Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Unterscheidung zwischen Türken und Turkmenen, Vorkommen türkischer Gemeinden, Verhalten von Behörden gegenüber ethnischen Türken, Verhalten anderer Volksgruppen gegenüber ethnischen Türken [a-10295]

6. September 2017

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Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (AAN), schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom September 2017 Folgendes zur Unterscheidung zwischen Türken und Turkmenen:

„‚Türkei-Türken‘ (Osmanli ist, glaube ich, die richtige Bezeichnung) gibt es in Afghanistan nicht. Es gibt einige Turk(sprachige) Völker. Das schließt der geschätzten Anzahl nach von oben nach unten ein: Usbeken, Turkmenen, Kirgisen, Kasachen, Karakalpaken (die letzten 3 nur wenige tausend oder sogar hunderte). die Turkmenen dürften davon sprachlich den Osmanli am nächsten stehen.

Ich bin nicht ganz sicher, aber umgangssprachlich würden sich die o.g. ethnischen Gruppen nicht als ‚Turk‘(so hieße es in Afghanistan) bezeichnen, sondern als ‚uzbak‘, ‚turkman‘ etc.

Es gibt auch den Begriff ‚turk-tabar‘ (pl. turk-tabaran), der für ‚Türkischstämmige‘ im breitesten Sinne steht und sogar nicht-Türkisch Sprecher (Tadschiken, Aimaq...) einschließen würde – das grenzt dann aber schon an Pan-Turanismus und das Mythische.“ (Ruttig, 5. September 2017)

Professorin Ingeborg Baldauf, die am Zentralasien-Seminar im Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt und zu Turkvölkern in Afghanistan forscht, schreibt in einer Email-Auskunft vom 7. September 2017, dass es „ethnische Türken", wie sie in der Anfrage bezeichnet worden seien, in Afghanistan erst einmal nicht gebe. Falls damit Türken aus der Türkei gemeint sein sollten, so würden durchaus einige davon in Afghanistan als Lehrer der Gülen-Schulen, als GONGO-Angehörige [government-organized non-governmental organization], und natürlich auch als Geschäftsleute leben. Es handele sich hierbei aber um ganz wenige Personen, die nur kurzzeitige Gäste im Land seien.

 

Einheimisch in Afghanistan seien zwei große „Turkvölker", nämlich Usbeken und Turkmenen. Hierbei handele es sich nur in einem historisch-sprachwissenschaftlichen Sinn um „Türken". Afghanische Turkmenen und Usbeken hätten mit den Türkei-Türken keinen unmittelbaren Zusammenhang. Insofern sei es falsch, sie als „Türken" zu bezeichnen, aber es werde immer wieder gemacht, vor allem auch von Turkmenen oder Usbeken aus Afghanistan selber, wenn diese auf ihrer Migration z.B. in der Türkei gewesen, dort als „Angehörige eines türkischen Brudervolks" bezeichnet worden seien und sich das angeeignet hätten. Solche Personen hätten wahrscheinlich häufig Formulierungen gehört wie „Wir sind doch alles Türken", und hätten diese verwirrende Ausdrucksweise, die in der Türkei oft verwendet werde, übernommen.

 

Usbeken wie Turkmenen Afghanistans seien Angehörige einer afghanischen ethnischen Minderheit. Sie hätten nach der Verfassung von 2004 einen gleichrangigen Status als Staatsbürger. Daher würden ihnen auch bestimmte kulturbezogene Minderheitenrechte, u.a. das Recht auf Benutzung ihrer Sprachen als „dritte offizielle Sprachen" - neben Farsi und Paschtu - in Gegenden, wo diese Minderheiten in größerer Masse leben würden, gewährt. De facto seien die Minderheiten aber nicht wirklich gleichberechtigt; sie würden von vielen afghanischen Privatpersonen und auch teils von Staatsbeamten, Politikern usw. zumindest herablassend, manchmal auch diskriminierend behandelt. Dies habe aber oft gar nicht primär ethnisch bedingte Gründe, sondern überlappe sich mit anderen Diskriminierungsgründen, unter anderem einer falschen politischen Einstellung oder Vergangenheit, einer regionalen oder lokalen Loyalität zu den falschen Warlords oder anderen Machthabern, einer falschen Clan/Familien-Zugehörigkeit usw.

 

Die betreffenden Personen mit einem afghanischen Pass oder Personaldokument seien somit sicherlich nicht „Türken" im Sinne von „Türkei-Türken“, wenn sie sich als Türken bezeichnen würden, sondern Usbeken, Turkmenen oder Angehörige von einigen sehr kleinen „Turkvölkern“, die in Afghanistan seit Jahrhunderten ansässig seien und mit der Türkei nichts zu tun hätten. (Baldauf, 7. September 2017)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. September 2017)

·      Baldauf, Ingeborg: E-Mail-Auskunft, 7. September 2017

·      Ruttig, Thomas: E-Mail-Auskunft, 5. September 2017