Anfragebeantwortung zu Ägypten: Blutrache und Schlichtungsmechanismen in der Provinz Assiut; Verhalten der Sicherheitskräfte; Vertreibung beziehungsweise Verbannung als Schlichtungsmechanismus [a-9884]

24. Oktober 2016

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Blutrache, Schlichtungsmechanismen und Verhalten der Sicherheitskräfte

Allgemeine Informationen zum Thema Blutrache in Ägypten und zum Verhalten der Sicherheitsbehörden entnehmen Sie bitte folgender Anfragebeantwortung von ACCORD:

 

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Ägypten: Blutrache: Verbreitung, Intervention der Behörden [a-9681], 8. Juni 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/325310/465129_de.html

 

Al-Arab Online, das Online-Nachrichtenportal der in London herausgegebenen arabischsprachigen Zeitung Al-Arab, berichtet in einem Beitrag vom Jänner 2016, dass zahlreiche Forscher in Studien zu Problemen der ägyptischen Gesellschaft angegeben hätten, dass Blutfehden in den letzten Jahren im Süden des Landes hunderte Tote gefordert hätten.

Statistiken der Sicherheitskräfte hätten 196 Tote und 214 Verletzte allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2015 in den drei oberägyptischen Provinzen Assiut, Qena und Sohag erfasst, in denen es täglich Tote oder Verletzte gegeben habe. Die Praxis der Blutfehde werde in Oberägypten als ein Zeichen von Einfluss und Hegemonie wahrgenommen und die Stadt Al-Badari in Assiut zähle zu den Städten, in denen dieses Phänomen am stärksten verbreitet sei. Laut Angaben aus Sicherheitskreisen seien die meisten Einwohner der Stadt in eine Blutfehde verwickelt und zwischen manchen Familien bestehe eine Feindschaft, die länger als 50 Jahre zurückreiche. Die ausgehandelten Versöhnungsübereinkommen zwischen den Familien hätten Waffenstillständen geglichen, die wiederholt gebrochen worden seien. (Al-Arab, 12. Jänner 2016)

 

ONews Agency (ONA), eine ägyptische Nachrichtenwebseite, berichtet im September 2016, dass ein Aussöhnungsgremium in der Provinz Assiut in Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium die Aussöhnung der beiden Familien „Hasanajn“ und „Mu’min“ im Dorf al-Hawatika im Bezirk Manfalout abgeschlossen habe. Die Blutfehde zwischen den beiden Familien, bei der drei Personen getötet und zwei Kinder verletzt worden seien, habe zwei Jahre lang angedauert. Die Fehde habe begonnen, als ein Bauer der Familie Hasanajn und der Fahrer einer Autorikscha bei einem Streit über den Vorrang im Verkehr getötet worden seien. Die Aussöhnung sei in Anwesenheit des Polizeipräsidenten von Assiut und weiterer führender Polizeikräfte, der Mitglieder des Aussöhnungsgremiums sowie von mehr als 1.000 Bewohnern der umliegenden Dörfer vollzogen worden. (ONA, 30. September 2016)

 

Die ägyptische Zeitung Mobtada schreibt im August 2016, dass der Anstieg von Blutfehden in der Provinz Assiut, von denen es nach offiziellen Statistiken im letzten Jahr 415 Fälle gegeben habe, zu einem dringenden Bedürfnis geführt habe, ein Gremium zu bilden, welches dem Blutvergießen Einhalt gebieten könne. Daher habe die Provinz Assiut ein „Gremium der Aussöhnung und des Dienstes an der Gesellschaft“ gebildet, das Fehden beenden solle. Die Anzahl des zentralen Vorstandes des Aussöhnungsgremiums, das nach Beschluss des Provinzgouverneurs 2015 geschaffen worden sei, habe 51 Mitglieder. Der Unterausschuss umfasse 139 Mitglieder, die alle Bezirke der Provinz vertreten würden. Der Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen, der zugleich Vorstand des Aussöhnungsgremiums in Assiut sei, habe angegeben, dass das Gremium zwischen Jänner 2015 und Mai 2016 46 Blutfehden beendet habe. Es würden viele Aussöhnungssitzungen stattfinden, in denen das „Leichentuch“ ein zentrales Symbol der Versöhnung darstellen würde. An den Sitzungen würden hunderte Bürger der betroffenen Dörfer oder Bezirke sowie Mitglieder der an der Fehde beteiligten Familien teilnehmen. Der Polizeichef von Assiut habe angegeben, dass die Sicherheitskräfte nicht allein diese Gebräuche ausmerzen könnten, sondern die gemeinsamen Anstrengungen von allen notwendig seien. Er habe eine mögliche Unterstützung der Aussöhnungsgremien und der Familienältesten bei der Beendigung von Blutfehden hingewiesen und angegeben, dass die Verwaltung an einer Verbesserung der Sicherheitslage arbeite. Der Artikel enthält auch Bilder von Schlichtungs- beziehungsweise Aussöhnungssitzungen. (Mobtada, 12. August 2016)

 

Al-Tahrir, eine ägyptische unabhängige Tageszeitung, schreibt in einem Artikel vom Juli 2016, dass im Ort Abnoub in der Provinz Assiut bei einem Racheakt drei Personen, darunter zwei Brüder, getötet und eine weitere Person verletzt worden seien. Der Hintergrund sei eine dreijährige Blutfehde zwischen den Familien „Hamd“ und „Hifnawi“ in der Ortschaft Al-Mandara Qibli im Bezirk Manfalout, die bis dato neun Tote und sechs Verletzte zur Folge gehabt habe. (Al-Tahrir, 25. Juli 2016)

 

Die Egyptian International Organisation for Human Rights and Development (EIOHRD) berichtet in einer Mitteilung auf ihrer Webseite vom Juli 2016, dass Sicherheitskräfte zusammen mit Männern des Aussöhnungsgremiums und örtlichen Führungspersönlichkeiten eine Blutfehde zwischen den Familien „Abd al-Al Ahmad“ aus Abnoub und „Al-Schujuhi“ aus al-Mutiaa beendet hätten. Unter der Führung der Sicherheitskräfte sei die Aussöhnung dadurch abgeschlossen worden, dass die Familie Abd al-Al Ahmad als Zeichen der Vergebung ein Leichentuch vom Täter angenommen und der Familie Al-Schujuhi vergeben habe. (EIOHRD, 5. Juli 2016)

 

Al-Wafd, eine von der ägyptischen Wafd-Partei herausgegebene Tageszeitung, berichtet im April 2016, dass aufgrund einer Blutfehde erneut Kämpfe zwischen den Familien „Al-Aawaschir“ und „Al-Schaajiba“ in der Stadt Al-Badari in Assiut ausgebrochen seien. Mitglieder beider Familien hätten das Feuer aufeinander eröffnet, dann seien die Sicherheitskräfte gerufen worden, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Fehde reiche drei Jahre zurück, als Mitglieder der Familie Al-Schaajiba drei Personen der Familie Al-Aawaschir bei ihrer Rückkehr aus der Stadt Assiut nach Al-Badari aufgelauert und das Feuer auf sie eröffnet hätten, was ihren Tod und den Tod des Fahrers zur Folge gehabt habe. Die Getöteten seien beschuldigt worden, zuvor die Häuser der Familie Al-Schaajiba sowie benachbarte Häuser angegriffen zu haben und sieben Familienmitglieder getötet sowie vier weitere verletzt zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft habe damals die Fälle von 14 Personen beider Familien an das Strafgericht verwiesen. (Al-Wafd, 26. April 2016)

 

Al-Masriyoun, eine ägyptische Tageszeitung, berichtet im März 2016, dass es in einigen ägyptischen Provinzen Gegenden gebe, die sich außerhalb der Kontrolle der Sicherheitsbehörden befinden würden und zu denen diese keinen Zutritt mehr hätten. Erwähnt werden in Zusammenhang mit der Provinz Assiut unter anderem die im Nil gelegenen Inseln Bani Fiz, Al-Wasta und Al-Sahil. Die Einwohner von Bani Fiz im Süden der Provinz Assiut würden Granatäpfel anbauen und exportieren. Die Millionen Ägyptische Pfund, die man dadurch verdiene, würden in die Taschen der Waffenhändler fließen, wodurch Blutfehden zwischen den Familien entstehen würden. Seit Monaten sei eine Blutfehde innerhalb einer Familie wieder aufgeflammt, was Bewohner daran gehindert habe, ihre Häuser zu verlassen und die Kinder vom Schulbesuch abgehalten habe. Die Sicherheitskräfte würden sich mit diesem Problem nur von weitem befassen. Was die Insel Al-Sahil/Al-Awna im Bezir Sahil Salim in Assiut angehe, so habe es auch dort die Polizei nicht geschafft, mit den in Fehde befindlichen Familien zusammenzuarbeiten und sie zu einer Entwaffnung zu zwingen. Statt ihrer Maschinengewehre würden sie nur ihre alten Waffen abgeben. (Al-Masriyoun, 23. März 2016)

 

Die unabhängige ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm berichtet in einem Artikel vom Jänner 2016, dass das Aussöhnungsgremium zusammen mit dem Polizeipräsidium von Assiut eine fünf Jahre andauernde Fehde zwischen einer Familie des Dorfes Al-Khawalid und Familien des Dorfes Al-Gharib im Bezirk Sahil Salim beendet habe. Die Aussöhnung habe im Beisein des Provinzgouverneurs und des Polizeipräsidenten von Assiut sowie weiterer führender Polizeikräfte und Ermittlungsleiter sowie des Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen stattgefunden. Die Versöhnungszeremonie habe mit der Lesung von Koranversen begonnen. Die eine Konfliktpartei habe nach mehreren Ansprachen der Amtsträger dem Sohn des Getöteten der anderen Konfliktpartei ein symbolisches Leichentuch übergeben. Der Vater sei bereits 2011 bei einer Auseinandersetzung zwischen den Familien aus Versehen von Schüssen getötet worden. (Al-Masry Al-Youm, 2. Jänner 2016)

 

Sada Elbalad, ein ägyptischer staatsnaher Fernsehsender, berichtet auf seiner englischsprachigen Webseite im Dezember 2015, dass der Strafgerichtshof in Assiut zehn Personen, die wegen Beteiligung an einer Blutfehde schuldig gesprochen worden seien, zum Tode verurteilt habe [Es handelt sich um die in der vorigen Quelle erwähnten Familien, Anm. ACCORD]. Der Streit der beiden Familien habe sich ursprünglich „an einem Laib Brot“ entzündet und habe elf Personen das Leben gekostet. Acht der zehn Angeklagten seien in Abwesenheit verurteilt worden. Ein weiterer Angeklagter sei zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt worden:

„Assiut criminal court sentenced on Wednesday 10 offenders to death over feudal dispute. The dispute broke out between Al-Shayba and Al-Awasheer families due to an altercation erupted over ‘a loaf of bread’ in which 11 people were killed. 8 of those defendants were sentenced to death in absentia. Grand Mufti approved the verdict last November. The court also sentenced one defendant to 10 years in jail.“ (Sada Elbalad, 1. Dezember 2015)

The Cairo Post, die englische Ausgabe der in Privatbesitz befindlichen ägyptischen Tageszeitung Youm7, berichtet im Oktober 2015, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen zwei Familien in der Stadt Al-Badari in der Provinz Assiut am 13. Oktober den Schulunterricht einer Grundschule unterbrochen hätten. Die Stadt sei, besonders infolge der Aufstände 2011 und der mangelnden Sicherheit an der Grenze zu Libyen, bekannt für ihre Blutfehden und für ihre schwer bewaffneten EinwohnerInnen. Mitarbeiter der Polizeikräfte seien eingetroffen und hätten das Umfeld der Grundschule sowie die Häuser beider Familien abgeriegelt, während Staatsanwälte Ermittlungen eingeleitet hätten. Es seien keine Todesopfer gemeldet worden:

„Armed clashes erupted Tuesday between two families in Upper Egypt’s governorate of Asyut have disrupted education in a primary school, Youm7 reported.

The feud-triggered clashes erupted between the Al-Nawaser and Al-Fearan families in Asyut’s southern town of al-Badary, known for blood feuds, locally known as Al-Tar. The town is also known for its highly armed population, especially following the 2011 uprising and the lack of security on Egypt-Libya borderline.

Scores of police forces moved to the scene and cordoned off the vicinity of the primary school and homes of the two families while the prosecutors began investigating the crime, security source at Asyut security directorate told Youm7. No casualties were reported.“ (The Cairo Post, 13. Oktober 2015)

El Badil, eine unabhängige ägyptische Wochenzeitung, berichtet in einem Artikel vom Oktober 2014, dass sich das Phänomen der Blutfehde in der Provinz Assiut ausgeweitet habe, besonders in den Orten Al-Badari, Dajrout und Ghanajim, deren Bewohner besonders durch Clanstrukturen gekennzeichnet seien. Laut Angaben der Sicherheitsbehörden hätten Vorfälle im Rahmen von Blutfehden seit der Jännerrevolution 2011 bereits 1.031 Tote und 3077 Verletzte in der Provinz Assiut gefordert. Die meisten Vorfälle würden sich aufgrund von Auseinandersetzungen um landwirtschaftliche Nutzflächen ereignen, die schwerwiegendsten Fälle habe es zwischen Bewohnern der Dörfer Al-Iqal Bahari im Bezirk Al-Badari und Al-Mandara, Al-Scharaqwa, Al-Hawta Al-Scharqija und Al-Awamir im Bezirk Dajroud sowie der Dörfer Al-Azizija, Al-Mawazin und Al-Deir im Bezirk Al-Ghanajim gegeben. Der Polizeipräsident von Assiut habe angegeben, dass Vorfälle von Blutfehden sich so verbreitet hätten, dass alle für die Sicherheit verantwortlichen Behörden in Oberägypten, darunter insbesondere in der Provinz Assiut, damit zu kämpfen hätten. Ein großes Problem sei die Verbreitung von Waffen. Der Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen in Assiut habe angeführt, dass Blutrachevorfälle sich in der Provinz verbreitet hätten, da die Strafverfolgung vonseiten der Sicherheitsbehörden fehle und es keine schnellen Entscheidungen vonseiten der Gerichte, besonders der Strafgerichte, in Fällen von Blutrache gebe. (El Badil, 13. Oktober 2014)

 

Egypt Independent, die englischsprachige Ausgabe der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, berichtet im Oktober 2014, dass im Rahmen einer Blutfehde, die sich an Grundstücksstreitigkeiten entzündet hätten, acht Personen getötet und vier weitere verletzt worden seien. Mitglieder der Familien Hifnawi, Hamd, Hassanein und Dardiri in den Dörfern Al-Hawatka und Al-Mandara im Bezirk Manfalout in Assiut seien an der Fehde beteiligt gewesen:

Eight people died and four others were injured on Friday in blood feud clashes over land between the families of Hifnawi, Hamd, Hassanein and Dardiri in the villages of Al-Hawatka and Al-Mandara in Manfalout, Assiut.“ (Egypt Independent, 10. Oktober 2014)

Masr Al-Arabiya, eine ägyptische Nachrichtenwebseite in Besitz des Mobilfunkanbieters O2, berichtet in einem Artikel vom November 2013 über den Ort Al-Badari, der sich circa 67 Kilometer südöstlich der Stadt Assiut befinde, und den Sicherheitskräfte als ersten der fünf Brennpunkte in der Provinz hinsichtlich der Verbreitung von Waffen bezeichnen. Man würde Männer, Frauen und Kinder mit Waffen antreffen. Gemäß Angaben aus Sicherheitskreisen seien seit Beginn des Jahres 2013 bereits 135 Personen in Blutfehden getötet worden.

Der Artikel berichtet weiters, dass laut Aussagen der Bewohner des Ortes Al-Badari keine Polizei vor Ort sei und dass Mitglieder der beiden in einer Fehde befindlichen Familien Waffen und Munition mit sich führen würden und sich gelegentlich beschießen würden, was den Zugang zu diesen Gebieten unmöglich mache. Betonblöcke seien auf der Straße aufgestellt worden, die die Häuser der beiden Familien voneinander trennen würden. (Masr Al-Arabiya, 5. November 2013)

 

Wie die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) am 2. November 2013 berichtet, seien im Gebiet Al-Badari im Gouvernement Assiut zehn Personen bei Ausschreitungen in Zusammenhang mit einer Fehde zwischen den Familien „Al-Schaajeba“ und „Al-Aawaschir“ ums Leben gekommen. Der Artikel erwähnt, dass derartige Fehden mit tödlichem Ausgang in Zentral- und Oberägypten häufig vorkämen:

„Ten people were killed in a feud between two families who went on a shooting rampage in a town of central Egypt on Saturday, security officials said. The violence in the El-Badari area of Assiut province pitted members of the El-Shaieba and El-Aawashir families. It started when a senior El-Aawashir member was shot dead along with a relative and another man in an ambush by the rival family members, a senior police officer from Assiut, Hassan Seif, told AFP. Seif said when reports of the killings spread, angry members of El-Aawashir went on a rampage, shooting at El-Shaieba members, resulting in seven more deaths. Three others were wounded in the fighting. Security officials said the El-Shaieba members carried out the initial ambush to avenge the death of a relative last year whose killing was blamed on the El-Aawashirs. The area where the fighting broke out was sealed off by security forces, Seif said. With a deeply tribal society and easy access to firearms, southern and central Egypt are often the scene of deadly feuds, sometimes resolved by local reconciliation.” (AFP, 2. November 2013)

Vertreibung beziehungsweise Verbannung als Schlichtungsmechanismus

Die Nichtregierungsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR), die sich für den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten von Bürgern einsetzt, hat Daten über konfessionelle Auseinandersetzungen und deren Lösung durch gewohnheitsrechtliche Aussöhnungssitzungen im Zeitraum Jänner 2011 bis Juni 2015 gesammelt. EIPR führt an, dass in mehreren Fällen die Anwendung von Aussöhnungssitzungen unter Verletzung der durch die Verfassung gegebenen Rechte zur Verhängung kollektiver Bestrafungen geführt habe. Dabei seien verschiedene Formen der kollektiven Bestrafung allein auf Basis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder Religion verhängt worden. Verbannungen, die gewaltsamen Vertreibungen gleichkommen würden, würden als eine der härtesten Strafen angesehen, die die ganze Familie betreffen würden, obwohl manche von ihnen nicht an der Straftat beteiligt gewesen seien beziehungsweise nicht einmal Verständnis für den Täter zeigen würden. Diese Personen würden bestraft, da sie Verbindungen zum Täter hätten:

„The Constitution also stipulates that the penalty should be proportionate to the gravity of the offense and the circumstances of the offender. We find, however, that these stipulations have been violated several times as different forms of collective punishment were imposed for no other reasons than belonging to a certain family or adhering to a minority religion. Moreover, the punishment delivered was at times contrary to known customs and went against the nature of the offenses discussed in the session. Expulsion – amounting to forced displacement – for example, is considered one of the harshest punishments that affect entire families, some of whom are not implicated by the offense committed and might not even be sympathetic to the offender. These are citizens who are dealt a punishment merely for being acquainted with the offender.“ (EIPR, Juni 2015, S. 48)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juli 2014 (Berichtszeitraum: 2013), dass die Regierung Schlichtungssitzungen, in denen Gewohnheitsrecht angewandt werde („customary reconciliation sessions“), zur Schlichtung von konfessionell motivierten Übergriffen und kommunaler Gewalt unterstützt habe. Den Sitzungen hätten normalerweise Vertreter der Provinzbehörden oder des Innenministeriums zusammen mit die Konfliktparteien vertretenden christlichen und muslimischen Religionsvertretern beigewohnt. Eine Bestrafung des Täters durch Verbannung aus dem Dorf, Kompensationszahlungen an die betroffenen Parteien oder eine Strafbestimmung im Falle eines künftigen Bruches der getroffenen Vereinbarungen würden zu den Mechanismen zählen, auf die man sich einige, um ein Ende des Konfliktes zu erreichen. In den meisten Fällen würden sich die Parteien auch darauf einigen, alle offiziellen Anklagen und Gerichtsverfahren fallen zu lassen:

„The government continued to sponsor ‘customary reconciliation sessions’ after sectarian attacks and inter-communal violence instead of prosecuting the perpetrators of the crimes. These extrajudicial sessions were usually attended by governorate officials or the Ministry of Interior, along with Christian and Muslim clergymen who represented the conflicting parties. In these sessions, the parties agree to a number of measures to stop the conflict, which may include punishment of the perpetrators by expulsion from the village, compensation for the affected parties, or a penalty clause for the future breaching of any agreement. In most cases, the parties also agree to drop all formal charges and lawsuits.“ (USDOS, 28. Juli 2014, Section 2)

Al-Masry Al-Youm schreibt in einem Artikel vom 15. Jänner 2016, dass ein Rat der Ältesten in Helwan (südlich von Kairo) in einer Gewohnheitsrechtssitzung eine Blutfehde zwischen zwei Familien beendet habe. Die Zeremonie, in der die eine Familie der anderen ein Leichentuch übergeben habe, habe nach Verhandlungen stattgefunden, die sieben Monate gedauert hätten. Die ausgehandelten Bestimmungen sähen vor, dass der Täter sein Haus verkaufen und die Region verlassen müsse, um weitere Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien zu verhindern. (Al-Masry Al-Youm, 15. Jänner 2016)

 

Vetogate, eine ägyptische Nachrichtenwebseite, berichtet im Juni 2014, dass eine Aussöhnungssitzung zwischen einer koptischen und einer muslimischen Familie in Matareja [Provinz Dakahlia] die Verbannung der koptischen Familie sowie den Verkauf ihres Besitzes innerhalb von sechs Monaten beschlossen habe. Außerdem müsse die Familie eine Million und einhundert ägyptische Pfund [103.223 Euro nach damaligem Wechselkurs, Anm. ACCORD] Strafe zahlen, fünf Kälber und eine Fläche von 200 Quadratmetern abgeben. Zusätzlich dazu müsse sie der muslimischen Familie ein symbolisches Leichentuch übergeben. Der Sitzung hätten Sicherheitskräfte und Älteste aus der Region, gewohnheitsrechtliche Schlichter sowie Medienvertreter beigewohnt. Die Auseinandersetzung zwischen den Familien sei ein Nachbarschaftsstreit gewesen, während dessen die koptische Familie das Feuer auf die muslimische Familie eröffnet habe. Acht Personen seien verletzt worden und ein Mitglied der muslimischen Familie getötet worden. (Vetogate, 10. Juni 2014)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 24. Oktober 2016)

·      Al-Arab: Die Eliminierung der Fehde in Oberägypten: Sitzungen zur Therapie einer Kultur mithilfe sicherheitstechnischer Beruhigungsmittel [Al-qada’ cala al-tha’r fi sacid masr: jalasat cilaj al-thaqafa bi-maskanat ‘amniyya], 12. Jänner 2016
http://www.alarab.co.uk/?id=70508

·      Al-Masriyoun: manatiq muharrama cala al-dakhiliya [Gegenden, deren Zutritt den Sicherheitsbehörden verwehrt ist], 23. März 2016
https://almesryoon.com/%D8%AF%D9%81%D8%AA%D8%B1-%D8%A3%D8%AD%D9%88%D8%A7%D9%84-%D8%A7%D9%84%D9%88%D8%B7%D9%86/869155-%D9%85%D9%86%D8%A7%D8%B7%D9%82-%D9%85%D8%AD%D8%B1%D9%85%D8%A9-%D8%B9%D9%84%D9%89-%C2%AB%D8%A7%D9%84%D8%AF%D8%A7%D8%AE%D9%84%D9%8A%D8%A9%C2%BB-%D9%85%D9%84%D9%81

·      Al-Masry Al-Youm: 5 akfan tunhi al-tha’r bayn qariyatay „al-khawalis wa-l-gharib“ fi asyut [Fünf Leichentücher beenden Blutfehde zwischen den beiden Dörfern Al-Chawalid und Al-Gharib in Assiut], 2. Jänner 2016
http://www.almasryalyoum.com/news/details/866768

·      Al-Masry al-Youm: jalsa curfiya tunhi khusuma tha’riya fi helwan – taqdim al-kafan wa al-tahjir min al-mintaqa [Schlichtungssitzung beendet Blutfehde in Helwan – Überreichung des Leichentuchs und Verbannung aus der Region], 15. Jänner 2016
http://www.almasryalyoum.com/news/details/874594

·      Al-Tahrir: Al-tha’r yahsid ‘awrah thalathat ‘ashkhas baynahum shaqiqayn fi asyut [Blutfehde fordert drei Tote, darunter zwei Brüder in Assiut], 25. Juli 2016
http://www.tahrirnews.com/posts/447970/%C2%AB%D8%A7%D9%84%D8%AB%D8%A3%D8%B1%C2%BB+%D9%8A%D8%AD%D8%B5%D8%AF+%D8%A3%D8%B1%D9%88%D8%A7%D8%AD+3+%D8%A3%D8%B4%D8%AE%D8%A7%D8%B5+%D8%A8%D9%8A%D9%86%D9%87%D9%85+%D8%B4%D9%82%D9%8A%D9%82%D9%8A%D9%86+%D9%81%D9%8A+%D8%A3%D8%B3%D9%8A%D9%88%D8%B7

·      Al-Wafd: Tajaddud al-ishtibakat bayn ca’ilatayn bi-asyut bisabab al-thar [Neuerliche Zusammenstöße zwischen zwei Familien in Assiut aufgrund von Blutfehde], 26. April 2016
http://alwafd.org/%D8%AD%D9%88%D8%A7%D8%AF%D8%AB-%D9%88%D9%82%D8%B6%D8%A7%D9%8A%D8%A7/1148419-%D8%AA%D8%AC%D8%AF%D8%AF-%D8%A7%D9%84%D8%A7%D8%B4%D8%AA%D8%A8%D8%A7%D9%83%D8%A7%D8%AA-%D8%A8%D9%8A%D9%86-%D8%B9%D8%A7%D8%A6%D9%84%D8%AA%D9%8A%D9%86-%D8%A8%D8%A3%D8%B3%D9%8A%D9%88%D8%B7-%D8%A8%D8%B3%D8%A8%D8%A8-%D8%A7%D9%84%D8%AB%D8%A3%D8%B1

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Ägypten: Blutrache: Verbreitung, Intervention der Behörden [a-9681], 8. Juni 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/325310/465129_de.html

·      AFP – Agence France-Presse: Egypt family feud kills 10: police, 2. November 2013 (verfügbar auf Factiva)

·      Egypt Independent: Eight die in Assiut blood feud, 10. Oktober 2014
http://www.egyptindependent.com//news/eight-die-assiut-blood-feud

·      EIOHRD - Egyptian International Organisation for Human Rights and Development: Al-kafan yunhi al-tha’r bayn ca’ilatay cabd al-cal ahmad bi-markaz ’abnoub wa ’al al-shawihi bi-qaryat al-mutica markaz asyut [Leichentuch beendet Blutfehde zwischen der Familie Abd al-Ahmad in Abnoub und der Familie al-Schawihi in al-Mutica in Assiut], 5. Juli 2016
http://eiohrd.org/index/?p=21553

·      EIPR – Egyptian Initiative for Personal Rights: According to Which Customs: The Role of Customary Reconciliation Sessions in Sectarian Incidents and the Responsibility of the State, Juni 2015
http://eipr.org/sites/default/files/reports/pdf/imposing_biased_outcomes.pdf

·      El Badil: ca’ilat bi-asyut taghraq fi mustanqac al-tha’r [Familien in Assiut versinken im Sumpf der Blutfehde], 13. Oktober 2014
http://elbadil.com/2014/10/13/%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%A7%D8%A6%D9%84%D8%A7%D8%AA-%D8%A8%D8%A3%D8%B3%D9%8A%D9%88%D8%B7-%D8%AA%D8%BA%D8%B1%D9%82-%D9%81%D9%8A-%D9%85%D8%B3%D8%AA%D9%86%D9%82%D8%B9-%D8%A7%D9%84%D8%AB%D8%A3%D8%B1/

·      Masr Al-Arabiya: Al-Badari Asyut: qaryat al-tha’r wa-l-nar [Al-Badari in Assiut: Ort der Blutfehde und Schüsse], 5. November 2013
http://www.masralarabia.com/%D8%AA%D9%82%D8%A7%D8%B1%D9%8A%D8%B1-%D9%88%D8%AA%D8%AD%D9%82%D9%8A%D9%82%D8%A7%D8%AA/132507-%D8%A7%D9%84%D8%A8%D8%AF%D8%A7%D8%B1%D9%8A-%D8%A3%D8%B3%D9%8A%D9%88%D8%B7-%D9%82%D8%B1%D9%8A%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D8%AB%D8%A3%D8%B1-%D9%88%D8%A7%D9%84%D9%86%D8%A7%D8%B1

·      Mobtada: lijan al-musalahat…kafan al-tha’r bi-asyut [Aussöhnungsgremien …”Einhüllung der Blutfehde in Leichentuch” in Assiut] 12. August 2016
http://www.mobtada.com/news_details.php?ID=498992

·      ONA – Suwar: ‘amn asyut yanjah fi ittimam al-tasaluh bayn ca’ilatayn baynahuma khusuma tha’riya bi-manfalout [Sicherheitskräfte in Assiut erfolgreich beim Abschluss einer Aussöhnung zwischen zwei Familien in Manfalout, zwischen denen eine Blutfehde besteht], 30. September 2016
http://onaeg.com/?p=2745902

·      Sada Elbalad: Court sentences 10 to death in Assiut over feud, 1. Dezember 2015
http://www.elbalad.news/1932133

·      The Cairo Post (Youm 7): Family Feud disrupts School Day in Upper Egypt, 13. Oktober 2015
http://thecairopost.youm7.com/news/171612/news/family-feud-disrupts-school-day-in-upper-egypt

·      USDOS - US Department of State: 2013 Report on International Religious Freedom - Egypt, 28. Juli 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/331025/472217_de.html

·      Vetogate: tahjir ca’ila qibtiya bi-l-matareya fi jalsat sulh curfiya [Vertreibung koptischer Familie in Matareja in gewohnheitsrechtlicher Aussöhnungssitzung], 10. Juni 2014
http://www.vetogate.com/1058689