Dokument #1173079
Amnesty International (Autor)
Die Menschenrechte der Roma wurden weiterhin verletzt. Zwangsräumungen trugen dazu bei, Angehörige der Roma noch stärker zu marginalisieren und in die Armut zu treiben. Abfällige und diskriminierende Bemerkungen italienischer Politiker über Roma, Migranten und Angehörige sexueller Minderheiten förderten ein Klima zunehmender Intoleranz. 2010 waren erneut gewalttätige homophobe Übergriffe zu verzeichnen. Asylsuchende, die sich um internationalen Schutz bemühten, hatten kaum Zugang zu einem wirksamen Verfahren. Nach wie vor trafen Berichte über Misshandlungen von Häftlingen durch Bedienstete der Strafverfolgungsbehörden ein. Es bestand auch weiterhin Anlass zur Sorge, dass beim Verdacht der Misshandlung von Personen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und entsprechenden Todesfällen keine gründlichen Untersuchungen erfolgten. Italien weigerte sich, Folter als eigenen Straftatbestand in nationales Recht aufzunehmen.
Im März 2010 besuchte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte zum ersten Mal Italien. Sie äußerte u.a. Besorgnis darüber, dass die italienischen Behörden Roma und Migranten vor allem als "Sicherheitsproblem" betrachteten, anstatt sich darum zu bemühen, sie in die Gesellschaft zu integrieren.
Im April veröffentlichte der Ausschuss des Europarats zur Verhütung von Folter Berichte über zwei seiner regelmäßigen Besuche in Italien, die im September 2008 und im Juli 2009 stattgefunden hatten. In den Berichten wurde insbesondere kritisiert, dass Folter im italienischen Strafgesetzbuch nicht als eigener Straftatbestand behandelt wird, sowie die Überbelegung der Strafvollzugsanstalten. Außerdem verurteilte der Ausschuss die gängige Praxis, Migranten bereits im Mittelmeer abzufangen und sie zur Rückkehr nach Libyen oder in ein anderes außereuropäisches Land zu zwingen, da dies einen Verstoß gegen den Grundsatz des Non-Refoulement (Verbot der Rückführung von Personen in Länder, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen) darstelle.
Am 25. Juni 2010 gelangte der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte zu dem Schluss, dass Italien Roma und Sinti diskriminiere, da ihnen die Wahrnehmung mehrerer Rechte verweigert werde, darunter die Rechte auf angemessenen Wohnraum und auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung.
Im Februar bewertete der UN-Menschenrechtsrat im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) die Menschenrechtslage in Italien. In ihrer Antwort im Mai wies die italienische Regierung zwölf der 92 Empfehlungen zurück. Anlass zur Sorge bot dabei vor allem die Tatsache, dass sich die Regierung weigerte, den Straftatbestand Folter in das italienische Recht aufzunehmen, und dass sie es ablehnte, den Straftatbestand "illegale Einwanderung" abzuschaffen.
Roma litten in den Bereichen Bildung, Wohnen, Gesundheit und Beschäftigung weiter unter Diskriminierung. Abfällige Bemerkungen einiger Politiker und Behördenvertreter trugen zu einem Klima der Intoleranz gegenüber Roma, Migranten und Angehörigen sexueller Minderheiten bei.
Im August 2010 nahm die von der italienischen Polizei eingerichtete Beobachtungsstelle zum Schutz vor Diskriminierung (Osservatorio per la Sicurezza contro gli Atti Discriminatori) ihre Arbeit auf. Durch diese Einrichtung soll es Opfern leichter gemacht werden, bei diskriminierenden Übergriffen Anzeige zu erstatten.
Im ganzen Land kam es auch 2010 zu Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen. Manche Familien waren sogar mehrfach von Zwangsräumungen betroffen, die das Gemeinschaftsleben unterbrachen, Probleme mit Arbeitsstellen verursachten und einen geordneten Schulbesuch der Kinder unmöglich machten.
Es gab weiterhin zahlreiche gewalttätige homophobe Übergriffe. Aufgrund einer Gesetzeslücke erhielten Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität Opfer einer Straftat wurden, nicht denselben Schutz wie die Opfer anderer Formen von Diskriminierung.
Asylsuchenden und Migranten wurden nach wie vor ihre Rechte verweigert, insbesondere das Recht auf Zugang zu einem fairen und zufriedenstellenden Asylverfahren. Die Behörden versäumten es, diese Personengruppe ausreichend vor rassistisch motivierten Gewaltakten zu schützen. Einige Politiker und Vertreter der Regierung stellten unbegründete Verbindungen zwischen Migranten und Kriminalität her und trugen auf diese Weise zu einem Klima der Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit bei.
Der UN-Hochkommisar für Flüchtlinge (UNHCR) und verschiedene NGOs äußerten sich erneut besorgt über die Vereinbarungen zwischen Italien und Libyen sowie anderen Staaten zur Kontrolle der Flüchtlingsströme. Aufgrund dieser Vereinbarungen wurde Hunderten von Asylsuchenden, darunter vielen Kindern, der Zugang zu Verfahren verwehrt, um ihre Ansprüche auf internationalen Schutz zu überprüfen. Die Zahl der in Italien gestellten Asylanträge ging weiterhin drastisch zurück.
Im Dezember 2010 bestätigte das Berufungsgericht Mailand die Urteile, die 2009 gegen 25 US-amerikanische und italienische Sicherheitsbeamte wegen ihrer Beteiligung an der Entführung von Abu Omar verhängt worden waren. Abu Omar war 2003 in Mailand auf offener Straße gekidnappt und von CIA-Agenten rechtswidrig von Italien nach Ägypten verbracht worden, wo er an einem unbekannten Haftort gefoltert worden sein soll. Die Verurteilung der 23 US-amerikanischen Sicherheitsbeamten zu Freiheitsstrafen von bis zu neun Jahren erging in Abwesenheit. Das Gericht bestätigte auch die Einstellung des Verfahrens gegen fünf hochrangige Beamte des italienischen Geheimdienstes aus Gründen der Staatssicherheit.
Die Strafverfahren gegen die beiden 2009 aus der Haft in Guantánamo Bay nach Italien überstellten tunesischen Staatsbürger Adel Ben Mabrouk und Riadh Nasseri wegen terroristischer Straftaten waren Ende 2010 noch nicht abgeschlossen. Es wurden Befürchtungen laut, die beiden Beschuldigten könnten nach Tunesien abgeschoben werden, was einen Verstoß gegen den Grundsatz des Non-Refoulement darstellen würde.
Im Jahr 2010 trafen erneut Berichte über Misshandlungen von Häftlingen durch Bedienstete der Strafverfolgungsbehörden ein. Es gab weiterhin Anlass zu der Befürchtung, dass die Ermittlungen über Misshandlungen und Todesfälle im Gewahrsam nicht mit der erforderlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfolgten, dass es bei der Beweisaufnahme und Beweissicherung an der gebotenen Sorgfalt mangelte und dass die Täter daher meist nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Um zu erreichen, dass eine gründliche Untersuchung stattfand und die Täter vor Gericht gestellt wurden, waren wiederholte Eingaben der Opfer und ihrer Familien bei den zuständigen Behörden nötig.
Im März und im Mai 2010 verkündete das Berufungsgericht Genua in zweiter Instanz seine Urteile in den Verfahren wegen Misshandlung und Folterung von Demonstrierenden durch Polizeibeamte während des G8-Gipfels im Juli 2001. Ende 2010 bestand weiterhin die Möglichkeit, beim Berufungsgericht Rechtsmittel einzulegen.
Im März 2010 stellte das Gericht fest, dass die meisten Straftaten, die sich während des Gewahrsams in der Polizeikaserne Bolzaneto ereignet hatten, darunter schwere Körperverletzung sowie willkürliche Durchsuchungen und Leibesvisitationen, in der Zwischenzeit verjährt seien. Es verurteilte aber dennoch alle 42 Angeklagten dazu, Schadenersatz an die Opfer zu leisten. Gegen acht Angeklagte verhängte es zudem Haftstrafen von bis zu drei Jahren und zwei Monaten.
Im Mai befand dasselbe Gericht auch 25 der 28 Polizisten für schuldig, die in der Armando-Diaz-Schule Demonstrierende in ähnlicher Weise misshandelt hatten, und verhängte Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Unter den Verurteilten waren auch einige hochrangige Polizeibeamte, die bei den Vorfällen zugegen waren. Viele Anklagepunkte wurden wegen Verjährung fallengelassen.
Hätte Italien einen spezifischen Straftatbestand Folter ins Strafgesetz aufgenommen, wäre keine Verjährung eingetreten.
Delegierte von Amnesty International besuchten das Land im März und im Juli.
The wrong answer: Italy's "Nomad Plan" violates the housing rights of Roma in Rome (EUR 30/001/2010)
Dangerous Deals: Europe's reliance on "diplomatic assurances" against torture (EUR 01/012/2010)
Open secret: Mounting evidence of Europe's complicity in rendition and secret detention (EUR 01/023/2010)
© Amnesty International
Amnesty International Report 2011 - The State of the World's Human Rights (Periodischer Bericht, Englisch)
Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte (Periodischer Bericht, Deutsch)