Anfragebeantwortung zum Irak: Einberufungsbefehle zum Militärdienst: wann, welche Altersgruppen und in welcher Form?; Drohende Strafen bei Verweigerung [a-9763-2 (9764)]

22. August 2016

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Al-Badil, eine ägyptische, in Privatbesitz befindliche Wochenzeitung, schreibt in einem Artikel vom März 2016, dass sich wegen der verstärkten Militäroperationen gegen den Islamischen Staat (IS) Stimmen regen würden, die eine Wiedereinführung der Wehrpflicht für das irakische Militär verlangen würden, dieser Vorschlag sei aber von der Regierung immer wieder abgelehnt worden. Nun habe das irakische Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass der Verteidigungsrat einstimmig über ein Gesetz zur Wehrpflicht abgestimmt habe. In diesem Zusammenhang habe das Verteidigungsministerium die speziellen Regelungen des Gesetzesentwurfes bekanntgegeben. Laut einem Rechtsberater des Ministeriums sehe der Gesetzesentwurf die Altersgruppe von 19 bis 45 Jahren für den Wehrdienst vor, der Zeitraum des Wehrdienstes hänge dabei vom Bildungsgrad ab, bei einer abgeschlossenen Grundschulausbildung betrage der Wehrdienst ein Jahr und vier Monate, mit einer mittleren Schulreife ein Jahr und mit einem ersten Hochschulabschluss (Bachelor) neun Monate. Personen mit Masterabschluss oder Doktorgrad seien komplett vom Wehrdienst befreit.

Der Sicherheitsausschuss des Parlaments habe bestätigt, dass Ministerpräsident Haidar al-Abadi sowie die Mitglieder des Sicherheitsausschusses den Gesetzesvorschlag angenommen hätten. Nun würde er noch dem Ministerrat zur Diskussion und Bestätigung vorgelegt und würde dann ins Parlament zur Abstimmung eingebracht. Die einzelnen Parteifraktionen seien sich in Bezug auf die Wichtigkeit des Gesetzes sowie die Möglichkeit seiner Umsetzung uneins. So hätte eine Abgeordnete der Kurdistan-Koalition gemeint, dass die Umsetzung dieses Gesetzes gegenwärtig aufgrund der instabilen Lage im Land schwer sei. Ein Abgeordneter der Nationalen Koalition habe dagegen festgehalten, dass dieses Gesetz sehr wichtig für das Land sei, und die Lage im Land jetzt eine andere sei, wenn dieses Gesetz direkt nach dem Sturz des vorigen Regimes erlassen worden wäre. (Al-Badil, 17. März 2016)

 

Al-Sumaria News, ein unabhängiger irakischer Fernsehsender, berichtet in einem Beitrag vom März 2016, dass weniger als 24 Stunden nach Ankündigung eines Gesetzes zum Wehrdienst durch das Verteidigungsministerium, das soziale Online-Netzwerk Facebook voll von wütenden Kommentaren gewesen sei. Ein junger Menschenrechtsaktivist habe sich auf seiner Facebookseite entrüstet gezeigt und gesagt, dass die Wehrpflicht eine Rückkehr zur Diktatur und ein Verbrechen komplementär zu den Verbrechen von Saddam Hussein darstelle, sowie die Rückkehr des Militärstaates und eines Systems von Bestechungen bedeute. Ein anderer habe gemeint, dass aufgrund der konfessionellen Probleme, des Vertrauensverlustes und der Korruption in der Verwaltung, an denen das Volk leide, dieses Gesetz zur Wehrpflicht nicht verabschiedet werden würde. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände und die gegenwärtige Sicherheitslage eigneten sich nicht dazu, die Wehrpflicht einzuführen. Al-Sumaria erwähnt, dass infolge der US-Invasion im Irak der Zivilverwalter, Paul Bremer, 2003 eine Verordnung zur Auflösung des irakischen Heeres erlassen habe. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht sei die Armee neu formiert und bewaffnet worden. (Al-Sumaria, 15. März 2016)

 

Das in der Autonomen Region Kurdistan (Irak) ansässige kurdische Mediennetzwerk Rudaw berichtet im Dezember 2015, dass laut Aussage eines Sicherheitsbeamten das irakische Verteidigungsministerium damit begonnen habe, tausende neue Soldaten für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu rekrutieren. Ziel sei die Rekrutierung von 10.000 neuen Soldaten, und jeder der interessiert sei, könne einrücken. Der Sicherheitsbeamte sei der Meinung, dass viele Iraker diese Bekanntmachung aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten begrüßen würden. Der monatliche Sold betrage anfangs 500 US-Dollar [ca. 457 Euro nach damaligem Wechselkurs, Anm. ACCORD] und könne bis auf 800 US-Dollar [ca. 732 Euro nach damaligem Wechselkurs] steigen. Die frühere irakische Armee sei von der US-amerikanischen Verwaltung nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 aufgelöst worden, wodurch auch die Wehrpflicht ausgesetzt worden sei. Finanzielle Anreize würden seither die neue Armee zu einer attraktiven Karriere machen, jedoch habe sich die Armee in den letzten Jahren als kampfunfähig erwiesen und Soldaten hätten im Angesicht des IS-Angriffs auf Mossul in Scharen Fahnenflucht begangen. Einem Bericht der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace (CEIP) vom Juli 2015 zufolge, sei ein gemeinsamer US-irakischer Plan zur Rekrutierung von 24.000 neuen Soldaten aufgrund des Mangels an Bewerbern nicht umgesetzt worden. Laut des Berichtes hätten manche regionale Rekrutierungszentren überhaupt keine Bewerbungen erhalten:

„ERBIL, Kurdistan Region – The Iraqi Defense Ministry has started recruiting thousands of new soldiers into the army to join the ongoing fight against the Islamic State (ISIS), a security official said Tuesday. Shakhawan Abdullah, head of Iraq’s parliamentary security and defense committee told Rudaw on that the army has set a goal of recruiting 10,000 new soldiers and anyone interested could register. Abdullah believes many Iraqis would welcome the announcement due to the current financial hardship. ‘A lot of people are living in a difficult financial situation and the monthly salary for a soldier is not too bad,’ he said. ‘It starts at 700,000 ID (approx. US$ 500) and it can be up to 1,000,000 ID (about $ 800).‘ Abdullah added that the new recruitment is to replace thousands of Iraqi soldiers who have deserted their duty since the start of the war with ISIS last year. The former Iraqi army was dissolved by the American administration after toppling Saddam Hussein’s regime in 2003, thus ending mandatory military service in Iraq. Financial incentives have since made the new army an attractive career path. However, in the past few years the army has proved incapable of fighting and soldiers defect in droves in the face of danger as was seen during the ISIS attack on Mosul last year. A report by Carnegie Endowment for International Peace in July showed that a joint US-Iraqi plan to recruit 24,000 new soldiers came to a halt due to lack of applicants. ‘Some regional recruitment centers receiving no applications at all,‘ the report said. (Rudaw, 15. Dezember 2015)

Carnegie Endowment for International Peace (CEIP), ein globales Netzwerk von Think Tanks zum Thema Politikforschung und Förderung des Friedens mit Hauptsitz in den USA, erwähnt in einem Beitrag zur Rekrutierung der irakischen Armee vom Juli 2015, dass die irakische Armee nach ihrer Niederlage in Mosul gegen den Islamischen Staat (IS) im Sommer 2014 eine nationale Rekrutierungskampagne begonnen habe. Die Armee stütze sich auf bezahlte Freiwillige und führe keine institutionalisierte Einberufung durch, um sich vom alten Regime Saddam Husseins abzusetzen. Außerdem falle es der Regierung in dem gespaltenen Land schwer, eine landesweite Einberufung durchzusetzen. Freiwillige würden sich bevorzugt den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Unit, PMU) oder den Abna al-Asha’ir [dies sind zumeist sunnitische Kämpfer, Anm. ACCORD], anschließen. Viele Sunniten seien misstrauisch gegenüber staatlichen Institutionen. Daher seien die meisten Rekruten, die der irakischen Armee zur Verfügung stünden, schiitische Araber aus den südlichen Provinzen. Es bestehe eine Rekrutierungskonkurrenz zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten (PMU):

„In the summer of 2014, several Iraqi army divisions collapsed as the Islamic State captured Mosul. In response, the government launched a national recruitment campaign that seeks to enroll paid volunteers as career officers. The reason that the Iraqi military relies on volunteer recruits (mutatawi’een) rather than instituting a draft is partly related to the traumatic legacy of conscription policies under the 1979 to 2003 dictatorship of former Iraqi President Saddam Hussein. It would also be difficult to enforce a draft across Iraqi territory, given the divided state of the country. Nevertheless, the result is that even though tens of thousands of Iraqis are eager to take up arms against the Islamic State, the official military has failed to meet its recruitment needs. Instead, volunteers prefer to join non-state armed groups like those gathered in the Popular Mobilization Forces, known in Arabic as al-Hashd al-Shaabi, or various tribal militias, commonly referred to as Abna al-Ashair or sons of the tribes. […]

Despite its ambition to serve as a national institution, the ministry has failed to reach out to some segments of the Iraqi population—and in turn, they evince little interest in joining the military. Iraq’s Kurds are more likely to join their own Peshmerga forces and many Sunnis are often distrustful of Iraqi state institutions. Consequently, most of the recruits available to the military are Shia Arabs from southern Iraq. This has led to a recruitment rivalry between the Ministry of Defense and the Popular Mobilization Forces.” (CEIP, 22. Juli 2015)

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) schreibt im April 2016 in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission, die sie September bis Oktober 2015 in der Autonomen Region Kurdistan und im Libanon durchgeführt hat, dass ein Experte hinsichtlich der Rekrutierung in der Autonomen Region Kurdistan angegeben habe, dass die Peschmerga [Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan] formal als Teil der irakischen Streitkräfte operieren würden, de facto aber unabhängig seien. Auch bei den Peschmerga gebe es keine Wehrpflicht. Kurdische Männer würden sich freiwillig melden. Eine Quelle aus der Region habe angemerkt, dass Peschmerga-Kämpfer oft Männer mittleren Alters seien. Falls es eine offizielle Einberufung gebe, dann würde laut der Quelle ein erheblicher Anteil jüngeren Alters sein. Der Präsident der Autonomen Region Kurdistan, Massoud Barzani, habe im Jänner 2015 alle außer Dienst befindlichen Peschmerga-Kämpfer dazu aufgefordert, wieder einzurücken, was darauf hindeute, dass die Regierung die Autorität habe, sie zu einer erneuten Verpflichtung zu zwingen:

„Asked what jurisdiction the Peshmerga forces and police forces are subject to, Christoph Wilcke explained that the Peshmerga formally operate under the Iraqi armed forces, but in practice they are independent. The United Nations report that the Peshmerga are under Iraqi military law. […]

There is no conscription for the Peshmerga forces. Kurdish men sign up for the job as Peshmerga on a voluntary basis. During travel in KRI [Kurdistan Region of Iraq], the source has observed that Peshmerga fighters in the area are often middle aged men. If there was a draft, the source would presume that a significant number of them would be younger. The Kurdistan Regional Government (KRG) president, Massoud Barzani, in January 2015, called for retired Peshmerga to reenlist, indicating that the government had the authority to force them to do so.” (DIS, 12. April 2016, S. 124)

Al-Hurra, ein US-amerikanischer und von US-Behörden finanzierter, arabischsprachiger Fernsehsender, veröffentlicht im April 2015 einen Artikel auf seiner Website, demzufolge der irakische Premierminister Haidar al-Abadi eine Amnestie für desertierte oder nicht anwesende Soldaten und Mitglieder des Sicherheitsdienstes erlassen habe. Diese Amnestie sei geknüpft an die Bedingung, dass diese Soldaten sich innerhalb eines Monats wieder bei ihrer Einheit melden. Al-Abadi habe in einer Mitteilung angekündigt, dass er die rechtlichen Schritte gegen Mitglieder der Streitkräfte und der inländischen Sicherheitskräfte für eine Reihe von Straftatbeständen aussetzen werde, so zum Beispiel für die Desertion, das Fernbleiben, das „sich krank stellen“ und die Selbstverstümmelung zum Zweck der Wehrdienstentziehung. Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden, sowie Diebstahl, Ehrenmorde und Machtmissbrauch seien von der Amnestie ausgenommen. Al-Abadi habe eine maximale Frist von 30 Tagen zur Erfüllung der Bedingung gesetzt, danach würden rechtliche Schritte gegen die Straftäter eingeleitet. (Al-Hurra, 30. April 2015)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 22. August 2016)

·      Al-Badil: Wehrpflicht – eine neue politische Krise im Irak [al-tajnid al-ilzami – azma siyasiya jadida fi-l-ciraq], 17. März 2016
http://elbadil.com/2016/03/17/%D8%A7%D9%84%D8%AA%D8%AC%D9%86%D9%8A%D8%AF-%D8%A7%D9%84%D8%A5%D9%84%D8%B2%D8%A7%D9%85%D9%8A-%D8%A3%D8%B2%D9%85%D8%A9-%D8%B3%D9%8A%D8%A7%D8%B3%D9%8A%D8%A9-%D8%AC%D8%AF%D9%8A%D8%AF%D8%A9-%D9%81%D9%8A/

·      Al-Hurra: Bedingte Amnestie für Deserteure vom Militärdienst [cafu mashrut can al-farrin min al-khidma al-caskariya], 30. April 2015
http://www.alhurra.com/content/iraqi-pm-army-pardon/270047.html

·      Al-Sumaria: Empörung der Männer über den Wehrdienst entlädt sich auf Facebook [sakhat al-rijal cala al-tajnid al-ilzami yashcal facebook fi-l-ciraq], 15. März 2016
http://www.alsumaria.tv/news/162759/%D8%B3%D8%AE%D8%B7-%D8%A7%D9%84%D8%B1%D8%AC%D8%A7%D9%84-%D8%B9%D9%84%D9%89-%D8%A7%D9%84%D8%AA%D8%AC%D9%86%D9%8A%D8%AF-%D8%A7%D9%84%D8%A5%D9%84%D8%B2%D8%A7%D9%85%D9%8A-%D9%8A%D8%B4%D8%B9%D9%84-%D9%81%D9%8A%D8%B3/ar#

·      Carnegie Endowment for International Peace: Your country needs you: Iraq’s faltering military recruitment campaign, 22. Juli 2015
http://carnegieendowment.org/syriaincrisis/?fa=60810

·      DIS - Danish Immigration Service: The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015, 12. April 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf

·      Rudaw, Iraq set out to recruit thousands of new soldiers, 15. Dezember 2015
http://rudaw.net/english/middleeast/iraq/15122015