchat, Gewohnheitsrecht). Ein Relikt aus dem albanischen Gewohnheitsrecht (dem Kanun) ist die Tradition der kosovo-albanischen Blutrache, auch als gyakmarrja, gyakmarrya, gjakmarrya, and gjakmarrja bezeichnet. Diese war bis in die 1980er Jahre ein weit verbreitetes Phänomen in Kosovo. Die reine Tradition der Blutrache ist heute aber nur noch vereinzelt anzutreffen. Allerdings sind insbesondere außerhalb der größeren Städte nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten. Diese werden landläufig als ‚Blutrache‘ bezeichnet und beharrlich betrieben (BAMF 5.2015).

Insbesondere außerhalb der größeren Städte sind nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten. Diese werden landläufig als ‚Blutrache‘ bezeichnet und ohne Beachtung der einschränkenden Regeln des Kanun (der Eröffnung, Ablauf und Beendigung regelt) beharrlich betrieben, zum Teil mit blutigen bzw. tödlichen Folgen. Beteiligte an solchen Taten werden verfolgt, angeklagt und verurteilt (AA 25.11.2014).

Im derzeit gültigen Strafgesetzbuch (CRIMINAL CODE OF THE REPUBLIC OF KOSOVO Code No. 04/L-082, in Kraft mit 1.1.2013) wird der Begriff ‚Blutrache‘ nicht explizit erwähnt. Laut Ombudsmann ist die Praxis der Blutrache durch die Verfassung und geltende Gesetze verboten. Exekutivorgane sind dabei verpflichtet, Schutz für bedrohte Personen zu gewährleisten. Niemand ist berechtigt, Selbstjustiz zu üben.

Artikel 178 des StGB sieht eine 5-jährige Mindeststrafe für Mord und Artikel 179 eine 10-jährige Mindeststrafe für erschwerten Mord im Zusammenhang mit skrupelloser Rache vor. Laut OSCE werden blutrachemotivierte Verbrechen von den Gerichten als erschwerende Umstände bei der Bestrafung berücksichtigt. Im Falle einer Bedrohung aufgrund einer Blutfehde kann man sich an die Polizei, die im Kosovo über einen guten Ruf verfügt, wenden, die jedoch keinen 24-Stunden-Schutz anbieten kann. Die Polizei behandelt jedoch Morde im Zusammenhang mit einer Blutfehde wie jeden anderen Mord auch, diesbezügliche Mörder werden unter verschärfte Kontrolle gestellt, um damit ein Exempel zu statuieren. Blutrachemorde werden untersucht und verfolgt, wobei die Strafen üblicherweise zwischen 15 und 25 Jahre Gefängnis liegen (IRB 10.10.2013).“ (BVwG, 6. Dezember 2017)

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 7. November 2018)